Mosambik und Malawi
Kulturschock - Malawi-See
Zuerst ist es ein Minibus entlang des Ufers des Malombe-Sees, dann ein Pickup mit vielen gesprächigen Leuten, dann sind wir in Monkey Bay angekommen. Karin zieht es zum Hafen, mich zu Karin und also machen wir uns auf den kurzen Weg.
Am liebsten würden wir mit dem Schiff den Malawi-See hinauffahren, an dessen südlichem Ende wir nun angelangt sind. Die »Ilala«, von der wir längst schon gehört haben, läuft immer freitags von hier aus, aber davon sind wir noch drei Tage entfernt. Die Männer in der kleinen Hafenmeisterei würden uns gerne helfen, können aber auch nicht mehr als auf dieses Freitagsschiff verweisen. Und was ist mit den anderen Schiffen, die im Hafen liegen? Ein freundlicher Mann in grüner Uniform beeilt sich sie uns zeigen. Er führt uns durch ein Passagierschiff, das in seiner Bauart, sagt er, der »Ilala« ähnelt und diese, wenn sie überholt wird, ersetzt. Was wir sehen, macht uns allerdings wenig Laune und der Gedanke vielleicht doch auf die »Ilala« zu warten, verfliegt wieder. Vom Oberdeck aus deutet der Mann auf drei weitere Schiffe. Eines habe man (auf Vorschlag des Staatspräsidenten!) zu einem Restaurant und einer Bar umgerüstet, gleich da drüben das mit den Tischen auf Deck. Das andere dahinter ist noch mit Kohle angetrieben worden und das dritte - egal, denn jedes Mal, nachdem er uns eines beschrieben hat, breitet er die Arme aus und sagt: But the engine is completely damaged - aber der Motor ist total im Eimer. Nichts ist's mit der See-Fahrt. Wir gehen hinüber zur schwimmenden Bar. Meine Augen ruhen beim Blick auf die kleine Bucht mit ihren baumbewachsenen Hügeln aus, es ist ein angenehm träger Nachmittag. Jetzt läuft ein Fischkutter in den Hafen ein, er heißt »Kandwindwi« und wir haben eine Idee. Ihr folgend gehe ich zur Anlegestelle hinüber, wo gerade etliche Kisten mit frischem Fang von Bord gebracht werden. Ich frage nach dem Kapitän, der Kapitän ist eine junge Frau, sie heißt Bessy. Oben bei ihr an der Reling steht eine zweite Frau, Grace, wohl die Erste Offizierin. Ob wir morgen mit ihnen mitfahren dürften, frage ich. Von mir aus gerne, sagt Bessy, aber das könne nicht sie entscheiden, das müssten wir schon mit dem Eigentümer klären. Dann geht auch Karin hinüber und stellt sich den beiden vor. Als sie zu mir zurück an den Tisch kommt, bringt sie einen frisch gebratenen Chambo mit, eine Brassenart, die nur im Malawi-See vorkommt. Wir futtern ihn sofort und mit großem Appetit auf. Dann erscheinen auch Bessy und Grace, Karin hat sie eingeladen. Bessy ist die - vermutlich - einzige Kaptänin in Malawi, eine quirlig-zupackende, gelegentlich auch nachdenklich wirkende junge Frau. Mit ihren Leuten holt sie täglich bis zu zehn Tonnen Fisch aus dem See. Wir sind verwundert, als sie erzählt, dass ihr der Beruf gar keinen Spaß macht, dass sie lieber - Buchhalterin wäre! Schon möglich, dass wir uns die Seefahrt zu lustig vorstellen und dagegen ein Büro ein, auch sozial, erstrebenswerterer Ort ist. Jedenfalls wird Bessy mit ihrer Arbeit nicht reich, nur ein weiteres ihrer sieben Geschwister habe einen Job, doch es müssten eben alle versorgt werden. Karin ist mittlerweile ins Büro der Hafenmeisterei gegangen, dort telefoniert sie mit Bessys Chef, trägt ihm unser Anliegen vor. Der Chef lässt sich allerdings nicht bereden, er stellt eine Bedingung: Zuerst will er uns kennen lernen, unsere "Gesichter sehen". Dies könnte, weil er dreißig Kilometer entfernt und auf irgendwelchen Verkehr zu dieser Stunde kein Verlass mehr ist, erst am folgenden Tag geschehen, mit anderen Worten, gar nicht. Wir sind ein wenig enttäuscht. Übrigens unternimmt Bessy, die sich über unsere Anwesenheit ansonsten gefreut hätte, nichts, um ihren Chef noch umzustimmen, vermutlich empfände sie dies als unzulässige Einmischung. Der Hafen unterhält eine eigene Herberge und wir sind als Gäste willkommen. In unserem sehr geräumigen Zimmer steht anstatt eines Tisches eine Schulbank und die Glastür lässt sich nicht richtig schließen, trotzdem fühlen wir uns hier sicher. Gegen Abend schlendern wir zu einem Restaurant im Ort (der so gar nichts zu bieten hat) und essen den üblichen Reis mit geschmortem Fleisch. Man versucht uns bei der Rechnung übers Ohr zu hauen, aber ein bisschen Hartnäckigkeit bringt die Sache ins Reine. Ich hatte schon am Vortag einige Halsschmerzen, in dieser Nacht bekomme ich leichtes Fieber und befürchte einen Tag länger in Monkey Bay bleiben zu müssen. Am Morgen jedoch raffe ich mich wieder auf, angesichts dessen, dass es mir im Lauf des Tages allmählich besser geht, ein richtiger Entschluss. Als wir gerade dabei sind den Hafen zu verlassen, ist auf einem Blechdach über uns ein Riesenradau. Zunächst denke ich an Handwerker, doch dann erkenne ich, dass es Paviane sind, sie hämmern uns noch einmal lautstark den Namen dieses Ortes ins Bewusstsein, Monkey Bay. Auf dem Weg zum Bus passieren wir das Restaurant vom vergangenen Abend, Karin hat dort ihr multifunktionales Handtuch liegen lassen. Um es zu holen, geht sie in den kleinen Hof, wo die Tische und Bänke stehen. Ich schaue mich bereits nach dem Bus um, als sie meinen Namen ruft. Was ist? Ich eile zurück und da steht sie blutüberströmt vor mir: Blut tropft ihr aus der Nase und dem Gesicht. Mitsamt ihrem Rucksack ist sie gestolpert und auf ein Mäuerchen geschlagen. Für Augenblicke lag sie dann, sagt sie, benommen im Schutt. Gut, dass gleich etwas Eis vorhanden ist, Karin packt es ins wiedergefundene Tuch und betupft ihre Wunden. Wenn er heute unsere Gesichter sehen würde, der Boss der »Kandwindwi«, denken wir einen Augenblick, aber da ist der erste Schrecken schon überstanden. Im Reisebus müssen wir die Hälfte der Strecke stehen. Nachdem wir dann auf einen Lkw umgestiegen sind - wir sind in Richtung Norden unterwegs, nach Salima -, erleben wir es zum wiederholten Mal, dass eine neue Straße im Bau, zum großen Teil auch schon fertig ist, dass der Verkehr aber durchgängig auf staubige Pisten umgeleitet wird. Rasch nehmen wir deren Farbe an. Von Salima nach Senga Bay, unserem heutigen Endziel, ist die Straße dann wieder geteert, dafür werden wir am Ende der Fahrt mit einem Fantasiepreis konfrontiert, dem Fünffachen des eigentlichen. Wir bezahlen dann zwar doch nur den einfachen Preis, keine Diskussion, aber das Unbehagen bleibt, weil wir dergleichen Versuche zuvor in Mosambik nicht erlebt (oder nur nicht bemerkt) hatten. Mr. Jones ist der Vater von Michelle, die wir zusammen mit ihrer Familie am Cahora-Bassa-Stausee getroffen hatten, und Michelle hatte uns beim Abschied gesagt, dass wir bei ihren Eltern in Senga Bay jederzeit willkommen seien. Nun bringen uns zwei Jungs, die sich ein kleines Geschäft mit selbst gefertigten Schlüsselanhängern versprechen, zum Haus der Jones'. Nach zwanzig Minuten, die wir durch immer tieferen Sand stapfen, sind wir da. Am Gartentor strahlt Rose uns entgegen, eine ältere Hausangestellte mit einem liebenswerten, gutmütigen Gesicht. Sie ruft Mr. Jones heraus und der blickt uns einigermaßen skeptisch an. Sicher, Michelle wollte ihm über unser mögliches Kommen Bescheid geben, aber wir hätten uns natürlich die Mühe machen sollen zuvor noch einmal alles telefonisch abzuklären. Nun stehen wir einigermaßen verlegen am Gartentor und bitten den nichts ahnenden Mr. Jones heute Nacht hier bleiben zu dürfen. Man lässt uns einzutreten, gibt uns etwas Wasser zu trinken, aber unser kleiner Überfall rückt erst in ein besseres Licht, nachdem Mr. Jones, für uns nun bald Sandy, seine Tochter angerufen hat. Mrs. Jones heißt Marina und sie serviert uns einen kleinen Imbiss. Das Zimmer, das in der Zwischenzeit für uns gerichtet wurde, ist schließlich eine Art Kulturschock. Es ist riesig groß, hat ein mehrteiliges Badezimmer, außerdem steht uns noch ein anderer Teil des Hauses zur Verfügung mit einem Wohnzimmer und einem Kühlschrank voller Getränke. Das Erstaunlichste ist freilich der aufwendig gepflegte Garten, der direkt ans Ufer des Malawi-Sees grenzt. Man könnte ihn mit einem Botanischen Garten verwechseln, einem tropischen Biotop mit vielen Vogelarten, sogar ein Reh spaziert hier herum. Aber natürlich ist alles eingezäunt, hinter Schloss und Riegel, unerreichbar für Außenstehende. Sandy, jetzt Pensionär, war im Tabakhandel tätig (raucht aber zum Glück nicht), hat etliche Auslandsreisen unternommen, mehrfach auch welche nach Deutschland, am liebsten zum Münchener Oktoberfest. Er will uns an diesem Nachmittag unbedingt etwas zeigen. Dabei handelt sich's um eine Grundschule, wir fahren zusammen hin. Eine Anzahl kleiner Häuser aus Ziegelsteinen ist geplant, im Bau oder schon fertig gestellt, jedes ein Klassenzimmer. Sie ersetzen die zuvor aus Schilf gebauten und in zu geringer Anzahl vorhandenen Hütten. Sandy hat das Projekt von einem australischen Entwicklungsdienst übernommen, nun managt er das Unternehmen weiter, sorgt für Schultafeln oder dafür, dass Lehrern überhaupt nur ein Stuhl zur Verfügung steht. Gleichzeitig schafft er neue Bedingungen in Sachen Schulgeld und Lehrergehälter. Das eine wird um die Hälfte gekürzt, die anderen werden verdoppelt, und dabei müssen Muslime und Christen noch unter einen Hut gebracht werden, keine einfache Aufgabe. Als Karin dann aus unserer Reisekasse eine Hundert-Euro-Spende leistet, sind wir plötzlich Teil des Projekts und haben, nebenbei, unsere Selbsteinladung auf elegante Art und Weise sanktioniert. Wenn wir zu Hause noch weitere Spenden locker machen, könnte in der näheren Zukunft sogar ein "Deutsches Haus" entstehen. Sandy zeigt uns ein Becken für die künftige Aufzucht von Flusskrebsen, Stammmutter und -vater sitzen in einem Aquarium im Wohnzimmer und alle warten auf die große Eiablage. Sandy hat noch mehr in petto. Das Visitenkärtchen, das uns sein Stiefsohn Richard gegeben hatte, trägt als Logo "Gelfuel", jetzt wird klar, was gemeint ist. Sandy produziert (mit Hilfe von Sponsoren) eine Art Minikochstelle. Anstatt mit Kohle funktioniert sie mit einem geruchlosen und rückstandsfreien Gel, das allen anderen Energiequellen an Umweltfreundlichkeit, letztlich sogar im Preis, überlegen ist. Kommen eine flache Dose und ein kleiner Aufsatz für den Topf hinzu, eine Küche für arme Leute. Sandy ist ein engagierter Mann, unter anderem mit guten Kontakten zu Ministern in Malawi und Mosambik. Das Mahl am Abend ist reichhaltig, das Bett, in dem wir schlafen, fast zu groß. Früh am nächsten Morgen ist Sandy nach Lilongwe aufgebrochen, der knapp neunzig Kilometer entfernten Hauptstadt des Landes, am Vorabend hatten wir uns von ihm verabschiedet. Zwar sind wir ebenfalls früh wach, nehmen den ersten Morgenkaffee aber dieses Mal im Bett, eine Kanne steht schon bereit. Der Spaziergang draußen am Strand wird später dadurch abgekürzt, dass wir in einiger Entfernung die Fähre erspähen, die uns von Senga Bay über die schmalste Stelle des Malawi-Sees hinüberbringen wird ans Ostufer. Da wir widersprüchliche Informationen haben, wann sie losgeht, bitten wir Marina uns für alle Fälle zur Anlegestelle zu bringen. Der Fischerhafen ist bunt und sehr belebt, deshalb ist auch das Warten auf die auslaufende Fähre einigermaßen kurzweilig, viel dörflicher Alltag spielt sich ringsum ab. Gegen drei Uhr besteigen wir das Boot, das ein Ober- und ein Unterdeck besitzt, richtige Tickets werden sogar ausgegeben und zwei heisere Lautsprecher sorgen für die Geräuschkulisse. Das Ufer mit seinen wenigen Hügeln verschwindet allmählich, man kommt mit den Sitznachbarn ins Gespräch, Karin zum Beispiel erfährt von einem Lehrer, Severino (der sich von uns die Herkunft seines Namens erklären lässt), alles über die wichtigsten Interpreten malawischer Musik und schreibt sich Namen auf. Ungefähr zwei Stunden dauert diese Überfahrt, danach wird es etwas ungemütlicher. Die Dunkelheit kehrt allmählich ein, wir haben wieder einmal die Ladefläche eines Pickups bestiegen und pflügen jetzt über eine sandige Straße, kaum mehr als eine schmale Schneise durch den Busch, nach Makanjila. Man muss sich häufig ducken, um nicht unsanft von Baumzweigen gestreift zu werden. Einmal durchqueren wir sogar einen Fluss (und bleiben fast im Wasser stecken). Die Dörfer haben keinen elektrischen Strom und wo immer Karins und mein Gesicht auftauchen, scharen sich Kinder und Erwachsene um uns; Weiße kommen offenbar selten hier vorbei. Vor »Mr. Diamond's Resthouse« endet die Fahrt. Es diente einmal als Stützpunkt für ein deutsches Entwicklungshilfeprojekt, ein älterer Mann, der uns dort empfängt, zeigt mir Fensteraufkleber, die noch darüber Auskunft geben. Jedes der Zimmer geht auf einen großen Hof hinaus, zum Waschen und zur Toilette geht man in einen benachbarten kleineren. Natürlich gibt es kein fließendes Wasser, aber warmes gibt es: Ein Topf steht auf den glimmenden Enden von zwei Ästen. Der ältere Mann macht sich in der Dunkelheit sogar noch mit uns auf den Weg in eine kleine Kaschemme am Markt, Reis mit Huhn gibt's da. Und wieder ist es ein Lehrer, mit dem wir ins Gespräch kommen. Er meint, die Worte des Präsidenten der Republik müssten beherzigt werden, wonach Malawi wie ein Ameisenstaat funktionieren sollte. Aber das ist so ungefähr das Unafrikanischste, was ich mir vorstellen kann.
Aufbruch: | Juli 2008 |
Dauer: | circa 9 Wochen |
Heimkehr: | September 2008 |
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Malawi