Über alle Berge - mit dem Rad durch die Anden
Von Colca zum Titicacasee
Heute Morgen habe ich bei strahlendem Sonnenschein am Ufer des Titicacasees gefruehstueckt. Der Ort - wenn man ihn denn so bezeichnen kann, denn hier leben gerade mal drei Familien - war eher eine Zufallsentdeckung, denn eigentlich wollte ich in Capachica auf der gleichnamigen Halbinsel im Titicacasee uebernachten. Aber der Schluessel fuer die Zimmer des einzigen Hostals im Ort war nicht aufzutreiben und so landete ich im zwei Kilometer entfernten Chifron. Reisefuehrer koennen so schoen umschreiben, deswegen bin ich ja auch auf dieser Halbinsel gelandet. Was stimmt ist, dass sie dem Tourismus ziemlich fern liegt und wenn einige der Inseln im See aehnlich sein sollen, nur sehr touristisch, hat es doch sein Gutes gehabt, diesen 80 km Umweg zu fahren. So erspare ich mir doch eine Tagestour auf dem See. Ueber Chifron verliert der Reisefuehrer gerade mal fuenf Zeilen. Im hiesige Jargon wird das Ganze turismo rural genannt und koennte am Ehesten mit Ferien auf dem Bauernhof umschrieben werden.
Mein Zimmer in dem Adobe-(Lehm)-Haus. 15 Soles pro Nacht, 8 Soles jeweils fuer Abendessen (Forelle aus dem Titicacasee) und Fruehstueck - insgesamt 9,30 Euro
Fruehstueck im Freien. Vier dicke, fette Pfannkuchen mit selbst gemachtem Kaese. Alles andere blende ich hier aus - nur so viel: an der Pumpkanne klebten die Finger fest...
Der Canyon von Colca
Rueckblende: Ich war in Chivay angekommen. Von dort wollte ich den Canyon de Colca besuchen. Nie gehoert? Grand Canyon ein Begriff? Klar! Gut - der Conyon de Colca ist mit ca. 3200m mehr als doppelt so tief und die zweittiefste Schlucht der Welt (die tiefste liegt auch hier in der Gegend). Der besondere Reiz fuer mich war der Mirador Cruz del Condor, ein Aussichtspunkt, an dem man Condore aus naechster Naehe im Flug beobachten kann, weil sie an den steilen Felswaenden der Schlucht besonders morgens die Auswinde nutzen, da sie auf der gegenueber liegenden Seite des Canyons ihre Horste haben.
Also frueh auf's Rad und ab in die Schlucht. Geht auch erst mal ganz gut los auf Asphalt und die ersten 10 Kilometer fast nur bergab. Dann kommt Schotter. Und die Berge. Die 44 km bis zum Aussichtspunkt ziehen sich, wobei ich bei tollem Licht durch eine wunderschoene Landschaft fahre.
Schnee bedeckte Berge und die groessten zusammenhaengenden Terrassenanlagen Suedamerikas - wieder ein Erbe der Inka-Zeit, das bis heute genutzt wird
Besonders die letzten 20 km werden lang - ein durchgehender Anstieg, nicht besonders steil aber mit grobem Schotter. Zur Abwechselung mittendrin ein Tunnel der mehrere hundert Meter lang ist, stockfinster und in dem der Staub wie ein Wand steht, denn der Untergrund hat die Konsistenz von Mehl.
An einem kleinen Parkplatz, auf dem eine hollaendische Reisegruppe ihre Landschaftsaufnahmen macht und Andenken kauft, bekomme ich Applaus auf freier Strecke - so etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Rad fahrendes Volk eben, dass genauso wenig mit den Bergen geuebt ist wie ich.
Gegen Mittag erreiche ich endlich den Mirador Cruz del Condor. Alle Reisebusse sind mir inzwischen schon wieder auf dem Rueckweg entgegen gekommen und die Haendler haben ihre Sachen eingepackt und warten darauf, dass sie abgeholt werden. Zu spaet! Morgens sind die guenstigen Aufwinde. Die Landschaft bleibt, auch wenn das Licht nicht mehr optimal ist. Und als taeten sie es, um meine Anstrengung zu hononieren, ziehen doch noch einige Kondore ihre Kreise, auch wenn sie dem Aussichtspunkt nicht ganz so nahe kommen.
Es immer wieder schade, dass Fotos die Groesse der Landschaft nur andeutungsweise wiedergeben koennen
Abstecher nach Arequipa
Der Morgen nach Tour in den Canyon de Colca ist nicht besonders aufbauend. Ich fuehle mich total geraedert und habe den Verdacht, mich in den letzten Tagen ueberanstrengt zu haben oder in der prallen Sonne der Schlucht dehydriert zu sein. Nur drei Liter habe ich ueber den Tag verteilt getrunken, wahrscheinlich viel zu wenig.
Auf keinen Fall ist daran zu denken, den 1200m-Aufstieg aus Chivay heraus auf 4800m selbst zu fahren. Also Sachen packen, zum Busbahnhof und ein Ticket nach Arequipa loesen und die Serpentinenstrecke aus dem Sessel betrachten: gute Entscheidung. Die Fahrt geht durch hochandine Landschaft, wenige Menschen, viele Alpakas, ein wenig Schnee und immer kargerer Bewuchs. Die Entscheidung, mit dem Bus zu fahren erweist sich fuer mich ein zweites Mal bei der Ankunft in Arequipa als goldrichtig. Die mit 800.000 Einwohnern zweitgroesste Stadt Perus hat endlose, unuebersichtliche und staubige Vororte - die Vorstellung mit dem Rad hier durch zu muessen und das bei dem Grossstadtverkehr...
In Arequipa findet sich zentrumsnah schnell ein Hostal und ich bekomme Gewissheit ueber meine eigene Fehldiagnose. Ich habe mir schlicht eine Magen-Darm-Infektion zugezogen. (Ich verweise auf den Abschnitt ueber das Essen - ich habe zwei Hauptverdaechtige.) Auch nichts Kritisches und nach einem Tag muss der Magen wieder nehmen, was er so bekommt.
Arequipa ist eine Stadt mit langer kolonialer Geschichte, die das Bild des Stadtzentrums praegt, obwohl es immer wieder von Erdbeben zerstoert wurde. Die Verursacher sind von der Plaza aus gut zu sehen, gewaltige Schnee bedeckte Vulkane.
Weisses Vulkangestein dient als Baumaterial im Zentrum der Stadt. Im Hintergrund die unvermeidliche Kathedrale an der Plaza de Armas
Mitten in der Stadt liegt auch die bedeutendste Sehenswuerdigkeit von Arequipa, das Kloster Santa Catalina. Schon sehr bald nach der Stadtgruendung durch die Spanier schickte der spanische Adel hier seine Toechter her, um ein nicht ganz so spartanisches Leben hinter den Klostermauern zu fuehren. Ueber 20.000 qm erstreckt sich die sehr schoen erhaltene und geplegte Anlage und verleitet zum Bummeln, Entspannen und Fotografieren.
Neben der grossen Gemeinschaftskueche hatte jede Nonne in ihrem Reich eine eigene Kueche - mit Personal
Noch ein bisschen flau in der Magengegend entscheide ich mich auch fuer die Weiterfahrt mit dem Bus, zumal die Gegend in Richtung Puno nicht so viel Interessantes verspricht. Ausfluege in der "Umgebung" sind schnell mal 250 km entfernt oder es geht auf die Vulkane. Nichts fuer mich. Der Plan, auf halbem Weg nach Puno auszusteigen und ueber Nebenstrecken weiter zu fahren, scheitert daran, dass es auf halbem Weg keine Stopp gibt. Also fahre ich bis Juliaca, 44 km vor Puno am Titicacasee.
Anscheinend dienen ausgedorrte Radfahrer hier in der Universitaet von Arequipa als Model fuer die Kunststudenten
Am Lago Titicaca
Sinngemaess zitiert der Lonely Planet einen "diplomatischen" Einheimischen, der sagt, wenn Cusco der Nabel der Welt sei, dann ist Juliaca der A... die Achselhoehle. Und der Ort ist in Wirklichkeit viel schlimmer - wiedereinmal schoent der Reisefuehrer die Realitaet. Aber es kommt fuer mich noch ein Stueck dicker. Nach dem Ausladen aus dem Bus stelle ich fest, dass der Gepaecktraeger schleift. Erst vermute ich, eine Schraube ist herausgekloetert, aber der Schaubenkopf ist abgerissen und das Gewinde steckt im Rahmen und laesst sich nicht herausdrehen. Einen Schlosser zu finden ist nicht so schwer, die gibt es hier zuhauf. Aber einen Schlosser finden, der eine Handbohrmaschine besitzt, noch dazu mit passendem Bohrer... Nach einem Gewindeschneider traue ich mich ueberhaupt nicht erst zu fragen. So faellt die "Reparatur" recht grob und fuer den Eigentuemer schmerzhaft aus - nicht finanziell, denn die halbe Stunde und der abgebrochene Bohrer kosten 1,50 Euro.
Die Suche und die Reparatur haben es jedenfalls so spaet werden lassen, dass ich gegen meine Absicht hier uebernachten muss. Erst am naechsten Tag fahre ich auf der Hauptstrasse weiter, besuche die Nekropole von Sillustani und lande dann auf der eingangs erwaehnten Halbinsel Capachica.
Puno
Irgendwie habe ich dass Gefuehl, mein Fahrrad will mir signalisieren, dass ich zuviel Gepaeck mit mir herumschleppe. Nur zwei Tage nach der abgerissenen Schraube am Gepaecktraeger stelle ich heute auf der Fahrt von Capachica nach Puno fest, dass eine weitere Halterung des Gepaecktraegers gebrochen ist. Diesmal eine angeschweisste Gewindeoese. Auf der anderen Seite ist das Teil auch schon eingerissen. Und das Ganze bei einem Alurad! Zum Glueck ist Puno recht gross und ich werde von Schlosser zu Schlosser geschickt - mal wieder immer in entgegengesetzter Richtung, bis ich endlich Erfolg habe und eine Werkstatt finde, die Alu schweissen kann. Wieder so eine grobe, schmerzhafte Reparatur (der Fahrradhersteller wirbt mit den feinen, "smooth welded" Naehten am Rad) - hoffentlich haelt sie.
Der Nachmittag war dann noch einem Ausflug mit dem Boot auf die schwimmenden Insels der Uros im Titicacasee gewidmet. Alles - einschliesslich des schwimmenden Untergrundes der Inseln - ist aus dem ueppig wachsenden Schilf gemacht. Und alles ist auf Tourismus ausgerichtet, denn Puno ist nach Cusco der bedeutendste Touristenort Perus und die Uros nur eine halbe Stunde vor der Stadt. Was von dem Leben der Menschen noch authentisch ist, vermag ich wirklich nicht einzuschaetzen.
Die traditionelle Fortbewegungsmethode auf dem See - die Motorboote der Familien liegen ein bisschen vor den Augen der Touristen versteckt
Heute habe ich den schnellen Internetzugang hier in Puno fuer ein paar Bilder und ein bisschen mehr Text genutzt. Von hier werde ich weiter am Seeufer entlang fahren und melde mich demnaechst wieder aus Bolivien.
Aufbruch: | 02.09.2012 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 27.10.2012 |
Bolivien
Chile