Um fremde Welten zu sehen, muss man nicht ans Ende der Welt fahren
Tuzla
Vom verlorenen Glanz einer einstigen Vorzeigestadt
Am Abend erreichten wir Tuzla. Der Geruch von verbrannter Kohle in der Luft war penetrant. Wir wurden vorgewarnt, das Hotel entspreche noch „altem jugoslawischem Standard“. Ich würde es im Nachhinein als Unterkunft mit ganz eigenem Charme bezeichnen, und immerhin gab es am Morgen fliessend Warmwasser, sofern man am Vorabend nicht vergass, den Boiler einzuschalten. Tuzla selbst ist eher durch seine einstige wirtschaftliche Bedeutung als durch seine Sehenswürdigkeiten bekannt. Es existiert zwar eine schmucke Altstadt mit Moschee, Kirche und ein paar Cafés, das war es dann. Im alten Jugoslawien noch wichtiger Standort für grosse Kohlekraftwerke, Chemie- und Waschmittelfabriken, so regiert heute eine Arbeitslosigkeit von 50%. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Im Krieg war Tuzla eine Hochburg des freien Bosnien, weitestgehend resistent gegen jeglichen fanatischen Nationalismus und Zufluchtsort für die Flüchtlinge aus Srebrenica. Heute ist die Stadt Opfer des Neoliberalismus – die Fabriken wurden privatisiert, die Produktion eingeschränkt und Arbeitsplätze vernichtet. Erst letztes Jahr wurde das Rathaus bei Protesten niedergebrannt (Fuster, Thomas. Tuzla – der Niedergang einer stolzen Industriestadt. Neue Zürcher Zeitung vom 25. März 2014, Seite 26).
Aufbruch: | 03.04.2015 |
Dauer: | 9 Tage |
Heimkehr: | 11.04.2015 |
Bosnien und Herzegowina