Ostsee-Tournee
Wenn denn einmal der Wurm drin ist...
Inzwischen zeigt mein Kilometerzähler für diese Tour mehr als 6000 km in ca. 380 Stunden im Sattel (netto) an. Bei dieser Reise wollte ich es einmal wissen. Ich wollte wissen, wie lange halten bestimmte Teile am Rad, die einem normalen Verschleiß unterliegen. Denn klar war ja schon beim Start, dass es die längste Reise werden würde, die ich bisher von der Dauer und der Strecke unternommen habe. Jetzt weiß ich's! Wenn man sich nicht kümmert und sein Rad pfleglich behandelt, ist bei rund 5500 km eine Grenze, an der die Probleme anfangen. Nicht die Tatsache, dass ich bei 5400 km den ersten Platten hatte, das hätte auch jederzeit vorher passieren können. Aber zum einen hatte ich wohl zu wenig Druck auf dem Hinterreifen, 5 bar sollen es schon gern sein, zum anderen hatte ich schon seit einigen Tagen oder Wochen den Hinterreifen im Auge, weil das Profil runter war. Und das nach sieben Wochen bei einem neuen Reifen, der so viel kostet wie ein billiger Reifen für einen Kleinwagen und den Namen "Marathon Mondial Evolution" trägt - da hat man eine etwas andere Erwartungshaltung und aus dem Hause Schwalbe gab es auch mal einen Vorläufer, der deutliche länger hielt. Wahrscheinlich zu lange und die Evolution liegt wohl in den besseren Verkaufszahlen, weil der Verschleiß höher ist. Jedenfalls kam jetzt die Karkasse durch und der Ersatzreifen war nicht umsonst bis hierher in der Packtasche mitgefahren. Ich hätte ja bei 3500 km Vorder- und Hinterreifen einmal umsetzen können, dann wäre ich wohl mit einem Satz hingekommen.
Damit aber nicht genug. Zeitgleich fing auch noch die Kette an, bei bestimmten Gängen, die ich häufig fahre oder bei hohem Druck am Berg, überzuspringen. Auch das nach 5500 km keine Überraschung, man sollte auf eine so lange Reise eine zweite Kette mitnehmen und alle 2000 km wechseln, um einen gleichmäßigen Verscheiß zu sichern. Eine Kette kaufe ich am Ortseingang von Sundsvall. Hier in dieser Großstadt gibt es mehrere Fahradgeschäfte, um eventuellen Folgeproblemen zu begegnen. Die Kette ist schnell gewechselt. Die alte hatte sich um ganze zwei Gliederlängen gedehnt! Aber wie befürchtet, macht die neue Kette das Problem nur wesentlich größer. Weil auch das Ritzelpaket eingelaufen ist, springt die Neue auf fast allen Gängen bei kleinster Belastung über. Inzwischen haben aber alle Geschäfte geschlossen und auf dem Weg zum Campingplatz suche ich noch die beiden Geschäfte, um am nächsten Tag gleich morgens dort aufzutauchen. Das erste ist ein schicker, stylischer Laden mit den neuesten Rädern - solche Läden sind mir suspekt, weil die nur verkaufen wollen. Außerdem hat er in den Sommermonaten erst ab 12.00 Uhr geöffnet. Der zweite Laden ist eine kleine Schrauberwerkstatt für Autos und Fahrräder - und ich habe so meine Zweifel, ob er das richtige Ritzelpaket vorrätig hat. Am nächsten Morgen komme ich dort an. Der Chef schweißt gerade einen Auspuff, lässt aber alles stehen und liegen und kümmert sich um mein Problem. Wie befürchtet, hat er aber kein 9fach-Ritzelpaket am Lager. Zwar traut er seiner eigenen Ordnung und Beschriftung nicht so richtig und öffnet jedes Paket und zählt die Zahnräder nach - nichts zu machen. Telefonate bei Kollegen bleiben auch ohne Ergebnis. Dann kommt die Grabbelkiste zum Einsatz und aus unterschiedlichen - neuen - Teilen wird ein 9fach-Ritzelpaket: "home made", so seine Bezeichnung. Nur die ganz kleinen Gänge fehlen mir jetzt. Noch die Schaltung justieren und dann einen noch fast für einen äußerst fairen Preis entschuldigen. Der Mann und der Laden gefallen mir - Cykel Nisse ist der Name und wenn jemand in Sundsvall ein Problem mit seinem Rad hat, sollte er hierhin gehen.
Sundsvall eine Großstadt mit viel Industrie und einer sehenswerten Altstadt, die sich Sägewerksbetreiber mit profitablen Geschäften und sehr guten Feuerversicherungen nach einem Stadtbrand in 19. Jahrhundert von den besten Architekten neu aufbauen ließen - und einer kleine, serviceorientierten Fahrradwerkstatt
Das neue Wahrzeichen Sundsvalls ist allerdings die elegant geschwungene Brücke der E4 über den Fjord
Und als wäre es damit nicht genug, zerreißt es mir an dem Tag auch noch meine Fahrradhose - natürlich an der meistgelasteten Stelle. Die hat haber schon ein paar Reisen hinter sich und es hat mich gewundert, dass sie überhaupt bis hierher durchgehalten hat. Auch hierfür habe ich Ersatz in der Tasche. Ein paar weggeklöterte oder gebrochene Schrauben gehören bei so einer Reise mit dazu, kamen aber auch noch zeitgleich.
Über einen Mangel an schönen Aussichten kann ich mich speziell in den Höga kusten überhaupt nicht beklagen
Normalerweise versuche ich, abends eine Campingplatz zu erreichen. Zwar ist das wild zelten überall erlaubt, ich genieße nach einem langen, heißen Tag auf dem Rad aber auch einfach ein ausgiebige Dusche und einen Tisch und Stuhl zum Abendessen. Immer gelingt das aber nicht und manchmal hat man dann ja auch Glück und findet traumhafte Plätze, die man ganz für sich allein hat.
Frisch gepflückte Preiselbeeren aus dem Wald zum Müsli - einfach lecker. Aber auch die sind wegen der Dürre Mangelware und so eine kleine Handvoll ein mühsames Gesuche
Einer der schönsten Übernachtungsplätze auf der ganzen Reise und eine traumhafte Lichtstimmung morgens um 04.30 Uhr
Diesen Platz an einer Flussmündung hatte ich gefunden, eben weil ich keinen Campingplatz erreichte. Auf dem Weg durch den Wald bin ich dann auch noch an zahlreichen von Bibern gefällten Bäumen vorbeigekommen - natürlich war kein Biber zu Hause. Die flache Ostsee hatte zudem auch noch Badewannentemperatur - was will man mehr. Nur die vielen Steine im flachen Wasser waren beim Baden hinderlich. Aber auch hier: Kein Genuß ohne Reue. Der Hinweg war mühsam, für den Rückweg zur Straße hatte ich einen anderen Weg gefunden, aber auch dort musste ich schieben. Keine hundert Meter von meinem Nachtlager entfernt dann der zweite Platten - eine Heftzwecke (und das hier!) steckte im Mantel des Vorderrades und hatte den Schlauch gleich zweimal durchstochen - und trotzdem hat sich der Aufwand für diesen Platz gelohnt.
Und auch das ist typisch Schweden. Die alten amerikanischen Straßenkreuzer hatten mich schon als Jugendlichem beeindruckt, als ich mit dem Schwimmverein in Schweden war. Die Autos sind noch immer dieselben, die Fahrer auch, nur eben 45 Jahre älter oder es sind die gleichen jungen Typen wie vor 45 Jahren
Der Regen mag mich nicht
Die vorletzte Nacht habe ich mal wieder im Wald verbracht. Die Wälder sind hier unglaublich leise, man hört nicht das leiseste Geräusch. Ich frage mich immer, ob es hier überhaupt Tiere gibt. In dieser Nacht wurde ich allerdings von einem ungewöhnlichen Gräusch geweckt. Es hat tatsächlich entgegen der Prognosen geregnet! Nicht viel, aber immerhin und auch bis in den Morgen. Ich habe mich damit abgefunden, im Zelt gefrühstückt, von innen nach außen abgebaut, damit nur das Außenzelt nass bleibt, und als ich mit allem fertig bin, hört der Regen auf und ich kann auf das Regenezug verzichten. Ist auch gut so, denn die Luft klebt bei der Wärme förmlich. Als ich dann nach 80 km Gamla Uppsala erreiche, braut sich ein Gewitter zusammen, sieht mich und zieht wie alle Gewitter auf dieser Reise (drei - vier) mit ein paar Blitzen und Donnern vorbei. Und der Tag endet wieder mit praller Sonne.
Aufbruch: | 26.05.2018 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 05.08.2018 |
Polen
Estland
Lettland
Russland / Russische Föderation
Finnland
Schweden
Dänemark