Radreise in der Horde und auf eigene Faust nach Südosteuropa
Kurz hinter Budapest beginnt schon der Balkan
Freitag, 22.August 2003
Die erste Probe unserer Flexibilität können wir schon am Flughafen in Budapest machen. Nachdem wir bei gut 35 Grad im Schatten unsere Räder in der Wartehalle des Flughafens zusammengeschraubt, aufgepumpt und das Gepäck verstaut haben, müssen wir auch noch die vorgeschriebene Fahrradverpackung auf den Rädern die 18 Kilometer bis in die City von Budapest transportieren. Denn die brauchen wir später ja wieder für den Rückflug. Am Keletibahnhof angekommen, bietet uns auch gleich ein deutsch sprechender Rentner eine Unterkunft für 50 Euro an mit der Zusage, dort bis zu unserem Rückflug auch die Fahrradverpackungen lassen zu können. So bleibt uns noch bequem Zeit für einen Bummel an und über die Donau zu Fuß. Unsere Räder stehen derweil gut aufgehoben im zweiten Stock eines uralten Mietshauses bei Herrn Pador, Zoltan in unserer Unterkunft ("Privatzimmer erster Klasse") im Zentrum direkt neben der größten Synagoge Europas. Für ein Durchprobieren zahlreicher Biersorten reicht die Zeit am Abend auch noch und der Durst nimmt bei der Hitze ohnehin kein Ende.
Sonnabend, 23.August 2003
Vorsichtshalber wollen wir als erstes klären, wie wir rechtzeitig nach Arad kommen, damit wir die Abholung durch den rumänischen Reiseleiter morgen um 15.50 Uhr auf keinen Fall verpassen. Das Problem ist die Fahrradmitnahme in den Zügen.
Die Fernzüge, schon gar nicht die grenzüberschreitenden, haben keine Packwagen, die Fahrradmitnahme ist im Prinzip nicht zugelassen oder nicht vorgesehen. So genau sagt man uns das auch bei der Information nicht. Aber beim Kauf unserer Personenfahrkarten für rund 5000 Forint (= 20 Euro) können wir auch mit gutem Zureden keine Fahrradkarten mit kaufen. Das sollten wir beim Zugschaffner machen. Nach so viel Verunsicherung beschließen wir, schon heute mittag einen durchgehenden Zug nach Arad zu nehmen und unsere Stadtrundfahrt auf Rädern durch Budapest auf ein Minimum zu beschränken. Vor Abfahrt des Zuges, der von Venedig nach Temisoara Nord fährt, sieht es schon hoffnungsvoller aus.
Am Bahnsteig gibt uns der Schaffner einen Tip, an welcher Stelle wir einsteigen sollen, erster Wagen, erstes Abteil, dann könnten drei Fahrräder mit. Doch der Zug führt davor noch zwei abgeschlossene leere Schlafwagen, so dass die übrigen Wagen regelrecht gestürmt werden müssen. Zu dritt schaffen wir es, wenigstens an zwei verschiedenen Türen reinzukommen und ich erhasche einen kombinierten Steh- und Sitzplatz. Der Sitzplatz ist der auf meinem Sattel, mit dem ich bei jedem Bremsen und Anfahren des Zuges das Gleichgewicht halten muß. Und jedem Passagier den Weg zum Lokus freimachen muß. Wolfgang und Jonas kämpfen inzwischen an der Vorderfront des Zuges. Dort wollen die Passagiere nicht glauben, dass die beiden vorderen Wagen wirklich abgeschlossen sind und verlangen ständig, den Durchgang freizumachen und die beiden Fahrräder wegzuräumen - aber wohin ? Der Schaffner indessen sieht das alles gelassen, verkauft mir die Fahrradkarten für alle drei Räder zum amtlichen Preis, aber ich bekomme die Karten nur bis Bekeszaba, zwei Stationen vor der rumänischen Grenze, obwohl ich klar Karten nach Arad verlangt habe und unsere Personenfahrkarten auch bis Arad lauten.
In Bekeszaba hält der Zug in brütender Hitze stundenlang, das Thermometer zeigt 36 Grad im Schatten. Wir bekommen eine neue Lok, die uns schlappe 2 km weiter bringt. Dann wird die Strecke eingleisig und es müssen erst zwei Gegenzüge vorbeigelassen werden. Wir sacken uns dabei über zwei Stunden Verspätung auf, die der Schaffner nutzt, um mir unmißverständlich klarzumachen, dass wir für unsere Räder keine Fahrradkarten hätten. Er rechnet mir einen Preis von 16000 Forint (63 Euro für drei Räder) bis Arad vor, für den man sie quer durch Europa mitnehmen können müßte. Nein, das wäre der internationale Tarif, der gelte dann auch gleich von Budapest bis Bukarest. Aber von Budapest bis Bekeszaba hätten wir doch schon bezahlt, wozu denn ? Davon will der Schaffner nichts mehr wissen und er zückt seinen Fahrkartenblock. Doch dann hält er inne und macht mir einen Vorschlag - er spare sich das Ausstellen der Karte und wir brauchten nur die Hälfte zu zahlen. Er garantiert uns, dass wir so auch über die Grenze kämen. Unsere restlichen Forint reichen noch gerade, den Schaffner auszuzahlen, da rollen wir auch schon in Rumänien ein. Im Grenzbahnhof Curtici verläßt der ungarische Schaffner den Zug, und auf dem Stück bis Arad kommen die rumänischen Zugkontrolleure.
Sie regen sich über die mitgeführten Fahrräder lautstark auf und wollen 20 Euro für jedes Rad kassieren. Das wollen wir aber nicht mitmachen, wir haben doch bezahlt! Aber bitte, wo haben Sie Dokument ? Ich werde herbeigerufen, um zu erzählen, dass und wie ich bereits bezahlt habe. Mit Empörung nehmen sie zur Kenntnis, dass mir der ungarische Schaffner kein Ticket gegeben hat, aber das helfe nun alles nichts, ein Dokument brauchten wir - gegen Bezahlung natürlich. Gott sei Dank ist in Wolfgangs Abteil eine Kroatin mit guten Deutschkenntnissen, die den Dolmetscher spielt. Sie gibt uns den Tip, nicht zu zahlen und noch etwas zu nörgeln, um am Ende dem Schaffner einen 10-Euro-Schein zuzustecken. Am besten, wenn er allein ist. So klappt's am Ende auch, im übrigen rollen wir auch schon in Arad ein, höchste Zeit, aus dem Zug zu kommen. Selbst das Aussteigen gerät zum Drama, denn vor uns steigen alte Omas umständlich mit viel Gepäck aus, bevor wir unsere Fahrräder draußen haben.
Als wir das Gepäck nach den Fahrrädern auch noch ausladen wollen, fährt der Zug schon zur Weiterfahrt an. Wolfgang brüllt wie ein Löwe STOPP, und beim zweiten Urschrei stoppt der Zug wirklich, wir kommen noch heil und mit komplettem Gepäck raus. Merke: Wir sind dem Balkan nähergekommen, ohne Dokumente läuft hier nichts, aber mit Bakschisch alles. Nur muß man eben die richtigen Leute schmieren. Und woran erkennt man die ? Das werden wir noch lernen müssen.
Auf die Vermittlung einer Unterkunft wollen wir uns hier nicht einlassen, sondern per Rad eine Stadtrundfahrt, vorbei am Neubau einer orthodoxen Kathedrale, machen, da müßte man ja Hotels entdecken können. Wir finden auch ein Best Westernhotel Central, wo wir zu dritt für 55 Euro übernachten können, incl. Frühstück sogar, das machen wir. Zum ersten Mal kommt Routine auf: Quer durchs Zimmer unsere Wäscheleine aufspannen, beim Duschen zugleich die Unterwäsche 1.Garnitur waschen, nach dem Duschen Anziehen der Unterwäsche 2.Garnitur und Aufhängen der gewaschenen 1.Garnitur. Heute müssen auch die durchgeschwitzten T-Shirts mit gewaschen werden. Leider gibt es Hotels, in denen man an keiner Stelle der Wand eine Wäscheleine befestigen kann. Aber mit Fenstergriffen und Türklinken kann man Kompromisse eingehen.
Ohne einen einzigen rumänischen Geldschein gehen wir zum Abendessen in die City. Das Temisoara-Bier für 50 Euro-Cent pro 0,5 Liter schmeckt hervorragend und vom Essen lassen wir uns überraschen. Wir sitzen im Freien mit Blick auf den Marktplatz und beobachten die Mafiatypen, die aus dicken Limosinen mit getönten Scheiben aussteigen oder im Vorbeifahren die Scheiben herablassen, um mit ähnlichen Typen kurz zu reden. Was hier abläuft, können wir nicht genau erkennen, nach Rotlichtviertel sieht die Gegend eigentlich nicht aus, und uns läßt man in Ruhe. Nur verjagt die Kellnerin von Zeit zu Zeit einen humpelnden Bettlerjungen, dem ich beim ersten Betteln eine 50-Euro-Cent-Münze geschenkt habe. Später sehe ich, wie der Junge sie bei einem der Typen abliefert und anschließend ohne jedes Humpeln in eine Seitenstraße davonrennt. Wir wechseln das Lokal, nachdem ich am Geldautomaten mich zum Lei-Millionär gemacht habe: 1,8 Millionen, umgerechnet ca. 50 Euro. Das sollte für uns drei reichen, bis wir zur Gruppe stoßen. Doch ohne Jonas Hinweis hätte ich prompt meine Scheckkarte im Automaten stecken lassen, die Mafia hätte schon drauf gewartet....
Aufbruch: | 22.08.2003 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 19.09.2003 |
Bulgarien
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Slowakei
Ungarn