Ostsee-Tournee
Von Danzig durch das Baltikum
Von Danzig durch das Baltikum
Nein, jetzt kommt keine Märchenstunde. Und wenn, dann würde es wohl heißen "Das Märchen vom feigen Wolf". Gestern gegen Mittag radelte ich in Lettland bei strahlendem Sonnenschein und endlich einmal mit gutem Rückenwind in Richtung der Hafenstadt Ventspils durch scheinbar endlose Wälder und hatte eigentlich nichts anderes im Sinn, als immer schnell genug zu sein, um nicht von der Horde Fliegen und Bremsen, die mir im Windschatten folgten, überholt zu werden, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Wenig Verkehr, wenig Abwechslung - und plötzlich, wie aus dem Nichts, springt von links ein leibhaftiger Wolf auf die Straße, bekommt bei meinem Anblick einen gehörigen Schrecken und verschwindet ca. 10m vor mir rechts im Gebüsch. Nein, Fliegen, Bremsen und Mücken haben ihr Werk nicht vollendet, auf die kurze Distanz gibt es für mich keinen Zweifel, dass es ein Wolf war. Allerdings werde ich auch nicht wie der amerikanische Naturfotograf Jim Brandenburg über sein bekanntestes Wolfsfoto sagen können: "This picture changed my life!" Es gibt einfach kein Foto. Es waren nur wenige Sekunden und trotzdem ein tolles Erlebnis, mit dem ich nie gerechnet hätte.
Aber wieder einmal fange ich meinen Bericht hinten an. Also jetzt immer schön der Reihe nach. Zuletzt hatte ich begeistert aus Danzig berichtet. Nach der zweiten Nacht verlasse ich die Stadt in Richtung Marienburg. Diesen Abstecher zum UNESO-Welterbe gönne ich mir und es ist jeden Kilometer extra wert. Die größte Backsteinburg der Welt, die dem Deutschen Ritterorden im Mittelalter als Residenz diente, ist auch ein Beispiel dafür, mit welchem Aufwand Polen die Zerstörungen des 2. Weltkrieges beseitigt hat, denn auch die Marienburg wurde kurz vor Ende des Krieges in Schutt und Asche gelegt, was kaum zu glauben ist, wenn man die Anlage heute sieht. Einzig in der Klosterkirche wird deutlich, was hier ein für alle Mal vernichtet wurde
Und hier der Beweis: Auch kleine Teufelchen haben ihre Bedürfnisse - der Wegweiser zum stillen Örtchen im Kloster
Drei Stunden habe ich mich mit dem Audioguide durch die Anlage führen lassen, bevor ich weiter Richtung Kaliningrad fahre- Unterwegs komme ich durch Elbing und auch dort wieder ein Zeugnis der Geschichte, eine weitere Burg des Deutschen Ritterordens.
Kaliningrad - Russland per Fahrrad
Jetzt steht aber der erste spannende Teil der Reise auf dem Plan. Der Grenzübertritt in die Oblast Kaliningrad und damit nach Russland. Viel habe ich vor zeitraubenden Kontrollen und dem Gefühl der Ohnmacht und Willkür bei der Einreise gehört. Die Grenzkontrollen ziehen sich über mehrere hundert Meter hin und das System - wenn es denn eines gibt - habe ich nicht verstanden. Insgesamt sind vier Stationen zu bewältigen. An der Hauptkontrolle, wo es auch den Einreisestempel gibt, sind in der Abfertigungsspur für nicht russische Staatsangehörige nur zwei Fahrzeuge vor mir. Alles geht recht zügig. Keine Kontrolle des Gepäcks, kein Gefühl der Schikane. Allerdings werde ich hier, wie auch später bei der Ausreise, nach meinem Visum und dem Grund meines Aufenthaltes im Iran befragt, und ich werde das Gefühl nicht los, dass dieses Visum hier ganz nützlich ist. Auf jeden Fall bin ich recht schnell und unkompliziert durch die Abfertigung.
Und mit einem Mal bin ich in einer anderen Welt. Alles wirkt heruntergekommen und marode. Viele der Felder an der Straße sind nicht bestellt, in den kleinen Ortschaften herrscht der Verfall. Und immer wieder passiere ich riesige Gedenkstätten für die gefallenen russischen Soldaten des 2. Weltkrieges. Tausende müssen hier ihr Leben gelassen haben. Von den gefallenen Deutschen keine Spur - diese Denkmale finden sich ja bei uns in jedem Dorf.
Die Reste einer Kirche - Erinnerungen an die deutsche Geschichte dieser Region werden hier systematisch getilgt
Okay, jedenfalls habe ich mich nicht verfahren und zu übersehen ist das Ortsschild von Kaliningrad auch nicht
Es ist Absicht, aber keine böse Absicht, dass ich für die Städte in Polen die deutschen Ortsbezeichnungen verwende, hier aber durchgängig von Kaliningrad spreche. Das hängt einerseits damit zusammen, dass ich die polnischen Namen in der Regel nicht richtig aussprechen und mir merken kann, aber auch damit, dass in diesen Städten trotz aller Zerstörungen immer noch ein alter Ortskern vorhanden ist, der an führere Zeiten erinnert. Das ist in Kaliningrad anders. Diese Stadt wurde zerstört, die deutsche Bevölkerung vertrieben, mit Menschen aus verschiedenen Teilen der ehemaligen Sowjetunion neu besiedelt und eine neue Stadt aufgebaut, die nichts mit dem ehemaligen Königsberg zu tun hat. Ich hatte nicht viel Positives über Kaliningrad gehört und habe auch nicht viel vorgefunden. Immerhin sind die Menschen mir freundlich und hilfsbereit begegnet bei meiner Suche nach dem Appartement, dass ich mir über das Internet gebucht hatte. Nicht ganz so einfach ein einer Großstadt, wenn man die kyrillischen Buchstaben nicht beherrscht, nur einzelne Vokabeln russisch aufsagen kann und wenige Menschen englisch sprechen. Die Unterkunft habe ich trotzdem nicht gefunden, dafür aber einer hilfsbereiten Damen ihren kleinen Verkaufsstand mit Erdbeeren mit dem Fahrrad umgeworfen. Schließlich bin ich in einem recht günstigen Hotel in der Innenstadt gelandet.
Selbst die russischen Souvenierhändler verkaufen lieber alte Stadtansichten - kann ich gut verstehen
In dieser Stadt hält mich nicht viel und so setzte ich nach der Nacht im Hotel am Morgen meine Fahrt fort. Auf direktem Weg steuere ich die Kurische Nehrung an, um dort die Grenze zu überqueren und nach Litauen einzureisen. Und hier, kurz bevor ich die Landzunge erreiche, finde ich dann doch noch Reste deutscher Bäderarchitektur. Der kleine Ort Sztutowo ist auch bei den Russen ein beliebter Badeort und ist für hiesige Verhältnisse richtig herausgeputzt. Allerdings hat hier ein Bauboom eingesetzt, der nicht gerade begeistern kann, sondern vielmehr eine moderne Form der Plattenbauten ist...
Alte Häuser, eine neue Straße und viele gepflegte Lokale und Geschäfte prägen den alten Kern von Sztutowo
Alte Häuser, eine neue Straße und viele gepflegte Lokale und Geschäfte prägen den alten Kern von Sztutowo
Die Kurische Nehrung ist beidseits der Grenze fast komplett Nationalpark und UNESCO-Welterbe. Deswegen wird auch ein Eintritt von 150 Rubel erhoben - ca. 2 Euro. Und von da an fährt man auf dieser schmalen Landzugen, die die Ostsee von dem Kurischen Haff trennt. Man merkt aber eigentlich nichts davon, dass links und rechts Wasser ist. Man fährt durchgängig durch Wald, Moore und Sanddünen bis an die Grenze. Ab und zu wird auf einige "Sehenswürdigkeiten" hingewiesen - das war's dann aber auch schon.
Über die Kurische Nehrung nach Litauen
Kurz vor der Grenze bei Nida (Litauen) treffe ich auf eine vierköpfige Familie aus Dresden, die zwei Monate mit dem Rad im Baltikum unterwegs sein will - die beiden kleinsten Familienmitglieder im Fahrradanhänger. Bis zur Grenze fahren wir zusammen und höflich wie ich bin, lasse ich sie vor. Wir sind so ziemlich die einzigen, die die Grenze passieren wollen. Kaum zu glauben, wie aufwändig es ist, eine Familie mit Kindern zu kontrollieren. Der Stoffteddy muss zweimal aus der Packtasche hervorgekramt werden und die Kontrollbeamtin kommt auch zweimal aus ihrer Kabine, um sich zu überzeugen, dass es sich wirklich um die Kinder handelt, deren Pässe sie in Händen hält. Und bei mir? Kurzer Blick in den Pass, Frage nach dem Iran-Visum, keine Gepäckkontrolle, Stempel, durch...
Inzwischen ist es für mich zu spät geworden, um nach Klaipeda weiterzufahren. Ich quartiere mich auf einem komfortablen Campingplatz direkt an den Dünen von Nida ein. Welch ein Unterschied! Nicht nur zu Russland, sondern auch zu Polen. Alles ist hier sehr gepflegt und richtig schick zurecht gemacht. Die Geschäfte sind gut sortiert, das Personal in den Supermärkten und Restaurants super freundlich und überall wird ein gutes Englisch gesprochen - irgendwie bin ich hier in einer anderen Welt angekommen. Den Abend verbringe ich in den Dünen, beim Einkaufen und mit Essen.
Der erste Eindruck, den ich von Litauen bekam sollte sich bei meiner, zugegebenermaße sehr kurzen Stippvisite, nicht ändern. Von Nida bis zur Grenze nach Lettland fahre ich aus separat geführten, hervorragend ausgebauten und beschilderten Radwegen. Besser war es nirgends auf meiner bisherigen Tour. Die Kurische Nehrung bietet auch hier ein ähnliches Bild wie auf der russischen Seite und so fahre ich bis an deren Ende bei Klaipeda und setzte dort mit der kostenlosen Fähre ins ehemalige Memel über. Die Stadt bietet nicht viel Sehenswertes und so fahre ich durch sehr schöne und ebenfalls sehr gepflegte Badeorte bis nahe an die Grenze von Lettland. Um nicht auch den Aufenthalt im vierten Land der Reise zum One-Night-Stand werden zu lassen, quartiere ich mich hier noch einmal auf einem Campingplatz ein, nicht ahnend, dass in dem Ort irgendein sehr lautes Fest gefeiert wird, das direkt nebenan in einem Haus bis morgens um acht Uhr lautstark verlängert wird.
Wenn Häfen nicht zu Museumshäfen verkommen, haben sie selten etwas Romantisches an sich - auch nicht in Klaipeda
Diese Drehbrücke im Yachthafen von Klaipeda muss noch mit Muskelkraft bewegt werden
Alles sehr liebevoll gepflegt - Holzhäuser prägen ab jetzt das Bild vieler kleiner Ortschaften
Ich verabschiede mich aus Litauen und überquere das vierte Mal eine Grenze und komme in Lettland an - ohne Grenzkontrolle
Aufbruch: | 26.05.2018 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 05.08.2018 |
Polen
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Lettland
Russland / Russische Föderation
Finnland
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Dänemark