Rajasthan und noch ein wenig mehr von Indien.....
Schwarzer Freitag
Mit einer Zwischenübernachtung in Agra, sollte eigentlich ab heute unsere Rückfahrt nach Delhi starten. Wie gehabt, nach dem Frühstück ging es los. Hinter der Stadt auf den 4-spurigen Nationalhighway Nr. 2. Wir hatten gerade den Gedanken gefaßt, eine Tee-/Lunchpause einzulegen, da passierte es - Unfall:
Shyem fuhr auf der rechten Spur, von links ging ein älterer Mann auf die linke Fahrbahn, um die "Autobahn" zu überqueren, hinter ihm schob ein junger Mann ein Fahrrad. Das war sein Sohn von 20 Jahren, wie wir später erfahren haben. Shyem hupte, der Mann blieb stehen, ging sogar einen Schritt zurück, so daß für uns klar war, der wartet, bis wir vorbei sind. Als wir mit dem Auto fast auf seiner Höhe waren, fing der dumme Kerl auf einmal an, schnellen Schrittes, Arme voraus, in unser Auto zu laufen. Es gab einen Knall, der Beifahrerspiegel ab und verschwunden, Mann ebenso. Wir eine Vollbremsung und auf der Seite angehalten. Für uns war der Mann eigentlich schwerstverletzt oder schon tot. Shyem raus, sagte nur, Türen verriegeln. Wir waren erst mal geschockt, haben gedacht, hoffentlich lebt er noch. Auf einmal Menschen über Menschen, alle redeten - das Ende war, Shyem und der Sohn hievten den Alten auf den Beifahrersitz, er hat sich bewegt, hatte einige Abschürfungen, war aber nicht ansprechbar, der Sohn hielt ihn fest - Polizei wollte niemand haben, auch unser Fahrer nicht. Dann begann die Suche nach einem Arzt, den wir nach mehrmaligen Nachfragen auch gefunden haben. Für uns als Touristen nicht als Praxis erkennbar.
Die Praxis bestand aus zwei hintereinander liegenden Räumen, beide ca. 4 x 4 m groß. Im ersten Zimmer Schreibtisch, eine Holzbank und 2 Holzpritschen, durch eine Gardine voneinander getrennt. Das Hinterzimmer war lediglich mit 2 Holzliegen bestückt. Ansonsten alles recht schmuddelig und alt, krank möchten wir in Indien nicht sein, auch keinen Schlaganfall oder Infarkt hier bekommen, glaube, da kann man gleich abschließen mit dem Leben.
Der ältere Arzt (wir hatten gedacht, er würde selbst behandelt, da er eine Halskrause trug und einen Verband am Fuß) hat den Mann auf der Pritsche im hinteren Zimmer abgetastet - keine Brüche, alles nur äußerlich. Die Wunden wurden versorgt und er bekam einen Tropf mit Antibiotika und Schmerzmittel gelegt. Man konnte ihn auch wieder ansprechen. Der Sohn hatte sich beruhigt und mittlerweile die ganze Familie informiert, die bereits im Anmarsch war. Nun hieß es, auf alle zu warten. Schon jetzt war klar, dass es auf eine finanzielle Schadensregulierung hinauslaufen würde. Aber nicht für uns, sondern für den Verletzten und seine Familie - so wäre das in Indien, wurden wir aufgeklärt. Das wir unser Hotel in Agra heute auf keinen Fall erreichen würden, war uns schon seit dem Unfall klar.
Wir saßen derweil draußen vor dem Haus mit den wartenden anderen Patienten zusammen.....es ging schon auf 15 Uhr zu. Nun tauchte plötzlich die Ehefrau mit einem anderen Sohn auf, sie war natürlich ganz schön geschockt, hat geweint und geschluchzt, aber als der Arzt mit ihr redete, hat sie sich schnell wieder beruhigt. Vom jüngsten Sohn hatten wir mittlerweile erfahren, das sein Vater trotz Augen-OP fast nichts mehr sieht, daher war er wohl auch mit den Armen vorgestreckt losgelaufen.
Der älteste Sohn und noch andere Personen der Familie tauchten nach und nach auf und die Vehandlungen begannen - da war keiner mehr bei dem Papa, der lag allein im Hinterzimmer und stöhnte vor sich hin, der hätte derweil von der Pritsche fallen können. Ich bin dann mal zu dem 70-jährigen, mein Gott, war der dünn, da konnte man wirklich die Knochen einzeln nach Brüchen abtasten.
Sicherheitshalber hat der Arzt noch entschieden, eine CT vom Kopf machen zu lassen, dafür wurde ein anderes Privatauto angefordert, um den Krankentransport nach Kanpur zu machen. Um 16 Uhr war es dann so weit. Das Auto war da, unser Fahrer, der Doktor, der älteste Sohn und der Patient waren weg. Shyem hat uns den Autoschlüssel vorsorglich dagelassen - jetzt hatten wir zwar ein Auto, aber keinen Fahrer mehr, hoffentlich kommen alle wieder, damit wir nicht selbst fahren müssen.
In der Wartezeit konnten wir verfolgen, mit welchen Fällen sich der jüngere Arzt derweil befassen musste - ein dehydriertes Kleinkind und eine junge Frau mit Magenkrämpfen am Tropf, ein anderes Baby zur Nachuntersuchung, ein Mann, der sich ein Medikament abgeholt hat, also recht leichte Fälle. Und das ganze Geschehen findet bei offenen Eingangstüren statt, keinerlei Privatsphäre, alle die da waren, haben regen Anteil an den Patienten genommen, auch die, die draußen neugierig rumsaßen. Irgendwann wurden auch mal die Behandlungszimmer ausgefegt, eine dicke Schaufel voller Sand, Blätter und Dreck und alles, was von draußen so reingeweht war, von sterilen Bedingungen, wie wir sie kennen, keine Spur, auch Gummihandschuhe beim Arzt oder Gehilfen, Fehlanzeige.
Um 18 Uhr die gute Nachricht per Telefon, keine Schädelverletzungen, um 19.30 Uhr war der Transport zurück. Nun folgte die Runde 2 der Verhandlungen, wie auf einem Basar- umgerechnet 15.000 Rupien später war die Einigung mit Unterstützung des Dr.'s da, schriftlich fixiert. Darin enthalten waren die Arztkosten des hiesigen Doktos, Krankenhauskosten inkl. CT, die Medikation der nächsten Tage und eine Entschädigung für die Familie. Mit einem 50 €-Schein mußten wir unseren Fahrer unterstützen, da er nicht so viel Rupien dabei hatte. Diese Banknote war in fast allen Händen derer, die draußen um uns herum standen, aber wir waren froh, daß die Familie auch den Euroschein akzeptiert hat.
Das der Patient überlebt hat war die gute Nachricht für uns, wie wäre das alles ausgegangen bei seinem Tod? Darüber darf man gar nicht nachdenken.
Dann ging die Fahrt Richtung Delhi endlich weiter.
Wir haben mit Shyem ausgemacht, dass wir hinter Kanpur nach einem Hotel Ausschau halten für die Nacht. Dazu muß man vielleicht erwähnen, das diese Gegend nicht, aber auch gar nicht touristisch ist. Im Hotel Kunal in Etawah haben wir schließlich eingecheckt.
Wir sind uns sicher, keiner unserer Bekannten und Freunde hätten hier freiwillig übernachtet, aber wir waren alle kaputt und es war schon 23 Uhr. Shyem und ich haben das Zimmer angeschaut. Als er mich fragte, ob wir es denn nehmen wollten, habe ich gemerkt, das er inständig daurauf hoffte, er war nämlich fertig mit der Welt für heute, und ich sagte ja, besser als nichts. Auf einer Skala von 0-5 Sternen, würde diese Unterkunft bei mindestens minus 3 Sternen landen - alles total versifft, das Treppenhaus, die Wände, die Stufen, unser Badezimmer. Das Einzige, was wirklich sauber war, waren die Handtücher, die Bettlaken und Kissenbezüge, die rochen angenehm frisch gewaschen.
Wir haben dann noch unten im Restaurant was gegessen, hatten ja unter Tage noch nichts gehabt. Unter der ausgeschalteten Getränketheke lugte auf einmal eine weiße Ratte hervor, und noch eine kleine weiße, beide auf Nahrungssuche - hinzu kam später noch eine graue. Der Hotelangestellte klärte uns auf, das sind unser Hausratten, die wohnen hier - da waren wir mächtig beruhigt!! Possierliche Tierchen, haben wir beim Essen festgestellt, hier was zu Knabbern gefunden, dort einen Apfel aus den Vorräten geholt, nett anzuschaun.
Das Essen war wider Erwarten richtig lecker, nur das Ambiente nicht. Später im Bett habe ich erst mal gewartet, ob es irgendwo krabbelt oder juckt, aber nichts - das Zimmer war ungezieferfrei. Gut geschlafen haben wir auch. Aber so eine schnelle Morgentoilette wie heute früh, hatten wir noch nie. Wieder hinunter ins Restaurant, auch das Frühstück war sehr gut, die Ratten waren nirgends zu sehen, haben wahrscheinlich noch geschlafen.
Ohne weitere Zwischenfälle konnten wir unsere Fahrt bis Delhi heute fortsetzen. Dort werden wir bis zum Abflug im Hotel Vista Inn wohnen.
Aufbruch: | 27.02.2012 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 26.03.2012 |