Paddeln auf der Gauja (eine viel zu kurze Reise ins Baltikum)
Sigulda und Allgemeines
Den Nachmittag nutzten wir zu einem Abstecher nach Sigulda, das etwa 30 km entfernt ist. Für die Letten ist Sigulda das touristische Vorzeigeobjekt schlechthin und das schon seit Sowjetzeiten. Allerdings ist Sigulda keine historisch gewachsene Stadt, eine Seltenheit im Baltikum. Nur etwa 50 km von der Hauptstadt Riga entfernt gelegen, bauten sich Ende des 19. Jahrhunderts viele betuchte Einwohner Rigas in dieser landschaftlich schön gelegenen Gegend Wochenendgrundstücke und um 1930 wurden die zahlreichen Flecken administrativ zusammengefasst zur Stadt Sigulda. Die Gauja fliest hier, bevor sie sich zum Tal öffnet und nach ca 60 km, nördlich von Riga in die Ostsee mündet, durch eine bis zu 80 m hohe Schlucht, die auch die beiden Stadtteile von Sigulda trennt. Über das Tal spannt sich eine Seilbahn. Die Fahrt lohnt sich allein schon wegen der herrlichen Aussicht über Tal und Fluss. Wir haben uns im gegenüberliegenden Stadtteil Grimulda das dortige Schloss und die Ruine der Ordensburg angeschaut und sind danach bergab zur Gauja gewandert. Auf der Brücke bemerkte ich sonderbares, es waren nämlich eine Menge Ketten am Brückengeländer mit Vorhängeschlössern angeschlossen. Ein alter Brauch bei verliebten Paaren, wie Detlef erklärte, die nachdem sie gemeinsam ihre Kette angeschlossen hatten, den Schlüssel ins Wasser werfen. Soll symbolisieren: Es gibt kein zurück, unser Bund ist für die Ewigkeit. Ein Sessellift ersparte uns den Anstieg zur Stadt. Neben der Bobbahn ist, vermutlich vor nicht allzu langer Zeit ein Hochseilklettergarten von immenser Ausdehnung, der größte den ich kenne, sowie eine Sommerrodelbahn und eben jener Sessellift entstanden. Man sieht, Funsportarten setzten sich europaweit durch. Die erwähnte Bobbahn wurde 1986 errichtet und wenn ich nicht irre fanden dort auch schon Weltmeisterschaften statt. Inzwischen ist die Anlage als ganzes aber doch etwas renovierungsbedürftig, wie wir per Augenschein feststellen konnten.
Das Baltikum, insbesondere Lettland, Estland und das Memelgebiet hatten ja auch eine Jahrhunderte alte deutsche Geschichte und Kultur, die allerdings 1940 als Folge des Hitler-Stalin Paktes abrupt zu Ende ging. Die damals dort siedelnden Deutschen mussten das Land verlassen und die Letten wurden für ein halbes Jahrhundert nicht gerade freiwillig Sowjetbürger. Ihre staatliche Unabhängigkeit konnten sie erst 1990 wiedererringen. Heute pflegen die Letten wieder ihr deutsches Erbe, davon zeugen die vielen restaurierten Burgen, Schlösser, Häuser von deutsch-baltischen Künstlern und vieles mehr. Übrigens Sigulda heißt auf deutsch Segewold und die Gauja Livländische Aa.
Nach dem obligatorischen Einkauf für die folgenden Tage auf dem Fluss im Supermarkt, eine landesweit agierende Kette, die sinnigerweise Elvi heißt (wie meine Frau) ging es dann zurück zum Zeltplatz. Unterwegs wurden schnell noch ein paar Pfifferlinge gesammelt. Ein paar Anmerkungen zum Einkaufen in Lettland. Es gibt in allen Städten Supermärkte, die durchgehend westeuropäisches Niveau sowohl was das Angebot betrifft, als auch im Service haben. Darüber hinaus gibt es auch noch viele Tante Emma Läden, besonders in den kleineren Ortschaften. Ein paar Besonderheiten gibt es auch. Kuchen beispielsweise besteht überwiegend aus Zucker. Brot und Brötchen schmecken diplomatisch ausgedrückt anders als bei uns (Trost: auch in Deutschland haben die meisten Bäcker inzwischen verlernt wie man Brötchen bäckt). Jedenfalls uns hat es nicht geschmeckt, was aber nicht als böse Kritik aufgefasst werden soll. Schließlich fahre ich nicht in andere Länder um dort typisch deutsch zu speisen. Überrascht hat das reichhaltige Angebot bei Bier und Spirituosen, speziell Wodka. Wir hatten nämlich einen Karton Wodka als Tausch und Bezahlobjekt mitgenommen wie nach Skandinavien auch, wo das wunderbar funktioniert hat. Lachhafte Idee bei den vollen Regalen von ganz billig bis richtig teuer. Die Schnapsflaschen sind übrigens alle gesichert mit einem Chip wie bei uns die Textilien, was ein hübsches Bild ergibt. Einheimisches Bier gibt es in großer Auswahl, wobei auffällt, das das meiste 7 % Alkohol hat. Praktischerweise, wahrscheinlich extra für Paddler erfunden, gibt es große Zweiliterplasteflaschen, so dass man nicht palettenweise Dosen oder schwere Glasflaschen im Boot verstauen muss. Und eines kann ich bezeugen. Eine Flasche pro Abend reicht allemal. Ach ja und Kwass habe ich kennengelernt. Original Kwass wird aus vergorenem Brot hergestellt, hat wie Malzbier 0,5 % Alkohol, schmeckt auch so ähnlich, löscht aber erstaunlicherweise sehr gut den Durst obwohl er sehr süß ist. Für die folgenden Tage war er unser Hauptgetränk, jedenfalls bis die Sonne unterging.
Nach einem reichhaltigen, vielseitigem Abendessen, ich erinnere: Pfifferlinge, stimmte Detlef seine Gitarre und ein Liederabend nahm seinen Lauf, immerhin vor internationalem Zeltplatzpublikum: Franzosen, Holländer (natürlich mit ihren Häusern auf Rädern dabei) und Letten. Beschwert hat sich keiner, selbst dann nicht, als ich meine Mundharmonika zum Einsatz brachte. Und der absolute Hit des Abends, wie sollte es anders sein, war Renft's "Liebeslied".
Aufbruch: | 25.07.2010 |
Dauer: | 10 Tage |
Heimkehr: | 03.08.2010 |