MITTENDRIN IN AFRIKA
Stätten des Grauens
Kigali, 18. Juni 2007
Ich fahre mal wieder Bus. Minibus. Aber nur kurz. Eine Stunde. Und bin ziemlich stolz, den richtigen Bus in dem Wirrwarr des Busbahnhofs allein gefunden zu haben. Der Bus fährt los, wenn er voll ist. Voll heißt, 4 bis 5 Mann, oder Frau, pro Reihe, dort wo drei recht bequem Platz haben.
Es geht, auf guten Straßen, die gerade von der Strabag fertig gestellt wurden, nach Süden, ca. 30 Kilometer. Endpunkt ist es der Ort Nyamata. Mit meinem ersten Fahrradtaxi dieses Urlaubs ...
geht es weiter an den Ortsrand, zur Kirche des Ortes. Die war Schauplatz einer der größten Gräueltaten dieser verdammte 100 Tage des Jahres 1994. 10.000 Menschen, meist Frauen und Kinder, suchten Zuflucht vor den Mördern in der Kirche in der irrigen Annahme, die Häscher würden vor Gotteshäusern zurückweichen.
Sie taten es nicht. Man kann noch gut erkennen, wie mit Granaten die Eingangstür aufgesprengt wurde.
Was sich dann dort abspielte, übersteigt jede perverse Fantasie. Das Altartuch ist noch dunkel gefärbt von Blutflecken, überall an den Wänden Einschusslöcher und längst getrocknetes Blut.
Eine Führerin erzählt ein wenig, aber ich verstehe nicht sehr viel.
Muss ich auch gar nicht. Hinter der Kirche liegen unterirdische, begehbare Kammern, wo viele Schädel und Knochen der Opfer zu sehen sind.
Am Ende der Führung darf ich mich in ein Gästebuch eintragen, das auch einige berühmte Namen beinhalten soll. Dazu wird um eine kleine Spende gebeten und eine kurze Bemerkung. Was soll man da schreiben ? Ich halte mich an meine unmittelbaren Vorgänger aus Südafrika: "Never again".
Ein älterer Mann, wohl der Chef der Anlage, fragt mich, was ich denke nach dem Besuch der Kirche und ob die Menschen in meinem Land wissen, was hier passiert ist. Ich denke schon, antworte ich. Aber sie wissen nicht, welch positive Entwicklung das Land seitdem genommen hat. Das zu vermitteln, dazu will ich gerne beitragen.
Eine weitere Stätte des Grauens, heute Mahnmal, ist ganz in der Nähe zu besichtigen. Dazu muss man mit einem Moped querfeldein über Stock und Stein fahren. Dann steht man irgendwann vor der Kirche von Ntarama. Sie ist viel kleiner als die in Nyamata. Hier fanden etwa 5.000 Menschen den Tod, auf dieselbe Weise wie in Nyamata.
Als ich die Kirche betrete, trifft mich der Schlag. Die Leichen wurden weggeschafft, ein paar Schädel, das scheint wohl unvermeidlich, sind an einer Seite ausgestellt. Ansonsten aber hat man alles so belassen wie es damals nach dem Massaker vorgefunden wurde. Die blutgetränkte Kleidung hängt nun an der Decke und an Wänden und verdüstert den Raum noch mehr.
Die Schuhe sind aufgetürmt, es sind nicht sehr viele, die meisten Menschen waren wohl barfuss. Auch alle anderen Gegenstände sind zusammengetragen, etwas Kochgeschirr, Schmuck, ein Polaroid-Bild von einer Familie, die es nicht mehr gibt, ein Schulheft eines kleinen Mädchens. Das Mädchen mit einem dieser langen unaussprechlichen ruandischen Namen hat mit ihrer schönsten Handschrift ihren Namen und ihre Klasse, die Erste, auf das Heft geschrieben. Sie hat wohl gedacht, sie könne ihr erworbenes Wissen noch einmal anwenden. Sie konnte es nicht. Ihr kurzes Leben endete in dieser Kirche.
Eine junge hübsche Dame fungiert als Führerin in der Kirche. Sie gibt aber nur sporadisch ein paar Informationen, hämmert ansonsten auf ihrem Handy herum und entlockt ihm immer neue Klingeltöne. Klar, das hier ist Routine für sie, ihr Verhalten passt nicht zu der düsteren Botschaft dieser Stätte. Aber ich bin ihr fast dankbar für diese Ablenkung. Das hier wäre sonst nicht auszuhalten.
Gerade rechtzeitig zur Abfahrt des Busses nach Kigali komme ich wieder in Nyamata an und zwänge mich als letzter in den Kleinbus. Ist ja nur für eine Stunde.
Am Nachmittag wieder Kontrastprogramm. Das Bier gestern im Mille Collines war billig und gut, die Kartoffelchips auch. Also wieder hin zur Happy Hour. Dieses Mal mache ich ein paar Aufnahmen vom Pool. Sie sind auf dem Fotochip nun unmittelbar hinter den Schädeln der Kirchen gespeichert. Wie gesagt, Kontrastprogramm. Ruanda heute.
Auch die Girls sind wieder da, heute noch zahlreicher. Sie warten sicherlich auf die Rückkehr der Kongressteilnehmer. Wäre mal interessant zu beobachten, wie die das Thema, über das sie tagsüber konferieren, später am Abend dann in der Praxis, sozusagen am lebenden Objekt, handhaben.
Als ich wieder ins Hotel komme, gibt es gerade Ärger an der Rezeption. Ein großer, dicker Gast in buntem Anzug, offensichtlich auch einer von der Tagung, beschwert sich heftig und sehr laut über eine seiner Meinung nach viel zu hohe Telefonrechnung. Ich werfe einen kurzen Blick auf sein Namensschildchen. Hätte ich mir doch denken können. Delegation der DR Kongo. Diese Typen kannste alle abhaken.
Aufbruch: | 02.06.2007 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 26.06.2007 |
Kenia
Uganda
Kongo / Demokratische Republik Kongo