MITTENDRIN IN AFRIKA

Reisezeit: Juni 2007  |  von Uwe Decker

Am Kivusee

Gisenyi, 15. Juni 2007

Ich weiß nicht, ob es in Ruanda einen Wettbewerb "Unser Ort soll schöner werden" gibt. Wenn ja dann hätte Gisenyi allergrößte Chancen, den ersten Platz zu machen. Überall wird gekehrt und in den Parks am Seeufer sind Horden von vorwiegend jungen Frauen und Mädchen damit beschäftigt, die Anlagen von Unkraut und anderem Unrat zu befreien. Am frühen Morgen sind dort, wo einige große Felsen in den See ragen, junge Leute eifrig am Lesen und Schreiben, wahrscheinlich Schüler und Studenten, die sich auf den heutigen Unterricht vorbereiten. Ansonsten bin ich beim Strand- und Parkspaziergang weitgehend allein und werde neugierig beäugt von den Arbeiterinnen. Ich muss schmunzeln bei dem Gedanken, mich hier bis auf die Badehose auszuziehen und mich in die Fluten zu stürzen. Das würde einen Menschenauflauf geben ! Allerdings sollte man beim Baden vorsichtig sein. Giftige Dämpfe steigen an vielen Stellen aus dem vulkanischen Boden auf und halten sich bei Windstille dicht über der Wasseroberfläche. Mein Reiseführer hat einen Ratschlag parat: dort baden wo die Einheimischen ins Wasser gehen. Guter Tipp, ich sehe nur niemanden, der hier badet.

Überhaupt der Reiseführer. Ich habe den Bradt Guide, den anerkannt besten für solche Länder wie Ruanda, erschienen 2006. Seine Halbwertzeit, was Gisenyi angeht, beträgt aber offensichtlich noch nicht mal ein Jahr. Von den genannten Hotels und Restaurants ist mehr als die Hälfte geschlossen, andere werden unter anderem Namen bewirtschaftet.

Gisenyi war früher ein Erholungsort am Kivusee, ein Wochenendresort für die High Society Kigalis. Davon zeugen die vielen in Strandnähe stehenden, aber mehrheitlich verfallenen Villen, die dem Gebiet einen etwas dekadenten Charme verleihen. Am Ende des Strandes versperrt das noble Kivu Sun Hotel mit seinem Privatstrand den weiteren Spaziergang, so dass man einen Bogen laufen muss, um weiter zum wunderschön gelegenen Restaurant "Bikini Tam-Tam" zu kommen. Weiß der Geier, wer auf diesen Namen gekommen ist, aber es sind dort weder Bikini-Schönheiten noch irgendwelche Trommler zu finden. Außer der Kellnerin ist dort niemand anzutreffen, schon gar kein Gast.

Im weiter oben gelegenen Ortskern herrscht reges Treiben auf den Straßen und Märkten. Ich sehe eine Ansammlung von bunt gekleideten Frauen neben einem Areal mit hohen rötlichen Lehmmauern und frage einen der Umstehenden: "Ist da Markt ?" - "Nein, Besuchstag im Gefängnis". Wie auf Bestellung erscheinen im Gänsemarsch in rosa Schlafanzügen gekleidete Männer, von einigen Bewaffneten bewacht. Strafgefangene verrichten auch außerhalb der Gefängnismauern Arbeiten, helfen beim Straßen- oder Häuserbau. Viele sitzen noch seit den Zeiten des Völkermordes ein. Mittlerweile belebt man die alte Dorfgerichtsbarkeit wieder, Gacaca genannt. Die Gefangenen müssen sich der Dorfgemeinschaft stellen, über ihre Taten berichten, Zuschauer des Verfahrens, das meist unter freiem Himmel abgehalten wird, können sich als Zeugen melden und am Ende wird entschieden, ob der Angeklagte reumütig genug ist und die Schwere der Tat es erlaubt, ihn wieder in die Freiheit zu entlassen.

Alles in allem ist Gisenyi ganz nett, aber ein Tag ist für den Ort vollkommen ausreichend, zumal es ab Nachmittag wieder zu regnen beginnt. Später brauche ich sogar eine Jacke. So fällt es mir nicht schwer, beim Abendessen die Entscheidung zu treffen, den zweiten Tag hier zu streichen. Das nehme ich in einem Lokal namens "White Rock" ein, in einem direkt am See gelegenen schönen parkähnlichen Garten. Das Lokal selbst ist zweistöckig, alles neu und modern, mit einem Raum innen, in dem alle Tische fein gedeckt sind, draußen eine überdachte Terrasse mit schönen tiefen Sesseln, in denen man das Fernsehprogramm bei einem "Primus" genießen kann. Unten eine Disco. Meine Hoffnung auf etwas Unterhaltung wenigstens am Freitagabend ist unbegründet. Ich bin der einzige Gast im Lokal und in der Disco warten Türsteher, Kellner und der DJ verzweifelt auf Tanzwütige.

© Uwe Decker, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
- im Afrika der Großen Seen - 23 Tage allein durch Kenia, Uganda, Ruanda, Kongo
Details:
Aufbruch: 02.06.2007
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 26.06.2007
Reiseziele: Ruanda
Kenia
Uganda
Kongo / Demokratische Republik Kongo
Der Autor
 
Uwe Decker berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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