10 Tage in SIERRA LEONE

Reisezeit: März / April 2011  |  von Uwe Decker

Aberdeen

Ich wohne im westlichen Stadtteil Aberdeen, von Downtown kommend gleich am Beginn, hinter der Aberdeen Bridge links, mit Stacheldraht (wieso eigentlich?) und schönem Blick auf den Aberdeen Creek. Falls jemandem das was sagt. Und auf eine Autowerkstatt im Freien, in der von morgens bis abends gehämmert und geschraubt wird.

Für meinen Langzeitaufenthalt von 10 Nächten habe ich mit dem Manager des Guesthouses sowohl einen Discount als auch ein Upgrade ausgehandelt und residiere in einer Suite, mit Schlafzimmer, Wohnraum mit einer Küchenzeile, Bad und zwei Balkonen, sowie Aircondition. Leider läuft die -aus Kostengründen- immer nur dann, wenn ich sie nicht brauche, nämlich nachts. Wenn es frühmorgens richtig warm wird im Zimmer wird sie ausgeschaltet. Es gäbe noch einiges mehr zu bemängeln an der Wohnung und dem ganzen Guesthouse. Aber ich will nicht als kleinlicher Nörgler dastehen und belasse es lieber bei den Bildern, die meine Unterkunft richtig schick erscheinen lassen.

Blick vom Schlafzimmer-Balkon

Blick vom Schlafzimmer-Balkon

Blick vom Wohnzimmer-Balkon

Blick vom Wohnzimmer-Balkon

Ich dachte eigentlich, meine Unterkunft strategisch günstig gewählt zu haben, liegt sie doch gegenüber vom "Paddys", einer Art Institution in Freetown. Soweit mir bekannt ist war es der erste "Hotspot" seiner Art in Freetown. Es diente während der Kriegswirren als Anlaufstelle und Nachrichtenbörse für die ausländischen Kriegsberichterstatter und ist zweifellos Vorbild für die Filmszenen aus "Blood Diamond", in der Leonardo DiCaprio seine amerikanische Journalistin kennenlernt. Mein Reiseführer preist das Paddys nach wie vor als beste Adresse, um die Abende in der Stadt zu verbringen. Und tatsächlich gefällt mir das Lokal ausgesprochen gut, Open Air, mit großem Areal, guter Musik und direkt an der Man Of War Bucht gelegen, romantisches Wasserplätschern inklusive. Nur - wann immer ich dort auftauche, ich bin der einzige Gast.

Generell gilt für Freetown: die östlichen Stadtteile sind die ärmeren, die westlichen, zusammen mit den Hills, die besseren. Auch in Aberdeen sind die Straßen unter aller Sau, das gilt für die Hauptstraße, aber in viel größerem Maße für die Nebenstrecken. Auch in Aberdeen gibt es Armut pur, aber hier befinden sich auch die besseren Hotels und Restaurants. Häuser der internationalen Hotelketten sucht man allerdings noch vergebens.

In Aberdeen liegen auch die meisten derzeit angesagten Clubs, in denen es zu meinem Leidwesen erst weit nach Mitternacht voll wird.

Und hier beginnt auch der kilometerlange feinsandige Stadtstrand, der Lumley Beach, mit seinen Beach Bars und feinen Strandrestaurants wie dem Roy, King David oder Atlantic. Und wo es schon mal passieren kann, dass am Nachbartisch Minister und andere Regierungsmitglieder mit ausländischen Investoren speisen. Investoren, die, wie mir scheint, immer häufiger auf das Land und seine Bodenschätze aufmerksam werden.

Meine persönlichen Lieblingsorte liegen gleich am Beginn und ganz am Ende des Lumley Beach. Am Anfang liegt meine Beach Bar, an der man so herrlich bei einem kühlen Bier die Sonnenuntergänge genießen kann. Ein alter holländischer Frittenwagen am Straßenrand für die Getränke und ein paar Kleinigkeiten zu essen sowie ein paar Tische mit Sonnenschirmen und Plastikstühlen im Sand aufgestellt, das ist alles.

Man ist hier selten alleine, irgendjemand grüßt mit "Hello, how are you" - woanders meist das untrügliche Indiz, dass jemand etwas verkaufen oder erbetteln will, hier in Sierra Leone aber noch echte Freundlichkeit, man setzt sich dazu und plaudert drauf los.

Das "Atlantic" dagegen liegt ganz am Ende des Strandes, dort wo der Ort Lumley beginnt. Es ist ein wunderbar eingerichtetes Lokal, ein Teil wie ein Irish Pub, ein Essbereich, gemütliche Sitzecken, eine Tanzfläche, dazu der Strandbereich mit separater Bar. Hier beginnt man am Freitag um Mitternacht das Wochenende, bevor die Gemeinde zwei Stunden später weiterzieht ins "Office". (Welch ein toller Name für eine Disco! So kann der einheimische Businessman seiner daheim weilenden Gemahlin auch nachts um 2 telefonisch mitteilen, er wäre leider noch immer im Office, ohne lügen zu müssen!)

Hier kommt es auch zu unvergesslichen Szenen, z.B. eine Gruppe junger Libanesinnen, sittsam bekleidet und mit Kopftuch, in einer Sitzecke Shisha rauchend und daneben Grüppchen (hoffentlich) gerade volljährig gewordener schwarzer Girls in ultra-kurzen Minikleidchen stehen, stets auf der Suche nach zahlungskräftigen Kunden.

Ich gebe zu, wenn ich mich abends in den guten Restaurants und Clubs von Aberdeen bewege, kann ich die Bilder, die ich tagsüber gesehen habe, nicht immer ausblenden. Ich tue mich schwer mit den krassen Gegensätzen, die man als Tourist unweigerlich erlebt, wenn man viel unterwegs ist und abends nicht mit dem Einbruch der Dunkelheit auf seinem Zimmer hocken will. Aber das ist afrikanische Wirklichkeit. Man findet sie -wegen des oft kompletten Fehlens einer Mittelschicht in der Bevölkerung- überall in den Metropolen.

© Uwe Decker, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ein einhalb Wochen auf Tour in einem höchst ungewöhnlichen Urlaubsland
Details:
Aufbruch: 25.03.2011
Dauer: 11 Tage
Heimkehr: 04.04.2011
Reiseziele: Sierra Leone
Der Autor
 
Uwe Decker berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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