Kerala mit Kind und Karre
Monsoon Wedding
Völlig spontan werden wir am Abend vorher zu einer Hochzeit eingeladen. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Deshadan hat eingeladen und wir dürfen mit! Hoch erfreut begutachten wir die Reste unserer frischen Kleidung (es ist schließlich der vorletze Tag hier) und finden jeder noch etwas, das dem Anlass entsprechend chic genug ist. Wir gehen zeitig ins Bett, denn es geht früh los.
Um vier Uhr stehen wir auf, machen uns chic und fahren Viertel vor fünf los. Abhilash und drei weitere Mitfahrer brausen im roten Auto voraus. Die Fahrt im Dunkeln ist der blanke Horror, denn wieder erweist sich die Windschutzscheibe als Verstärker der Blendung durch die uns entgegenkommenden Fahrzeuge, die fast alle mit Fernlicht fahren. Die Scheinwerfer unseres Wagens leuchten maximal fünf Meter weit, so dass wir nicht wirklich sehen können, was vor uns los ist. Vor allem in den unbeleuchteten Dörfern, in denen immer Menschen am Straßenrand entlang laufen, ist es besonders schlimm, denn müssen wir LKW oder Bussen ausweichen, sehen wir nicht, ob wir dadurch jemanden umnieten. Ich bete inständig, dass es bald hell wird und es ist wie eine Erlösung, als es endlich soweit ist. Der rote Raser hat uns inzwischen abgehängt, denn er hat im Gegensatz zu uns gute Sicht.
Um uns die Beine zu vertreten, machen wir Halt in einem Kaff an einer ganz einfachen Bude und trinken erneut einen köstlichen Chai und Kaffee. Der Ort, zu dem wir müssen, befindet sich in einer Gegend, die insbesondere durch die Kautschukgewinnung wesentlich wohlhabender ist. Auch Bananen und andere Früchte werden hier in Plantagen angebaut. Den vereinzelten Villen, die im Gegensatz zu dem, was wir bisher gesehen haben, prächtig daher kommen, sieht man den Wohlstand seiner Besitzer an. Der Bezirk um Cochin ist auch eine Hochburg der Christen, denn die immer wieder auftauchenden Kirchen, ersetzen die Tempel und Moscheen.
Pünktlich um halb zehn erreichen wir den Ort der Veranstaltung. Es handelt sich dabei um ein so genanntes Auditorium. Das sind großzügige Veranstaltungssäle, über die jeder größere Ort verfügt, die der Gemeinde für Feste, Hochzeiten und andere Zusammenkünfte zur Verfügung stehen. Wir kommen gerade rechtzeitig an, denn zeitgleich entsteigt der Bräutigam dem Auto, das ihn zu seinem Freudenfest chauffiert hat. Hier treffen wir auch auf Shah und den Ayurveda-Mann, die auf anderem Wege hergekommen sind.
Der Bruder des Bräutigams begrüßt uns und bittet uns in den Saal. Der Raum ist voll mit Menschen, die auf ihren Stühlen sitzend dem Geschehen vorn auf der Bühne folgen. Wir werden in die zweite Reihe gesetzt, gleich hinter den Eltern und Geschwistern des Brautpaares. Hierfür werden kurzerhand die Leute, die bereits auf diesen Plätzen gesessen hatten verscheucht. Wahrscheinlich sieht man uns als eine Art Ehrengäste an. Dadurch hat der Bräutigam, der noch vor uns sitzt, Gelegenheit uns freundlich zu begrüßen und kurz kennen zu lernen. Dann geht die Zeremonie auch schon los.
Die Bühne ist komplett mit rotem Stoff bedeckt worden, also auf dem Boden, an den Wänden und an der Decke. An den Wänden hängen in gleichmäßigen Abständen Blütengirlanden aus orangen und roten Blumen. In der Mitte wurde eine Art "Altar" auf einem weißen Tuch hergerichtet, auf dem sich Kerzenständer, Metallgefäße in verschiedenen Größen, Blüten, Früchte und ein Heiligenbild befinden. Der Priester, der die Zeremonie durchführt, trägt ein langes weißes Tuch, das nur über der einen Schulter zusammengebunden ist. Die freiliegenden Teile seines Oberkörpers und sein Gesicht sind mit dicken weißen Strichen bemalt. Plötzlich ertönt Ohren betäubendes Gedudel aus den Lautsprechern und verstummt dieses, so leiert der Priester seine Mantras in einem Singsang herunter, dabei singen einige Gläubige mit. Vor der Bühne hat sich eine ganze Armada von Kameraleuten, Fotografen und Beleuchtern postiert, die jede Bewegung und Prozedur dokumentieren. Ich darf auch photografieren, muss mich aber dafür mit dem undankbaren Seitenplatz begnügen.
Die Rituale im Einzelnen bestehen aus dem Verteilen von Blättern, dem Schwärzen der Handflächen mit einer Flamme, der Segnung des Paares durch den roten Punkt auf der Stirn, dem dreimaligen Umrunden des "Altars" Hand in Hand, dem Umhängen einer riesigen Blumenkette, dem gefüttert werden mit einer Süßigkeit aus dem Glas, dem gemeinsamen Festhalten eines Kandelabers und schließlich der Übergabe der Geschenke durch die Gäste. Als Dank für das Geschenk bekommt man eine Art kitschige Visitenkarte auf der das Brautpaar abgebildet ist, an die ein Bonbon getackert wurde. Das Ganze wird immer mal wieder von dem Gedudel begleitet und peinlich genau von den Fotografen aus der jeweils besten Perspektive abgelichtet. Schließlich sind auch wir dran, unser Geschenk zu übergeben. Thomas überreicht dem Brautpaar einen Umschlag mit Geld und wird dabei für das Fotoalbum abgelichtet. Auch ich werde gebeten, für ein Foto hochzukommen und schließlich gibt es noch ein Gruppenbild mit Nico zusammen. Diese Prozedur geht noch endlos weiter.
Dann sind die Fotos mit verschiedenen Personenzusammenstellungen dran. Hierfür wird das Paar auf zwei thronartige Stühle gesetzt und mit den verschiedenen Leuten zusammen abgelichtet. Dabei kommt auch das Deshadan-Team an die Reihe und unerwarteter Weise werden wir dazu gebeten. Da aber alles Männer sind, enthalte ich mich lieber und mache dafür ein schönes Bild. Zwischendurch gesellt sich ein schüchtern wirkendes Mädchen, das aber wohl nicht die Gelegenheit verstreichen lassen wollte, mit echten Europäern zu sprechen, zu uns. Sie stellt sich als die Schwester der Braut vor und heißt Jasmin. Freundlich stellt sie uns die üblichen Fragen, die man beim Kennenlernen austauscht.
Inzwischen werden die Tische für die Verköstigung der Massen aufgebaut. Diese werden wie in einem Bierzelt in langen Reihen hintereinander aufgestellt, mit dem Unterschied, dass die Gäste nur auf einer Seite sitzen, damit das Essen von der anderen Seite gereicht werden kann. Auf die Tische werden Endlostischdecken und große Bananenblätter gelegt. Wir werden mit der Deshadan-Truppe ganz vorn an der Ausgabestelle an einem Tisch platziert. Dahinter können wir einen gigantisch großen Behälter, der bis oben hin mit Reis gefüllt ist, entdecken und die vielen Töpfe für die verschiedenen Speisen. Eine Gruppe von Jünglingen schnappt sich die Behälter und fängt an unserem Tisch an, das Essen zu verteilen. Es ist wieder das Onasadya-Essen, was uns sehr erfreut. Ich probiere das Wasser, das in kleinen Metallbechern gereicht wird, und verbiete daraufhin meinen Männern sofort, auch nur einen Schluck davon zu trinken, denn es schmeckt verdächtig nach Darmkrankheit. Um mal wieder meine Grenzen auszutesten, wie viel ich meinem Entwicklungsland resistenten Magen zumuten kann, trinke ich meinen Becher leer.
Wieder wird das Mahl mit der süßen Milchreissuppe abgeschlossen. Diesmal ist sie aber recht flüssig und sogar Sunil macht ein ratlos belustigtes Gesicht, als er die Flüssigkeit auf sein Bananenblatt geklatscht bekommt, denn wie soll man das mit den Fingern essen? Für uns unerfahrene Ausländer wird die Süßspeise rücksichtsvoller Weise in Pappbecher abgefüllt, dafür hatte Abhilash zuvorkommend gesorgt. Erstaunlicher Weise gibt es diesmal zwei Varianten davon. Die eine schmeckt wie gehabt, nach den üblichen Gewürzen, die in den meisten Süßwaren drin sind, in der anderen überwiegt der Geschmack von Kokos. Während wir essen, stellen sich uns gegenüber einige Männer auf und sehen uns interessiert beim Essen zu. Ob das nun daran liegt, dass wir als einzige Nichtinder hier die Sensation sind oder weil noch viele Leute darauf warten, dass Plätze frei werden und man sich verspricht, an unserem Tisch am ehesten dran zu kommen, weil wir auch als erste bedient wurden, weiß ich nicht.
Als alle satt, sind gehen wir uns die Hände waschen. Dabei fängt uns Jasmin noch einmal ab, um uns zu fragen, ob uns die Hochzeit gefallen und das Essen geschmeckt hat, was wir natürlich bejahen. Wir verabschieden uns vom Brautpaar. Die Ärmsten werden immer noch fotografiert und haben bisher nichts zu essen bekommen. Dileesh versichert uns, dass er uns bei einer sich vielleicht in Zukunft einmal bietenden Gelegenheit gern näher kennen lernen würde. Wir bedanken uns bei ihm, dass uns die Ehre zuteil geworden ist, bei seiner Hochzeit dabei gewesen sein zu dürfen.
Im Convoi mit den Deshadan-Jungs machen wir uns auf den Heimweg. Dies war ein Erlebnis, das wir sicherlich nicht so schnell vergessen werden.
Aufbruch: | 12.08.2012 |
Dauer: | 17 Tage |
Heimkehr: | 28.08.2012 |