Buddha kichert leise

Reisezeit: Januar / Februar 2008  |  von Norbert Wallner

Ein böses Wort und seine Folgen

Mit dem Langboot nach Muang Ngoi

Der Hahn kräht. Er kräht und kräht. Ich suche nach meiner Taschenlampe. Es ist stockfinster, absolut stockfinster in unserer Bambushütte.

Ich schiebe das Moskitonetz auf die Seite. Ein Kobold in meinem Bauch sticht gerade vom Magen bis in den Dickdarm hinunter und wühlt dann mit dem Messer drinnen herum. Der Hahn kräht und kräht, bis er Antwort bekommt. Hahn Nummer 2 antwortet mit demselben Krähen. Hahn 1 ändert sein Krähen, Hahn 2 macht es nach. Endlich finde ich meine Taschenlampe. 2 Uhr in der Nacht. Der Kobold schneidet sich durch meine Darmwindungen und setzt einen kühnen Schnitt durch den Dünndarm. Die beiden Hähne finden sich in einen harmonischen Kanon, exaktes Echo. Ein Rindvieh beschwert sich lautstark über die nächtliche Ruhestörung. Mein Kobold gibt ihm Recht und sticht zurück hinauf in den Magen. Hoffentlich muss ich nicht jetzt plötzlich hinaus aufs Klo. Was heißt hier Klo, es gibt nur eine Latrine in einer kleinen Bambushütte ohne Fließwasser, würde ich nicht unfallfrei schaffen.

Ich würde bereits auf der Leiter von unserer Hütte hinunter tödlich verunglücken.

Die beiden Hähne beeindruckt dies in keiner Weise, sie unterhalten sich fröhlich weiter, lassen sich weder vom protestierenden Rindvieh noch von meinem Kobold stören.
Kein würdiges Ende eines solch fantastischen Tages wie wir ihn hatten. Zu unserem Boot waren wir zwar erst mit einer Stunde Verspätung abgeholt worden, dafür lief unser Abholer im Laufschritt voraus, sodass wir mit unseren schweren Rucksäcken Mühe hatten, nachzu-kommen. Dafür hatten wir dann ein riesiges Langboot für uns alleine, echter Luxus.

Nach einem Tankstopp bei einer schwimmenden Tankstelle auf dem Mekong begann eine ruhige, beschauliche Fahrt, vorbei an Gärten und am Strand planschenden Kindern und Wasserbüffeln.

Dieser Abschnitt des Mekong ist wirklich nur mehr schwach befahren, trotz der Aus-flugsboote, die von Luang Prabang aus die Pak Ou-Höhlen ansteuern. Wir hatten Glück und waren das einzige Boot an diesem Morgen, konnten also die Höhlen in Ruhe besichtigen.

Nur der Weg von der unteren zur oberen Höhle war deshalb beschwerlicher, weil sich alle Kinder nur auf uns werfen mussten, um ihre Steine zu verkaufen. Auch eine Möglichkeit zu betteln.

Etwas zu lange brauchten wir mit der Besichtigung, dann langte die französische Reisegruppe ein. Zeit, aufzubrechen. Gegenüber der Höhle bogen wir in den Nam Ou ab und es begannen die Stromschnellen. Wir bewunderten unseren Bootsführer vorbehaltlos, er wusste bei jedem Stein, auf welcher Seite er ihn zu umfahren hatte.

Teilweise fuhren wir unmittelbar am Ufer entlang, sodass wir die spielenden Kinder, Wasserbüffel und Schweine fast angreifen konnten. Permanenter Wechsel von senkrechten Felsen, Sandstränden, Gärten, Dschungel. Stromschnellen, dutzende Stromschnellen. Traumhaft schöner Tag, die Sonne strahlte vom Himmel. Mit dem beschaulichen Lümmeln allerdings war es vorbei, auf Handzeichen unseres Bootsführers mussten wir regelmäßig von einer Seite des Bootes auf die andere wechseln, wenn's haarig wurde, mussten wir auch noch den großen Benzinkanister von einer Seite auf die andere schieben, um noch mehr Gewicht zu verlagern, damit die Schiffsschraube zwanzig Meter hinter uns nicht auf den Felsen zerschellte, was mit hoher Wahrscheinlichkeit unseren Tod bedeutet hätte. Plötzlich ohne Motor mitten in den Stromschnellen würde unser über zwanzig Meter langes Holzboot zwischen den Felsen zerschmettert werden. Gedanken abschalten, Fahrt genießen. Wir wussten ohnehin nicht, was auf uns noch zukommen würde.

Immer wieder kamen wir an Dörfern vorbei, die meist zwanzig bis dreißig Meter über dem Fluss zwischen den Bäumen auszumachen waren. Wir hatten vereinbart, dass wir unterwegs ein Dorf besichtigen wollten. Gerade als ich überlegte, ob ich unseren Bootsführer mal anhal-ten lassen sollte, schien er denselben Gedanken zu haben und steuerte das Boot zwischen Wäsche und sich selbst waschenden Frauen ans Ufer.

Ban Nong Kham stand auf einer Tafel, vom Dorf war nichts zu sehen. Wir sollten nach oben gehen, deutete unser Bootsführer den Weg hinauf. Die badenden Frauen schauten her und kicherten.
Wirklich sehr bald sahen wir die ersten Bambushäuser, ein nettes, sauberes Dorf tat sich vor uns auf. Einige Frauen lugten scheu hinter den Häusern hervor, der Rest des Dorfes wirkte wie ausgestorben, abgesehen von einigen Hunden, Enten und Hühnern, die sich missbilligend trollten.

Plötzlich beim zweiten oder dritten Haus stellte sich eine ältere Frau neben mich und faltete ein buntes Tuch auf, das sie mir zum Verkauf anbot. Sehr bunt, wunderschönes Muster. Plötzlich packte mich eine junge Frau auf der anderen Seite am Arm, umklammerte mich mit ei-sernem Griff und zog mich, schob mich weiter Richtung Dorfmitte. Keine Chance, mich zu widersetzen. Was mochte die mit mir vorhaben? Hübsch anzusehen war sie ja, aber ich glaubte kaum, dass ich da ein eindeutiges Angebot bekommen würde. Zu viele Augen blickten da zwischen verschiedenen Bambuswänden hervor.
Nach dem nächsten Hauseck war alles klar. Wir standen sozusagen auf dem Hauptplatz, und hier hängten jede Menge bunter Tücher und Schals.

Fast bei jedem Haus war ein Webstuhl zu sehen, und die Arbeiten waren wirklich sehr schön.

Renate war in ihrem Element. Sie machte ihre Kauflust vom Fund einer Toilette abhängig - und ihre perfekte Zeichensprache lohnte sich wieder einmal.

Während sich unsere Damen in der Latrine ablösten, kam eine junge Mutter mit einem vielleicht zweijährigen Buben auf dem Rücken zu mir und zeigte mir eine fürchterliche Wunde auf seinem rechten Unterschenkel. Sah echt nicht schön aus. Während ich diese Verletzung anschaute, näherte sich bereits eine alte Frau, die mir wehklagend ihre Herpeslippe zeigte. ffensichtlich ist man hier der Meinung, weißer Mann kann alles heilen.

Elfi hatte natürlich eine Wundsalbe mit, und ich deutete der jungen Mutter, mit uns zum Boot zu kommen. Schön, wenn man eine Expeditionsärztin mit hat.

Hoffentlich bringt sie auch meinen Kobold zur Ruhe, der sich immer noch mit kräftigen Sti-chen durch meine Gedärme wühlt. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber aufstehen, dann könnte ich ja gleich diesen Hähnen ihre krähenden Hälse umdrehen.
Zufrieden mit unserem ärztlichen Einsatz genossen wir die Weiterfahrt auf dem Fluss, Strom-schnelle um Stromschnelle. Wir sahen jetzt auch immer häufiger Kleinkraftwerke á la Laos. Man hängt ein Floß in die Stromschnellen, mit einem Laufrad, Draht zum Ufer, und es gibt Licht.

Als ich in der Ferne die Brücke von Nong Kiao sah, versuchte ich unserem Bootsführer klar zu machen, dass wir gerne Geld wechseln würden. Brauchte sehr lange, bis er kapierte, was wir wollten. Nun begann eine Aktion, die nur in Laos denkbar ist.

Unser Bootsführer legte nach der Brücke am rechten Ufer an und deutete uns, wir sollten dort hinauf gehen. Also kletterten Renate und ich die Böschung hinauf und hielten nach einer Bank Ausschau, liefen die Straße ein Stück entlang, bis sie sich im Dschungel zu verlieren schien, also wieder zurück.

Endlich jemand, der verstand, was wir suchten und sogar einige Brocken Englisch beherrschte. Auf der anderen Seite der Brücke, Busstation, Post, die Erklärung war komplizierter als das Finden. In der Bus/Post-Station konnte man wirklich in Kip wechseln, der Kurs war sogar akzeptabel. Dann zurück über die Brücke, Böschung hinunter, ins Boot hinein.

Wir dachten, der Bootsführer würde nun Gas geben, um den Zeitverlust wieder aufzuholen, schließlich war der Tag ziemlich fortgeschritten, aber er wendete das Boot und fuhr unter der Brücke zurück um am linken Ufer anzulegen. Er wollte, dass wir aussteigen. Völlig rätselhaft, warum er zuvor oberhalb der Brücke rechts gelandet war, wenn er uns nun hier hinaus werfen wollte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass wir wie gebucht nach Muang Ngoi weiter wollten. Nein, er blieb beharrlich. Ich kramte meine Bestätigung heraus, wo eindeutig Muang Ngoi angeführt war und nicht Nong Kiao und stellte klar, dass wir das Boot allein gechartert hatten, mit der Vereinbarung stop where you want. Großes Geplapper unter einem guten Dutzend Laoten, die sich mittlerweile eingefunden hatten, und schließlich wurden wir aufgefordert, in ein neben liegendes Boot umzusteigen. Das war zwar wesentlich kleiner und unbequemer, und eine große Öllacke zog sich stinkend durchs Boot, aber wir fuhren weiter. Mit einem anderen Bootsführer. Die Ufer wurden nun sehr einsam, nur mehr der Fluss, der Dschungel und wir, und das schwächer werdende Tageslicht begann mit dem Wasser zu spielen.

Als wir endlich in Muang Ngoi anlegten, war vom Tag nicht mehr viel übrig. Wir waren er-schöpft, die Damen missmutig. Renate wollte unbedingt mit vollem Gepäck Zimmer suchen. Nach dem zweiten "no" waren die beiden bereit, sich mit den Rucksäcken niederzulassen und mich allein suchen zu lassen. Da wir an diesem Tag das letzte Boot waren, das angekommen war, waren wir auch die letzten auf Zimmersuche, was bedeutete, das alles, aber wirklich alles voll war. Ich arbeitete mich durch alle gackernden Hühner von Muang Ngoi, bis ich in der allerletzten Hütte am Ende des Ortes fündig wurde. Genau zwei Bambushütten waren hier noch frei. Immerhin Moskitonetze - und ein traumhaft schöner Blick über den Fluss! Keine Ahnung, was wir getan hätten, wenn auch diese Hütten noch voll gewesen wären. Die laotische Bevölkerung wirkt nicht gerade hilfreich, und schon gar nicht fantasiereich. Beim letzten Sonnenstrahl bezogen wir diese Unterkunft, bevor die Finsternis hereinbrach.

Mit unseren Taschenlampen suchten wir ein Gasthaus. Es gibt in diesem Dorf, das nur auf dem Fluss erreichbar ist, nur wenige Glühbirnchen. Das Essen war okay, also bestellten wir noch einen Bananenreis als Nachspeise. War vielleicht ein Fehler. Der Wirt hatte schon irgendwie erstaunt reagiert, das hätte uns ein Zeichen sein sollen. Bananenreis ist ein böses Wort. Das habe ich nun davon!
Ich liege mit meinen Kobold im Bauch da und kämpfe mit ihm und mit dem Gedanken, ob ich den Weg zur Latrine auf mich nehmen soll oder dem Hahn den Hals umdrehen, hier am Ende der Welt. Die Welt hat also doch ein Ende. So zu Ende kann die Welt sonst nirgendwo sein.

© Norbert Wallner, 2008
Du bist hier : Startseite Asien Laos Ein böses Wort und seine Folgen
Die Reise
 
Worum geht's?:
Paten- und Erlebnisreise, die knapp 4 Wochen durch Vietnam und Laos geführt hat, teils abseits der Touristenströme. Im Zentrum des Interesses stand der Kontakt zu den Menschen und Völkern dieser Region.
Details:
Aufbruch: 31.01.2008
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 26.02.2008
Reiseziele: Vietnam
Laos
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors