Um fremde Welten zu sehen, muss man nicht ans Ende der Welt fahren
Srebrenica
Auf dem Schlachthof
Der nächste Tag sollte der emotional ergreifendste werden. Auf dem Weg nach Sarajevo stand am Morgen ein Zwischenhalt in Srebrenica an. Was hier vor rund zwanzig Jahren passierte, mag den meisten Europäern bekannt sein. Richtig bewusst ist es wohl aber den wenigsten. Zumindest ging es mir vor dem Besuch der Gedenkstätte so. Wir trafen Hasan, einen Überlebenden des Massakers. Er entkam, weil er rechtzeitig vor den anrückenden Serben in die Wälder um Srebrenica flüchten konnte. Die meisten seiner Bekannten, alles bosnische Muslime, sogenannte Bosniaken, hatten es nicht geschafft. Diese wurden nach Männern und Frauen aufgeteilt. Die Frauen wurden vergewaltigt. Die Männer wurden wie die Tiere im Transporter in Gruppen zu ihren Schlachtplätzen geführt, an Gräben gestellt, in Reihen aufgestellt oder sie mussten sich an Hängen bäuchlings auf den Boden legen, ehe ihnen in den Hinterkopf geschossen wurde. Pro Gruppe wurden meist zunächst zwei Männer verschont. Diese mussten die soeben Ermordeten wegschaffen. Dann wurden auch sie geschlachtet. Von der UNO mittlerweile offiziell als Völkermord deklariert, leugnen viele nationalistische Serben dieses unaussprechliche, abscheuliche Verbrechen gegen jegliche Form von Menschlichkeit noch heute. In ihren Augen ist der Mord an achttausend Kindern und Männern – die jüngsten davon waren gerade dreizehn geworden – nie geschehen.
Wenn man dort an dieser Gedenkstätte ist, Hasan zuhört, an den abertausenden Gräbern vorbeiläuft, welche sich vom Hügel herunter tief ins Tal hinein in einer einfach nicht enden wollenden Fläche dicht an dicht aneinanderschmiegen, dann passiert im Innern etwas. In Srebrenica schaffst du es nicht, zu lächeln. Irgendetwas ist da, das jegliche Freude im Innern blockiert. Stattdessen steigen vor dem inneren Auge Bildabfolgen auf, die niemand in seinem schlimmsten Albtraum sehen will - und das Wissen, dass alles noch tausendmal albtraumhafter war, als es unsere Vorstellung vorgibt, macht dieses Gefühl noch unerträglicher. Im Muesum lief ein Dokumentarfilm. Die letzten Szenen konnte ich nicht mitansehen – etwas, das mir noch nie passiert ist. Wie so etwas unter zivilisierten, modernen Menschen mitten in Europa, dreizehn Autostunden von der Schweiz entfernt, geschehen konnte – unvorstellbar.
Aufbruch: | 03.04.2015 |
Dauer: | 9 Tage |
Heimkehr: | 11.04.2015 |
Bosnien und Herzegowina