Um fremde Welten zu sehen, muss man nicht ans Ende der Welt fahren

Reisezeit: April 2015  |  von Nicolas Krattiger

Fahrt nach Bosnien

Jablanica - Ort vergangenen Grauens

Zagreb war interessant. Interessant und schön, aber auch nicht viel mehr. Die Reise sollte erst am zweiten Tag so richtig losgehen. Wir verliessen Zagreb in Richtung bosnische Grenze. Auf dem Weg wurde ein Zwischenhalt in Jasenovac eingelegt. Das ehemalige Konzentrationslager im zweiten Weltkrieg – übrigens das einzige, das von den Kroaten allein ohne deutsche Beteiligung betrieben wurde - ist genau ein solcher Schandfleck in der nationalen Geschichtsschreibung, über den nicht gerne gesprochen wird. Das Töten war hier Handarbeit – den Gefangenen wurde beispielsweise persönlich die Kehle aufgeschlitzt. Von systematischer Mordmaschinerie wie in Auschwitz kann hier keine Rede sein – Grund dafür, dass sogar die deutsche Besatzungsmacht gegen das Lager war. Auf brutalste Art und Weise wurden neben Juden und Roma hier vor allem Serben vernichtet. Die Interpretation der Anzahl Todesopfer variiert je nach politischer Einstellung und Nationalität – Serben sprachen von einem Völkermord, dem über eine Million zum Opfer fielen, Kroaten spielten die Zahl der Vorfälle im, wie sie es nannten, Arbeitslager auf dreissig- bis vierzigtausend herunter. Mittlerweile hat man sich auf eine Zahl zwischen 65‘000 und 80‘000 geeinigt. Tito selbst besuchte die Gedenkstätte nie. Zu unvorstellbar war es, sich öffentlich an einen Ort zu begeben, an dem die vereinten Völker Jugoslawiens sich einst gegenseitig abgeschlachtet hatten.

Gedenkstätte beim ehemaligen KZ Jablanica mit dem Denkmal von Bogdan Bogdanovic

Gedenkstätte beim ehemaligen KZ Jablanica mit dem Denkmal von Bogdan Bogdanovic

Wir verlassen den westlichen Lebensstandard

Die langwierige bürokratische Schikane an der bosnischen Grenze bot Zeit für eine interessante Beobachtung: Überraschend viele Fahrzeuge aus Westeuropa – Schweizer, viele Österreicher, Deutsche, Franzosen, sogar ein Schwede war dabei – passierten die Grenze, und schon bald liess sich aus der Ferne beurteilen, ob es sich um ein einheimisches Fahrzeug handelte oder um eines aus Mitteleuropa; die schicken Mercedes und BMWs der Westler standen im starken Kontrast zu den klapprigen Volvos und VW Golfs erster Generation der Einheimischen.
Und jener erste Eindruck des bosnischen Lebensstandards verstärkte sich auf der Weiterfahrt nach Tuzla. Jeglichen westlichen Standard, den man in Kroatien noch vorzufinden vermochte, suchte man hier vergebens. Autobahn gab es keine mehr, stattdessen eine holprige Landstrasse, Frauen, die am Strassenrand ihre Waren anboten, ärmliche Häuser, die vom Krieg gezeichnet waren. Irgendwann die Einsicht, dass es sinnlos war, die Bauruinen zu zählen. Am Wegesrand wiesen in regelmässigen Abständen rote Schilder mit Totenkopf Minenfelder aus. Nur hin und wieder passierte man eine topmoderne Tankstelle, ein Einkaufszentrum oder eine Bank. Ein Europa innerhalb von Europa.
Auf den ersten Kilometern nach der Grenze wehten auffallend viele serbische Flaggen auf den Hausdächern, etwa auf halbem Weg nach Tuzla wurden diese vermehrt von bosnischen und kroatischen Fahnen abgelöst. Der Grund dafür findet sich in der Verwaltungsstruktur Bosniens und Herzegowinas. Das Land ist seit dem Krieg in zwei Entitäten aufgeteilt. Die Gebiete im Norden zur kroatischen Grenze und im Osten zur serbischen und montenegrinischen Grenze hin gehören zur Republika Srpska, wo vorwiegend bosnische Serben leben, der Rest des Landes bildet die Föderation Bosnien und Herzegowina mit vorwiegend bosniakischer und kroatischer Bevölkerung. Beide Entitäten geniessen weite Autonomierechte, wobei die Republika Srpska streng zentralistisch und die Föderation föderalistisch geordnet ist.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Achttägige Studienreise nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina.
Details:
Aufbruch: 03.04.2015
Dauer: 9 Tage
Heimkehr: 11.04.2015
Reiseziele: Kroatien
Bosnien und Herzegowina
Der Autor
 
Nicolas Krattiger berichtet seit 11 Jahren auf umdiewelt.