Buddha kichert leise
Überraschungen
Unsere Kinder in Hon Dat
Leicht vibrierend setzt unsere zweimotorige Turbopropmaschine auf dem Flugfeld von Rach Gia auf.
3. Februar, ein sehr ruhiger frühmorgendlicher Flug hat uns von Saigon über die sattgrünen Felder des Mekong-Deltas geführt. Schnurgerade Kanäle teilen das Land in verschieden große Rechtecke, Straßen sind deutlich in der Minderheit.
Zu Fuß gehen wir durch den erwachenden Morgen zum Flughafengebäude. Das Gehen stellt keine Gefahr dar, da unsere Maschine das einzige Flugzeug auf diesem Flughafen ist.
Nicht einmal irgendein Rübenbomber hat sich hierher verirrt. Wir sind etwas verblüfft vom großen, modernen Gebäude. Als wir durch die großen Glasflächen beobachten wollen, ob unsere Rucksäcke ausgeladen werden und nicht nach Phu Quoc weiterfliegen, wird unsere Bordkarte überprüft. Es kommt wohl nicht gerade häufig vor, dass hier ein Tourist aussteigt und nicht in der Maschine nach Phu Quoc sitzen bleibt. Legen wir die Kontrolle also als Hilfsbereitschaft aus. Elfi meint, wir sollten uns so hinstellen, dass wir erkannt würden von den Leuten, die uns abholen. Also ich denke, wir sind unüberseh- und unverwechselbar als drei Weiße unter vielleicht zehn oder fünfzehn Vietnamesen, die mit uns ausgestiegen sind.
Und richtig, eine Gruppe von vier Vietnamesen kommt winkend und lachend auf uns zu.
Richtiger Staatsempfang mit Blumen. Die Freundlichkeit ist im wahrsten Sinn des Wortes körperlich zu spüren, wir fühlen sofort: nicht einfache, unverbindliche Freundlichkeit, sondern Gastfreundschaft, bei der die Betonung vor allem auf Freundschaft liegt.
Freudestrahlend begrüßt uns Yen in perfektem Deutsch. Ihr "rrrrichtig!" wird uns den Rest des Lebens fehlen. Wir sind verblüfft, hatten wir doch mit einem Englisch-Dolmetsch gerechnet. Sie macht uns mit dem Gemeindehelfer Don bekannt und mit der Helferin Huong, die die Frauengruppe leitet. Und natürlich dem Fahrer, der unser Gepäck im neu wirkenden, gemieteten Mercedes-Kleinbus verstaut.
Huong wirft sich auf den Sitz neben mich und beginnt begeistert meinen Unterarm zu streicheln und mit ihrem zu vergleichen. Die Winterblässe meiner Haut hat es ihr angetan, und ich habe das aufkeimende Gefühl, jeden Moment vernascht zu werden. Da entdeckt sie meinen Bauch und ihre Begeisterung schlägt in Ekstase um. Langsam wird's brenzlig, also versuche ich, ihre Begeisterung zu dämpfen, indem ich ihr zeige, dass nicht alles Bauch ist, was sich wölbt, sondern ein großer Teil davon meine Umhängtasche mit Reisepass und Geld, indem ich diese hin und her schiebe. Diese Demonstration hat die verkehrte Wirkung, Huong fällt fast in Ohnmacht vor Lachen, weil sie meint, ich könnte meinen Bauch hin und her schieben. Was bleibt mir also anderes übrig, als unstatthaft mein Hemd aufzuknöpfen und der guten Huong meinen Umhängbeutel zu zeigen. Das macht mich erst recht zum unvergess-lichen Unikum der Provinz Kien Giang. Den ganzen Tag wird Huong allen Leuten, denen wir begegnen, activitymäßig vorführen, welch überaus lustiges Gebilde ich da vor mir herumtrage.
Mit der im wahrsten Sinn des Wortes an mir hängenden Huong fahren wir zuerst in unser Hotel, das sich noch als Baustelle entpuppt. Da der Hotelbesitzer den Verein unterstützt, ist es nahe liegend, dass wir hier untergebracht werden. Wir werden wie alte Freunde empfangen und sofort mit Tee bewirtet. Die Zimmer im Kim Son sind sehr groß und gut eingerichtet, durch die Bauarbeiten sind die Möbel allerdings ein bisschen staubig.
Weil wir früh am Morgen ankommen, sind die Zimmer natürlich noch nicht fertig und das Zimmermädchen findet aus lauter Neugierde immer wieder etwas, was noch zu tun wäre oder fehlen könnte. Ich überlege gerade, ob ich ihr die Freude machen soll, mich zum Duschen vor ihren Augen auszuziehen, als sie doch Anstalten macht, das Zimmer zu verlassen.
Nach nochmaliger Teebewirtung in der Halle, während der noch die Englisch-Lehrerin dazu kommt, fahren wir ins Zentrum von Rach Gia, um zu frühstücken.
Am Wege müssen wir das Denkmal von Nguyen Trung Truc besichtigen, dem angeblich ersten Kämpfer gegen die Franzosen, der aus Rach Gia kam. Die Stadt ist überraschend groß und wirkt recht gepflegt - zumindest halt das Zentrum. Laut Yen ist es eine relativ neue Stadt und gilt mit einigen hunderttausend Einwohnern für vietnamesische Verhältnisse als klein.
Am künstlichen Fluss, der angelegt wurde, um Hochwässer im Mekong-Delta zu vermeiden, nehmen wir auf einer wunderschönen Restaurantterrasse Platz, um unser Nudelsuppen-frühstück einzunehmen. Wir können uns aus dem Angebot der tausend Suppen nicht entscheiden (wie auch?), daher übernimmt Yen die Bestellung. Während ein Lastkahn vergeblich mehrere Anläufe nimmt, um den Fluss gegen die Strömung zu bezwingen, versuchen wir, unsere Suppenschüsseln zumindest so weit zu leeren, dass es nicht beleidigend wirkt. Wie kann man nur in der Früh schon so viel essen? Nach dem Frühstück stürzt sich Huong auf Elfis Unterarme, sodass ich in Ruhe die Landschaft genießen kann, die auf unserem Weg nach Hon Dat an uns vorbeizieht. Die gesamte Strecke ist mehr oder weniger ein Straßendorf, das maximal ein oder zwei weitere Häuserreihen nach hinten reicht. Vorne sind immer die teuren Grundstücke, weil es da möglich ist, im Erdgeschoß einen Laden zu führen. Je weiter hinten, desto billiger und ärmlicher...
Jeder Kanal, den wir überqueren, schenkt tiefe Einblicke ins Land - Palmen, Bananenstauden, und vor allem Reisfelder. Im vermutlichen Ortszentrum von Hon Dat lassen wir die Altenhelferin des Vereins zusteigen, sodass unser Bus nun mit neun Leuten voll besetzt ist.
Zwischen irgendwo und nirgendwo hält unser Fahrer, und als wir aussteigen, empfängt uns am Straßenrand Sabines Patenkind Kha mit ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder. Wir sind überrascht, da es geheißen hat, wir fahren zuerst zu Don. Aber passt schon, wir sind eh da.
Nach einigen Fotos sind es nur vielleicht dreißig Meter, die Dons Haus abseits der Straße liegt. Unsere nunmehr zwölf Leute umfassende Gruppe wird von Dons Großfamilie begrüßt, langsam verliere ich die Übersicht. Fast übersehe ich die arme Huyen. Mein Patenkind erwartet mich hier bei Don. Keine Ahnung, welche Hände ich bereits geschüttelt habe und welche nicht, Tee trinken heißt Platz nehmen, nehme ich Platz, ist es schwer, nicht geschüttelte Hände zu fassen. Was beleidigt mehr: Sich nicht zum Begrüßungstee zu setzen oder die restlichen Hände nicht zu schütteln? Wie soll ich mich in dem Trubel um die Patenkinder kümmern? Ich brauche Yen zum Übersetzen, aber da ist nur Huong, deren Vietnamesisch mir nicht wirklich weiterhilft. Versuche es mit Zeichensprache. Tee trinken. Don will mir was sagen, ah, da ist Yen! Ich versuche den Dialog nach allen Seiten, während nunmehr Yen bemüht ist, den Überblick zu wahren.
Jedenfalls packe ich jetzt einmal die Geschenke aus. Die Frage, wie man die Haarspangen befestigt, überfordert mich, also mache ich einige Fotos, um von meiner Unwissenheit abzulenken. Wären ja keine Vietnamesen, würden sie nicht ohnehin in wenigen Minuten herausgefunden haben, wie das funktioniert. Rrrrichtig! Endlich taut Kha auf und immer öfter überzieht ein strahlendes Lachen ihr Gesicht, während meine Huyen weiter verkrampft bleibt. Naja, mit vierzehn ist man einfach nicht mehr locker wie ein Kind, ihr ist das alles offensichtlich sehr unangenehm und ich versuche auch nicht, sie all zu sehr zu fordern. Nicht leicht, da einen Mittelweg zu finden. Sie wird endlich erlöst, wir brechen auf. Als ich hinter dem Tross hereilen will, zupft mich Huong am Ärmel. Huyen will mir ihr Fahrrad zeigen. Der Lenker ist bereits ein bisschen rostig, wohl kein Wunder bei diesem Klima. Chinesische Qualität, erklärt Yen. Trotzdem schon ein wenig zeitig nach erst einem halben Jahr!
Nach einem kurzen Weg stehen wir an einem Kanal, wo wir in ein Boot steigen sollen. Zu unserem Erstaunen erfahren wir, dass wir ins Boot von Kha's Vater verfrachtet werden, da keine Straße zu dessen Haus führt. Die Überraschung ist perfekt, das Erlebnis ein außergewöhnliches. Vorbei an Töpfereien, Palmen, Sargtischlereien, Bananenstauden, Fischerhütten, Feldern, Booten geht es eine halbe, dreiviertel Stunde, bis wir bei Kha's Haus landen.
Vor dem Haus kocht Kha's größere Schwester, sie nickt uns schüchtern zu.
Im Haus muss ich auf der Bettstatt Platz nehmen, auf der Ho Chi Minh sitzt, sorry, es ist der Großvater, weiß gekleidet und mit ehrwürdigem Bart. Der alte Herr ist mir sofort sympathisch, schade, dass das Gespräch durch die Übersetzung sehr schwerfällig ist.
Einige Dutzend davon haben sich mittlerweile vor dem Haus eingefunden, vielleicht sind es doch nur Nachbarskinder.
Ich habe keine Zeit zu fragen, der Tee wartet und wir bekommen Knabbergebäck, da Yen und Don ablehnen, dass wir bei der Familie essen. Wäre auch ein bisschen viel verlangt, so viele Leute zu bewirten, abgesehen davon, dass es unser Zeitplan nicht wirklich erlaubt. Bis Mittag haben wir noch einiges vor.
Kha zeigt uns ihre Auszeichnungen, die an der Wand hängen, das Mädchen zählt zu den besten Schülerinnen. Und schwuppdiwupp stehen sie und ihre Schwester mit ihren Fahrrädern im Zimmer. Kha hat ihres angeblich von Sabine gespendet bekommen, die Schwester vom Verein. Als ich später Sabine frage, weiß sie nichts davon. Nun gut, Hauptsache, die Mädels können in akzeptabler Zeit die Schule erreichen.
Yen treibt zum Aufbruch, aber vorher noch vors Haus, Gruppenfoto. Ich denke mal, die drei Buben, die sich dazustellen, werden wohl Cousins sein. Man nennt in Vietnam sogar Nichten und Neffen Geschwister, wie mir Quynh Anh vor einigen Wochen im Internet erklärt hat.
Als wir wieder ins Boot steigen, will sich Kha verabschieden. Es fällt mir nicht schwer, sie zu überreden, dass sie noch einmal mitkommt. Inzwischen hat sie sich mit uns angefreundet und frisiert im Boot glücklich ihr Stofftier, das wir ihr mitgebracht haben. Auf halber Strecke legen wir an. Wir besuchen ein Kind, das neue Pateneltern sucht.
Vorbei an zwei ärmlichen Häusern landen wir in einem dritten, wo spürbare Konfusion herrscht. Ich sehe Don erregt reden und gestikulieren, während ich gerade ein schlafendes Baby fotografiere. Das Patenkind ist nicht da, erklärt mir Yen etwas aufgeregt. Die Hausbewohner deuten uns - ebenfalls aufgeregt - dass wir uns niedersetzen sollen, Tee trinken, was essen, Don strebt verärgert Richtung Ausgang, Yen versucht die Gemüter zu beruhigen. Die Verzweiflung der Leute ist spürbar, ich merke den Druck in meinem Magen. Egal, ich treffe eine Entscheidung und setze mich, nehme den angebotenen Tee. Widerwillig bleibt Don stehen, während sich Yen zu mir setzt und mir die Lage erklärt. Ngan, wie das Mädchen heißt, musste anlässlich des unmittelbar bevorstehenden Tetfestes einen Verwandtenbesuch machen. Halbwaise, einziges Kind, also ich verstehe das. Vielleicht war es dem armen Mädchen auch nur Recht, dieser bevorstehenden Situation entfliehen zu können. Ich lasse mir den Namen des Kindes aufschreiben, man will mir ein Foto von ihr mit ihrer Mutter mitgeben. Ob es da noch ein zweites gibt. Nein. Ich kann doch nicht das einzige Foto mitnehmen, also trinke ich einen Schluck Tee, geh ins Freie und versuch ein Foto vom Foto zu machen. Wird schon so passen. Das Mädchen geht schon elfte Klasse und will weiter lernen, eine Ausbildung machen, lass ich mir die Worte der Mutter übersetzen. Sie ist Hilfsarbeiterin und allein... Ich meine, wir werden das Mädchen unterstützen, was auch immer es weiter lernen will, bis zum Ende der Ausbildung. Als der Mutter Tränen über die Wangen rinnen, verabschiede ich mich rasch. Keine Ahnung, ob man als Mann Tränen zeigen darf in Vietnam. Ich kämpfe jedenfalls damit.
Ein Haus weiter stoppt uns ein fröhlicher Junge, auch ein Patenkind. Kein Platz mehr für Traurigkeit, wenn einen dieser Junge anstrahlt. Sein Pate zahlt, interessiert sich aber ansonsten nicht fürs Kind. Schade, dieser Bub hätte echtes Interesse am Kontakt.
Zurück ins Boot, es geht nach Hon Dat. Im Ortszentrum steigen wir aus. Ich merke, dass Kha nicht mehr mitkommt und laufe zurück. Ich kann ihr und ihrem Vater gerade noch nachwinken.
Besuch bei Linh, Helgas Patenkind. Ich erkenne sie sofort, sie ist eine echte Schönheit, soweit man das von einem Kind so sagen darf. Formvollendet faltet sie die Hände und verneigt sich. Ach Mädchen, wir wissen es zu schätzen, aber der Kaiser von China ist weit! So geschreckt ist sie ohnehin nicht, sie findet Unterstützung durch ihre Freundin, und ihre süße kleine Schwester weicht keinen Millimeter von ihrer Seite.
Wir setzen uns im winzigen Haus, trinken unseren Tee und packen die Geschenke aus, an den Fenstern hängen Trauben von Menschen, die sich die Sensation nicht entgehen lassen können. Jetzt weiß ich, wie sich die Tiere in Schönbrunn in ihren Käfigen fühlen. Aber ich beachte die Zuschauer nicht, so etwas konnte mich noch nie aus der Fassung bringen, und überreiche Linh die Schneekugel mit dem Grazer Uhrturm. Linh ist etwas ratlos, ich versuche zu erklären, dass das Schnee sein soll, was da herabschwebt, wenn man die Kugel umdreht. Ich glaube nicht, dass sie versteht, was ich da erkläre. Die kleine Schwester stürzt sich auf Malbuch und sonstige Utensilien, während das Glück in Form einer weißen Stoffkatze zu Linh kommt. Nichts anderes interessiert sie mehr.
Als ich wie immer frage, was die Familie als Sonderspende brauchen könnte, druckst die Mutter nicht lange herum. Beide Eltern sind Hilfsarbeiter und es reicht kaum zum Leben.
Die Familie würde gerne Tet feiern und hat kein Geld. Leichten Herzens verdopple ich die Summe, die ich jeder Familie mitgebracht habe.
Tet, das ist Weihnachten, Neujahr, Ostern und Geburtstag in einem. Feiert Weihnachten und könnt euch keinen Braten und keine Geschenke leisten! Sogar nach dem Krieg hat's da bei uns doppelte Bezugscheine gegeben.
Der Weg zu Huyen ist neu betoniert und soll davor katastrophaler Morast gewesen sein. Wir können es uns vorstellen. Der Weg ist trotzdem auch jetzt für Autos zu schmal, also gehen wir zu Fuß. Es ist später Vormittag und knallheiß, obwohl Bäume und Bananenstauden immer wieder Schatten spenden. Aus allen Häusern und Gärten am Weg werden wir neugierig beäugt, ich schaue eifrig zurück, und vor lauter Glotzen wäre ich fast an Huyens Haus vorbei gelaufen. Ein bisschen war ich nämlich hinten, weil ich die richtigen Winkel für meine Fotos gesucht habe. Aber ich kratze gerade noch die Kurve rechts hinein, damit ich nicht zum Gelächter werde. Langsam werde ich es müde, Kasperl zu sein. Vor dem Haus ist eine überdachte Terrasse angebaut, Huyens Mutter kocht unter der Woche für die Arbeiter der Umgebung, höre ich später. Die Terrasse ist bereits gut mit Neugierigen gefüllt, schade, dass die Mutter heute nicht kocht, da gäbe es Geschäft zu machen.
Drinnen erwartet uns die Familie, Begrüßungstee, diesmal eisgekühlt. Der wievielte Tee heute? Aber inzwischen können wir ohnehin nicht mehr so schnell trinken wie wir schwitzen, fühle mich langsam unwohl heiß in meiner gesitteten langen Hose. Yen und die Englischlehrerin dolmetschen kreuz und quer, Huyen soll mir ihre Englischkenntnisse vorführen, vor einem Publikum, das draußen vor dem Fenster die Zahl 20 schon weit überschritten hat. Alle versuchen zu erheischen, was wir reden, klar, dass das arme Mädchen kein Wort herausbringt. Während die Englischlehrerin wohl vor allem versucht, ihre eigenen Erfolge zu präsentieren, erbarmt sich Yen und erzählt mir, was sie über die Familie weiß. Der Vater ist schwer herzkrank, was er nicht verbergen kann, und Huyen möchte nach der Schule sehr gern eine Ausbildung weitermachen. Kein Problem, mein Mädchen, von mir aus gerne!
Renate übt sich in der Zwischenzeit als Dompteurin und versucht die immer größer werdende Herde auf der Terrasse etwas abzulenken. Danke, Renate, was würden wir machen, wenn wir Dich nicht hätten?! Nach dem zweiten Eistee heißt es auch hier Abschied nehmen, Yen sorgt wieder einmal für das Gruppenfoto. Auch wenn Huyen immer noch keine Worte findet, sie drückt meine Hand fester als nur zum Gruß. Ich nehme auch ihre zweite Hand und blicke ihr in die Augen. Wir verstehen uns. Wieder einmal spare ich mir die Tränen und suche das Weite. Eine johlende Menge winkt uns hinten nach.
Jetzt müssen wir endlich Dons Plantage besichtigen. Begrüßungstee, und er zeigt mir alle Auszeichnungen, Pokale, Urkunden und Orden, die er für seine wohltätige Arbeit schon erhalten hat, wirklich beeindruckend. Bevor wir durch seine Plantage geführt werden, trinken wir noch Tee. Wir erfahren, dass in dieser Erde alles aufgeht und wächst, die Insekten jedoch schneller fressen, als die Pflanzen wachsen. Manche Früchte müssen Stück für Stück auf den Bäumen in Plastik gepackt werden, damit der Mensch ernten kann und nicht die Natur. Don findet mit den Erträgen Auslangen für seine Familie, er meint es fehlt ihm an nichts und daher kann er sich der Arbeit für die ärmeren Mitbürger widmen. Neben dem Patenkinderprojekt betreut er noch allein stehende Alte, für ein Krankenhaus wird gekocht, und wenn ein armer Mitbürger stirbt, geht er so lange von Nachbar zu Nachbar sammeln, bis ein ehrenvolles Begräbnis möglich ist. Ein Don Dampf in allen Gassen sozusagen, die gute Seele von Hon Dat. Bevor wir zum Mittagessen aufbrechen, trinken wir noch Tee. Man meint es gut mit uns und führt uns in ein Gasthaus, wo wir innen im Gebläse eines Ventilators sitzen können. Ohne eisgekühlter Erfrischungstücher würde unser Schweiß gefrieren. Die Wände versuchen sich mit Schimmelbildung gegen die Behandlung zu wehren, aber das Essen schmeckt wirklich gut. Yen schafft es sogar, dass man für uns Blechgabeln hervorzaubert, sicher auch aus Gründen des Zeitmanagements. Es ist schließlich noch einiges zu erledigen heute, und wenn man uns europäische Barbaren mit Stäbchen aufs Essen loslässt, wird's vielleicht Abend, bis wir satt sind. Man hält uns ohnehin für unendlich gefräßig und türmt wieder einmal Berge von Essen vor uns auf.
Auf dem Weg nach Hon Dat hinein halten wir kurz bei Trinh, einem sehr lieben Mädchen, das auch einen neuen Paten sucht. Blitzsauber gekleidet erwartet sie uns vor dem kleinen Häuschen, ihr Vater braucht ein bisschen, um sich aus seinem sonntägigen Siestaschläfchen aus der Hängematte zu winden. Der gute Mann ist angeblich Lastwagenchauffeur. Ich kann mir nicht helfen, auf mich wirkt er eher wie ein ehemaliger Chauffeur. Er erweckt für mich den Eindruck, als würde er der Mutter als Straßenverkäuferin die Versorgung überlassen, und er darauf achten, dass der Alkohol nicht in unrechte Hände gelangt. Wie auch immer, Trinh ist ein aufgewecktes Mädchen und angeblich eine hervorragende Schülerin, was sehr glaubhaft wirkt. Der Vater will uns ins Haus winken, wahrscheinlich sollen wir Tee trinken. Don drängt jedoch zum Aufbruch, wir haben noch Programm. Schade, Trinh hätte sich, glaub ich, mit uns unterhalten wollen, vielleicht bekomm ich ja einen Brief von ihr.
Am Markt machen wir Halt. Don und Team entschwinden zwischen den Ständen, während wir dem Bus nachgehen, der ums Eck gebogen ist. Bei einem Blumenstand bleiben wir hängen, um die prächtigen Blüten zu bewundern, was ein kleines Mädchen nutzt, um für Renate einen Tanz mit Gesang aufzuführen. Unsere vietnamesischen Freunde tauchen mit mehreren mit Obst und Gemüse prall gefüllten Plastiksäcken auf, die wir nun einigen Alten vorbeibringen wollen.
Wir fahren zwei Stationen an und überreichen den alten Damen die Vitaminkost, was die Vorräte allerdings nur unwesentlich verkleinert.
Den Rest drückt uns Yen in die Hand. Da sich Huong und die Altenhelferin schon verabschiedet haben, meinen wir, Don soll es mit nach Hause nehmen, für so viel haben wir keine Verwendung, schließlich fliegen wir morgen weiter. Selbstredend, dass sich die guten Leute den Markteinkauf nicht zahlen lassen, obwohl ich vorher gemeint habe, dass dies auf unsere Rechnung ginge. Der Tag ist inzwischen ziemlich fortgeschritten und es ist höchste Zeit, die Schule zu besichtigen.
Don verblüfft uns, indem er von jedem Kind weiß, in welchem Klassenzimmer es unterrichtet wird - in einer Schule mit sechshundert Schülern sicher nicht ganz einfach, zumal der
Verein über hundert davon betreut. Wir begutachten den Schulhof, der mittels Spendenaktion betoniert werden konnte, damit die Schüler nicht bei jedem Regen im Schlamm versinken, und Don zeigt uns den Platz, wo er vor hat, einen Lehrkräutergarten für die Schüler einzurichten. Sicher ein sehr sinnvolles Projekt, er braucht halt ca. sechshundert Dollar dafür. Wir werden sehen, einen Teil können wir bestimmt dazu beitragen.
Todmüde werden wir in unserem Hotel in Rach Gia abgeladen. Eine Stunde gibt man uns zum Erholen. Ich schlage vor, wir gehen zum nahe gelegenen Strand. Ob es einen Sandstrand gibt, will ich von Yen wissen. Sie weiß nicht. Ich denke mir, irgendwie werden wir schon ins Wasser können, nach Steilküste schaut es ja schließlich nicht gerade aus. Wir nehmen daher Badezeug und Handtücher mit. Meer ist wirklich da, sogar eine lange Promenade mit Liegestühlen, aber keine Spur von Strand. Große Steinblöcke, die als Müllschlucker verwendet werden, und auch das Wasser sieht nicht gerade einladend aus. Wir setzen uns in die Liegestühle, trinken Kokosnüsse und werden mit einem grandiosen Sonnenuntergang belohnt. Zwei Kinder tanzen im orangeroten Sonnenball, das sanfte Plätschern des glatt gestrichenen Meeres ist im leisen Rauschen des Windes kaum vernehmbar.
Als die Mücken beginnen, mit dem Wind zu schwingen, erinnern wir uns daran, dass unsere Stunde langsam um ist. Also schnell aufs Zimmer, duschen, hinunter in die Halle Tee trinken - und wir wittern die Gefahr bereits. Yen hat einen Helm in der Hand, das verheißt nichts Gutes. Rrrrichtig. Zu unserer Überraschung drückt man uns vor der Tür auch Helme in die Hand, es warten drei Mopeds auf uns. Ich setz mich hinter Don, Renate hinter Yen, und Elfi hinter Yens Schwester, die vor sich noch ihr Baby sitzen hat.
Und los geht's in die Stadt hinein, rund um uns flutet der Verkehr in alle Richtungen gleichzeitig. Ich kenne das noch vom Vorjahr, weiß, dass man da in Trance gerät. Nachdem wir rund dreiunddreißig Frontalzusammenstößen und hundertsiebenundfünfzig seitlichen Feindberührungen knapp entkommen sind, wollen wir es noch einmal genau wissen und fahren hunderte hupende Zweiräder ins Visier nehmend auf der Hauptstraße links zu. Ein fulminantes Meeresfrüchte-restaurant erwartet uns, exzellente Muscheln und Krustentiere.
Heldenhaft lässt Elfi nach der Mopedfahrt auch diese Speisen über sich ergehen, ohne eine Miene zu verziehen. Ich schwelge in meinem Element. Unsere Freunde wollen uns morgen vor dem Abflug noch zum Frühstück abholen. Halb neun Uhr reicht, meint man zuerst. Naja, acht Uhr wäre besser.
Die Rückfahrt zum Hotel ist vergleichsweise ein Klacks.
Als wir Gute Nacht wünschen, meinen unsere lieben Freunde, wir sollen morgen vor dem Abflug noch den Blumenmarkt besuchen. Also werden sie uns doch schon um sieben Uhr abholen. Wieder nichts mit Ausschlafen.
Am Morgen des 4. Februar werden wir noch mal mit den Mopeds zum Frühstück abgeholt. Nach einem Tee in der Halle steigen wir wieder auf die Mopeds, der Montagmorgenverkehr ist verglichen mit gestern Abend locker. Suppenfrühstück in der Innenstadt. Wir sind an einem Tempel vorbei gekommen, den ich gerne sehen will. Kein Problem, sehen wir auch gleich den Kräutermarkt. Gegenüber vom Tempel, falls Buddha über die Opfergaben nur kichert, kann man es ja immer noch mit Kräutern versuchen.
Und weiter zum Blumenmarkt. Übermorgen ist sozusagen Silvester. Alle kaufen Blumen. Millionen Blumen. Yen und Renate sind weg. Auf einmal war ihr Moped nicht mehr hinter uns. Ihre Schwester fährt die ganze Strecke zurück, nichts, kurvt einmal links um den Markt, einmal rechts um den Markt, nichts. Alle haben ein Handy, nur Yen nicht, und die Nummer von Renate habe ich noch nicht gespeichert. Vielleicht gibt es noch einen zweiten Blumenmarkt? Don kann ziemlich gut vietnamesisch, Yens Schwester auch. Leider beherrschen wir diese Sprache nicht. Besichtigen wir halt einmal den Blumenmarkt, was soll's. Als wir mit unserer Runde fertig sind, treffen wir Yen und Renate. Großes Erstaunen über unsere Aufregung, sie waren eh die ganze Zeit hier. Okay. Wir lassen noch fünfzig Vögel frei, bevor wir zum Hotel zurücktuckern.
Bei einem Abschiedstee machen wir die Abrechnung. Fürs Hotel zahlen wir wegen der Baustelle weniger, der Mietwagen von gestern kostet einen Einheimischenpreis, und fürs Essen nimmt man kein Geld von uns. Also spende ich für den Lehrkräutergarten. Zum Abschied bekommen wir einen Geschenkkorb mit vielen Leckereien fürs Tet-Fest. Der Inhalt dieses Korbes wird noch tagelang unser Grundnahrungsmittel durch Laos sein. Wir versprechen Don, wieder zu kommen. Yen begleitet uns im Taxi noch zum Flughafen. Wenig überraschend, dass sie uns das Taxi nicht zahlen lässt.
Bewegender Abschied, und wir versprechen auch Yen, wieder zu kommen. Der Kampf mit den Tränen wird mir langsam zur Gewohnheit. Wir überspielen es mit Lachen und entschwinden durch die Passkontrolle.
Good-bye liebe Freunde in Rach Gia!
Aufbruch: | 31.01.2008 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 26.02.2008 |
Laos