Auf ins Neolithikum

Reisezeit: September / Oktober 2018  |  von Herbert S.

Cauria

Trotz allem werde ich um 7.00 Uhr wach, mache einen Rundgang ums Haus, montiere in dem Peugeot kompliziert das Navi (iPhone) mit Dieters Spinne und suche vergeblich den Schalter zum Öffnen des Benzintanks. Gegen 8.00 Uhr erscheint auch meine Frau Ulrike schon und sie beschließt, dass wir zuerst duschen, dann im Spar einkaufen und erst danach frühstücken. Angeordnet, also so wird es gemacht.
Das Frühstück auf der Terrasse wird von einigen Bienen recht unangenehm gestört, so dass wir es recht bald beenden und losfahren.
Geplant ist heute ein Neolithikum-Tag. Die Fahrt nach Roccafina ist beeindruckend aufgrund der zahlreichen Felsblöcke, die alle die Phantasie anregen, irgendwelche Tiere in ihnen zu sehen.
Erstes Ziel ist der winzige Ort Cauria, in dessen Nähe drei Stellen aus dem Neolithikum gefunden wurden. Am Abzweig der Straße von Sartène nach Tizziano, ist die Straße noch in Ordnung, aber hinter dem Winzlingsort Cauria wird es ein Schlagloch-um/erfahrungsparcours. Nach erstaunlich langen 5 km erreichen wir den Parkplatz, an dem ein Schild auf die drei Standorte Stantari, Fontanaccia und Renaju hinweist. Ein handgemalter Pfeil weist uns die Richtung zu dem nach Reiseführer angegebenen Rundweg von etwa einer Stunde.

Eine Besichtigung der Hochebene von Cauria (Gemeinde Sartène) in 1 km Entfernung vom Meer ermöglicht die Entdeckung von 3 emblematischen Stätten Korsikas, die sich über 60 ha erstrecken: die megalithischen Alignements von I Stantari und Renaghju sowie den Dolmen von Funtanaccia.
Erst geht es ein wenig abwärts über einen stark ausgewaschenen Sandweg vorbei an einem völlig trockenem Feld zur Menhirreihe von Stantari. Für uns völlig neu: einige der aufrecht stehenden Steinsäulen haben ausskulptierte Köpfe – zwar stark verwittert, aber noch gut erkennbar.

Hochebene von Cauria

Hochebene von Cauria

Alignement von I Stantari

Die Stantari geben mehr lnformatlonen preis als die etwa zehn anderen Statuenmenhire auf Korsika. Sie wurden zwischen dem Ende der Jungsteinzeit und der Bronzezeit aufgestellt (Forschungen von D'Anna)
Diese Stätte umfasste mindestens 30 Stantari (Statuenmenhire). Zwei Reihen konnten erkannt werden: Eine ist nach Nordosten/Südwesten, die andere nach Norden/ Süden ausgerichtet.
Aus welcher Zeil stammen die Statuenmenhire? Es ist unmöglich, den Stein zu datieren. Die Archäologen studieren die Hinweise: vorhergehende Besiedlungen, Aufschüttungsmaterial in Graben, Materialien zur Verkeilung. Die skulpluralen Attribute stellen ein Zeugnis dar. Die Form der Waffen in der Scheide lässt sich nicht bestimmen, die Art des Metalls bleibt im Dunkeln. Einzige Gewissheit: Die Metallbearbeitung schließt die Jungsteinzeit aus (Verwendung von behaltenen Steinen).
In Europa entstanden die Statuenmenhire zwischen dem Ende der Jungsteinzeit und der Bronzezeit. In Korsika stellte man diese bis in die Eisenzeit her. Man kann Formen erkennen: Gürtel, eine Art Lendenschurz, Arme und Flände, Vertiefungen zu jeder Seite des Kopfes. Nach Grosjean dienten Letztere zur Befestigung von Hörnern. Nirgendwo anders als in Korsika befinden sich solche skulptural verzierten Alignements - mit Ausnahme vielleicht von Äthiopien

Die Stätte scheint zwischen 200 und 50 v. Chr. (Romanisierung) ziemlich zerstört worden zu sein. Auf der Hochebene drehte sich das Leben rund um landwirtschaftliche Aktivitäten. Einige Monolithe wurde in Mauern zur Einfriedung eingebaut.

Bild aus Prospekt

Bild aus Prospekt

Alignement von Renaghju

Von dort geht es weiter zu einem – wenn man so will – Steinkreis mit Menhiren vor einer traumhaften Kulisse der Felsenlandschaft:
Gegen 5700 v. Chr. (Altneolithikum) siedelte sich hier in diesem Gebiet am Rande des Felsmassivs der Punta di u Greghu in der Nähe eines kleinen Teichs und einer Quelle eine Gruppe von Menschen an. 2006 entdeckte man (Ausgrabungen von D'Annal einen rechteckigen Wohnbau (20 qm mit Holzpfosten, Wänden aus Erde, Feuerstellen und Braseros). Zwei Bereiche mit Ambossen (Bearbeitung von Obsidian, Quarz und Feuerstein) konnten erkannt werden. Die Keramik - eine der ältesten - zeichnet sich durch den Zieraurdruck einer Muschelschale vom Cardium, einer Herzmuschel, aus (Überreste im Museum von Sartène).
Nach einer zeitweisen Aufgabe wurde die Stätte wieder neu besiedelt. Man zählt 60 ,Petre zuccate" (aufgerichtete Steine oder Menhire) aus der Zeil um 4500 v. Chr.. Die Zahl steigt auf 180 für etwa das 1. Jahrtausend v. Chr.. Es ist das erste Mal, dass man in Korsika eine feine Chronologie für eine solche Stätte aufstellen kann. Andernorts blieb die Durchsuchung der Schichtenfolge mit Bagger und Meialldetektoren dagegen ohne Ergebnis.

Hier ist der Zaun niedergetreten und wir laufen in Richtung des angegebenen Eichenwaldes und gelangen in die Felsenlandschaft, die in der Nähe noch beeindruckender ist.

Doch ist dies nicht der Eichenwald des Rundweges; also zurück zum Steinkreis und von dort den richtigen Weg zum Dolmen von Renaju.

Dolmen von Funtanaccia

Dieser Dolmen auf einer natürlichen Erhebung ist der bekannteste und am besten erhaltene von Korsika. Seine Funktion bestand darin, die Verstorbenen zu ehren und die Geister zu beschwören. Die Gemeinschaftsgrabstätte bestellt aus einer monolithischen Deckenplatte (3,40 m x 2.90 m), die auf 6 aufrecht stehenden Steinen (Orthostaten: 3 im Westen. 2 im Osten, 1 im Norden) ruht. Sie wurde aus zwei verschiedenen Granitarten errichtet (die aufrechten Tragsteine - Orthostaten - aus grobkörnigem, die Deckenplatte aus feinkörnigerem Granit) und wird auf das 2. Jahrtausend v. Chr. datiert (erste megalithische Grabstätten gegen 3000 v. Chr.). Die Grabkammer mit Nord-Süd-Ausrichtung war mit einer Steinplatte verschlossen. Erhalten ist nur noch die Schwelle.

VOM MYTHOS ZUR REALITÄT
Funtanaccia bedeutet „mauvaise fontaine" (schlechtes Wasser). Dieser Dolmen trägt auch die Bezeichnung Stazzona di u Diavuhi (Teufelsschmiede). Christlicher Bekehrungseifer kontra heidnische Verehrung? Die in einer Reihe {filarata) aufrecht stehenden Steine (stantare) sind die Galgen der Opfer des Bösen. Aus dem Aberglauben entsprungene religiöse Überzeugungen schließen die Megalithen in esoterische Praktiken ein. Von ihnen erhofften sich die Bauern und Viehzüchter in den sechziger jähren des 20. Jahrhunde ein ertragreiches Jahr. Die mündlichen Überlieferungen versuchen den Bauten einen Sinn zu geben. Sie werden mit der Fruchtbarkeit, okkulten Kräften sowie Erdkräften in Verbindung gebracht.
Diese Stätten sind konkrete Zeugnisse für die Entstehung der ersten Gesellschaften im Mittelmeerraum, wobei die Besiedelung des Westbeckens gegen 5900-S800 v. Chr. begann. Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden kommerziellen und kulturellen Beziehungen bildeten sich in der Jungsteinzeit soziale Systeme heraus.
Korsika nahm an diesem breiten Aufschwung teil. Die Archäologie bringt neue Erkenntnisse. Die Ursprünge des Megalithismus sind unbekannt. In Korsika findet man in der Nähe von Übergängen, Pässen, Furten oder Wasserstellen die Alignements - wie I Stantari und Renaghju - in Nord-Süd-Ausrichtung, die Statuenmenhire mit ausgerichteter Frontseite. Sie kennzeichnen die Beziehung einer organisierten Gesellschaft zu einem Gebiet. Diese heiligen Steine zeugen von unantastbaren Riten und Bräuchen. Mythen, Magie, Religionen? Schwer zu beantworten. Symbole der Elemente (Wasser, Erde, Feuer, Luft)? Ahnen oder freundlich gesinnte Götter? Kult der Chefs? Schutzmacht für die Toten? Unterstützung bei der befreienden Katharsis einer Gemeinschaft? Vor kurzem noch ritualisierten die Totentänze ( Voceru, Caracohi und Chjerchju) zu Ehren eines Verstorbenen trotz der Verbote der Bischöfe den Übergang in das Jenseits auf heidnische Weise. Haben sie ihren Ursprung in diesen Zeiten? Die Ethnoarchäologie hat aufgedeckt, dass der Mensch überall auf der Welt danach trachtet, mit den Geistern in Kontakt zu treten.

aus: Text Monuments Historiques

© Herbert S., 2018
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf der Komplettierung der Mittelmeerinseln fehlt uns auch noch Korsika - nun ist diese Insel an der Reihe. Das Wetter soll Anfang Oktober noch angenehm sein, die Preise für Ferienhäuser sind schon moderater, da es für viele strandliegenden Urlauber schon kühler wird.
Details:
Aufbruch: 29.09.2018
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 06.10.2018
Reiseziele: Frankreich
Der Autor
 
Herbert S. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Herbert sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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