Radreise in der Horde und auf eigene Faust nach Südosteuropa

Reisezeit: August / September 2003  |  von Manfred Sürig

Auf eigene Faust nach Siebenbürgen

Von den restlichen Lei kaufe ich zwei Fahrkarten nach Sibiu/Hermannstadt, denn Radu hatte gemeint, es wäre zu schade, Rumänien auf dem kürzesten Wege zu verlassen, in die Ukraine könne man auch von Moldau aus, der nordöstlichsten Provinz Rumäniens. Da gäbe es so viel zu sehen, wir würden es nicht bereuen.
Um 14.15 Uhr besteigen wir den "Accelerat"-Zug nach Iasi. Wo das liegt, wissen wir nicht genau, nur dass wir in Vintul de Jos umsteigen müssen nach Hermannstadt. Die Räder können wir bis Vintul de Jos kostenlos im Gang mitnehmen. Nun können wir stundenlang die Fahrt im Mures-Tal aufwärts genießen.

Rumänien sieht hier zunehmend freundlicher aus, Radu scheint Recht gehabt zu haben: Siebenbürgen müßt ihr sehen, um einen richtigen Eindruck von Rumänien zu bekommen. Wir haben nun endlich auch Zeit, eine Melone zu verzehren, die ich noch in Bulgarien gekauft hatte. Die aber bekommt uns nicht, und besonders Jonas hat zu leiden. Wir kommen erst um 21 Uhr in Sibiu an und das Hotel zum römischen Kaiser (Imperatore Romanul), in dem uns Radu angemeldet hatte, war schon bei der Anmeldung ausgebucht. Doch man vermittelt uns weiter zum Continental, wo wir im 13. Stock eine Bleibe mit Frühstück für 69 US $ bekommen.

Sonntag, 7.September 2003

Wir wollen ganz flexibel sein, aber einen Termin müssen wir einhalten, nämlich unseren Rückflug von Budapest in 12 Tagen. Mit dem Finger auf der Landkarte taste ich unsere Möglichkeiten ab. Es wird nicht ohne größere Bahntransfers gehen. Dabei einigen wir uns, die Strecke von Brasov bis Suceava per Bahn zu machen (457 km), von dort aus per Rad die Moldauklöster abzufahren und dann zu versuchen, bei Siret in die Ukraine nach Czernowitz zu gelangen. Von dort zurück über die Karpaten zur Slowakei oder nach Ungarn wird es wieder nicht ohne Bahn gehen, doch welche Strecken es gibt und welche befahren werden, wissen wir nicht, notfalls müssen wir über Rumänien zurück.

Zunächst besichtigen wir die City von Hermannstadt, die am Sonntagmorgen von Kirchgängern und Touristenbussen geprägt ist. Und von zwei großen Zigeunermärkten, auf denen handgemachte Ton- Porzellan- und Kupferwaren angeboten werden. Es gibt für jede Konfession mindestens eine Kirche, die evangelischen Kirchen laden auch mit deutschen Ankündigungen zum Gottesdienst, aber der Zuspruch ist dünn. Nicht wegen Kirchenmüdigkeit, sondern weil nach der Wende die meisten deutschstämmigen Familien weggezogen sind. In der aufwändig restaurierten rumänisch-orthodoxen Kathedrale ist ein ständiges Kommen und Gehen, man hört schon auf der Straße die frommen Gesänge. Stühle oder Bänke gibt es in diesen Kirchen ebensowenig wie eine Orgel, einen Chor können wir nicht entdecken, offenbar stammt die Chormusik aus einer raffiniert aufgestellten Stereoanlage und wird von den einstimmenden Kirchenbesuchern verstärkt.
Auf das Stadtmuseum im Hof des alten Rathauses verzichten wir, die Zeit drängt. Als wir per Rad die Stadt Richtung Schäßburg/Sighisoara verlassen, kommen wir an einer Konsummeile vorbei, über deren Zuspruch wir erstaunt sind. Jeder kann hier sein Auto verkaufen und fast alle Leute scheinen hierher per Auto zu kommen. Ein solches Autogedränge haben wir in Rumänien noch nicht erlebt. Doch dann geht es weiter nach Siebenbürgen, zunächst bergauf, so lang und so steil, dass ich streckenweise absteige und schiebe, Jonas tritt kraftvoll bis oben hinauf. Und wir hatten in der Schule mal etwas von einer siebenbürgischen Hochebene gelernt ! Jedes Dorf hier hat einen rumänischen und einen deutschen Namen, überall liegen Kirchen am Wegesrand, die als Burgen genutzt wurden gegen die häufigen Belagerungen und Überfälle.

In Frauendorf besuchen wir ein solches Kirchlein und erfahren, dass der letzte Gottesdienst hier 1997 stattgefunden hat. Alles ist so hinterlassen worden wie nach diesem Gottesdienst, eine Familie im Küsterhaus nutzt die Vorratshütten der Kirchenburg als Ställe und zeigt einzelnen Touristen das Innere der Kirche. Doch die Eintragungen im Gästebuch werden immer seltener, einzelne ausgewanderte Siebenbürgener Sachsen kommen gelegentlich im Urlaub hierher, aber die nachwachsende Generation hat kein Interesse mehr. Trotz großzügiger Unterstützung der Kirchen in Deutschland wird sich der Verfall dieser Kulturdenkmäler nicht aufhalten lassen. Immerhin kann man eine Karte kaufen, auf der alle Wehrkirchen Siebenbürgens eingetragen sind.
Auf halbem Wege nach Schäßburg kommen wir durch Medias, eine Stadt, die ebenso im Saarland oder der Pfalz aussehen könnte. Wir passieren die "Pfandbriefanstalt der Siebenbürgischen Sparkassen", am Hauptplatz ist Kirmes mit Kinderbelustigungen wie bei uns vor 50 Jahren. Auf einer Anhöhe eine große Kirche, die tadellos restauriert ist und eine weltberühmte Orgel beherbergen soll. Wir machen eine kleine Rundfahrt, dann folgen noch 28 anstrengende Kilometer bis Schäßburg. Ausgerechnet die letzten Kilometer muß es noch einmal steil und lange bergauf gehen. In Schäßburg angekommen, nehmen wir die erste Unterkunft, die sich anbietet, ohne nach der Adresse zu suchen, die Radu uns aufgeschrieben hatte: Hotel Sigisoara. 100 km haben mich ziemlich fertiggemacht, mit Gepäck in den Bergen fährt es sich doch anders als ohne. Doch nach dem Duschen und Klamottenwaschen sieht es schon besser aus, und der abendliche Bummel durch die Stadt mit anschließendem Essen macht uns auf morgen neugierig.

Montag, 8.September 2003

Die 113 km, die wir heute nach Kronstadt/Brasov vor uns haben, beschließen wir, lieber auch per Bahn zurückzulegen. So bleibt uns Zeit, bei sonnigem Spätsommerwetter Schäßburg zu erkunden. Zunächst tanken wir bei einem Geldautomaten unsere Barvorräte auf: 7 Millionen Lei (= etwa 190 Euro) müßten reichen. Wir klettern auf die Burg hoch über der Stadt, finden auch das piekfeine Hotel Sigisoara im Biedermeierstil, das mit einem reichhaltigen Angebot auf Touristen wartet und finden die Schülertreppe mit 216 Stufen, die überdacht zum deutschen Gymnasium führt. Das Gymnasium gibt es heute noch, aber Unterrichtssprache ist rumänisch.
Fast drei Stunden braucht der Zug bis Brasov/Kronstadt und kostet pro Person umgerechnet 3,80 Euro. Wiederum fahren wir durch eine gebirgige Bilderbuchlandschaft, auf der Südseite ehemals deutsches Siedlungsgebiet mit Dörfern, die von Wehrkirchen überragt werden, auf der Nordseite ungarisches Siedlungsgebiet mit spitztürmigen katholischen Kirchen. Nach Süden hin sehen wir Berge am Horizont mit alpinen Ausmaßen: die transsylvanischen Alpen. Ein mitfahrender Rumäne kündigt immer vorher besonders spektakuläre Blicke rechts oder links für uns an. Beim Schaffner müssen wir unsere Fahrradkarten kaufen, die Fahrräder fahren teurer als wir, weil man uns den Tarif für aufgegebenes Expressgut "baggage volumineuse" berechnet. Aber wir bekommen ein Dokument dafür, das einzige nachweisbare Andenken über Fahrradtransport in Rumänien, wie wir später feststellen.

In Brasov sind wir erstaunt über die Silhouette der Stadt, die mit Düsseldorf durchaus mithalten könnte. Moderne Glasbauten von Banken und Versicherungen, die alle erst nach der Wende entstanden sind, der Bahnhof wie ein Flughafen, mit Abfahrtanzeigen, auf denen wir unsere einzig mögliche Verbindung ins Land der Moldauklöster ablesen können. Noch heute abend 22.15 Uhr ab nach Suceava, dort an morgen früh 6.30 Uhr. Uns bleiben knapp 4 Stunden Zeit zur Erkundung der Stadt auf unseren Rädern, das Gepäck muß mit. Auch hier gibt es wieder eine große Burg, die uns aber heute zu hoch zum Erklimmen liegt, dafür lassen wir uns in einem Restaurant am restaurierten Rathaus nieder und genießen das geschäftige Treiben um uns herum. Mehrfach werden uns von Passanten Übernachtungen angeboten, und als wir dankbar ablehnen mit dem Hinweis, dass wir bereits den Zug nach Suceava gebucht haben, beglückwunscht man uns und erinnert an die sehenswerten Klöster dort. Hier sind wir nur 170 km von Bukarest entfernt, und dazwischen liegen die transsylvanischen Alpen, kein Wunder, dass Brasov auch ein Wintersportort ist mit den Pisten vor der Tür. Poiana wird immer wieder angepriesen, per Tagestour von hier zu erreichen.

Wir lösen vorsichtshalber 1. Klasse, um nicht in einem überfüllten Abteil zu landen, aber eine Fahrradkarte sollen wir im Zug beim Schaffner lösen. Unser Abteil ist im letzten Wagen, der Zug beginnt in Brasov und endet in Suceava, günstig also zum Ein- und Aussteigen in aller Ruhe. Im Abteil sitzen leider schon zwei Frauen, die sich im Tonfall gegenseitig überbieten und sich unverschämt viel zu erzählen haben. Die Fahrräder bringen wir im Gang unter. Schlafen ist nicht möglich, so versuche ich den Lauf des Zuges an Hand der Bahnhöfe zu verfolgen, auf denen wir halten. Aber dazu reichen meine Erdkundekenntnisse und die mitgeführte Karte bei weitem nicht aus. 457 km sind es bis Suceava, der Hauptstadt der Bukowina im äußersten Nordosten Rumäniens.Wir dürfen die Ankunftszeit nicht verschlafen.
Text

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Rumänien und Bulgarien per Rad zu bereisen traute ich mir zunächst allein nicht zu, also buchte ich eine Gruppenreise, an deren Ende sofort noch eine Zweiertour durch Rumänien, die Ukraine und die Slowakei angehängt und zu einem großartigen Erlebnis wurde
Details:
Aufbruch: 22.08.2003
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 19.09.2003
Reiseziele: Rumänien
Bulgarien
Ukraine
Slowakei
Ungarn
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.