Wann kannst du kommen?
Fliegen wär so schön
So früh bin ich eigentlich selten beim Frühstück, aber heute muss es sein. Mein Flug geht kurz vor zehn und ich muss zwei Stunden vorher einchecken. Zum Glück ist der Flugplatz nicht weit und die Strassen leer.
Ich setze mich also schon um halb acht ins Cafe Viena, in der Nähe des Terminals 17, stelle meinen Laptop auf und lade erst einmal die Fotos der letzten Tage in den neuen Reisebericht. Also alles ganz easy. Eine knappe Stunde später, klappt das Netz zusammen, alles was ich aufgeladen habe, ist verloren. Ich versuche es noch ein paar mal, entscheide dann aber, dass es Zeit ist, zum Gate zu gehen. Hab noch alle Zeit und bin locker, gespannt auf mein neues Ziel.
Doch auf dem Monitor bei Gate 04 ist ein ganz anderer Flug, meiner geht entgegen meiner Boarding-Karte, die ich heute morgen bekommen habe, nicht ab Gate 04 sondern ab Gate 17. Also einmal quer durch den ganzen Flugplatz und bei Gate 17 die Tafel checken. Einnen Moment brauche ich um zu verstehen, dass mit Galeao Rio De Janeiro gemeint ist. Warum die das nicht hinschreiben, verstehe ich nicht, soll wohl einfach etwas verwirren, oder ist so klar, dass es einfach jeder versteht. Also alles ok, ich bin bereit. Das Flugzeug auch, es steht bereits draussen beim Fingerdock.
Doch beim Schalter will es nicht vorwärts gehen. Kein Aufruf, keine Bewegung, mir solls recht sein, ich vertiefe mich jetzt eben in mein Buch, das ich extra dafür in die Handtasche gesteckt habe.
Irgendwann schrecke ich auf, habe ich mich jetzt doch zu sehr in mein Buch vertieft? Das Flugzeug ist weg. Aber die Leute sind noch alle da, das Gate alle Sitze sind besetzt. Aber auf der Tafel steht jetzt 11.00 Uhr. Was ist los? Es gibt keine Erklärung, einige Passagiere erkundigen sich und auch ich versuche etwas heraus zu finden. Doch kein Mensch von der Crew spricht englisch, einzig eine junge Brasilianerin erkennt meine Lage und meint "They have a problem". Ja, das ist mir irgendwie unterdessen auch klar, aber worum geht es? Accident? No! Mehr kann sie aber nicht sagen und mir kommen ungute Gedanken. Grounding? Auch die zweite Gol-Maschine, die vorher weiter hinten gestanden ist, ist jetzt weg.
Es gibt keine andere Möglichkeit, als warten. Mir scheint, dass auch die anderen Passagiere keine befriedigende Antwort erhalten. Einmal glaube ich zu verstehen, dass jemand sagt, es gäbe jetzt etwas zu essen. Comer. Vielleicht meinte er auch nur, dass er sich jetzt etwas zu essen hole.
Ich bleibe sitzen, da es keine Durchsagen und keine Information gibt, wage ich nicht, vom Gate weg zu gehen. Die Crew ist mittlerweise weg, denen wurden die Fragen der Passagiere zu viel.
Ich warte, ich lese, ich versinke in eine andere Welt. In eine andere exotische Welt, tief hinein in Kambodscha zur Zeit der Roten Khmer. Zum Glück kann man sich mit lesen ganz einfach abseilen und nach Bedarf wieder zurück hangeln.
Die Zeit vergeht, die Anzeige zeigt jetzt 13.00 Uhr und den Hinweis confirmed - bestätigt.
Kurz vorher kommt die Crew zurück. Einzelne Passagiere erhalten neue Boarding-Karten und endlich kommt ein junger Mann, der vorher nicht hier war, zu mir. "The flight ist canceled", erklärt er mir, und dass man für alle Passagiere bei anderen Gesellschaften Alternativen sucht. "Wait, till I come back". Und schon ist er wieder weg.
Also zurück nach Kambodscha.
Als ich wieder aufsehe, merke ich, dass ausser mir nur noch wenige Leute da sind. Unter anderem eine chinesische Familie. Jede Wette, dass die auch kein portugiesisch verstehen. Wir werden jetzt von einer Gol-Angestellten gebeten, ihr zu folgen. Hätte ich auf den jungen Mann warten sollen? Ich gehe mit der Angestellten und irgendwie erklärt sie mir und der jungen Chinesin, dass wir mit einer anderen Gesellschaft fliegen werden. Dafür müssen wir aber noch einmal neu einchecken.
Und das Gepäck? Bagagm.
Das holen wir jetzt erst einmal ab. Wir stehen kurz darauf vor dem Gepäckband, das nach und nach alle Gepäckstücke wieder ausspuckt. Dann geht es zum Gol-Schalter, wo wir unsere Boarding-Karte gegen einen neuen Zettel eintauschen und dann begleitet uns die Gol-Angestellte zum Latam-Schalter.
Hier gibt es noch eine kurze Verwirrung, doch dann scheint alles in Ordnung zu sein. Ausser dem jungen Mann, der mir erklärte, dass der Flug abgesagt ist, konnte kein Mensch eine andere Sprache. Weder spanisch noch englisch. Nicht einmal Durchsagen und auch keine Informationen, gibt es in englisch. Ich bin schon etwas verwirrt und wähne mich auf einem fremden Stern.
Zusätzliche Verwirrung kommt noch auf, als am Gate wieder eine andere Destination steht: Santos Dumont. Wird wohl ein anderer Flughafen sein, ich lasse mich nicht beunruhigen.
Später habe ich es herausgefunden: Der Santos Dumont ist viel näher bei der Stadt, der Flugplatz Galeao ist zwar viel grösser aber auch weiter weg. Nächster Termin ist um 17.15 Uhr.
Ich bekomme einen Fensterplatz, beende mein Buch und kann am Horizont grad noch das letzte Licht des Tages erhaschen.
Dem Taxifahrer gebe ich den Namen des Hotels und er muss sich zweimal erkundigen, wo das sei, fragt sogar noch einen Kollegen, bis es ihm klar ist. Dann gibt er das Ziel in seinem GPS ein und mir dämmert langsam, dass ich mich gestern Abend beim Buchen des Hotels um einen oder zwei Strände vertan habe. Es ist weder die Copacabana, noch Ipanema, die wir ansteuern, wir fahren ziemlich weit nach Süden, bis wir mein gebuchtes Hotel erreichen. Scheint nicht wirklich mein Tag zu sein heute.
Dafür ist dann das Zimmer aber ideal. Mit Seitenblick aufs Meer im 16. Stock. Und der nette Concierge, der mir den Koffer aufs Zimmer bringt, spricht sogar richtig gut englisch.
Mich interessiert aber heute nur noch mein riesiges Bett. Gute Nacht.
Heute fertig geworden. Ein Buch über Opfer und Täter während der schrecklichen Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha. Ein Buch über Schuld und Verzeihen. Ein schwieriges Buch.
Aufbruch: | 15.07.2019 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 12.08.2019 |
Brasilien