Heidschnucken und Backsteingotik
ein Tag Lüneburg
Nach einigen Wanderunternehmungen legen wir mal wieder einen Stadtbesichtigungstag ein und fahren zur Stadt Lüneburg.
Vielen heutigen Fernsehzuschauern durch durch Seifenoper 'Rote Rosen' bekannt, bietet die Stadt ein Vielfaches an interessanter Architektur und Geschichte.
Schon im Mittelalter war Lüneburg bedeutendes Mitglied der Hanse, einem Verbund von Kaufleuten und Handelsstädten, die mit Getreide, Hanf oder auch Tuchen oder Luxuswaren handelten. Lüneburgs wichtigstes Handelsgut war hingegen das Salz, das Jahrhunderte lang aus dem salzigen Grundwasser gewonnen wurde. Am Stintmarkt, dem historischen Hafen, wurde es verschifft und entlang der alten Salzstrasse bis weit in die skandinavischen Länder gebracht. Lüneburg erblühte in dieser Zeit zu einer reichen und mächtigen Stadt - noch heute ist dieser Reichtum in dem wunderschönen historischen Stadtbild sichtbar.
Im späten Mittelalter verlor Lüneburg aufgrund von Preisverfall und Konkurrenz sein Handelsmonopol - und auch den Titel "Hansestadt". Die Salzstadt hat jedoch nach einem mehrjährigen Bewerbungsverfahren vor einiger Zeit diesen Titel wiedererlangt.
Die stolze Backsteingotik kündet noch heute von dem sprichwörtlichen Reichtum: die Bürger wurden "steinreich" und leisteten sich schöne Ziergiebel. Politisch erlangte die Stadt während ihrer Blüte im 15. und 16. Jahrhundert weitgehende Unabhängigkeit und trat dem Hansebund bei. Dank des regen Salzabbaues und tüchtiger Kaufleute konnte Lüneburg eine überregionale Machtposition erringen. Etwa 14.000 Einwohner lebten damals in der Stadt: sie war damit durchaus eine Großstadt.
Um 1600 fiel der Salzhandel in eine tiefe Krise. Fehlende wirtschaftliche Alternativen trugen dazu bei, dass Lüneburg seine Bedeutung verlor. Auch wenn Lüneburg seine zentrale Stellung in Norddeutschland nicht bewahren konnte, so lebt doch die Erinnerung an den vergangenen Glanz weiter. Die nahezu komplett erhaltene historische Stadt erzählt durch Architektur und besonderes Flair ihre Geschichte. Spüren Sie bei einem Stadtrundgang das Lebensgefühl einer vergangenen Welt.
DER UNTERGRUND VON LÜNEBURG
Die westliche Altstadt steht auf einem vom Grundwasser durchspülten Salzstock: hier entsteht die Sole. Die Auslaugung des Stocks bewirkte, dass darüber liegende Gesteinsschichten mit der Zeit nachgaben und ein etwa ein Quadratkilometer großes Senkungsgebiet entstand. In diesem Bereich zeigen sich an historischen Häusern und Mauern Schäden, die in dieser Form einzigartig sind. Der Prozess dauert auch heute noch an. Die deutlichsten Senkungen sind im nördlichen Teil des betroffenen Stadtteils zu verzeichnen: etwa 40 cm gab der Untergrund in den letzten 20 Jahren nach.
Wir beginnen unseren Stadtrundgang am Salzmuseum, da dort ein kostenfreier Parkplatz auf meinem app 'gratis-parken' ausgewiesen ist. Nur wenige hundert Meter weiter sind wir in der Stadt, beim ersten Foto ist die Batterie leer und wir müssen noch einmal zurück! Aber es sind ja nur wenige Schritte.
Bereits in der Heiliggeist-Strasse begegnet uns die Backsteinarchitektur in voller Pracht.
Die Heiliggeist-Straße öffnet sich auf einen großen Platz mit dem Namen 'am Sande'. Der Platz war im Mittelalter ungepflastert, also sandig. Dort stellten die Kaufleute ihre Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren ab und kauften und verkauften ihre Waren, wie zum Beispiel das Salz. An diesem Platz sind die verschiedenen Arten der Giebelhäuser eindrucksvoll aneinandergereiht. Auf diese Weise werden die Besonderheiten der berühmten Treppen- und Schneckengiebel deutlich.
Am westlichen Ende des Platzes steht einer der imposantesten Prachtbauten Lüneburgs: die heutige Industrie- und Handelskammer, deren Gebäude 1548 als Brauhaus errichtet wurde und diesem Zweck über Jahrhunderte diente.
Schon 1297 (Erstennenung 1174) als Taufkirche (vermutlich karolingisch) genannt, ist die St. Johannis-Kirche eine der ältesten in Niedersachsen. Sie wurde von 1285-1463 zur fünfschiffigen Hallenkirche mit nahezu quadratischem Grundriss ausgebaut und enthielt einst 39 Altäre.
An der Orgel (1553 eingeweiht) mit prachtvollem Barockprospekt lernte der junge Johann Sebastian Bach das Orgelspielen und Komponieren bei seinem Onkel Georg Böhm, der von 1698 bis 1733 als Kantor und Komponist an der St. Johannis-Kirche arbeitete.
Ebenfalls am östlichen Ende des Platzes 'am Sande' steht das Kalandhaus, der Versammlungsort der Bruderschaft aus Klerikern und Laien, benannt nach den Zusammenkünften am ersten Tag des Monats. Erste Nennung des Kalandhauses 1455, ab 1532 im Besitz der Stadt und Wohnhaus des Rektors des Bohanneums.
In diesem Gebäude waren vom 12. August bis zum 13. November 1943 bis zu 150 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme untergebracht. Sie wurden gezwungen, in Lüneburg Deckungsgräben auszuheben und Luftschutzräume zu bauen.
Im Grundriss und Struktur einem gotischen Dielenhaus mit hohem Erdgeschoss und mittigem spitzbogigem Eingang vergleichbar, über dem Eingang drei Nischen, an den Ecken Wappen des Landes und der Stadt unter einem glasierten Laubwerkfries. Der siebenteilige Giebel ist reich mit Taustein verziert, 1886 historisierend rekonstruiert.
Etwas versteckt hinter dem Kalandhaus sieht man den 'neuen' neogotischen Wasserturm von 1907. Nachdem er für die Wasserversorgung Lüneburgs ausgesorgt hatte, übernahm ein Verein die Erhaltung/Restaurierung und gestaltete ihn zu einem Aussichtsturm um.
Türmchen und Zinnen, aufstrebende Pfeiler und spitzbogige Fenster sowie umlaufender Zierfries: der Lüneburger Wasserturm mutet auf den ersten Blick wie ein mittelalterlicher Ritterturm an.
Man fährt mit dem Aufzug auf die oberste Plattform und genießt den tollen Ausblick auf die verschiedensten Giebelhäuser am Platz "Am Sande" und den Rest der Stadt.
Von der Aussichtsplattform hat man einen guten Blick auf die 'Ratswasserkunst'. Ursprünglich als Konkurrenz zur "Abtswasserkunst" gegründet, diente die "Ratswasserkunst" vor allem der Saline zur Versorgung mit Frischwasser: ein kompliziertes Pumpensystem aus Holz transportierte das kostbare Nass.
Danach steigt man dann über Treppen durch den Intze(?)-Behälter wieder ab. Der Kugelbodenbehälter fasst 500 Kubikmeter = 500.000 Liter = 500 Tonnen Gewicht. Sein Durchmesser beträgt 9,80 m, seine Höhe 8,04 m. Der Behälter hängt ca. 40 Metern über dem Boden, was einen Wasserdruck von etwa 4 bar erbrachte.
Schon auf dem Hinweg haben wir ein kleines Restaurant 'Bodega' entdeckt, das mittags Tapas anbietet. (als Teller 5,90€ / als 'allyoucaneat-Buffet für 7.90€) Hier können wir unsere ersten massiven Eindrücke bei einer geruhsamen Mittagspause verarbeiten. Danach steigen wir etwa an gleicher Stelle wieder in den Stadtrundgang ein und schauen zuerst in die alte Raths-Apotheke.
Im Jahr 1598 wurde die Rathsapotheke errichtet, eine städtische Einrichtung, der ein vom Rat bestellter Apotheker vorstand. Dessen Wissenschaft ergänzte seit 1475 die Bemühungen des angestellten Stadtphysikus, den man heute als Arzt bezeichnen würde. Bewundernswert ist die schmuckreiche Renaissance-Fassade und der historische Innenraum.
RATHAUS AM OCHSENMARKT / MARKTPLATZ
Die ältesten Teile entstanden um 1230, von da an wurde entsprechend der Bedürfnisse erweitert. So entstand ein Ensemble aus Einzelbauten. Ein Gang durch das Rathaus erschließt die verschiedenen Epochen: aus gotischer Zeit stammen Gerichtslaube, Fürstensaal, Altes Archiv, Kanzlei und Bürgermeisterkörkammer. Meisterhafte Holzarbeiten schmücken die große Ratsstube, die zu den schönsten Renaissance-Sälen Deutschlands gehört. Der Huldigungssaal ist ein Beispiel barocker Raumausstattung. Aus dieser Periode stammt auch die Marktfassade, 1704-20 nach Plänen des Baumeisters Georg Schultz errichtet. Im Turm befindet sich ein Uhrwerk mit Glockenspiel aus Meißener Porzellan.
Das Rathaus ist mit seiner gewachsenen Anlage aus einer Reihe von städtischen Regierungsbauten eines der bedeutendsten Rathäuser Deutschlands. Architektur und Raumausstattung spiegeln die politische Entwicklung und die wirtschaftliche Stellung der Stadt wider. Älteste erhaltene Bauteile (Gewandhaus) aus dem frühen 13. Jahrhundert, Gerichtslaube mit Glasfenstern, Fußboden und Heizsystem um 1400 und Decken- und Wandmalereien der Renaissance, Bürgermeisterkörkammer mit einmaliger Holzvertäfelung und Glasfenstern (1491), Fürstensaal (Tanzhaus) mit Gemälden der Fürsten des Hauses Braunschweig-Lüneburg (Mitte 15. Jahrhundert) und gewaltigen Geweihleuchtern und reicher Renaissanceausstattung, Alte Kanzlei mit Wand- und Deckenmalereien (15. Jahrhundert) und Große Ratsstube mit Schnitzereien und Gemälden der Renaissance.
Nicht weit entfernt liegt die 'reitende-Diener-Straße' mit Garlopenhäusern. In der Mitte des 16. Jahrhunderts stiftete der Bürgermeister Hinrik Garlop Wohnhäuser für die reitenden Diener der Stadt Lüneburg, die sogenannten Garlopenhäuser. Diese Bediensteten waren Kuriere und Briefträger und hatten außerdem die Aufgabe, die Ratsherren auf den damals nicht ungefährlichen Überlandreisen zu begleiten.
Besonders schön sind die angebrachten Wappen der Garlops und der mit ihnen durch Ehen verbundenen Familien.
Von der Reitende-Diener-Straße aus gelangen Sie in den Klosterhof, dem ehemaligen Franziskanerkloster. Dort finden Sie die Prediger-Witwenhäuser, eine sinnvolle Einrichtung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die lutherische Geistlichkeit zahlte in die Prediger-Witwenkasse ein und sorgte auf diese Weise für den Lebensabend ihrer Angetrauten.
Wieder zurück zum Rathaus finden wir auf der anderen Seite in der Waagestraße das "schwangere Haus".
Auffällig ist das bauchige Haus in der Waagestraße. Die Steine sind mit Gipsmörtel vom Lüneburger Kalkberg, der eigentlich Gipsberg heißen müsste, verfugt. Aufgrund des sprichwörtlichen Fleißes der Lüneburger kam es schon mal vor, dass der Gips "totgebrannt" wurde. Dieser zu stark gebrannte Gips hat die Eigenschaft, im Laufe der Zeit recht viel Feuchtigkeit aufzunehmen und dehnt sich deshalb aus. Direkt neben dem "schwangeren Haus" befindet sich das Geburtshaus des Komponisten Johann Abraham Peter Schulz. Er ist der Urheber von bekannten Melodien, wie "Der Mond ist aufgegangen" und "Ihr Kinderlein kommet". Eine Gedenktafel am Haus erinnert heute an den Komponisten.
Vom Markt laufen wir Richtung Alter Hafen. Dort liegen direkt nebeneinander zwei Mühlen aus dem 16. Jahrhundert, in denen bis ins 20. Jahrhundert gemahlen wurde. Während die "Lüner Mühle" für das Kloster Lüne mahlte, gab das Michaeliskloster seine "Abtsmühle" an eine Ratsfamilie weiter. Der Turm von 1530, die "Abtswasserkunst", leitete Wasser in die Stadt und versorgte bereits damals einzelne Patrizierhäuser. Das Ensemble ist heute im Besitz eines Hotels, das auch Schauplatz und Drehort für eine deutsche Seifenoper mit inzwischen mehr als 1300 Folgen ist. .
Am Stintmarkt wurde, wie es der Name schon andeutet, vor allem Stint gehandelt. Der Stint ist ein Fisch, der besonders im Mittelalter sehr beliebt war. Heute dienen die wunderschönen Häuser dem Vergnügen, denn Lüneburgs größte zusammenhängende Kneipenszene befindet sich in der Straße.
Hier steht auch der hölzerne, kupfergedeckte "Alte Kran" an der Ilmenau, der urkundlich schon 1346 erwähnt wird. Eine der letzten Lasten, die mit seiner Hilfe gelöscht wurde, war im 19. Jahrhundert eine Lokomotive für die Braunschweig-Vienenburger Bahn, die über den Wasserweg von England nach Lüneburg kam.
Das ehemalige Kaufhaus am alten Hafen direkt neben dem Alten Kran wurde ursprünglich "Dat Heringhus" genannt: dank des Salzes war der gewinnbringende Ostseehering ein bedeutendes Handelsgut. Das "Kaufhaus" fiel 1959 einer Brandstiftung zum Opfer, nur die 1742 errichtete barocke Fassade blieb erhalten.
Wir wenden uns wieder nach Westen und erreichen nach wenigen hundert Metern die St. Nikolai-Kirche.
Sie liegt in der Nähe des Hafens und wurde im 15. Jahrhundert als Basilika erbaut. Sie diente« den Flussschiffern als religiöses Zentrum. Während der wundervolle mittelalterliche Innenraum beinahe unverändert blieb, wurde das Äußere der Kirche aufgrund zahlreicher Restaurierungen im 19. Jahrhundert umgestaltet.
Die dreischiffige Basilika weist Seitenkapellen auf, die mit ihren Emporen fast die Höhe der Seitenschiffe erreichen. Das Langhaus ist nur vier Joche lang. Das Mittelschiff ist von einem einmaligen achtzackigen Sternengewölbe überspannt.
Noch weiter westlich fällt das Gelände in Richtung der Straße "Auf dem Meere" deutlich ab. Hier befindet sich die Abbruchkante des Senkungsgebiets. Durch das Abpumpen der Sole unter der Erde ergaben sich Hohlräume, die für die Absenkungen verantwortlich sind. In der Straße "Auf dem Meere" stehen malerische Wohn- und Handwerkshäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert.
Am Ende des Wegs nach Westen gelangt an den 'Kalkberg'. Die erste Michaeliskirche wurde auf diesem erbaut. Nach einer erforderlichen Verlegung wurde die neue Kirche und das dazugehörige Kloster 1376 bis 1418 am Fuße des Kalkbergs in das Stadtgebiet gebaut. Die Kirche ist jedoch stark von den Senkungen betroffen, so stehen im Kircheninneren bereits die Säulen schief. Zu den Chorsängern der Klosterschule St. Michaelis gehörte von 1701 bis 1702 auch Johann Sebastian Bach.
Den Besuch des Salzmuseums haben wir uns für den Schluß aufgehoben - Beschreibung im nächsten Kapitel
Aufbruch: | 01.09.2012 |
Dauer: | 9 Tage |
Heimkehr: | 09.09.2012 |