Ostsee-Tournee
Entlang der polnischen Ostseeküste
Bis zu meinem Grenzübertritt auf Usedom nach Polen war ich ja gekommen. Inzwischen bin ich neun Tage unterwegs und habe gute 1000 km in den Beinen. Deswegen ist es höchste Zeit für einen Ruhetag, damit sich Muskulatur, Gelenke und Sitzfleisch ein bisschen erholen können (übrigens können sich die Paviane auch entspannen, ich mache ihnen keine Konkurrenz mehr).
Den Tag heute habe ich damit verbracht, mir bei bestem Wetter - hatte ich aber bis jetzt auch noch nicht anders - die wunderschöne Stadt Danzig anzusehen. Ein Tag ist dafür mit Sicherheit viel zu wenig und vieles habe ich auch ausgelassen. Aber es kommen ja noch mehr Orte und 10 Wochen sind nun einmal knapp genug.
Ich weiß nicht so richtig, was ich von der polnischen Ostseeküste erwartet hatte. Eigentlich bin ich ohne konkrete Vorstellung losgefahren und hatte mit einer ähnlichen Landschaft wie in Mecklenburg-Vorpommern gerechnet. Stimmt auch bedingt. Aber dort gibt es auch richtige Steilküsten mit Steinen, ab Usedom ist die gesamte Küste eine einzige gigantische Sanddüne. Nur noch lupenreiner weißer Sandstrand und der setzt sich bis auf die Wege fort. Und alle Orte, die auf meiner Karte sind - und auch alle anderen, die nicht drauf sind - gehören den überwiegend polnischen Urlaubern. Überall kann man ans Wasser und es ist alles sehr einfach zu organisieren. Überall Campingplätze, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten jeder Größenordnung. Man hat allerdings den Eindruck, der polnische Tourist ernährt sich von Waffeln mit Sahne und Früchten, Eis, Döner, Pizza und frittiertem Fisch mit Pommes... Und dazu Unmengen buntes Plastikspielzeug und Spielautomaten für alle Altersklassen. Ist alles nur halb so wild, die Menschen sind freundlich, die Preise sehr niedrig - nur das Land lernt man auf diese Weise nicht kennen - ist bei uns in den Touristenorten aber auch nicht anders (bis auf die Preise).
Ich folge hier in Polen der Veloroute R10. Das ist der internationale Fernradwanderweg. Es ist schön, wenn man auf diese Weise meistens abseits der Hauptverkehrsrouten durch die Natur fahren kann. Wenn es sich denn um eine so bedeutende Fernroute handelt, dann kann man ja wohl auch erwarten, dass sie gut ausgeschildert ist und die Wege gut fahrbar sind.
Und gleich im ersten Nationalpark weiß man, wie man den nicht ganz regeltreuen Besucher in seine Schranken weist
Das mit der Befahrbarkeit der Wege ist so eine Sache. In vielen Ortschaften fahre ich auf tollen, meist neu angelegten Radwegen. Dort, wo die Ortschaften dicht zusammen liegen, sieht es ähnlich aus. Alles neu, alles schick - und immer wieder stehen die Hinweiszeichen, dass diese Baumaßnahme von der EU gefördert wurde - und das in einem Land, dessen offizielle Politik derart EU-feindlich ist. Aber wer wird denn kleinlich sein...
Je weiter östlich ich komme, desto größer wird auch der Abstand zwischen den Orten. Und wie schon erwähnnt, ist die ganze Küste eine einzige riesige Sanddüne, die zwar oft von dichten Kiefernwäldern bewachsen ist, ändert aber nichts an dem Straßenbelag - weicher, tiefer Sand, wie ich ihn in dieser Art nur in Bolivien und Namibia vorgefunden habe. In einer Nacht muss ein schwerer Gewitterregen niedergegangen sein, der aber an mir vorbeigezogen war. Das hatte zur Folge, dass der Sand zwar nass war, aber sich offenbar in Sturzbächen in den Senken gesammelt hatte - da hilft nur Schieben weiter.
Manchmal kamen mir echte Zweifel, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin (ich weigere mich nach wie vor, mit GPS zu fahren). Aber die Zeichen am Wegesrand bestätigten den Kurs. Die absolute Krönung war ein Bohlensteg durch ein Moorgebiet. Bestimmt 20mal auf einen Steg und wieder runter. Allein der andauernden Trockenheit war es geschuldet, dass ich trockenen Fußes durch diesen Abschnitt kam. Als der Weg noch schlechter wurde und fast zugewachsen war, habe ich lieber eine Umweg gewählt. Viele Moore liegen hinter den Sanddünen und man kann nur ahnen, welche Vielfalt des Lebens dort gedeiht. Einen nachhaltigen Eindruck von der Vielfalt und der Vielzahl erhält man allerdings in Bezug auf stechende Insekten, die mich förmlich ausgesaugt haben. Und ich weiß jetzt, warum Bremsen (hier ungefähr so groß wie Hornissen - naja, nicht ganz) Bremsen heißen: Sie und ihre kleineren Begleiter, die Mücken, bremsen jeden Gedanken aus, in solchen Gegenden im Schatten und im Windschutz eine Pause einzulegen. Dann wird man für diese kleinen Plagegeistern zu Essen auf Rädern.
Die Ortschaften selbst habe ich nicht als sonderlich attraktiv empfunden. Oft im Krieg zerstört und ohne eigenes Gesicht wieder aufgebaut. Alles Hafenstädte, die alle etwas auf ihre Vergangenheit in der Hanse oder als Anlaufstelle für Wikinger halten. Deshalb obligatorisch in jedem Hafen mindestens eine Hansekogge oder ein Wikingerschiff, die übrigens gar nicht so unterschiedlich waren, wie wir immer meinen...
Ansonsten finde ich immer mein Lieblingsmotiv - die Leuchttürme.
Wicki wurde nur deswegen kein großer Häuptling, weil der die Galleonsfigur des eigenen Schiffes umgebracht hat
Danzig war mein Ziel für den ersten Ruhetag. Ich hätte hier abkürzen können und weg von der Küste durch die Landschaft radeln. Allerdings hätte ich dann eines meiner "musts" verpasst, die Wanderdünen von Leba. Hier haben die Soldaten der Wehrmacht für den Wüstenkrieg geübt und hier wurden auch die V2-Raketen getestet (wieder eine Militärausstellung). Also bleibe ich der Küste treu und fahre nach Leba - was so nicht ganz richtig ist, denn der Radweg ist wegen Bauarbeiten - das stört hier sonst doch auch niemanden - und wegen der Sanddünen unpassierbar. Deswegen im weiten Bogen um den Nationalpark mit den Seen, Mooren, Wäldern und eben den Sanddünen herum. Erst recht spät komme ich auf einem der zahlreichen und riesigen Campingplätze an, sodass ich es nicht mehr schaffe, die Dünen zu besuchen. Deswegen am nächsten Morgen früh raus und ohne Frühstück erst mal die 8 km in den Nationalpark fahren. Um diese Zeit ist die Kasse und auch die Ausstellung mit den Abschussrampen für die V2 noch geschlossen und ich habe die Dünen für mich allein!
Mit diesen Eindrücken im Gepäck mache ich mich auf den Weg nach Danzig. In jedem Fall ein langer Ritt und auch ziemlich spaßfrei, denn die Route, die ich mir ausgesucht habe, führt meistens über Hauptverkehrsstraßen und obwohl Sonntag ist, ist ziemlich viel los. Endgültig hört der Spaß dann aber auf, als ich den Großraum von Danzig erreiche. Es fängt an in Neustadt und geht dann ohne Übergang weiter durch Reda, Rumia, Gdingen, Zoppot in die Innenstadt von Danzig. Fast 50km Großstadtverkehr (allein Danzig hat ca. 500.000 Einwohner)! Es gibt zwar durchgängig Radwege entlang der vierspurigen Durchgangsstraße, allerdings ist die Radwegeführung - naja, sagen wir mal eigenwillig. Aber sehr viele Menschen nutzen hier das Fahrrad, um das tolle Wetter - 30° im Schatten - zu genießen.
Nach 140km und mit der Wanderung auf den Dünen in den Beinen finde ich völlig platt gegen 20.00 Uhr ein kleines Hostel in unmittelbarer Innenstadtnähe. Gute 1000 km stehen auf der Uhr. Das Fahrrad kommt mit in mein Zimmer und bleibt auch am Ruhetag dort stehen. Die Innenstadt erkunde ich zu Fuß und lasse jetzt die Bilder von dieser faszinierenden Stadt erzählen. Morgen gehts weiter über Marienburg Richtung Königsberg. Ich werde berichten.
Keine Kirche, sondern das alte Rathaus. Man muss unbedingt hineingehen. Ach ja: und davor noch ein Wahrzeichen der Stadt, der Neptunbrunnen
Übrigens werde ich immer wieder gefragt, wie ich es hinbekomme, dass ich trotz des Andrangs Bilder ohne Menschen aufnehmen kann. Ist ganz einfach: Die Fahrradklamotten der letzten 500km anbehalten und abends nicht duschen. Wenn das nicht reicht, kurz die Schuhe ausziehen, dann sterben allerdings die Fliegen.
Und wer nicht weiß, was er den Liebsten mitbringen soll, der kauft einfach Bernstein. Der wächst hier auf Bäumen
Kaum zu glauben, wie die Stadt am Ende des 2. Weltkrieges aussah und was man aus den Ruinen wieder aufgebaut hat
Aufbruch: | 26.05.2018 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 05.08.2018 |
Polen
Estland
Lettland
Russland / Russische Föderation
Finnland
Schweden
Dänemark