Buddha kichert leise
Kalte Füße - warme Herzen
Unsere Kinder in Tram Tau
Wir eilen durch die kalte Halle des Mountain View Hotels in Sapa. "Where are you now?" hat uns wenige Minuten zuvor wie üblich Ker angerufen, um sich mit glockenheller Stimme zu vergewissern, dass wir das Treffen eh nicht vergessen haben. Sie ist pünktlich und verlässlich wie immer. OK, wir auch. Johnny war kurz vor acht doch noch mit unseren Schuhen erschienen. Ganz trocken waren sie nicht, aber ich zahlte ihn trotzdem aus. Ohne Strom reitet selbst John Wayne vergebens. Als wir die Zimmerschlüssel beim Portier abgeben, meint dieser, nach uns habe jemand gefragt. Sie ist jetzt Essen gegangen. Messerscharf schließen wir, es muss sich um eine World Vision-Mitarbeiterin handeln, die gekommen ist, um uns morgen abzuholen. Er soll ausrichten, dass wir in ca. eineinhalb Stunden wieder zurück sind. Ich will die gute Frau schließlich nicht enttäuschen und warten lassen, andererseits hatten wir den Abend aber für Ker reserviert. Wie gewohnt empfängt uns diese vor dem Hotel mit strahlendem Lachen. Wir diskutieren einige Minuten, wo wir hingehen wollen. Irgendwohin, wo es warm ist, meine ich, obwohl mir sowieso klar ist, dass Ker schon längst die Entscheidung getroffen hat. Aber wir spielen gutwillig mit und landen in einem weiteren Billardlokal. Auch hier kennt das Mädel jeder, aber ist ja gut so. Da es uns ohnehin egal ist, soll sie ihren Spaß haben.
Sie weiß, was uns behagt - und es ist auch wirklich relativ warm - und recht gepflegt. In diesem Lokal im ersten Stock stellt man uns sogar einen Griller mit richtigem Holzfeuer vor die Füße - nicht wie sonst überall nur zart glosende Holzkohle. Solange man Haube und Handschuhe anbehält, richtig gemütlich heute Abend! Noch bevor dieser allerdings richtig begonnen hat, müssen wir leider Abschied nehmen. Ich mach es recht schnell, damit mir nicht die Tränen kommen und frage noch, ob Ker morgen Früh kommt, um uns zu verabschieden. Klar kommt sie. Abschied auf Raten...
Zurück im Mountain View Hotel erwartet uns bereits Tinh, wie sie sich vorstellt. Ein kleines Mäuschen, das sich sehr streng und offiziell gibt und uns mit amtlichem Blick die "Agenda" für morgen überreicht. Das Gesichtchen unter der dicken Pudelmütze sieht ja eigentlich lieb aus. Mädel, Dich werden wir schon noch auftauen, beschließen wir, indem wir drei uns spontan zuzwinkern. Ehrlich gesagt wäre ich an ihrer Stelle auch verunsichert. Sie macht ihre Sache gut, indem sie streng organisatorisch auftritt. Die Zimmer in Nghia Lo kosten 100.000 Dong, meint sie. Irgendwie sagt mein Gefühl, dass da was faul ist an der Sache. Das muss entweder ein Hühnerstall oder ein Langnasenirrtum sein.
Wir fragen Tinh, ob man in Yen Bai oder Nghia Lo warme Hosen für die Kinder findet, hier in Sapa sind wir nicht fündig geworden. Sie meint, das wäre nicht nötig, die Kinder seien ausreichend mit warmen Sachen ausgestattet. Den restlichen Abend will Tinh nicht mehr mit uns verbringen, sie ist müde. Ich glaube es ihr, sie sieht auch ziemlich geschafft aus. Den Grund werden wir morgen am eigenen Leib erfahren, aber das wissen wir jetzt noch nicht. Uns ist das nicht ganz unrecht, schließlich müssen wir wieder einmal unsere Rucksäcke packen, das heißt, wieder einmal auch die verschiedenen Geschenke vorbereiten.
18.02.2008, später Vormittag
Mit wackeligen Knien stehen wir über einem schmalen Fluss und lassen uns die kleinen Orangen schmecken, die hier am Straßenrand zu Bergen aufgetürmt auf den Verkauf warten. Wer in Gottes Namen wird solche Mengen Orangen kaufen? Unser Fahrer hat hier zu einer kleinen Rast haltgemacht und gleich mal einen Sack voll zwischen unsere Rucksäcke gequetscht.
Tinh schneidet uns die Früchte in mundgerechte Spalten und wir blicken über das Flüsschen auf die liebliche Landschaft, während uns der klebrige Saft von den Fingern tropft.
Pünktlich um acht Uhr Früh stand ein blitzender, nagelneuer Toyota-Allrad vor dem Hotel, sodass es ein viel zu schneller Abschied von Ker wurde, die bereits in der Hotelhalle auf uns gewartet hatte. Am liebsten hätte ich das Mädchen eingepackt und mitgenommen. Ein absurder Gedanke, der mich durchzuckte, und in derselben Sekunde verworfen wurde. Niemals könnte sie wahrscheinlich wo anders glücklich sein, auch wenn ihre Zukunft hier ausweglos erscheint.
Wir kommen wieder, um koj ngod hai zu sagen, versprochen!
Unser Toyota ist inzwischen nicht mehr als solcher erkennbar. Er ist mit einer grauen Schlammmasse überzogen, als hätten wir mit diesem Gefährt einige Reisfelder gepflügt. Dabei fahren wir nur eine der Hauptstraßen entlang, die von China nach Vietnam führen. So etwas würde bei uns nicht einmal ein Bergbauer als Hofzufahrt akzeptieren. Ein einziges Schlagloch mit einigen Asphaltbrocken dazwischen. Endlich ist mir klar, warum wir für knapp 200 Kilometer den ganzen Tag brauchen sollen...
18.02.2008, 20 Uhr.
Hier in Nghia Lo landen wir beim Abendessen einen Treffer. Zwar fehlt optischer Firlefanz, aber wir essen nach langer Zeit wieder einmal höchst vorzüglich. Uns werden Berge von Gemüse auf den Tisch gestellt, das würde locker für zwanzig Leute reichen, dazu Unmengen meist undefinierbarer Köstlichkeiten. Auf unsere entsetzten Blicke meint Tinh lächelnd, es würde nur verrechnet, was wir nehmen. Na dann...
Wir bekommen einen Propangaskocher auf den Tisch mit einem Riesentopf Suppe, in die wir alles werfen, was wir essen wollen.
Suppenfondue. Nehmen wir in Zukunft auch wieder in unseren Speiseplan zu Hause auf, sind wir uns einig. Schmeckt wirklich alles frisch und wunderbar. Und man verrechnet uns einen Einheimischenpreis. Danke Tinh, das hast Du super gemanagt!
19.02.2008
Heute ist der große Tag. Pünktlich erwartet uns Tinh mit unserem Fahrer.
Die Inflation für Langnasen im Nghia Lo Hotel hat über Nacht nochmals zugeschlagen. Der Preis fürs kleine Zimmer ist nun plötzlich von bereits 200.000 auch wie das große auf 300.000 Dong gestiegen, was uns doch ein wenig irritiert. Das Hotel ist zwar wunderschön und eigentlich auch um diesen Preis noch billig, aber mit diesen Methoden verdienen sie zukünftig eigentlich keine Gäste. Tinh bemüht sich vergeblich zu reklamieren, nachdem ja bereits gestern der Preis sich verdoppelt hatte. Eigentlich sind für uns 100.000 Dong keine Summe zum Streiten, aber die würden das beim zehnfachen Preis genau so machen. Wir lassen uns die Laune nicht verderben.
Nach einem herzhaften vietnamesischen Nudelsuppenfrühstück schraubt sich unser Wagen das lange Tal nach Tram Tau hoch. Das Wetter ist wie gewohnt nass-kalt, doch zumindest die Sicht ist ausreichend, sodass wir die Landschaft zumindest mit den Augen genießen können. Eher kein Fotowetter, aber das ist schließlich nicht der Grund unseres Kommens.
Plötzlich öffnet sich das Tal und wir fahren über eine Brücke nach Tram Tau. Der Ort wirkt überraschend groß, fast städtisch, und vor uns entfaltet sich die typische Szenerie eines nordvietnamesischen Bergdorfes. Laden an Laden gereiht, es wird alles zum Verkauf angeboten, was man bei uns schon seit Jahrzehnten nicht mehr bekommt, Mopeds kreuz und quer, und dazwischen große und kleine Gruppen von Frauen und Mädchen in bunten Trachten.
Wie immer die Frage, wo eigentlich die Männer sind. Das Straßenbild beherrschen die weiblichen Flower H'Mong, die zwanzig Prozent Thai sind kaum wahrnehmbar. Wir machen vor dem World Vision-Büro halt und werden vom gesamten Team freundlich begrüßt.
ADP-Manager Son stellt uns den Buchhalter Kien und die Projektassistenten Nam und Ha, sowie die Volontärin Nga aus Hanoi vor.
Tinh kennen wir ja bereits. Obwohl das Team völlig neu ist, wirkt alles bereits gut eingespielt. Kompliment für diese professionelle Arbeit! Son scheint ein perfekter Manager zu sein. Was uns besonders positiv auffällt: Die World Vision-Präsenz hier wirkt vorbildlich sauber und ordentlich - ohne zu protzen. Man kommt offensichtlich auch ohne patzigen Geländewagen aus, man findet mit Mopeds das Auslangen. Natürlich kann das mühsam sein, weil zum Beispiel unser gespendeter Fernseher noch nicht an die betroffene Schule geliefert werden konnte.
Der Transport auf dem Moped ist nicht möglich, solange die Wege noch im Schlamm versinken.
Nachdem wir unseren Begrüßungstee getrunken haben, machen wir uns auf den Weg zur ersten Schule, wobei uns das Team auf Mopeds vorausfährt.
Diese Schule besteht aus mehreren Gebäuden und liegt etwas über dem Tal. Direktorin und Lehrerteam begrüßen uns und zeigen uns, dass unser Computer seine richtige Bestimmung gefunden hat.
Das erste Patenkind, das wir sehen, ist Elfis dreijährige Giang vom Volk der H'Mong, das jüngste Kind im Projekt.
Die gesamte Klasse ist versammelt und bestaunt uns etwas scheu mit kullergroßen Augen. Giang ist heute mit ihrer Mutter gekommen.
Es wird auch bald das erste Geschwisterl geben. Leider sehen wir nicht viel von der schönen Tracht der Mutter, weil sie darüber dick winterlich vermummt ist. Im Gebäude ist es natürlich nicht wärmer als im Freien. Giang fremdelt erstaunlich wenig und als sie die Aufgabe bekommt, an die anderen Kinder unsere kleinen Mitbringsel zu verteilen, macht sie das auf fast professionelle Art und Weise.
Ohne jede Scheu bringt uns die kleine Giang auch ihr Ständchen. Schon wirklich beeindruckend und wir sind sehr stolz auf unser entzückendes Patenkind.
Schließlich verabschiedet uns die Klasse mit einem Lied, wir müssen leider weitereilen, da wir noch ein großes Programm vor uns haben.
Zur nächsten Schule kann unser Allrad nicht ganz hin, was ja schon einiges sagt. Also legen wir das letzte Stück zu Fuß zurück, wodurch wir Gelegenheit haben, die Landschaft zu bestaunen.
Die Wolken haben sich über den Reisterrassen ein wenig gelichtet, sodass sich eine traumhaft schöne Kulisse vor unseren Augen auftut. Was macht schon das bisschen Schlamm? Von Sapa sind wir wahrlich Ärgeres gewohnt.
Das nächste Patenkind ist Minh, eine wunderhübsche kleine Thai-Prinzessin, die mit Vater und Mutter gekommen ist, und die uns während unserer gesamten Anwesenheit anstrahlen, dass ich sie am liebsten umarmen würde.
Haben wir nicht unterschrieben, Körperkontakt zu vermeiden? Eben! Ansonsten sehen wir nur einen großen Teil des Lehrerteams, die Kinder haben wegen der Kälte heute frei.
Wie immer verblassen alle anderen Geschenke, wenn wir die Stofftiere herauszaubern.
Auch Minh liefert uns ein Ständchen, umringt von zwei Dutzend Riesen. Hochachtung auch vor diesem kleinen Mädchen!
Im Schulhof daneben üben die großen Kinder inzwischen für irgendeine Vorstellung. Ich würde gerne länger zuschauen, aber es heißt Aufbruch, der Tag ist kurz.
Auf ins nächste Dorf. Bei der nächsten Schule sollen wir den Unterricht nicht stören. Schade, wäre sicher ein großes Hallo gewesen, aber ich verstehe es. Wir warten also das Unterrichtsende ab und schlendern zu Fuß durch den Ort.
Zwischen den Reisterrassen wird gerade die Fertigstellung eines neuen Hauses gefeiert und uns kommen die ersten Festgäste entgegen, die wieder nach Hause streben. Hundert Mal Xin Chao und hundert Mal Hände schütteln. Wir kommen uns wie Staatsgäste vor, wohltuend, wenn man aus Touristenzentren angereist kommt.
Hier wirkt die Freundlichkeit noch echt und unverdorben, und man fordert uns lächelnd auf, Landschaft und Dorf zu bewundern, was wir ohne heucheln zu müssen auch ausgiebig machen.
Endlich erreichen wir die nächste Schule, wo wir bereits von der Direktorin erwartet werden, die uns mein Patenkind Cuong mit seinem Vater vorstellt.
Der neunjährige Cuong vom Volk der Thai ist das Kind mit der Nummer 1. Eine würdige Nummer 1, obwohl er es nicht ganz geschafft hat, seine Kleidung bis Mittag sauber zu halten.
Mehrfach entschuldigen sich der Vater und die Direktorin dafür. Meine Güte, wie kann sich bei diesem glitschigen roten Lehm überhaupt jemand sauber halten? Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verbeißen. Also mir reicht es, dass Cuong lieb ist. Der Junge wird sicher einmal der Schwarm aller Mädchen, hoffentlich merkt er das nicht zu früh. Den mitgebrachten Fußball nimmt er noch relativ gelassen entgegen, beim knallroten Ferrari allerdings kann er das Lächeln nimmer vermeiden, überhaupt als ich ihm noch ein Polizeiauto dazugebe, um den Ferrari wegen Schnellfahrens abstrafen zu können.
Inzwischen ist der Tag vorgerückt, und es heißt, zurück in die Stadt zu fahren, wo wir gemeinsam mit dem gesamten Team wirklich ausgezeichnet zu Mittag essen.
Nun kommt der überraschendste Teil unseres Besuches, den man bis zum Schluss aufgespart hat. Man wollte wohl den Schock so lange wie möglich hinauszögern. Nun ist nichts mit Auto, es sei eine schmale Brücke zu überqueren und drei Mopeds warten vor dem Büro auf uns.
Wir müssen uns mit Helmen verkleiden und hinten aufsitzen. Das mit der schmalen Brücke war eher als Beruhigungspille zu verstehen, sonst hätten wir vielleicht dankend abgewunken. Ja, irgendwo gibt es schon auch eine Brücke, stimmt! Die eigentliche Herausforderung ist jedoch, dass wir durch Schlamm und über Stock und Stein hoch in die Berge hinauf müssen. Unsere Fahrer würgen ihre Mopeds mit den langnasigen Monstern hinten drauf den Berg hinauf, oft nur knapp die Abgründe entlang rutschend. Mut lässt sich nicht kaufen, warme Kleidung jedoch sehr wohl, nur leider haben wir nicht ausreichend dabei. Es wird mit zunehmender Höhe immer kälter, langsam lässt auch die Vegetation nach, und wären nicht zwischen drin immer wieder Reisterrassen, würde die Landschaft an österreichische Hochalmen erinnern. Als wir bei der Bergschule von A Khua ankommen, kippen wir steif gefroren von den Mopeds.
Sofort fallen uns die Kinder auf, die barfuss umherlaufen. Meine Güte! Blau gefrorene Füße! Die hab ich auch schon in Sapa gesehen, aber eher bei Erwachsenen. Auch in der Klasse sind einige Kinder barfuss am kalten Fliesenboden.
Auch unser A Khua von den H'Mong. Spontan beschließen wir, allen Kindern Schuhe zu kaufen. Es werden 22 Paar, wie sich später herausstellen wird.
Eigentlich ist heute wegen der Kälte schulfrei, aber die Neugier ist offensichtlich größer, es sitzt eine ganze Gruppe beieinander, und im Laufe unseres Besuches werden es immer mehr, bis die Klasse fast voll ist.
Unsere Anwesenheit scheint sich in Windeseile über die Reisterrassen verbreitet zu haben, Die Schule ist nagelneu, ein Gebäude noch im Bau, und so weit wir sehen können, recht gut ausgestattet. Mir fällt auf, dass das gesamte Schulwesen in Vietnam offensichtlich in weiblichen Händen ist. Noch niemals habe ich einen Lehrer gesehen.
A Khua ist sehr lieb und wirkt trotz Down-Syndroms sehr aktiv. Auch er singt ein Lied für uns, was mich schon wirklich sehr stark beeindruckt. Er hat ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter. Auf meine Frage, was sie brauchen könnte, meint sie, sie hat alles was sie zum Leben für ihre Familie braucht. Als ich auf A Khuas nackte Füße blicke, hege ich gewisse Zweifel.
Zum Schluss lernen wir noch A Khuas große Schwester kennen und den Vater, der zur Feier des Tages in einem dunklen Anzug kommt.
Irgendwie sieht dies in all dem Schlamm hier oben am Berg grotesk aus, aber wir fühlen uns sehr geehrt.
Im World Vision-Büro will ich die Lixi-Kuverts für die Kinder hinterlassen. Es ist nicht erlaubt, Geld zu schenken. Das sind Zweidollarnoten, kein Geld, Lixi. Seufzend stellt Son für jeder Zweidollarnote eine Bestätigung aus.
Warum man hier in der Gegend keine Gräber sieht wie im Flachland. Die Thai verbrennen ihre Toten, damit sind sie keine Gefahr für die Lebenden. Die H'Mong begraben weit weg von den Häusern. So weit finden die Geister wohl nicht heim. Ernst und traurig schaut Buddha über unsere Köpfe hinweg. Ich werde ihm zur Beruhigung in Hanoi etwas spenden.
Zum letzten Mal heißt es Abschied nehmen, auch hier mit dem Versprechen wiederzukommen.
Ein unendlich langer Weg nach Hanoi steht uns bevor.
Aufbruch: | 31.01.2008 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 26.02.2008 |
Laos