Mit Logistik und Improvisation
Bei Bauern im Karpatendorf Huzne
Um 9.30 Uhr wird Sergej und der Professor uns bei Josef, dem Imker abholen, um in die Karpaten zu starten.
Da haben wir in der Morgensonne noch etwas Zeit, uns im Dorf umzusehen.
Die Handykommunikation mit der SIM-Karte klappt hervorragend, dreimal ruft Sergej von unterwegs an und präzisiert den genauen Ankunftszeitpunkt, zu dem wir mit Gepäck schon an der Straße stehen sollen.
So gut betreut, können wir uns unterwegs voll dem Genuß der Fahrtroute hingeben, die zunächst am Umgehungsring von Lemberg am Fußballstadion vorbeiführt.
Ein riesiger Supermarkt ist schräg gegenüber, dort müssen wir noch Proviant bunkern.
Das neue Fußballstadion von Lemberg. Hier finden in wenigen Tagen die EM 2012-Spiele statt. Wo sind nur die zugehörigen Parkplätze und Zufahrtstraßen ?
Beim Großeinkauf geben wir dreimal so viel aus wie im September 2011, nicht, weil wir mehr zulangen, sondern vor allem wohl wegen des deutlich höhren Preisniveaus. Importwaren aus der EU etwa das 1,5fache dessen, was wir zu Haus bezahlen müssen, ukrainische Erzeugnisse unterschiedlich, aber auch teurer.
Liegt das an der bevorstehenden Europa-WM ? fragen wir.
Hoffentlich ist das nur der Grund, antwortet uns Sergej, aber er scheint nicht daran zu glauben, dass die Preise nach der EM wieder fallen werden.
Wie soll da jemand mit 70 Euro Monatsrente über die Runden kommen ?
Was sind das für Leute, die sich den Einkauf hier leisten können und ihre Einkäufe in mehreren vollgestapelten Einkaufswagen zu den Kassen und zu ihren großen Autos schieben können ?
Es gibt eben auch ein paar Reiche hier, hören wir von ihm achselzuckend.
Die Fahrt auf die Karpaten auf der Europastraße geht reibungslos, Schlaglöcher gibt es hier kaum, der Professor fährt ständig Tempo 90 bis 100.
Rechts und links der Straße fast nur grüne Wiesen, aber kein Vieh darauf, gelegentlich ein paar Hühner oder Gänse. Getreideanbau ? Fehlanzeige. Kartoffeln und Gemüseanbau nur neben den Häusern und Hütten von Einheimischen, aber die großen Flächen liegen brach.
Kioske und Hotels an der Europastraße leben vom Durchgangsverkehr, aber wie sieht es ein paar hundert Meter dahinter aus ?
Werdet ihr alles sehen und kennenlernen, kündigt uns Sergej an.
Als wir rechts abbiegen, beginnt der Schlaglochslalom mit Tempo 20. Die Strecke kommt uns endlos vor, doch schon das Zweite Dorf links ist Huzne, malerisch am Hang des Pikui (1408 mü.M.) auf etwa 700 Meter Meereshöhe gelegen. Ein Straßendorf entlang des Baches, mit zwei Kirchen, beide orthodox, aber da muß es auch Unterschiede in den Glaubensrichtungen geben, das wird uns Sergej später noch erklären.
Sergej hat sich dieses Mal nicht fürs Quartier beim Bürgermeister entschieden, sondern bei Katarina, der Mutter von 14 Kindern, die er voriges Jahr hier auf dem Feld angesprochen hatte. Von ihren 14 Kindern seien 12 aus dem Haus, da hätte sie genug Platz für Gäste.
Unsere Schlafstätten können wir uns aussuchen, die gute Stube der Familie steht uns ebenso zur Verfügung wie das Bad der anderen Tochter mit deren Familie.
Das Plumpsklo hinterm Hof steht allen gemeinsam zur Verfügung; dessen Benutzung erfordert daher einiges an Logistik.
Der Tisch am Eingang eines Anbaus ist das Zentrum für Bewirtung und Kommunikation.
Es ist bewundernswert, wie Katarina das alles im Griff hat, obwohl sie in ihrer Küche nur barfuß läuft, aber zum Servieren im Anbau über den Hof muß und dazu ihre Gummistiefel überziehen muß, und das alles in einem atemberaubenden Tempo.
Jonas und ich schlafen in der guten Stube. Dabei staunen wir über die gute Isolierung des Hauses: Draußen ist es schwülwarm geworden, hier drin ist es weiter kalt.
Unser Großeinkauf aus dem Supermarkt in Lemberg. Prof. Tarachenko ist leidenschaftlicher Koch und schon ganz erpicht darauf, etwas Deftiges für uns zuzubereiten. Die Genehmigung, in Katarinas Küche zu kochen, bekommt er erst am zweiten Abend nach gutem Zureden. Katarina wollte uns doch eigentlich bewirten !
Mein mitgebrachtes Dominospiel muß ich allein spielen. Die Kinder haben das Einmaleins auf der Schule noch nicht gehabt, für die Erwachsenen liegt die Schulzeit zu weit zurück; sie trauen sich nicht mitzuspielen. Ich werde das Spiel der Bücherei der Schule spendieren und Sergej wird die Spielregeln dazu ins Ukrainische übersetzen, vielleicht begeistert es dann einmal ein paar neugierige Schüler.
In Huzne gibt es sogar ein Postamt, nämlich der Raum links der Tür mit heiler Fensterscheibe. Geöffnet dreimal wöchentlich 2 Stunden.
Eine Woche nach unserem Pfingstfest feiert man hier mit der orthodoxen Kirche das Pfingstfest. Wir sehen es an den grünen Zweigen, die alle Hauseingänge schmücken, sogar Trecker und Autos tragen grünen Schmuck.
Erich und Sergej besuchen den über dreistündigen Gottesdienst in einer der Kirchen, Jonas und ich wollen heute den Pikui bezwingen und starten zunächst mit dem Rad ohne Gepäck bergauf.
Eine Zeremonie von 3 Stunden oder länger, bei der man aber auch später kommen oder früher weggehen kann.
Mal ohne Gepäck bergauf zu radeln hätte ja mal seinen besonderen Reiz.
Wir kommen aber nicht weit, wegen schlechter Straßenverhältnisse. Da lassen wir die Räder am Waldrand fest angeschlossen stehen und kämpfen uns zu Fuß weiter durch.
Wegmarkierung unbekannt, aber ständig gabeln sich die Schleifspuren von Baumstämmen, die man mit Treckern aus dem Wald gezerrt hat. Blieb der Trecker mal stecken, wurde eine neue Schleifspur gezogen, oft auch genau im Bachbett.
.Je höher wir kommen, desto weniger Wasser führt der Bach, in dessen Tal wir bergauf gehen. Wir finden sogar einen Rastplatz, an dem eine ganze Schulklasse Picknick halten könnte, aber das Gras auf der Lichtung ist hoch und man erkennt keine Pfade mehr, die zum Berg hinauf führen könnten. Fast zwei Stunden sind wir schon unterwegs, aber haben, nach Meereshöhe gerechnet, noch nicht einmal ein Drittel des Weges.
Also geben wir auf, zumal wir oben doch nur Nebel oder Regen haben dürften.
Als wir im Dorf zurück sind, nickt man uns nur zustimmend zu, als wollte man sagen: Das haben wir uns gedacht, dass ihr da nicht raufkommt. Und das, wo uns die jüngste Tochter gesagt hatte, sie wüßte, dass man da auch mit einem Mountainbike rauffahren könnte.
Aber selbst hatte sie es auch noch nicht gemacht.......
Die Gestaltung des Abends läuft etwas auseinander: Der Professor hat Katarinas Küche erobert und zaubert eine deftige Mahlzeit aus Zwiebeln, Quark, Speck und Knoblauch, alle übrigen lädt der Nachbar zur Feier des Richtfestes einer jungen Familie ein.
Hier entsteht die Gartenlaube. Vorläufig wird hier noch das Holz für den Fußboden im Haupthaus zugeschnitten.
Erich begutachtet solide Handwerksarbeit: 4 cm dicke Fußbodenbretter, sauber auf Nut und Feder geschnitten und verlegt, da wird die junge Familie im Winter nie kalte Füße bekommen.
Bei so viel Appetit legt die Frau des Hauses noch nach. Und was wird aus dem Essen, das der Professor in Katarinas Küche zubereitet ? Das wirds morgen zum Frühstück geben!
Die zugehörigen Verdauungsschnäpse werden ständig in unsere noch halbvollen Gläser nachgefüllt. Alles selbstgebrannt, erzählt man uns voller Stolz. 40 % haben die Schnäpse mindestens, man merkt es !
Gott sei dank stürzen die Temperaturen nach Einbruch der Dunkelheit steil ab, so dass man allenthalben Verständnis hat für unseren Wunsch, nach Hause zu kommen. Das schaffen wir gerade noch und laufen uns dabei die Füße wieder warm.
Dort finden wir den Professor schon vor.
Er liegt in seinem Bett und schläft!
Aufbruch: | 21.05.2012 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 08.06.2012 |
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