Mit 5th Wheel durch Jordanien und Syrien
...mehr Begegnungen im Wadi Rum...
Erstaunlich schnell lerne ich im Wadi Rum viele Leute kennen. Das mag mit daran liegen, dass mein rolling sweet home, von weither sichtbar, an den Eingangspisten zur Wüstenlandschaft steht. Männer in ihren alten Geländeautos, grössere Jungs mit Kamelen und Frauen und Kinder mit Schafen oder Ziegen benutzen diese Wege. Viele sind neugierig, auf keinen Fall skeptisch, kommen zu mir, kommen schauen, wer da "wohnt" oder kommen, weil ihnen im Dorf jemand von mir erzählt hat. Der Junge mit den fünf Kamelen brauchte heute Morgen keine Salbe, er fragte nur nach Schokolade. Toblerone war ihm wieder recht.
Nach seinem Besuch machte ich mich ans Putzen und Kleiderwaschen, spannte ein Seil dem Wagen entlang, hängte alles ordentlich in die Sonne, rote und gelbe Klämmerli schön abwechselnd, dass es nur so eine Lust war, wie der Wind durch meine Wäsche fuhr.
Zwei Männer, die sich als Tourist Police vorstellten (Police = nur schlechtes Englisch), machten ihre Aufwartung und schätzten den Italian Espresso. Dann klopfte jemand, der sich von mir die Möglichkeit erhoffte, im Lonely Planet erscheinen zu können. Alle haben wohl mit dem Tourismus zu tun. Man führt die Touris ein paar Stunden in der Wüste herum, oder man geht mit ihnen zwei, drei Tage in ein Camp. ("We have tent, we have toilet, we have shower, we cook Bedouin dinner" - alles Nötige wird hin- und hergekarrt - "we can, or want, kiss German or English girls.")
Einen sehr guten Kontakt hat mir Ali (von "Ali`s Place") vermittelt. Jehad ist ein 17-jähriger Junge, offen, interessiert, intelligent. Er hat mich mit einem Kollegen zusammen mit meinem Auto in der Wüste herumgeführt. Sie genossen es, dass sie selber fahren durften, ich konnte die Landschaft bestaunen. Einfach wunderbar! Die verschiedenen Felsformationen und Gesteinsstrukturen, die Öde, die gar nicht öde ist. Es spriessen in diesen Tagen tiefgrüne Grasbüschel, die die Beige- und Rottöne der Felsen und des Sandes herrlich ergänzen. Irgendwo ein Tee-Stopp bei einem Zelt: "When you have problem, come here in desert, we help you."
Den Familienanschluss gab`s dann bei Jehad obendrein. Ich bin frei, ihr Haus zu betreten, wann ich will, bzw. den Anbau, einen kahlen Raum, auf dem Boden ein Teppich, einige Kissen und ein Computer. Sein Vater Mafle bietet auch das übliche Touristen-package an, seine 14-jährige Schwester spricht schon gut Englisch ("We learn at school - school for girls"), weiter hat er noch einige quirlige kleine Brüder und den jüngsten, zwischen Computergame, Teekrug und Aschenbecher von allen umsorgten und verknutschten zweimonatigen Hemmet. Auch die Mutter zeigte sich. Eine kleine, dünne Frau mit ledrigem, aber lebendigem Gesicht. Mit einer Zigarette im Mund betrat sie den Raum, setzte sich zu uns und schnappte sich den Aschenbecher. Wenig später schnappte sie sich ihren Jüngsten, packte ihre Brüste aus und stillte diesen in selbstverständlicher Lockerheit neben mir. "Welcome to Jordan"!
Heute Morgen bin ich von einem umgehängten Maschinengewehr weggeschickt worden. Freundlich, aber bestimmt. Ich wollte der Schule des Dorfes einen Besuch abstatten. Das ganze Schulareal ist eingezäunt, und der Zugang ist ein schweres Schiebetor mit Wachhäuschen, darüber grosse Bildnisse von König Abdullah und andern Köpfen. Die Schüler, die sich auf dem Hof aufhielten, nur Knaben, waren alle in mehrfarbig gefleckte Militäruniförmli gesteckt. "Military school for boys", erklärte man mir, "no enter!" Und dann, wie als Entschuldigung nachgeschoben:
"You`re welcome, but please go!" Ein zweifach geschraubter Salto rückwärts der Höflichkeit! Sei willkommen, aber geh bitte...
Ich ging zu Ali`s Place. Wir sassen auf den Plastikstühlen an der Sonne, tranken alkoholfreies Bier und redeten über das Leben, die Militärschule und die Wirkung von alkoholfreiem Bier. Da rief Ali einen Vorbeigehenden heran. Es war nur ein Teacher. Es war Nur, ein teacher. Klar sei ich welcome an der Schule, heute sei eben ein spezieller Tag gewesen, es sei (anderer) Besuch erwartet worden. "Something like general, you know." Aber er rufe mich morgen an, und ich solle doch noch "some Swiss chocolate for the teachers" mitbringen.
"Karawane" ist seit Jahrhunderten ein wichtiges Wort in der Wüste. Vielleicht hat es in letzter Zeit, seit die Anzahl der Toyotas jene der Kamele überholt hat, etwas an Bedeutung verloren. Aber in diesen Tagen lebt es wieder auf - in modernerer Form: Der "Caravan" des Schweizers Christif. Fast alle haben schon einen Halt gemacht und haben sich einen italienischen Espresso servieren lassen. Mit viel Zucker, versteht sich! War die Frage anfangs meiner Reise die, wie das Allein-sein für mich wohl sein werde, ist aus ihr die Bitte geworden: "Allah, lass die nächsten paar Toyotas vorbei fahren - ich möchte noch putzen und den nächsten Text nicht wieder in der Nacht schreiben."
Ich trat vor mein rolling sweet home, um eine Foto des rötlichen Frühabendhimmels zu machen, als ein (sagen wir doch mal) Nissan rassig neben mir bremste. "Sand is in the air...", summte es in mir. Zwei Männer, ein Bursche und ein kleiner Knirps entstiegen der Sandwolke. Er wolle den Caravan sehen, sagte Sabbah auf den Kleinen deutend.
Die sind ja alle verwandt miteinander: "I am the uncle of..., he is the cousin of..." Der Kleine, der im ganzen sweet home herumzuklettern begann, sei das jüngste von seinen fünfundzwanzig Kindern, erklärte Sabbah. Was antwortet man darauf? "Allah segne sie"? Oder: "Lustig, mein Nachbar hat genauso viele Schafe"? Oder, nur still für mich, die arabische Warnung auf seinem Zigarettenpäckli betrachtend: "Rauchen macht impotent". Ich erklärte ihm, dass man in der Schweiz eine monatliche Kinderzulage von 200 Franken erhalte. Würde in seinem Fall 200 x 25 x 12 = 60`000 Franken jährlich ergeben... Sie waren wirklich lieb und herzlich. Ihr ehrliches Lachen, ihre offene, aber höfliche Neugier, ihre mit Anstand gepaarte Unbeschwertheit.
Der Himmel war inzwischen nicht mehr rot, es war dunkel, also fuhr ich in der Dunkelheit auf den Pistenwegen dem village entgegen. Unterwegs stellte sich mir ein Auto in den Weg: "Hello Christif! We wanted to come to you. Sorry, we didn`t come in the afternoon. You know, one of my uncles is dead." Und jetzt müssten sie ins Wüstencamp zu den Touristen, erklärte Süleyman. Ich hielt es im Moment für unangebracht, nach dem Geschlecht der "tourists" zu fragen.
Endlich war ich im village. Plan: zu Ali etwas essen. Aber es wartete eine kleine Aufregung auf mich:
Der Brand sei gelöscht. Ali zeigte auf die verrussten Wände seines Lokals. Es stank nach Verbranntem und nach Rauch. Alfi, der ägyptische Shopkeeper von nebenan, hustete und hatte Schmerzen in der Brust. Denn er war es, der den Küchenbrand entdeckt und gelöscht hatte. Er war durch den Rauch zum Gashahn gerannt um diesen zuzudrehen. Ali, der Chef, war die Ruhe selbst. "Allah sent me a message", war sein Kommentar. Er sei wie üblich in die Moschee gegangen, habe aber, nicht wie üblich, den Gasherd mit dem Kochtopf nicht abgestellt. Und was hat es denn mit der message von Allah auf sich? "I must keep my place clean." Jetzt komme er nicht mehr ums Putzen herum. Treffer! Die letzte Reinigung muss lange zurück liegen... Allih versucht also auf gewisse Hygiene- und Sauberkeitsstandards in der Wüstengastronomie aufmerksam zu machen. Allih ist der Brandstifter! Und Ali? Er sagte, immer noch ganz ruhig: "We will see tomorrow." Und was sagte der Schweizer Christif dazu? Nichts. Aber ich holte Eimer, Lappen und Putzmittel und begann zu putzen. Ala, der liebe und fleissige Aushilfsbursche, half sofort mit. Jetzt blieb auch Ali nicht mehr sitzen. Allih packte aber nicht mit an, er hatte ja seinen Job, die message via Brandstiftung, bereits erledigt, war aber im Geiste unter uns. Es war schon nach Mitternacht, als wir mit dem Gröbsten fertig waren. Bei einem Kaffee auf den internationalen weissen Plastikstühlen liessen Ali, Ala, Allih (symbolisch auf einem freien Stuhl) und Christif das religiöse Putzfest ausklingen.
Nach einem kurzen Schlaf weckte mich mein Jordan phone. Es war nur Nur, der teacher. "You`re welcome. But you can`t come to school. All military schools in all countries it`s not possible." Schade. Als Swiss teacher hätte ich Nur zu gerne eine Schulstunde besucht.
Ich plante, das Wadi Rum morgen Richtung Norden zu verlassen. Dies bekam beim Kaffee bei Ali auch Nur (schreibt sich übrigens Noor) mit. Er fragte, ob er mitfahren könne nach Al Karak, er habe einige Tage frei. Wir verabredeten uns auf den nächsten Morgen um halb zehn bei Ali.
8 Uhr am Morgen - 10° im rolling sweet home - die Sonne kam über die Felsen - der Kamel-Junge wird bald auftauchen - Kaffee aufsetzen - getting ready for leaving - es musste sein.
Ich war fast ready - da kam sie. Die Good-bye-Delegation. Mutlag, Süleyman, Sabbah, Onkels, cousins, friends, ... "Coffee?" Klar. "With or without?" Auch klar. "Let`s sit in the sun!" Könnte knapp werden mit halb zehn bei Ali.
Auf die Minute genau um 09.30 läutete das Jordan handy. Noor: "I am here. Where are you?" Komme in einer halben Stunde. Punkt zehn Uhr ein sms. Wörtlich: "Hello Sir, you should take care more about the time." So etwas muss sich ein Schweizer in Arabien sagen lassen! Als ich dann dort war, musste ich es mir nochmals anhören: 9.30 sei 9.30 and not one minute later. Das habe er in der military school gelernt. Ich schluckte es. Und gleich gab`s noch etwas zu schlucken! Da sass nämlich noch ein weiterer teacher mit Reisetasche auf einem Plastikstuhl. Er müsse auch nach Al Karak, ob er auch mitfahren dürfe, fragte Noor. Aber Allah, warum lässt du jetzt noch weitere drei Herumstehende einsteigen? Mein Nissan schluckte sie - einer vorne auf dem Beifahrersitz, vier hinten auf dem Rücksitz! Und wir hatten 250km vor uns. "One is one, and five is five!", sagte ich belehrend zu Noor, "das habe ich in der Swiss army gelernt." Nein, ich sagte es nicht. Ich lächelte es in mich hinein.
Aufbruch: | 07.02.2011 |
Dauer: | 9 Wochen |
Heimkehr: | 12.04.2011 |
Syrien