Buddha kichert leise

Reisezeit: Januar / Februar 2008  |  von Norbert Wallner

Ein böses Wort und seine Folgen: Die Welt hat doch kein Ende

Auf dem Nam Ou nach Muang Khoua

Das böse Wort zeigt seine Folgen. Ich habe es geschafft und musste heute Nacht mein Leben nicht aufs Spiel setzen. Mein Kobold fand im Gegensatz zu den beiden Hahnsängern gegen Ende der Nacht Ruhe. Mir und dem protestierende Rindvieh war das nicht vergönnt. Da aber alles im Leben auch Vorteile hat, war ich bereits im Morgengrauen auf.
Ich erforsche im Dämmerlicht Muang Ngoi bis dorthin, wo mir der Dschungel das Weiterkommen verwehrt. Ich kehre also um und komme gerade zum Bettelgang der hiesigen Mönche zurecht. Immerhin fünf orange Herren, die mit Trommeln und Gesang Dank dafür fordern, dass sie so freundlich sind, die Opfergaben anzunehmen.

Vorbei an einem empört bellenden Hund schlendere ich wieder zu unseren Bambushütten zurück. Hier empfängt mich der Tod in Renates Gestalt. Sie beschwört mich, ja nicht das böse Wort auszusprechen, es hat sie voll erwischt. Ich fühle mich zwar auch noch schwach, Frühstück brauch ich keines und ich lasse mich bei Tee auf der Aussichtsterrasse nieder, um den Blick über den silbrig glänzenden Fluss auf die Berge zu genießen. Eine unglaubliche Ruhe liegt über dem Land, nach der letzten Nacht einfach unvorstellbar. Kein Hahn, kein Rindvieh, sogar die Hunde schweigen. Das Schweigen wird nur noch von Renate überboten. Keine ihrer Antworten ist länger als ein Wort.

Nun ja, wir zahlen die paar Kip für die Unterkunft, die zu Normalzeiten überwältigend romantisch gewesen wäre, und ich gebe Gas, um um Acht am Bootsanlegeplatz zu ein. Unsere beiden Damen können sich ja Zeit lassen. Bei mir schwingt immer die leise Angst mit, was mache ich, wenn sich der Bootsführer vertschüsst hat? Was habe ich denn schon in der Hand als einen Kaaszettel, den die guten Leute hier nicht mal lesen können? Meine Sorgen sind unbegründet. Gerade als ich mir überlege, wie ich aus den zwei Dutzend gleich aussehenden Booten unseres herausfinden soll, zieht mich unser Bootsführer schon an der Hand zu seinem Boot, gerade, als ich Elfi und Renate einige hundert Meter hinter mir die Uferböschung herunter klettern sehe.

Wir sind also pünktlich abreisebereit. Ich bin erstaunt, wie verlässlich die Laoten trotz aller sonstiger Gleichgültigkeit sind.

Schnell hängt unser Käptn noch einen Salat ins Boot, und schon geht die Post ab. Also, sie geht wirklich ab, die Post. Fast bei jedem Dorf auf der Strecke verlangsamt unser Chauffeur die Fahrt und ruft den am Ufer Wartenden irgendwelche Botschaften zu. Einige Male legt er auch an, um kleine Sackerln aus- und einzuladen. Ist für uns nur mäßig ärgerlich, weil es insgesamt die Fahrt beschaulicher macht. Und Beschaulichkeit können wir wahrlich brauchen. Heute geht es außer an romantischen Sandbänken mit nackten Kindern, Gärten hinter Bambuszäunen, dichtem Bergdschungel - Palmen gibt es keine mehr - Felsen, an denen sich unser Boot zentimeternahe vorbeiarbeitet, Herden von Wasserbüffeln und Wildschweinen auch an bewohnten Höhlen vorbei. Es wäre sicher interessant, da oder dort anzulegen und das Hinterland zu erkunden, aber Renate geht es echt nicht gut, sie filmt nicht einmal mehr, was sehr viel heißt. Uns ist es saukalt, Elfi hat die gute Idee, dass wir in die Übersäcke für unsere Rucksäcke schlüpfen könnten, was wirklich hilft. Jedes Mal, wenn wir wo anlegen, ziehen sich die Kinder scheu auf die Berghänge zurück, außer ein Mal. Zur Belohnung verteilen wir an sie unsere letzten Luftballons. Die anderen ugen interessiert zwi-schen den Büschen hervor, hauen sich manchmal auch ab vor Lachen, aber trauen sich nicht hervor.

Irgendwann nach ein paar Stunden legt unser Käptn wieder einmal an und lässt zu unserer Verwunderung drei Männer einsteigen. Eigentlich schon frech, weil wir ja das Boot allein gechartert haben, aber andererseits schauen die drei wie arme Hunde aus, die sich sicher keinen Fuhrlohn leisten können. Und sie stören auch nicht, sitzen still im hinteren Teil des Bootes. Nach ungefähr einer halben Stunde verlassen sie uns wieder.

Wäre eine phantastisch schöne Fahrt, die Stromschnellen noch wilder als gestern, wenn uns nicht so fürchterlich kalt wäre. Die Wirtin in Luang Prabang hatte uns gewarnt, aber mehr warme Sachen haben wir einfach nicht mit auf unserer Reise durch die Tropen. Renate tut mir Leid, jetzt liegt sie dick vermummt hinten auf der Sitzbank und kriegt nichts von der fantastischen Landschaft mit, in die wir uns Stromschnelle um Stromschnelle hinaufarbeiten. Und extra gut erholt schaut Elfi auch nicht aus. Da bin ich ja richtig froh, dass mir nur kalt ist und mir beim Fotografieren die Finger abfrieren.
Langsam bekomme ich Hunger, es ist weit über Mittag. Gutes Zeichen. Nicht dass es über Mittag ist, sondern dass ich Hunger habe. Der Kobold ist also besiegt. Trotzdem gibt es keine Nahrung.
Endlich - nach einer riesigen Stromschnelle - sehe ich Muang Khoua vor uns, ich erkenne es auf Grund der Fotos, die ich im Rahmen meiner Reisevorbereitungen gesehen habe. Ich hoffe, wir finden schnell Zimmer, meine Damen wirken erschöpft, genervt, missmutig, krank.

Herunter vom schwankenden Boot, sogar mir reicht es jetzt nach zwei Tagen, obwohl es wohl die bisher schönste Fahrt meines Lebens war. Wahrscheinlich sollte man diese Fahrt wirklich in mehr Etappen teilen und dazwischen Rasttage einlegen, wie es von anderen Travellern empfohlen wird. Aber haben wir eine Wahl? Wir haben schließlich noch ein Riesenprogramm vor uns mit fixen Terminvorgaben. Ich will mich mit Elfi und Renate beraten, welches der im Loose beschriebenen Gästehäuser ich aufsuchen soll und werde fast gefressen. Schon gut, ich geh ja schon. Such ich halt alle der Reihe nach ab. Und es wird wieder einmal eine biblische Herbergssuche.
Die Franzosen!
Ich sehe schon von weitem den Bus. Oje.
Würde ich jetzt sagen, die Hilfsbereitschaft der Laoten hält sich in Grenzen, würde ich den Pulitzerpreis für die Untertreibung des Jahrzehnts bekommen. In einem Gästehaus, ich würde mal sagen, dem schönsten des Ortes, kann man sich nicht halten vor Lachen auf meine Frage, ob etwas frei ist. Nein, sie wissen nicht, wo es freie Zimmer geben könnte. Im nächsten auch nicht. Und im übernächsten. Soweit ich sehe, hat es sich die französische Reisegruppe im ganzen Ort gemütlich gemacht. In keinem Gästehaus weiß man, wer da im Ort noch Zimmer haben könnte. In Bethlehem hatten sie zumindest einen Stall. Hier sah es nicht danach aus. Oder. Ach nein, ich sag lieber nichts. Im einzigen Hotel der Stadt, das genug Zimmer hätte, bereitet man alles für eine große Hochzeit vor. Mit großer Verwunderung, nein mit Abscheu betrachtet man diesen langnasigen Eindringling. An der abgebrannten Markthalle vorbei dringe ich in die engen Gassen der Altstadt vor und halte nach Gästehäusern Ausschau.
Endlich erspähe ich wieder ein Schild. Nam Ou Guesthouse. Das ist unmittelbar oberhalb der Anlegestelle, also bin ich den ganzen Ort durch. Wenn es hier kein freies Zimmer gibt, schauen wir alt aus.
Durch einen Seiteneingang gelange ich ins Nam Ou Guesthouse. Ich frage in den Wohnraum hinein, der wie immer auch Schlafzimmer, Küche, Theke und Kinderzimmer in einem ist. Und siehe da, eine junge Frau fühlt sich zuständig, und ja, sie hat was frei. Zwei Zimmer. ZWEI ZIMMER! Ich kann sie mir anschauen. Nicht dass das viel ändern würde im letzten Haus, aber man soll den Eindruck vermitteln, dass man nicht alles nimmt, sonst zerstört man den Markt für die Zukunft. Die beiden Zimmer sind soweit annehmbar, es gibt sogar so etwas wie eine Dusche, mit der man auch gleich die Latrine spülen kann. Immerhin. OK, ich nehme die beiden Zimmer und klettere die Holzleitern zum Ufer hinunter, wo Renate und Elfi warten. Sehr mühsam, unsere großen Rucksäcke diese Leitern hinauf zu schaffen, irgendwie schaffen wir es.

Elfi und Renate wollen nur mehr ins Bett. Elfi schafft es sekundengenau zur Toilette, um sich zu übergeben. Es ist früher Nachmittag, also beschließe ich, mir den Ort allein anzuschauen. Als ich auf die riesige Holzterrasse unseres Gästehauses trete, werde ich sofort von einer Gruppe kleiner Mädchen überfallen. Die fünf hängen sich von allen Seiten auf mich und wollen fotografiert werden. Tja, liebe Mädchen, wie soll das gehen, wenn Ihr auf mir hängt? Nachdem ich die ersten vier abgeschüttelt habe, mache ich ihnen mit Zeichensprache verständlich, dass sie einen gewissen Abstand einhalten müssen, weil ich sonst keine Aufnahme machen kann. Sie verstehen mich, aber es ist trotzdem unmöglich, zu einem Foto zu gelangen, weil die Kleinste auf mir herumklettert. Kaum dass ich sie einen Meter wegstel-le, hängt sie schon wieder auf mir. Ein fast aussichtsloser Kampf. Wenn mich wer sieht, wie ich mit diesen fünf Gören im Clinch bin, lande ich wegen Kinderschändung im Gefängnis.

Mit Müh und Not rette ich Leben und Freiheit und verzichte auf die grandiose Aussicht von der Terrasse. Ich flüchte die Leitern hinunter und mache mich wieder auf den Weg durch den Ort. Überall brennen auf den Straßen kleine Feuer, wo die Menschen versuchen, sich zu wärmen. Immer wieder werde ich von Kindern aufgefordert, sie zu fotografieren, oder sie wollen ihre Sprachkenntnisse testen. Hello. Good morning. Good-bye. Vor allem die Buben. Die Mädchen begnügen sich meistens mit einem verlegenen Sabaidii, um dann ein umwerfendes Lächeln hinten nachzusenden. Die Buben rennen und springen hinter mir her. Ein zirka zehnjähriger Junge beginnt sogar auf Englisch eine richtige Unterhaltung mit mir und begleitet mich ein Stück aus dem Ort hinaus. Ich möchte versuchen, irgendwo in den Dschungel zu gelangen. Wie auch schon in Muang Ngoi nirgendwo ein Loch.

Ich drehe also wieder um und arbeite mich zum Guesthouse zurück. Die Terrasse ist jetzt frei von Mädchen und ich kann mich mit Blick über den Fluss setzen. Tagelang könnte man hier sitzen und das Leben am Fluss beobachten. Beobachten, wie Wäsche gewaschen wird, während sich daneben wer ins Wasser hockt, um seine Notdurft zu verrichten, davor tollt ein kleiner Hund mit der Wäsche herum, die der Wind von der Leine gerissen hat. Keiner hindert ihn daran, ebenso wenig wie die Schweine, die sich durch die Waren der Straßenlokale schnüffeln. Etwas oberhalb am Fluss hat einer seinen Geländewagen ins Wasser gefahren, wo er nun das Auto gründlich innen und außen wäscht. Mit einem Eimer schüttet er abwechselnd das Wasser außen drüber und in Innere hinein. Unter mir heben gerade zwei Männer ein Moped ins kleine Fährboot, das ohnehin schon mit Fahrgästen überfüllt ist, die hinüber ans andere Ufer wollen.

Ich bestelle mir eine Suppe, vielleicht wird mir wärmer. Und Beer Lao, mein geliebtes Beer Lao. Wird mir zwar gleich wieder kalt davon, aber für die Verdauung hat es sich bisher bewährt. Reicht schon, wenn ich die vergackten Hühner und räudigen Katzen vom Tisch vertreiben muss, damit sie sich nicht gütlich tun an meinem Essen. Da waren die Gören ja vergleichsweise noch leicht abzuschütteln. Bitte, ich möchte die lieben Mädchen statt dieser verseuchten Viecher! Sind ja lieb und zutraulich alle, aber die entzückenden Mäderln iehe ich in jedem Fall vor. Haben gewaschen gewirkt und nach Seife geduftet.
Mal schauen, was ich wegen des Busses nach Vietnam morgen in Erfahrung bringen kann. Ich schau in den Wohnraum, da schlafen schon alle, schließlich dämmert es schon. Ein verschrecktes Kind weckt die bereits tief schlafende Mutter. Tut mir leid, wollte Euch nicht wecken, liebe Leute, außerdem möchte ich gleich zahlen, wenn der Bus wirklich früh geht morgen. Ich frage die Wirtin nach dem Bus, sie verweist mich auf den Fahrplan, der vor der Tür neben dem Hinweis hängt, dass von 17:45 bis 21:45 Uhr Strom ist, und zwar durchgehend, weil der Strom vom Fluss kommt.

Das heißt, ich muss mich beeilen, meine Akkus aufzuladen. Ich zahle also sicherheitshalber. Ein französisches Ehepaar kommt gerade über die Terrasse. Nein, nicht DIESE Franzosen, es gibt auch noch andere. Sie meinen, der Bus müsste schon fahren morgen Früh. Ich erkläre ihnen noch, dass es lohnend ist, den Nam Ou nach Luang Prabang hinunter zu fahren, und sie sollten mit den Bootsleuten verhandeln. Und nein, sie haben keine Angst vor Stromschnellen, und warme Kleidung haben sie auch dabei. Na dann steht dem Vergnügen, einem der letzten wirklichen Abenteuer auf diesem Planeten, nichts mehr entgegen. Gute Abend noch, bon soir.
Gehe später am Abend auf noch ein Bier. Ein thailändischer Gast kommt dazu und erzählt mir von seinen Reisen nach Europa, war in Nizza, Venedig, München, romantische Straße, kennt auch Österreich: Innsbruck, Salzburg, war segeln in St. Wolfgang, ja, und seine Frau liebt die Cafés und Mehlspeisen in Wien.
Und morgen fährt kein Bus nach Dien Bien Phu, meint der gute Mann. Tetfest in Vietnam. Tetfest war vor einer Woche. Ja, aber die Vietnamesen feiern noch. Ich weiß nicht, wem ich jetzt glauben soll: der laotischen Wirtin, den französischen Touristen, dem thailändischen Geschäftsmann, oder meinem Gefühl. Mein Gefühl gibt dem thailändischen Geschäftsmann Recht, mein Kopf der laotischen Wirtin, und schließlich haben die Franzosen recht vif gewirkt. Zimmer habe ich ohnehin schon aufgegeben, also was soll's? Falls der Bus nicht fahren sollte, tritt eben Plan B in Kraft: Minibus nach Sueng May, dem laotischen Ort an der Grenze, und Montag mit dem Tuk Tuk über die Grenze.

© Norbert Wallner, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Paten- und Erlebnisreise, die knapp 4 Wochen durch Vietnam und Laos geführt hat, teils abseits der Touristenströme. Im Zentrum des Interesses stand der Kontakt zu den Menschen und Völkern dieser Region.
Details:
Aufbruch: 31.01.2008
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 26.02.2008
Reiseziele: Vietnam
Laos
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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