SYRIEN - Eine Perle des Orients
DEIR-EZ-ZOR
Um zwölf Uhr soll mich mein Chaufeur abholen, um mich nach Deir ez-Zor zu bringen. Bis dahin bleibt genügend Zeit, noch einmal die grandiose Ruinenstätte zu besuchen. Der große Monumentalbogen leuchtet golden in der Morgensonne und die Anlage steht jetzt in einem ganz anderen Licht. Die Kamele sind noch immer da und blicken anteilnahmslos in die Luft. Sie
können nicht wissen, von welcher Bedeutung der Ort, an dem sie weilen, einst war.
Hinter dem Bel-Tempel mit seinen dicken Mauern und Säulen beginnen die grünen Oasen. Einfache Lehm- mauern trennen die kleinen Gärten und den breiten Weg voneinander ab. Die hohen Dattelpalmen schützen vor der heißen Sonne und an den Ästen der Granatapfelbäume reifen die Früchte.
Ein alter Araber kommt des Weges murmelt etwas in sich hinein und gibt mir ein Zeichen, ich solle mit ihm kommen. Seine Kefiye hat er hinter dem Kopf zusammen gebunden. Nach vielleicht zweihundert Metern biegt er in einen der Gärten ab. Nur in einfachen Schlappen klettert er geschickt den kantigen Stamm einer Palme hinauf, um Datteln zu pflücken. Mit einer Hand zieht er seine Dschalabiyah hoch, sodass eine Tasche entsteht, in der er die Datteln sammelt. Vorsichtig, nur mit einer freien Hand, klettert er wieder herab. Es ist nicht einfach, sieht gefährlich aus. Die Früchte schmecken süß und saftig. Nie zuvor habe ich so gute Datteln gegessen wie hier. Bis sie in ihren Exportländern angekommen sind, haben sie oft schon an Aroma und Saftigkeit verloren.
Pünktlich um zwölf holt mich mein Fahrer ab. Wir folgen eine ganze Weile der verkehrsarmen Hauptverbindung, nach Deir-ez-Zor, bis wir abbiegen und auf einer schmalen, holprigen Piste tiefer in die Wüste fahren. Die Teerstraße, die der einzigste Hinweis auf eine Zivilisation war, liegt einige Kilometer hinter uns. Jetzt sind wir in der tiefsten Einöde der Syrischen Wüste. Um uns herum sind nur Sand und Steine. Keine Sanddünen oder Felsenwüste. Flaches Land, endlose, karge Ebenen mit spärlichster Vegetation. Wie eine Fatamorgana taucht das Wüstenschloss Qasr al-Hayr ash-Sharqi am Horizont auf und scheint sich beim Näherkommen langsam aus dem staubigen Boden zu erheben. Die Omayyaden nutzen es als Zwischenstation und als Jagdrevier. Eine ihrer größten Leiden-schaften wr das Jagen, ein Hobby, was hier in dieser öden, lebensfeindlichen Weite unmöglich war. Ein großes Wildgehege wurde angelegt, um dieser Beschäftigung nachgehen zu können. Zur Trinkwasserversorgung musste ein dreißig Kilometer langer Tunnel zur nächsten Quelle angelegt werden. Die mächtigen Mauern sind halb zerfallen, zwei dicke Säulen flankieren das Tor. Stuck und Zierden wittern vor sich hin. Die ständige Sonne, der Sand und der Staub haben das Material im Laufe de Zeit marode werden lassen. Das Innere der Anlage ist zerfallen, wie nach einem Erdbeben. Schemenhaft lassen sich alte Mauern erahnen, sind verschüttet und zu sandigen Hügeln geworden.
Deir ez-Zor ist nicht unbedingt eine Stadt, die man gesehen haben muss. Im Gegensatz zu Damaskus oder Aleppo ist sie vergleichsweise uninteressant. Die direkte Lage am Euphrat und die einzigste Brücke im weiteren Umkreis, schafften beste Bedingungen, der Stadt wirtschaftlichen Wachstum zu bringen. Graue, unverputzte Häuser, die unfertig wirken, prägen die
Stadt. Sieben- oder achtstöckig reihen sich einfache Balkons übereinander. Uneinladende Balkons mit Sat-Schüsseln und verrammelten Fenstern dahinter. Ein schmales Rinnsal von Fluss, nicht breiter als fünfzehn Metern, liegt neben der Straße.
"Al Furat?" frage ich meinen Fahrer.
"Al Furat." nickt er.
Den Eufrat habe ich mir breit und reißend vorgestellt. Schon in der Türkei bei Birecik war er ein mächtiger Strom von mehreren hundert Metern Breite gewesen, den die Menschen wegen seines Wasserreichtums verehren, aber auch fürchten und in Liedern todbringend und grausam nennen. Hat er bis hier so viel Wasser verloren? Schnüren sie im Assad-Stausee tatsächlich alles Wasser ab?
Ich beziehe mein Hotel. Die Zimmer sind groß, mit orientalischen Möbeln eingerichtet. Die Fenster gehen auf den Palmengarten hinaus. Niederes Gestrüpp wuchert am Boden, durchpflügt von Wegen und beschattet von schönen, hohen Palmen. Dahinter spitzen die Minarette der Stadt hervor.
Ich gehe am Fluß entlang. Betonrohre führen ins Wasser, Gräser und Buschwerk wächst an den Ufern. Kinder baden bei der eisernen Brücke, auf der ich den "Eufrat" überquere. Ich glaube nicht, dass das der richtige Eufrat sein kann. Da muss noch wo anders mehr sein.
Eine große Hängebrücke führt über den Fluß. Auch wenn ihre Enden so mit Treppen und Pollern konzepiert sind, dass keine Fahrzeuge hinauf können, hindert das niemanden, sein Fahrrad oder Moped die wenigen Stufen hoch zu wuchten, um dann über die Brücke zu preschen, sodass diese in Schwingung gerät. Hier ist ein beliebter Ort zum Bummeln, oder Schauen und die etwas kühlere Luft über dem Wasser zu genießen. Tief und reißend liegt der "richtige" Eufrat in seiner ganzen Breite da und fließt weiter Richtung Südosten, in den Iraq, wo er sich mit Tigris zum Shatt el-'Arab vereinigt, um dann in den Persischen Golf zu münden. Der Fluss teilt sich hier in mächtige Arme und lässt ganze Inseln entstehen. Grüne Inseln mit
dichtem Buschwerk, was sich zu ganzen kleinen Hainen zusammenfügt. Ein Holzboot liegt am Ufer und ein Weg führt auf die Insel, biegt sich und verschwindet im dichten Laubwerk. Der "falsche" Eufrat ist ein weiterer schmaler Arm, der sich später wieder mit dem Hauptsrom vereint.
Das quirlige Treiben der Großstadt fehlt in Deir ez-Zor, obwohl es mit seinen 120 000 Einwohnern lang kein Kaff mehr ist. Nur wenige Leute sind unterwegs. Der Suq ist offen, nicht gedeckt, wie in Damascus oder Aleppo. Dennoch haben die Läden die gleiche bunte Vielfalt vor den Schaufenstern hängen. Taxis und Motorräder parken am Straßenrand und Händler lassen Wasser auf die Straße laufen.
Der warme Abend lässt sich schön auf der Dachterrasse des Hotelrestaurants verbringen. Das Lamm-Kebap mit Pommes Frites und Muhamarra, eine scharfe Paprika-Walnuss-Paste schmeckt köstlich. Die Lichter der Stadt flirren in der klaren Abendluft. Die grün beleuchteten Minarette erheben sich über die Stadt und ein warmer Wind, der den Duft von Gebratenem mit sich bringt, streicht um die Tische.
Aufbruch: | 01.09.2007 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 22.09.2007 |