Über alle Berge - mit dem Rad durch die Anden

Reisezeit: September / Oktober 2012  |  von Jörn Tietje

Altiplano - jetzt wird's fach und weit

Abseits der Hauptstrassen ueber den Altiplano

Acht Tage habe im Sattel gesessen und dabei 656km zurueckgelegt, seit ich La Paz verlassen habe und gestern Abend in Uyuni angekommen bin. Haette man mich gestern Mittag gefragt, wie lange ich fuer die Strecke gebraucht habe, haette ich es nicht sagen koennen. Unterwegs ist mir das Gefuehl fuer die Tage auf den Sand- und Schotterpisten abhanden gekommen. Erst mein Tagebuch hat mich wieder in den Film gebracht.
Eigentlich wollte ich mich mit dem Taxi nur aus La Paz heraus und an den Stadtrand von El Alto bringen lassen, um dann weiter nach Viacha mit dem Rad zu fahren - nach Karte ca. 20km, kein grosser Akt. Was die Karte aber nicht verriet, war die Tatsache, dass die Vororte von El Alto bereits so weit wuchern, dass sie fast bis an die Stadtgrenze von Viacha reichten. Also nicht auf's Rad, sondern nur noch eine Unterkunft finden, was in dieser Kleinstadt schon ein echtes Probelm ist.
Am naechsten Morgen dann endlich wieder "ganz normal" auf Tour gehen, eine lange Strecke weit abseits der Hauptstrassen liegt vor mir. Bis Corocoro habe ich aber erst einmal unerwartet guten Asphalt unter dem Reifen, 70km Entspannung.

Corocoro - eine sterbende Stadt, nachdem die Kupfermine die Foerderung eingestellt hat

Corocoro - eine sterbende Stadt, nachdem die Kupfermine die Foerderung eingestellt hat

Corocoro ist allerdings schlimmer, als die schon drastische Darstellung in meiner Routenbeschreibung. Die ehemalige Minenstadt ist zu mehr als der Haelfte verlassen und verfallen und auch der Rest laesst einen an eine Geisterstadt denken. Und obwohl ich zur Mittagszeit ankomme und es auch ein "Restaurant" an der Plaza gibt, bekomme ich nichts - die Portionen sind wohl abgezaehlt. Mit der Ortschaft endet dann auch das Asphaltband, als waere es nur bebaut worden, damit die Menschen schneller von hier fort kommen. Von jetzt an sind Staub und Schotter meins.

Voellig unerwartet tauchen in der Weite des Altiplano wieder einmal eine Saline auf - je weiter man in der Landschaft vordringt, umso mehr bestimmt das Salz das Bild und die Vegetation

Voellig unerwartet tauchen in der Weite des Altiplano wieder einmal eine Saline auf - je weiter man in der Landschaft vordringt, umso mehr bestimmt das Salz das Bild und die Vegetation

Knochenarbeit in strahlendem Sonnenschein und gleissendem Weiss

Knochenarbeit in strahlendem Sonnenschein und gleissendem Weiss

Wie oben schon angedeutet, verschwimmen Tage und Orte und Entfernungen ein bisschen. Aber damit bin ich offenkundig nicht allein. Da Wegweiser die absolute Ausnahme sind und auf meine sehr groben Landkarte auch nicht alle Orte und Wege verzeichnet sind, bin ich mal wieder auf die Auskuenfte der Einheimischen angewiesen. Waehrend es mit der Richtung meistens noch ganz gut klappt, wenn man nach dem naechsten - nicht dem uebernaechsten - Ort fragt, sind Entfernungen reine Meinungsbekundungen. 15km, 2 Stunden, 5 Stunden, 80km - alles Auskuenfte an einem Ort fuer dasselbe Ziel. Es waren schliesslich tatsaechlich knapp 80km. Zuerst ist die Strecke noch recht huegelig und bizarre Felsen saeumen die Strecke, sodass ich mich frage, warum das hier eigentlich als Hochebene bezeichnet wird. Der weiche Sand ist dabei viel schlimmer als grober Schotter und zwingt immer wieder aus dem Sattel zum Schieben.

Sonne, Wind, Regen, Frost haben aus dem Sandstein bizarre Formen herausgearbeitet, die zum Umherstreifen und zur Motivsuche verleiten

Sonne, Wind, Regen, Frost haben aus dem Sandstein bizarre Formen herausgearbeitet, die zum Umherstreifen und zur Motivsuche verleiten

Die Vegetation wird immer karger, aber die Berge bieten dem Auge mit Formen und Farben reichlich Abwechslung

Die Vegetation wird immer karger, aber die Berge bieten dem Auge mit Formen und Farben reichlich Abwechslung

Auch wenn es bergab geht - weicher, tiefer Sand ist das Schlimmste, was einem als Radfahrer so unterkommen kann. Immer wieder stellt sich das Vorderrad quer und zwing einen, aus dem Sattel zu springen und selbst das Schieben wird zum Kraftakt

Auch wenn es bergab geht - weicher, tiefer Sand ist das Schlimmste, was einem als Radfahrer so unterkommen kann. Immer wieder stellt sich das Vorderrad quer und zwing einen, aus dem Sattel zu springen und selbst das Schieben wird zum Kraftakt

Die Ortschaften werden immer kleiner und oft wirken sie wie ausgestorben und ich bin froh, wenn ich einen kleinen Laden finde, um meine Vorraete aufzufrischen oder - wenn es richtig gut laeuft - ich zur Mittagszeit ankomme und es sogar ein Restaurant gibt. Meistens gibts es dann "Pollo Broaster", ein fritiertes Stueck vom Huhn, Reis und eine Art Pommes frites, und mit viel Glueck ist es auch mehr als nur lauwarm. Egal, eine Wahl hat man nicht und um satt zu werden, habe ich mir inzwischen angewoehnt, zwei Portionen zu essen. An Unterkuenfte ist in diesen Ortschaften meistens nicht zu denken und da die Etappenlaenge ohnehin schwer kalkulierbar ist, ueberwiegen jetzt die Naechte im eigenen Zelt.

Die Trockenzeit neigt sich jetzt im Oktober dem Ende entgegen und so sind die meisten Fluesse ausgetrocknet und ich kann mein Zelt im Flussbett aufschlagen.

Die Trockenzeit neigt sich jetzt im Oktober dem Ende entgegen und so sind die meisten Fluesse ausgetrocknet und ich kann mein Zelt im Flussbett aufschlagen.

Die Trockenzeit und damit der suedliche Winter neigen sich dem Ende entgegen, sodass die Temperaturen in den Naechten nicht ganz so extrem sinken. Wobei das sehr relativ ist, denn bei Vollmond und sternenklarem Himmel in einer Hoehe um 3700m wird es schon empfindlich kuehl. Morgens kurz vor Sonnenaufgang am Fahrrad sind um -10 Grad die Regel, im Zelt sind es dann immer noch -4 Grad und die Thermounterwaesche darf es dann auch schon mal im Daunenschlafsack sein, aus dem nicht viel mehr als die Nasenspitze herausguckt. Und alles Wasser, das nicht im Zelt war, ist morgens ein einziger Eisblock.

Ein kleiner Skorpion hat unter meinem Zelt Zuflucht vor der naechtlichen Kaelte gesucht.

Ein kleiner Skorpion hat unter meinem Zelt Zuflucht vor der naechtlichen Kaelte gesucht.

Endlose Weite, nur am Horizont sind schneebeckte Vulkane erkennbar, die dann aber auch gleich bis zu 6500m hoch sind.

Endlose Weite, nur am Horizont sind schneebeckte Vulkane erkennbar, die dann aber auch gleich bis zu 6500m hoch sind.

Die Landschaft ist jetzt bretteben und die oben aufgeworfene Frage, warum es HochEBENE heisst, ziehe ich zurueck. Der Wind ist zum Glueck gnaedig mit mir und so fahre ich bei strahlendem Sonnenschein meistens bei Windstille durch die Landschaft. Verkehr scheint es hier nicht zu geben und so treffe ich an einigen Tagen weniger als fuenf Fahreuge - PKW, LKW, Mopeds und Fahrraeder zusammengenommen. Nur keinen Zweifel aufkommen lassen, auf der richtigen Strecke zu sein...

Dass der Wind auch ganz anders kann, beweisen die Sandduenen in der Landschaft. Diese hat sich quer ueber die Piste geschoben.

Dass der Wind auch ganz anders kann, beweisen die Sandduenen in der Landschaft. Diese hat sich quer ueber die Piste geschoben.

Natuerlich reizt die Duene zu einer "Estbesteigung" - jedenfalls waren keine anderen Spuren zu finden.

Natuerlich reizt die Duene zu einer "Estbesteigung" - jedenfalls waren keine anderen Spuren zu finden.

Einzige Orientierungspunkte in der Landschaft sind die kleinen Ortschaften und da ich ohne GPS unterwegs bin, bin ich auf diesen Abgleich mit der Karte auch dringend angewiesen. Manchmal kommen einem dann doch Zweifel auf, ob man wirklich in Bolivien unterwegs ist, wenn dann ploetzlich mitten im Nichts ein Wegweiser nach "Centro Berlin" auftaucht - doch verfahren?

Die Ortstafel ist nur noch schlecht lesbar - aber das ist Centro Berlin, so zu sagen der Alexanderplatz des Altiplano. Glueck gehabt, doch nicht in den Weiten Brandenburgs gelandet

Die Ortstafel ist nur noch schlecht lesbar - aber das ist Centro Berlin, so zu sagen der Alexanderplatz des Altiplano. Glueck gehabt, doch nicht in den Weiten Brandenburgs gelandet

Als Baumaterial dient, was die Landschaft hergibt. Hier sind es flache Steinplatten, mit den die Haeuser der Chipaya zum Teil aufgeschichtet werden. Am Rande des Salar do Coipasa praegen die Rundhuetten dieses uralten Volksstammes das Landschaftsbild

Als Baumaterial dient, was die Landschaft hergibt. Hier sind es flache Steinplatten, mit den die Haeuser der Chipaya zum Teil aufgeschichtet werden. Am Rande des Salar do Coipasa praegen die Rundhuetten dieses uralten Volksstammes das Landschaftsbild

Mein Ziel rueckt inzwischen in greifbare Naehe. Nach einer Uebernachtung in einem Hotel in Salinas de Garci Mendoza brauche ich nur noch den Vulkan Tunupa zu umrunden, den ich schon lange als Orientierungspunkt vor mir habe, und dann soll es auf den Salar de Uyuni gehen.

Flacher geht es nun wirklich nicht mehr, auch wenn ich noch nicht auf dem Salzsee bin. Dieser zierliche Vulkan im Hintergrund ueberragt die hoechsten Alpengipfel allerdings um ca. 300m!

Flacher geht es nun wirklich nicht mehr, auch wenn ich noch nicht auf dem Salzsee bin. Dieser zierliche Vulkan im Hintergrund ueberragt die hoechsten Alpengipfel allerdings um ca. 300m!

Noch einmal machen weicher Sand und grobe Steine mir das Leben schwer und dann liegt der Salar de Uyuni vor mir! 12.000 qkm reines Weiss! Keine Vorstellung wie gross das ist? Zum Vergleich: Schleswig-Holstein umfasst ca. 16.000 qkm. Schliesslich handelt es ja sich um den groessten Salzsee der Welt. Am Rand steht teilweise noch ein bisschen Wasser und es geht auf markierten Zufahrten auf den See, aber dann gibt es keine Hindernisse mehr. Auf betonharter Piste habe ich mir die Ueberquerung von ca. 120km in zwei Etappen vorgenommen. Erst einmal geht es zur Isla Incahuasi und von dort dann nach einer Uebernachtung ueber Colchani nach Uyuni.

Es gibt nur noch die Farben Weiss und Blau (Bayern?!) - und ein Fahrrad

Es gibt nur noch die Farben Weiss und Blau (Bayern?!) - und ein Fahrrad

Meditatives Radeln - die Fahrt ueber den Salzsee ist ein unvergessliches Erlebnis

Meditatives Radeln - die Fahrt ueber den Salzsee ist ein unvergessliches Erlebnis

Im Salzsee gibt es mehrere Inseln, von denen aber nur die Isla Incahuasi bewohnt und bewirtschaftet wird. Sie ist Ziel aller Jeep-Touristen, die schon morgens um 06.00 Uhr zum Sonnenaufgang da sind, aber auch das Ziel zahlreicher Radler. Als ich die Insel erreiche, stelle ich mein Fahrrad neben sieben andere Raeder - Langstreckenradler aus allen Laendern treffen sich hier. In der ganzen Woche davor hatte ich gerade einmal ein hollaendisches Paar wieder getroffen, denen ich schon einmal an der Grenze zwischen Peru und Bolivien begegnet war. Und in den bisherigen fuenf Wochen meiner Reise habe ich insgesamt weniger Radfahrer getroffen als hier!
Nachdem sich eine bunte Gruppe auch Sachsen, Berlin und der Schweiz Richtung Festland verabschiedet hatte, blieben Pauline und Alexis aus Frankreich und ich auf der Insel zurueck, wo wir uns das "Refugio" mit Blick aus dem Panoramafenster auf den Sonnenuntergang ueber dem Salar teilten.

Isla Incahuasi - Kakteen, Felsen und der Salar

Isla Incahuasi - Kakteen, Felsen und der Salar

Warum steht in einigen Karten auch "Isla de Cactus?" Uralte, bis zu 12m hohe Kakteen praegen das Bild der Insel

Warum steht in einigen Karten auch "Isla de Cactus?" Uralte, bis zu 12m hohe Kakteen praegen das Bild der Insel

Nur eine paar, sehr schoen in die Landschaft eingepasste Haeuser stehen auf der Insel - 30 BS Eintritt, 30 BS fuer die Uebernachtung und noch einmal 20 BS fuer ein sehr spezielles Abendessen bei einer alten Inselbewohnerin - macht zusammen 9 Euro - geht gerade so...

Nur eine paar, sehr schoen in die Landschaft eingepasste Haeuser stehen auf der Insel - 30 BS Eintritt, 30 BS fuer die Uebernachtung und noch einmal 20 BS fuer ein sehr spezielles Abendessen bei einer alten Inselbewohnerin - macht zusammen 9 Euro - geht gerade so...

Am naechsten Morgen brechen Pauline, Alexis und ich ohne grosse Absprache zusammen in Richtung Uyuni auf. Die beiden sind auf grosser Tour von Equador nach Feuerland und auch wenn die Kommunikation ein bisschen hakt, ist die Fahrt zu dritt auch einmal eine schoene Abwechselung. War die Salzpiste am Vortag noch rau und rumpelig, ist die Strecke nach Colchani besser als eine Betonpiste und bei leichtem Rueckenwind fahren wird die 75 bis zum Festland mit Pausen in nur fuenf Stunden.

Bilder wie diese sind Pflichtprogramm auf dem Salzsee - er verleitet einfach zu solchen Spielereien

Bilder wie diese sind Pflichtprogramm auf dem Salzsee - er verleitet einfach zu solchen Spielereien

Bilder wie dieses sind der reine Uebermut....

Bilder wie dieses sind der reine Uebermut....

100km bis Uyuni, Hostal, heisse Dusche, die staubigen Klamotten in eine Waescherei bringen, reichlich Essen in einer grossen Runde von Radfahrern - und einen Tag Pause! Hier in Uyuni fuelle ich noch einmal meine Vorraete auf und dann geht es morgen auf die naechste schwere Etappe, die Lagunenroute mit dem Ziel San Pedro de Atacama in Chile, ca. 500km, wieder raus aus der Ebene ueber die Kordelliere in Richtung Pazifikkueste. Ich werde berichten. Aber vor steht natuerlich noch der Cementario de Trenes in Uyuni auf dem Programm.

Am Stadtrand von Uyuni rosten dutzende ausgedienter Dampflokomotiven und noch mehr Waggongerippe seit Jahrzehnten vor sich hin - ein bizarren Anblick an diesem ehemaligen Verkehrsknotenpunkt

Am Stadtrand von Uyuni rosten dutzende ausgedienter Dampflokomotiven und noch mehr Waggongerippe seit Jahrzehnten vor sich hin - ein bizarren Anblick an diesem ehemaligen Verkehrsknotenpunkt

Eigentlich ist dieser Friedhof der Dampflokomotiven neben dem Salar de Uyuni die Touristenattraktion des Ortes - schade, dass die Umgebung einer Muellhalde gleicht.

Eigentlich ist dieser Friedhof der Dampflokomotiven neben dem Salar de Uyuni die Touristenattraktion des Ortes - schade, dass die Umgebung einer Muellhalde gleicht.

Hier kann man nach Herzenslust auf Motivsuche gehen...

Hier kann man nach Herzenslust auf Motivsuche gehen...

© Jörn Tietje, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wieder Südamerika - dieser faszinierende Kontinent lässt mich nicht los. Nach 1 1/2 Jahren ohne Urlaub packe ich endlich wieder mein Fahrrad in einen Karton und mache mich für acht Wochen aus dem (Büro)Staub. Eine Reise von Peru über Bolivien nach Nordchile mit vielen Unbekannten und noch mehr interessanten Perspektiven. Mal sehen, wie ich mit der Höhe, Hitze, Kälte und Einsamkeit zurecht komme. Ihr seid herzlich eingeladen, mich hier auf meiner Reise zu begleiten. Jörn
Details:
Aufbruch: 02.09.2012
Dauer: 8 Wochen
Heimkehr: 27.10.2012
Reiseziele: Peru
Bolivien
Chile
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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