Vietnam - Traum und Wirklichkeit
Freiheit und der Beweis dafür
Ich stelle mir das so vor:
Dein Reisebüro leitet Deinen Visumantrag weiter und muss für die freundliche Gewährung einige Bedingungen erfüllen: Präsidentenpalast, Kriegsmuseum und vor allem Cu Chi. Oder gibt's irgendjemanden, der nicht dort war? Vietnam ist frei, weil es erstens gekämpft hat und zweitens gewonnen hat. Das genügt doch, um frei zu sein? Also so leise Kritik am System klingt durch. Sehr leise bei den Reiseleitern. Also eigentlich schon fast zu laut für das, was für privilegierten Job sie ausüben. Aber immerhin noch systemkonform. Ganz böse waren die Franzosen, aber über den Franzosenkrieg sprechen wir nicht. Zumindest haben sie einen großen Teil der heute noch bestehenden Infrastruktur hinterlassen. Im Unterschied zu den Amerikanern, deren Hinterlassenschaft in Orange Agent-verseuchten Böden besteht, und missgebildeten Neugeborenen selbst heute, 35 Jahre später noch. Also bevor ich lüge, auch einige unzerstörbare Bunker haben sie zurückgelassen. Aber der Krieg ist vorbei, wir sind Freunde und überhaupt. Schließlich ist der US-Dollar Zweitwährung quer durchs Land, ja, und das Land lebt vom Tourismus. Zumindest ist es der erklärte Wille.
Also Präsidentenpalast, der russische T34-Panzer, der ganz allein die Amerikaner besiegt hat. Sorry, vorher mussten zwei Millionen Menschen sterben, aber lassen wir diesem Panzer sein Verdienst. Die Größe des Augenblicks will sich bei mir nicht einstellen.
Dafür finde ich im Kriegsmuseum die, denen der Sieg über die Amerikaner wirklich zu verdanken ist: Hätte es nicht die unerschrockenen Reporter gegeben, die ihre Fotos rund um die Welt geschickt haben, all diese aufwühlenden Bilder und Berichte, die letztlich auch die amerikanische Bevölkerung aufgerüttelt haben, wer weiß, vielleicht würde dieser sinnlose Krieg immer noch wüten.
Nun denn, und natürlich Cu Chi. Dort sieht man einen Teil dieses Tunnelsystems, das der Vietcong errichtet hat, mit Eingängen 25 mal 25 Zentimeter, Fallen, Aufenthaltsräumen, Munitionsfabriken, naja, alles, was man oberhalb der Erde lieber nicht zeigte.
Da sind diese Einstiegslöcher, durch die kein Amerikaner hinein konnte, und wo sie daher so gerne Handgranaten hineinwarfen, auch wenn sich nur Frauen und Kinder drinnen versteckten. Ich bin mit diesen Bildern groß geworden. Also ich müsste es nicht unbedingt sehen. Krieche auch nicht durch so einen Touristentunnel, habe als Kind in Erdhöhlen gespielt, kenne das. Muss ich nicht bei knapp 40 Grad, ist mir lieber mit Fächer draußen.
Tatatatata. Tatattattattatttattta. Schüsse peitschen durch die Luft. Maschinengewehrsalven. Tatatatattatatata.
Frieden? Die Szenerie ist absurd. Klar, es wirkt authentisch. Aber befremdend, dass Touristen gegen gutes Geld Munition kaufen können, um wirklichkeitsgetreu Vietnamkrieg zu spielen.
Was nun ist die Freiheit, die sie meinen?
Vietnam ist eines der letzten verbliebenen kommunistischen Länder. Ich war in meiner Jugend einer dieser linken Revoluzzer, habe in der Folge den realen Sozialismus quer durch Europa erkundet. Da wir manchmal als politische Delegation unterwegs waren, konnten wir viel kritischer hinterfragen als allgemein üblich und gestattet war. Ich erinnere mich an die immer blasser werdenden Gesichter in Ostdeutschland oder der damaligen Sowjetunion. Aber Schein und Gesicht wurden gewahrt.
Mir wurde eingeredet, in Vietnam sei es unhöflich, unerwünscht, über Politik zu reden. Ich bin unhöflich. Nicht dass ich diese Gespräche suche, werde mich auch hüten, zu sagen, mit wem ich was gesprochen habe. Jedenfalls geht es nie von mir aus, aber als politischer Mensch kommt man eben nicht umhin, gewisse Fragen zu stellen.
Ich bemühe mich, höflich zu sein und streiche mal ganz nett die Verdienste der regierenden Einheitspartei heraus: Also, das Land ist unabhängig, soweit ein relativ kleines Land zwischen den Interessen Chinas, Russlands und den USA unabhängig sein kann. Nennen wir es halt Freiheit. Und den Weg dorthin schauen wir Touristen uns eben an. Soll sein.
Männer und Frauen sind offiziell gleichberechtigt, sprich, den Frauen steht alles offen, was auch den Männern offen steht. Dies ist sicher ein gewaltiger Fortschritt gegenüber früher. Nennen wir auch dies Freiheit, mit allen Einschränkungen durch Sitten und Konventionen. Manchmal habe ich den Eindruck, vor allem später bei den Bergvölkern im Norden, dass es eher so ist wie in burgenländischen Dörfern: Der Mann ist der Herr im Haus und die Frau sagt ihm, was er tun soll. Der Handel ist weibliche Domäne, und auch das Geld scheint eher in den Taschen der Frauen eingenäht zu sein. Vielleicht aber auch trügt hier der asiatische Schein.
Und, ja, es gibt Wahlen. Als ich in Hanoi bin, stehen gerade Wahlen bevor. Im Wahlkreis, den ich mir anschaue, kandidieren fünf Volksvertreter, von denen man zwei streichen kann. Nennen wir auch das Freiheit. Man versichert mir, es würde keinen Unterschied machen. Und im übrigen weiß ohnehin keiner die Namen der derzeit Regierenden. Man kennt Ho Chi Minh, man liebt Ho Chi Minh, man verehrt ihn. Besucht ihn in seinem Mausoleum, gibt in Hanoi brav Kamera, Handy, Geld, Regenschirm und Menschenwürde ab, um sich in Zweierreihen formiert angemessenen Schrittes (Kinder innen, damit sie freie Sicht haben) an der unwirklich bleich konservierten Leiche des geliebten Onkels vorbei zu bewegen. Mindestens fünf Meter Abstand, auf Bildern kommt man ihm näher als hier. Wer weiß, wozu das gut ist...
Den Krieg mit China und die permanente Gefahr aus dem Norden muss ich bewusst ansprechen, um darüber zu hören. Was mich zumindest wundert. Sind die Chinesen doch laut, spucken überall hin, und überhaupt, unsympathisch. Zumindest versuchen meine vietnamesischen Freunde, mir dieses Bild zu vermitteln.
Man handelt halt heute fleißig mit China. Auch eine Form von Freiheit.
Und den Beweis für all diese Freiheiten dürfen wir im Präsidentenpalast in Saigon anschauen, im Kriegsmuseum, und in Cu Chi. Der Weg ist das Ziel würde Konfuzius sagen. Oder so ähnlich.
Aufbruch: | 14.04.2007 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 02.05.2007 |
Vietnam