Mit 5th Wheel durch Jordanien und Syrien

Reisezeit: Februar - April 2011  |  von Christoph Lehner

Im Tannur Canyon

Die Route über den Desert Highway war nicht interessant. Dafür waren`s meine blinden Passagiere. Einer wollte mehr über Viagra wissen. Männer- witze wurden erzählt. Schenkelklopfatmosphäre - ob Mann zu viert auf dem Rücksitz immer den eigenen traf, weiss ich nicht. Nur einer der Fahrgäste mochte nur zögerlich mitlachen, der älteste, ein seriöses Männchen mit Aktenköfferli und goldigem Handy. Er zeigte mir beim Kaffee-Stopp Fotos seiner Familie. Aber, oh crazy Jordan!, ein anderer schnappte sich sein Handy, drückelte drauf herum und hielt es mir schelmisch vor die Nase: "See, how many phone calls he has from other woman!" Es waren 25. "She always call him!" Und ich realisierte, wer vom Rücksitz sich nach Viagra erkundigt hatte. Eben der mit dem goldigen Händli!
Kurz nach Al Karak stieg der letzte aus. Mein Ziel war der Tannur Canyon 30 km weiter. Imposante Fahrt hinunter, manchmal im ersten Gang mit meinem Zirkusgefährt. Kahle, abgerissene Felswände, dazwischen ein grünes Plateau mit Äckern und Olivenhainen. Zuunterst ein Police Checkpoint, ich wurde angehalten. Es folgte die nächste Gaudi, inklusive Kuss eines Polizisten! "Welcome to Jordan! - You drink tea? - And your Madame, no Madame? - Switzerland good country!" Sie rissen ihre Klettband-Jordan-Fläggli von den Uniformen um sie mir zu schenken.
Kurz nach dem Checkpoint eine Abzweigung mit "Hammamat Borbatali" beschildert. Klang nach "Naturheilbad Unterrechstein". Erster-Gang-Abstieg, schmaler Naturweg, Pfützen, schon lange keine mehr gesehen, zwei, drei Gebäude, Ende. Ich stand im Schilf. Frösche quakten rundherum. Was für ein Szenenwechsel, vom Sand in den Schilf! Von den Kamelen zu den Fröschen. Es war dunkel geworden inzwischen, klarer Sternenhimmel, Einsamkeit.

Fünf Minuten hatte ich sie, die Einsamkeit. Dann kam aus der Dunkelheit ein Licht auf mich zu. Jemand leuchtete sich den Weg um die Pfützen herum. Bei mir angelangt, sah ich das Messer, das im Schein seines Lämpchens funkelte. Er redete auf Arabisch wild auf mich ein und liess die Metallklinge vor meinem Gesicht aufblitzen. Endlich fand ich meine Fassung wieder und sagte: "Grüezi." "My name is Ahmed. Welcome to Jordan", antwortete er, "come with me!"
Er zeigte mir mit seinem Licht das gedeckte Bad, und auf sein Rufen hin erschienen drei junge Männer. Mit Kaffee- und Teekrügen. Clevere Jungs, einer davon sein Sohn, alle drei studieren in Al Karak und sprechen gut Englisch. Ahmed erklärte, er sei pensionierter Flight ingeneer und komme wegen seines Rückens oft hier baden. Sein Hobby sei, im Boden nach Zeugnissen der Vergangenheit zu suchen. Ob ich Deutsch lesen könne? Er holte einen Plastiksack mit einer Beige alter, zum Teil gestempelter oder mit Siegel versehener Dokumente. Österreichische Tauf-, Trauungs- und Todesurkunden, Beerdigungsabrechnungen und Schulzeugnisse aus den Jahren 1820 bis 1910.
Am Morgen musste ich mich erstmal genauer umsehen. What a feeling! Ich bin mitten im Grünen. Nach dem Schilfgürtel ein paar Äcker und Wiesen mit Bäumen, und dahinter erheben sich steil, kahl und teilweise bizarr geformt die steinigen Berge. Im Bad nebendran plätschert warmes Wasser ins (renovationsbedürftige) Bassin.
Ich machte einen Ausflug zur andern Hot spring, die sich fünf Kilometer weiter hinten befinden müsse. Mit schöner Sicht hinunter auf das schmale Tal mit seinen grünen Feldern schlängelt sich die Strasse dem Berg entlang. Oft stehen auf harten, steinig trockenen Absätzen Zelte, um sie herum Schafe, Ziegen oder bunt angezogene, spielende Kinder. Ein alter Pick-up, aufgehängte Wäsche und herumstehende Utensilien komplett- ieren das Bild.

Da ein Zelt immer auf einer Längsseite offen ist, brauchte ich ja nicht anzuklopfen. "Hello!", sagte ich, "ich habe gehört, dass Sie den besten Tee im Tal machen." Wir tranken ihn mit viel Zucker, nicht auf weissen Plastik- stühlen, sondern auf dem Boden des "Living-room-Traktes". Die Eltern, die Buben Mohammed, Sabbah und Abdullah - sie sind Palästinenser.
Das Zelt: Aus den Materialien, die man halt hat. Zum Teil grosse, zusammengenähte Plastiksäcke. Bastmatten und dünne Matratzen am Boden, ein paar zusammengerollte Decken. Einzige "Einrichtung" ist das Küchengestell aus Holzbrettern und Harassen, mit einem Gaskocher. Ein Tablett mit Teekrug und Tassen. That`s it.
Die Büblein drückeln auf Mamas Schoss an einem grasgrünen Telefönli herum, Papa kann wenige Wörter Englisch, Mama lächelt offen. Das reichte für die gegenseitigen Infos über Familien und Herkunft und sogar für eine Äusserung über den lyben Gad-Affi. Und natürlich für mehr Tee mit mehr Zucker.
Zuhinterst in diesem Tal befindet sich das zweite Hammamat. Mit Eintritts-preisen für die ganze Anlage. Interessante Preispolitik: Jordanier 1 JD, Araber 3 JD, Foreigners 5 JD. (Mineralheilbad Unterrechstein in Appenzell Ausserrhoden: Appenzeller Fr. 10.-, Schweizer Fr. 20.-, Europäer Fr. 30.-, Ausländer (!) Fr. 50.- !) Gebadet wird im kleinen, heissen Flüssli zwischen den hoch aufragenden Felswänden, an welche sich ein paar Gebäude kleben. Beim Parkplatz ein Beizli: Grösse eines Kinderzimmers, ein Gestell mit Limonaden und Schoggi-Riegeln, ein Tischlein mit einem alten TV und einem Teekrug als Aschenbecher, zwei internationale fucking Plasticstühle und ein nationales Eisengestellbett. Darauf liegend der Gastwirt himself. Gesprächsthema (musste pantomimisch abgehandelt werden): Frauen. Nicht sehr schwierig - pantomimisch. Da der arme Kerl aber keine hat und sich nach einer sehnt, musste er sich pantomimisch doch recht ins Zeug legen um sich verständlich zu machen. Was die wiederkehrenden wischenden Bewegungen unters Bett bedeuten sollten gelang mir nicht aufzuschlüsseln. Aber meine Phantasie freute sich.

Mit vier von den one is one and five is five Passagieren

Mit vier von den one is one and five is five Passagieren

Teepause beim Police-Checkpoint

Teepause beim Police-Checkpoint

Das Hammamatli

Das Hammamatli

Ganz still sein - dann hört man die Frösche

Ganz still sein - dann hört man die Frösche

Adresse: Hammamattalstrasse 74b

Adresse: Hammamattalstrasse 74b

In der guten Stube

In der guten Stube

Gasthaus Bad Unterrechstein

Gasthaus Bad Unterrechstein

Als ich vom Ausflug zurückkam, wartete die nächste Überraschung auf mich. Es sollte eine ganz deftige sein!
Neben meinem sweet home stand ein grosses, weisses Zelt. Darin und drum herum lauter Männer jeden Alters. Einer von ihnen war der Ahmed von gestern Abend. "This is my brother, and this is my brother, this is the son of my brother, this is the brother of my father, this is the brother of my brother..." "And who is this?" "This is also my brother." Einer war ein pensionierter hoher Militär (frisch und welterfahren), ein anderer ein ehemaliger Elektrotechniker (mit Deutschland-Erfahrung), bei wieder einem andern wurde sein hohes Alter betont (man war sich aber nicht genau darüber einig, und er konnte auch nicht weiter helfen). Vor dem Zelt brannte ein Feuer, auf dem emsig riesige Töpfe hin- und hergeschoben wurden. Dass ich zum grossen Mahl eingeladen sein würde, war mir schon klar, als ich bei der Rückkehr von der letzten Kurve aus das weisse Zelt erblickt hatte!
Reis, Huhn, Brot und eine Sauce aus Ziegenjoghurt Gegessen wurde natürlich auf dem Boden hockend. Uuaa, ich wünschte mir einen beque- men fucking Plastikstuhl... Dazu wurden mehrere Flaschen Château-Neuf-du-Pape entkorkt. Nein, Pepsi Cola gab`s. Ich ertappte mich dabei, dass ich abwechselnd beide Hände gebrauchte, um mir die Häppchen aus dem Pot zu fischen. Peinlich? Welches sind denn über- haupt meine Füdli-Finger?
Nach dem Abräumen setzte man sich ins Freie. Das Zelt war leer, nur die Teppiche auf dem Boden, und hell erleuchtet von der vom Toyota gespiesenen elektrischen Lampe. Wie eine Theaterbühne kurz vor dem Beginn der Vorstellung, dachte ich. Der Wunsch war Vater des Gedankens, und der Vater im Himmel, Papallah himself, erhörte mich: Plötzlich stan- den alle in drei Reihen im Zelt unter der Toyota-Lampe. Vor ihnen der Höchste und der Älteste als Vorbeter. "Allahu akbar!", stehend, vernei- gend, kauernd. Deutlich oder murmelnd: "Allahu akbar!"
Es folgte die zweite Nummer: Einer der Alten, mit tiefbraunem Gesicht, nahm sei einsaitiges Musikinstrument und legte sachte los. Langgezogene Töne, wenige, repetitiv, wie Schweizer Käse, der Fäden zieht. Sein Gesang dazu war ähnlich, minimal, klagend klingende Fäden. Dazu - warum störte es niemanden - Toyotas ratternder Motor, um die Lampe am Leuchten zu halten. "Toyota akbar!"

Mit Huhn und Hand

Mit Huhn und Hand

Mit Ex-Brigadier

Mit Ex-Brigadier

© Christoph Lehner, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zwei Monate in Jordanien und Syrien
Details:
Aufbruch: 07.02.2011
Dauer: 9 Wochen
Heimkehr: 12.04.2011
Reiseziele: Jordanien
Syrien
Der Autor
 
Christoph Lehner berichtet seit 11 Jahren auf umdiewelt.
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