Mosambik und Malawi

Reisezeit: Juli - September 2008  |  von Peter Kiefer

Ein bisschen Furore - Quissico (2)

Auf dem Hinweisschild gleich nach der Abzweigung in Richtung Süden steht: Maputo 1064 km. Erneut halten wir nach einem Lkw Ausschau, den man ansprechen könnte, aber die wenigen, die wir in Inchope entdecken, sind auf hanebüchene Weise überladen, sie werden kaum vom Fleck kommen. Am Ortsausgang steht ein Bus. Er fährt "direkt nach Maputo". So weit möchten wir noch gar nicht, Maxixe reicht als Tagesziel aus, jene Stadt, zu der wir von Inhambane aus zuvor mit einer Dhau gefahren sind.

Tanzendes Mädchen, das meinen Lieblingsverein (TSV 1860 München) auf den Kopf stellt

Tanzendes Mädchen, das meinen Lieblingsverein (TSV 1860 München) auf den Kopf stellt

Der Busunternehmer ist ein Pakistaner, er sagt, dass wir Maxixe nicht später als drei am Nachmittag erreichen würden. Das ist wohl eher Wunschdenken, denn der Weg ist weit und die Straße, wie wir von der Hinfahrt wissen, von sehr wechselnder Qualität. Immerhin, es ist noch früh am Tag und es kommt nicht auf eine oder zwei Stunden an. Aber die Zeit verrinnt, erst gegen halb elf sitzt ein Fahrer am Lenkrad. Warum er dann noch einmal in den Ort zurückfährt, ist unklar, denn er nimmt weder Frachtgut noch neue Passagiere auf und kaum sind wir wieder am Ausgangspunkt zurück, verschwindet plötzlich der Pakistaner für eine halbe Stunde, aber dann - hurra! - geht's los. Es folgen die eintönige Buschlandschaft, die vielen auf den Feldern gelegten Brände, die Schlaglöcher, alles wie schon einmal gehabt, aber da war es noch neu und einen Tick aufregender. Der Pakistaner hatte angekündigt, dass der Bus in einem Zug durchfahren würde, Pustekuchen, er fährt nicht einmal mehr nach Maputo, man wird eine Nacht in Maxixe verbringen. Die Spieße mit zartem Gazellenfleisch, die ein Junge an der Straße verkauft, ist die einzige positive Anmerkung zu dieser Busfahrt, schon weil sie gar nichts mit ihr zu tun hat. Kurz vor Maxixe - es ist bereits acht - setzt der Pakistaner sich erst einmal ab. Wer für Maputo bezahlt hat, muss sich darauf einrichten im Bus oder an der Straße zu übernachten. Wir sind mit unserer (eher zufälligen) Wahl von Maxixe als Tagesziel damit gut weggekommen, umso mehr als ein Campingplatz in unmittelbarer Nähe ist und wir dort ein wunderbares Chalet beziehen können, mit einer Küche ausgestattet (auch wenn wir keine brauchen), mit dem Meer direkt vor der Tür, einem Restaurant (wenn auch nur von hellhäutigen Touristen frequentiert) und last not least zu einem phänomenalen Preis. Man bekommt Lust hier zu bleiben, aber das letzte Ziel auf dieser Reise ist gleichsam auch das erste gewesen, Quissico. Zwar hat es zunächst einer Diskussion darüber bedurft (mehrerer, um ehrlich zu sein), ob es sinnvoll ist eine positive Erfahrung zu wiederholen, entsprechende Versuche sind in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert. Aber Karin findet, dass wir unseren Zirkel, obwohl es ein, zwei interessante Alternativen gegeben hätte, gewissermaßen ein zweites Mal schließen und bei Leonard an den Strand gehen sollten. Die hundertundnochwas Kilometer bringen wir schnell hinter uns. Neben uns im Bus sitzt eine Mosambikanerin, die im hessischen Hanau lebt und arbeitet. Ich frage sie, wie die Deutschen auf sie reagieren, welche Erfahrungen sie macht. Da vergeht ihr ein wenig das freundliche Lachen, man kann sich vorstellen, warum. Noch vor der Abfahrt aus Maxixe hatten wir versucht Leonard telefonisch zu erreichen, vergebens. Jetzt stehen wir mit unseren Rucksäcken in Quissico und suchen nach einer Möglichkeit, zu »Praia e Sol« zu gelangen, nachdem auch ein weiterer Versuch per Telefon keinen Erfolg hatte. Karin erspäht Nils, der gerade aus seinem Auto gestiegen ist, und Nils erzählt uns, dass Leonard in Südafrika sei. Aber Philip sei da und Leonards Hund Jack. Wenn wir uns eine Stunde lang gedulden, könnten wir mit ihm fahren, er habe noch etwas zu erledigen und er bezeichnet uns den Ort, wo wir ihn zwischenzeitlich finden werden. Wir gehen zu den freundlichen Frauen auf dem kleinen Markt, decken uns mit Brötchen, den besten von ganz Mosambik, mit Salat, Tomaten, Gurken und noch ein paar Konserven ein, irgendwas müssen wir da draußen essen (vielleicht besorgt uns Philip auch ein Huhn), und dann gehen wir zu dem Aussichtspunkt, von wo aus man den wundervollen Blick auf die Lagune hat. Genau den verschandelt man im Augenblick, indem man ein langes Dach über ein paar Bänke und Tische spannt und damit für alle, die nicht dort Platz nehmen, mitten durchs Panorama einen Strich zieht. Karin erblickt drei Frauen, die neben uns eine Treppe zur Straße hinabsteigen. Haben wir sie nicht auf Helenas Campingplatz einmal kurz begrüßt, Engländerinnen? Sie sind es aber nicht, sondern diese hier kommen aus Südafrika und logieren, wie Karin nun erfährt, im Haus jener Frau, in dem sich auch Nils gerade aufhält. Wenig später sitzen wir dann alle in der Sommerküche, die zugleich das Wohnzimmer ist, beim Kaffee zusammen, die Südafrikanerinnen, Nils und seine Freundin, Karin und ich und - die Regenkönigin, Mojaji. Rein physiognomisch entspricht Mojaji sicher nicht diesem romantischen Namen, sie ist groß und korpulent, hat herbe Gesichtszüge und eine Verlautbarungsstimme, die andere für politische Reden reservieren. Mit Nils plant sie beispielsweise mit Blick auf die hiesige Tradition der Marimbaspieler eine musikalische Begegnungs- und Veranstaltungsstätte - "etwas ganz Großes" - und für mich plant sie gleich mit. In Kürze, aber eben nicht noch in dieser Woche, sondern zwei Wochen später, wenn wir längst wieder in Berlin sind, findet in Quissico ein Festival dieser Marimba- bzw. Timbila-Spieler statt. Als Journalist, sagt sie, müsse ich daran ein gesteigertes Interesse haben, denn: Es ist d a s Festival in Jahren, der Staatspräsident kommt, Mandela kommt, eine Ausrüstung könne sie mir auch zur Verfügung stellen und das mit dem veränderten Rückflug ließe sich ebenfalls regeln ("Malaria kommt immer gut an"). Alle in der Runde sehen mich nun erwartungsvoll an und ich komme aus dieser Nummer zunächst nur dadurch wieder raus, dass ich verspreche mir die Sache bis zum morgigen Tag durch den Kopf gehen zu lassen. Sie hat etwas Verlockendes, aber nüchtern betrachtet lässt sich eine Reihe von Gründen (technische, sprachliche usw.) nennen, die mich skeptisch machen sollten. Und um es vorwegzunehmen, bei allem Pathos, das Mojaji jetzt aufwendet, am nächsten Morgen erwähnt sie ihren Vorschlag mit keinem Wort mehr, vielleicht ist das Ganze, weil auch Publikum anwesend ist, nichts weiter als ein Auftritt. Mojajis Motiv will ich dennoch nicht klein reden, sie bemüht sich um Reputation für ihre kleine Stadt, aber für mich kann dieses Motiv alleine nicht maßgebend sein. [Wenn ich diese Zeilen jetzt Wochen später aus meinen handschriftlichen Aufzeichnungen übertrage, weiß ich, dass die angekündigten Staatsgäste niemals in Quissico eingetroffen sind, wiewohl das Festival selbst auch über Mosambik hinaus einen Namen hat.] Nils, der zuvor gesagt hatte, dass er bereits andere Gäste erwarte, weshalb kein Platz für uns bei ihm sei, bietet uns nun doch an, dass wir - "wenn's nur zwei Nächte sind" - bleiben können, und so beziehen wir ein Chalet, das erste halbwegs bezugsfertige auf seinem Grundstück direkt an der Lagune. Mit ihm und Edith, seiner Freundin aus Swasiland, sitzen wir später am Abend noch zusammen. Die Eindrücke, die ich nach unserem ersten Aufenthalt hatte, verschieben sich. Als ich die Rede auf Leonard bringe, sagt Nils nur: Den Kerl kann ich nicht ausstehen, beklagt sich über Leonards Unzuverlässigkeit, seinen Bier-, seinen Gras- und was noch alles Konsum. Das vormalige "Wir sind Partner" entsprang wohl Leonards Wunschdenken, Nils braucht andere Partner, siehe Mojaji. Vielleicht, mutmaßt Karin, wartet er auf Leonards endgültigen Zusammenbruch, um günstig an dessen Grundstück zu kommen. Ganz sicher nützt er jeden sich bietenden Vorteil aus (anders als der zu schwache Leonard), sieht die Dinge insbesondere vom geschäftlichen Standpunkt, auch davon, hier "wer" zu sein, das spricht er offen aus, und als ich ihn im Lauf der Unterhaltung einen knallharten Softie nenne, widerspricht er nicht, lächelt nur. Von den Südafrikanern aus Durban will er nebenbei gar nicht erst reden. Der gigantische Sternenhimmel würde uns noch länger in Atem halten, wenn wir nicht zu müde wären. In den Morgenstunden weckt uns ein von der Lagune aufsteigender Kloakengestank, nicht alles ist romantisch. Mojaji und ihre südafrikanischen Logierdamen haben sich für sieben Uhr angekündigt, gegen acht treffen sie ein, um uns zu einem Ausflug abzuholen. Obwohl sich Karin auf einen Strandtag gefreut hatte, lässt sie sich überreden an der Fahrt über die Dörfer, so zu sagen mitten in den dörflichen Alltag hinein, teilzunehmen. Warum auch nicht? Mojaji, die Alles-Anführerin, erweist sich als profunde Kennerin von Fauna, Flora, handwerklichen und anderen Traditionen, hält mit ihrem Pickup immer wieder an Orten an, die über bestimmte Lebensgewohnheiten oder kleine Naturphänomene Aufschluss geben. Am Wegesrand, halb verborgen unter einem kleinen Baum liegt beispielsweise ein Holzboot. Kein aufregender Fund, möchte man meinen, aber Mojajis Erläuterungen über Material und Bauweise machen neugierig, erst recht, als wir später einen dieser Bootsbauer treffen und uns anhand eines noch im Bau befindlichen Bootes überzeugen können, mit wie viel Präzision etwa die Spanten herausgesägt sind, wie viel Mühe überhaupt so ein Vorhaben kostet, wenn man die einfachen Mittel bedenkt, die zur Verfügung stehen. Selbst eine ausrangierte Holzform für Lehmziegel wird plötzlich interessant. Oder was wir über Baobab-Bäume erfahren. Dass sie in der Gegend nicht heimisch sind, wussten wir zwar, auch dass ihr Vorkommen hier etwas mit der Geschichte des Sklavenhandels zu tun hat, damit, dass Sklaven auf ihren Märschen beim Verzehr des mitgebrachten Fruchtfleischs die Kerne ausgespuckt haben und mancher dieser Kerne dann ausgekeimt ist. Aber ich lerne auch, dass der Baobab eine komplexe Nutzpflanze ist, er speichert Wasser, er deckt mit seinem Fruchtfleisch den Vitaminbedarf, er kann als Bienenstock dienen, seine Blätter sind essbar, seine Fasern zum Flechten gut usw. Ein kleines Gehöft am Wegesrand offenbart einige der ländlichen Traditionen: Frischer Ton liegt dort in einer Hütte, er wird ohne Drehscheibe zu Schalen geformt; das Wasserspeichern in einer Zisterne geschieht mittels einer Vorrichtung aus gebogenen Wellblechteilen; harzige Rindenstückchen liegen auf einer Matte, Medizin. Strohmatten wie diese flicht ein Mann, der ein paar Meter weiter damit zu Gange ist. Die Südafrikanerinnen dürfen's auch mal probieren, sie kaufen, was sie kriegen können. Ein Radio quäkt im Baum, gespeist wird es mittels Solarzellen, das sieht man häufiger hier. Wo haben sie das her? Aus Südafrika herübergeschmuggelt, sagt Mojaji. Hier ist es am richtigen Ort, denke ich. Für Live-Musik sorgt Ignácio, ein geh- und damit auch tanzbehinderter Marimbaspieler. Immer wenn Mojaji mit einigen ihrer Gäste kommt, hat er einen Auftritt, sie zahlt ihm eine kleine Gage. Er wird mit seinem Instrument, einem Xylophon, dessen Klanghölzer durch Resonanzkörper wie Kalebassen oder den Schalen der hier so genannten Monkeyfruit verstärkt sind, auch auf dem bevorstehenden Festival auftreten. Vielleicht singt er dazu, wie er es hier lediglich andeutet. Das Tanzen besorgen die Kinder aus der Nachbarschaft, einige von ihnen tun es geradezu bühnenreif, ekstatisch und auf höchst individuelle Art. Der größte Tanzartist unter den Jungs, höchstens vierzehn, braucht nur ein Bein. Das andere hat er in der Hose angewinkelt, wobei nun das leere Ende dieser Hose an das baumelnde Bein einer Handpuppe erinnert. Das Marimbaspiel folgt - so ist mein Eindruck - stets ähnlichen Klangmustern, die Töne kommen etwas schnarrend. Einem der tanzenden Mädchen setze ich meinen eigens mitgebrachten Kulturbeutel auf den Kopf, deswegen, weil man darauf das Wappen meines Lieblingsvereins sieht, TSV 1860 München. Ich werde ihnen das Foto hinschicken und sicher ein klitzekleines bisschen Furore damit machen. Die Bäume hängen voller Tangerinen, kaum jemand denkt daran sie zu essen oder sie auf dem Markt anzubieten, sagt Mojaji. Auch die Baobabfrüchte mit ihrem dezent süßsäuerlichen Geschmack spielen auf dem Speiseplan der Dorfbewohner keine Rolle (im Gegensatz zu Gegenden in Malawi). Anders ist es mit den Kokosnüssen. Gleich zu Anfang ist Mojajis junger Assistent Aristide auf eine Palme geklettert und hat wohl so zehn Früchte herabgeworfen, deren Milch wir später trinken. Wie kommt er aber die sechs oder sieben Meter den schlanken Stamm da hinauf? Dadurch, dass man Kerben in die Bäume geschlagen hat und sie wie Leitersprossen benutzt. Ich probiere es mit bescheidenem Erfolg selbst einmal aus, stecke aber bald auf, weil ich mir nicht mehr traue. In der Lagune gefangene kleine Fische werden geräuchert, mehrere jeweils zwischen zwei Stecken geklemmt und verkauft, wir sind ein gutes Geschäft. Der End- bzw. Wendepunkt der Fahrt ist eine Brücke, die als Requisit eines Dschungelmärchens dienen könnte. Sie verbindet die beiden Ufer eines schmalen Teils der Lagune und sieht von unten betrachtet so aus, als hätte man, anstatt Brückenpfeiler zu errichten, eine etwas ungeordnete Baumreihe gepflanzt und über abgesägte Wipfel dann Matten aus Asthölzern gelegt. Die Frauen, voran die Regenkönigin, schwimmen im kristallklaren Wasser, Karin in ihrem knappen Bikini und mit ihrem Nofretete-Köpfchen ist der Blickfang der Kinder, die sich zusammendrängen, um die plätschernde Weiberschar zu beäugen. Ich dagegen sitze nur auf dieser Brücke, auf einer Unterlage die wie ein Teil der Landschaft ist. Sieben Stunden hat das Unternehmen am Ende gedauert. Wir kehren zu Nils zurück und haben es nun furchtbar eilig den Vierzig-Minuten-Spaziergang zum Meeresstrand zu machen, zu Leonards Camp. Vasco, Nils' Hund, zum größeren Teil eine dänische Dogge, begleitet uns und klefft alles, was auftaucht, mühelos beiseite. Er jagt auch Ziegen und Katzen und einmal am Strand kommt er zwei Fischern in die Quere, die gerade vorübergehen. Jung, wie er ist, will er natürlich nur spielen. Der Strand ist und bleibt umwerfend einsam, nur Sand, und das Meer ist blau und grimmig. Leonards Haus mit seiner Sommerküche ist gänzlich verwaist, es gibt auch keinen Philip, keinen Jack, nur ein ganz junges Kätzchen, das der wilde Vasco zum Glück nicht zu fassen kriegt. In eine leere Bierdose stecken wir eine kleine Nachricht an Leonard. Mehr als eine gute halbe Stunde können wir wegen der hereinbrechenden Dunkelheit nicht mehr dort verweilen. Zeitig gehen wir zu Bett.

© Peter Kiefer, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach sieben langen Jahren haben wir endlich wieder eine große Reise gemacht, haben wieder einmal das Gefühl genossen on the road zu sein und hatten eine Vielzahl anregender Begegnungen. Vor allem Mosambik hat uns bestätigt, dass Afrika wohl der freundlichste Kontinent auf dem Globus ist.
Details:
Aufbruch: Juli 2008
Dauer: circa 9 Wochen
Heimkehr: September 2008
Reiseziele: Südafrika
Mosambik
Malawi
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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