Wann kannst du kommen?
Argentinien
Das war tatsächlich haarscharf gestern Abend.
Als ich zurück ins Hotel kam und mein Handy wieder Strom hatte, habe ich mich natürlich sofort bei meinem Chatpartner gemeldet, wollte wissen, wer mich gerettet hatte. Es war Sabrina Celeste Duarte, eine junge Frau, die als Touristenfahrerin für das Casino-Gran Hotel auf der argentinischen Seite arbeitet. Man stelle sich vor, da sitzt jemand kurz vor Feierabend noch am Computer, weil grad nichts zu tun ist und bekommt so eine Nachricht herein. Schlecht geschrieben (meine Korrekturhilfe mischt sich bei spanisch und englisch immer unnötig ein) und sie erkennt den Notfall. Merkt, dass das jetzt wirklich Ernst ist. Und sie versucht, die brasilianische Polizei zu erreichen, oder jemanden, der für den Vogelpark im anderen Land zuständig ist. Sie lässt nicht nach, bleibt dabei und holt mich dadurch raus.
Sie arbeitet da von morgens um sieben bis Abends um sieben. Mein Hilferuf kam um 18.11 Uhr.
Heute morgen fuhr ich mit dem Taxi nach Puerto Iguazo, das ist in Argentinien und natürlich musste Nelson, mein heutiger Taxifahrer beim Gran Casino anhalten. Ich wollte mich bei Sabrina persönlich bedanken. Hatte extra einen Sack Schokolade dabei. Es ist tatsächlich immer gut, ein paar Süssigkeiten aus der Schweiz mitzunehmen, man weiss nie, wozu man sie brauchen kann. Einen so guten Grund, Schokolade zu verschenken, hatte ich noch gar nie.
Leider war sie aber nicht dort. Die Dame an der Rezeption meinte, sie wäre auf dem Weg zum Flugplatz um Gäste abzuholen. Also erzählte ich ihr die Geschichte und bat sie, die Schokolade abzugeben. Dios Mio! meinte sie und versprach, dass sie das Geschenk weiter gebe.
Dios Mio! hatte auch die Besitzerin der Pousada gesagt, als ich am Morgen versuchte, ihr die Geschichte zu erzählen. Warst du nicht komplett in Panik, fragte sie mit aufgerissenen Augen. Nein, war ich nicht. Tatsächlich hatte ich die feste Hoffnung, dass man mich rausholen würde, wenn ich nur gut überlegt und vor allem schnell das richtige tat. Was das war wusste ich zwar auch nicht, aber dass es schnell gehen musste, sagte mir die Batterieanzeige meines Handys. Dass ich auf Anhieb die richtige Person erreichte war dann allerdings ein purer Zufall und ein Glückstreffer. Auf der anderen Seite hatte ich auch versucht, mich mit der Idee der Nacht im Käfig anzufreunden. Temperaturen sinken hier in der Nacht nur bis ungefähr 13 Grad. Geht ja noch - Kurzarm.
Im Laufe des Nachmittags meldete sich Sabrina per Facebook und dankte mir für die Schokolade. Dass sie mein Schutzengel war, dass ich ohne sie eine sehr ungemütliche Nacht im Käfig mit den Aras verbracht hätte, schob sie mit einem einfachen Your welcome beiseite. Ich werde diese Frau auf jeden Fall nie vergessen.
Nelson bringt mich zum Eingang zu den Iguazu-Föllen auf der argentinischen Seite. Der Zugang ist hier ganz anders. Es gibt verschiedene ausgeschilderte Rundgänge Zum grössten Teil sind diese oben auf dem Oberlauf der Fälle. Zuerst gelangt man auf gut ausgebauten Wegen zum Bahnhof, wo man zum entferntesten Punkt fahren könnte. Ich behalte mir diese Option noch vor. mache mich auf den oberen Rundgang. Meist bei der Kante, wo das Wasser in die Tiefe stürzt, führt dieser Weg auf Brücken zu den verschiedenen Föllen, die alle mit Namen bezeichnet sind.
Es ist interessant zu sehen wie das Wasser auf dem Oberlauf noch ganz ruhig dahin fliesst. Kein Hinweis, dass ein paar Meter weiter vorne der Abgrund lauert. Ich komme zu Vergleichen zum Leben. Wie oft glaubt man doch, alles sei in Ornung, das Leben läuft normal und unspektakulär. Bis plätzlich ein grosses Ereignis, die Welt auf den Kopf stellt Dann fällt man Kopfüber über eine Kante, gelangt in einen Strudel und weiss nicht mehr wo oben und unten ist, verliert den Boden unter den Füssen. Um nach einer gewissen Zeit und einigen Umwegen über Steine und zwischen Baumstämmen gelangt man wieder in ruhige Gewässer und das Leben nimmt seinen gewohnten Gang.
Dort unten, mitten im Strudel entdecke ich einen weissen Silberreiher. Er steht auf einem grossen Stein, scheint in der Gischt nach Fischen Ausschau zu halten. Ich beobachte ihn eine Weile, ob er etwas fängt? Nach einer Weile wechhselt er den Standort, bleibt aber ganz nach über den spritzenden Wassermassen.
An einem Baumstamm sonnt sich eine Eidechse und in den Ästen in einer Ausbuchtung der Brückenkonstruktion tschilpen ein paar schwarz-blaue Vögel. Jemand hält ihnen ein paar Brosamen auf der flachen Hand hin und tatsächlich, manchmal nähert sich einer mit einem aufgeregten Flügelschlag und holt sich den versprochenen Leckerbissen. Sie scheinen sich gewohnt zu sein, der ganze Baum ist voll von diesen schillernden Vögeln.
Ich merke, dass ich mich immer wieder umsehe. Es sind viele Leute unterwegs. Manchmal kommt es zu kleinen Stauungen, aber es ist nie mehr so viel wie gestern, Auch wenn es auf der argentinischen Seite bedeutend mehr Besucher hat als auf der brasilianischen, so verteilen sie sich hier im viel grösseren Gelände auch besser.
Die Leute sind oft in Gruppen unterwegs und manchmal bin ich einen Moment lang allein. Ich merke dann, dass ich mich unwillkürlich umsehe, einen Blick auf die Uhr werfe. Das Erlebnis von gestern Abend hat seine Spuren hinterlassen.
Schmetterlinge wecken meine Aufmerksamkeit immer wieder. Heute sind es vor allem kompakte braun blaue die auf dem Brückengeländer stehen, Die Flügel leise auf und zu klappen und mit einem grünen Rüssel das Geländer abtasten. Oder meinen Arm. Einer hat sich auf meinen Arm gestellt und schient da Salz zu finden.
Ein anderer hat sich auf den Finger eines kleinen Jungen gesetzt. Sein Vater macht Selfies mit ihm und dem Schmetterling und diesem scheint es zu gefallen. Ist wohl ein richtiges Model, das sich vor der Kamera zu bewegen weiss.
Beim Picknick-Platz sind die Nasenbären unterwegs. Ich hole mir einen Hamburger. Keep care of the animals hat mir der Verkäufer gesagt, darum passe ich auf, wohin ich mich setze, stelle das Tablett auf den Tisch und setze mich auf die Bank. Zu spät, schon hat einer der frechen Kerle den Deckel meines Hamburgers gepackt und wenn ich ihn nicht mit der Colaflasche verscheucht hätte, hätte der zweite auch noch den Rest gepackt. Vor mir hat eine Familie sich etwas zu Essen besorgt. Der Vater kommt kaum zum Essen, er ist voll beschäftigt, die Tiere zu verscheuchen. Er rennt die ganze Zeit um den Tisch, doch je mehr er die Tiere verjagt, umso eher kommen sie von hinten wieder und hocken frech unter der Bank. Nebenan hat einer sein Sandwich säuberlich mit den Tieren geteilt, doch jetzt kann er sein Bier kaum mehr in Ruhe trinken. Ich amüsiere mich köstlich. Auch an dem Paar, das wie ich die Tiere beobachtet. Bis zwei gleichzeitig auf den Tisch springen und die Leute mit einem Schrei aufschrecken. Und sich sofort am Kiosk beschweren.
Überall stehen Schilder, die vor den Tieren warnen. Bitte nicht füttern. Nicht berühren. Es sind Wildtiere, Bisswunden könnten gefährlich sein.
Dieser Schmetterling scheint ein Model zu sein. Jedenfalls bewegt er sich professionell vor der Kamera und lässt gar Selfies machen.
Auch die kleinen Affen haben es fastdick hinter den Ohren. Hängen in den Böumen über den Besuchern und plötzlich sticht einer herunter und schlagt einer Frau die Packung Orangenjus aus der Hand.
Und dann hocken sie wieder oben und lassen sich bestaunen und fotografieren.
Ich liess die Zugfahrt bleiben, beim Bahnhof war die Wartezeit zu lange und für den langen Spaziergang war ich nicht motiviert.
So verliess ich den Park lange vor der Schliessung und fuhr zurück nach Brasilien. Merke, dass ich im Moment genug habe von Wasserfällen, auch wenn sie noch so eindrücklich sind.
Aufbruch: | 15.07.2019 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 12.08.2019 |
Brasilien