Kambodscha - ein Schicksal das nicht zu lachen verlernt hat!

Reisezeit: September / Oktober 2005  |  von Johann Brucker

Undong - Tonle Sap - Prusat

Freitag 30.9:

Ich wachte auf einmal auf. Draußen ist es dunkel. Mit Hilfe meines Handys stelle ich fest, dass es 3:30 Uhr war. Zum Schlafen war ich nicht mehr müde genug. Ich nahm mir des Buch "Der Lange Weg der Hoffnung" und begann zu lesen. Mit dem Buch habe ich zwei Wochen vor meiner Abreise begonnen. Da meine Frau wusste, dass ich es liebe, wenn sie mir vorliest, hat sie die ersten Seiten auf der Couch im Wohnzimmer vorgelesen.
Es dauert nicht lange und das Buch reißt mich so sehr mit, dass ich fühle, wie mein Herz schneller schlägt. Die Geschichte dieses Mädchens, ihrer Gedanken und der Erlebnisse lassen mich so sehr traurig werden, dass mir die Tränen hinunterlaufen. Einerseits denke ich mir, warum tust du dir das an, an einem der schönsten Orte der Welt, andererseits wollte ich ihre Geschichte weiterlesen. So las ich noch einige Seiten mit zitternder Hand und legte das Buch immer wieder zur Seite um mich zu sammeln. Ich konnte nicht mehr. Als ich leise zu schluchzen begann, beschloss ich wieder etwas zu schlafen. Was hatte diese Familie mitgemacht, was haben hunderttausende Menschen mitgemacht und wie konnten sie das ertragen. Mit verschwollenen Augen schlief ich dann dennoch ein. Wenig später wachte ich wieder auf. Der Himmel war schon ein bisschen hell. Ich packte meine Sachen und beschloss an den Strand zu gehen. Meine Augen schmerzten. War es wegen der Klimaanlage, dem Zug bei offenem Fenster oder wegen des Buches. Es war wunderschön in der Morgendämmerung den Strand entlang zu gehen. Heute wollte ich zum Tonle Sap, den See und die schwimmenden Dörfer besuchen. Um 6:00 traf ich Phat auf dem Gelände und wir brachen auf.

Sihanoukville hat ein angenehmes Flair. Da die Gundstücksbesitze nicht geklärt waren, hatten keine großen Hotels die Stadt vereinnahmt. Wir fuhren Richtung Norden auf der Strasse Nr. 4. Es war schön den Morgen zu genießen, wie die Strassen immer voller wurden. Kurz nach Sihanouvillle fragte mich Phat, ob ich mir Wasserfälle ansehen will. Ich gar ganz erstaunt, dass er einmal etwas kannte, was ich nicht schon vorher in einem Reiseführer gelesen hatte. Auf einer Sandpiste fuhren wir ca. 4km Richtung Norden und waren auf dem Parkplatz natürlich die Einzigen. Am Wasser wuschen ein paar Frauen Kleider und sich selbst. Mit ein paar Kids waren wir dann unten am Wasserfall. Sehr schön, obgleich er mich nicht überwältigte. Natürlich haben wir dann noch in die Knabbereinen investieren müssen, die die Kids verkauften. Unsere Reise ging dann mit zügigem Tempo auf der gut ausgebauten Strasse weiter in Richtung Nordosten. Die Landschaft war wie immer großartig. Entlang dieser Strasse waren die Häuser näher an der Strasse. Beim Beobachten erblickte ich auf der linken Straßenseite eine Gestalt, die am Straßenrand lag.
Als ich genauer hinblickte, war ein Mann zu erkennen. Er hatte dunkle verbrauchte Kleidung und einen Bart. Nur die Ärmsten hier haben einen Bart. Der Mann lag schräg zur Strasse. In einer Seitenlage, die untere Hand ausgestreckt und die obere Hand an den Körper gezogen. Als wir näher kamen, sah ich seine Augen. Es sah aus, als ob er am Boden liegend nach Hilfe flehte, aber er bewegte sich nicht. Er bewegte auch seine Augen nicht.
Mein Magen zog sich zusammen und der Atem blieb mir aus. Wir fuhren mit schnellem Tempo. Ich drehte mich zu Phat und musste sofort an seine Reaktion bei dem Unfall in Kep denken. Wir mussten umkehren. Vielleicht ist er verletzt. Viele Fahrzeuge passierten die Strasse. Nein, wenn er ein Problem hätte, würde ihm sicher jemand helfen. Aber ich war mir nicht sicher. Kann in diesem Land jemand am Straßenrand sterben, ohne dass es jemanden kümmert? Die ganze Fahrt musste ich darüber nachdenken. Wir hätten umdrehen müssen, ihn fragen, ob alles ok ist oder in einfach in das nächste Spital bringen. So schön die Landschaft auch war, bekam ich diesen Blick nicht aus den Augen. Ich versuchte mir einzureden, dass das schon in Ordnung war. Doch wurde mir später klar, er war tot, einfach am Straßenrand gestorben, in der prallen Sonne ohne jegliche Beachtung...

Vor Phnom Penh bogen wir in Beak Chan Richtung Norden ab, um dem Stadtverkehr zu entkommen. In Udong wollte ich den Phnom Udong mit seiner Pagode besuchen. Schon am Fuße des 102 Meter hohen Berges erkannte man, dass es ein beliebtes Ausflugsziel war.
Phat wollte unten warten und ich beschoss die Treppen zur Pagode hochzusteigen. Gleich vom Auto weg begleitete mich ein Junge mit einem Fächer. Ich dachte nur für was das. Als ich dann die 50 Stufen hinter mir hatte, wusste ich warum. 300 Stufen bei der Hitze und meiner Fülle. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und lächelte. Die Bettler entlang der Stufen waren nicht sehr aufdringlich, aber ich glaube, dass sie Mitleid hatten. Ungefähr bei der Hälfte war ich bereits total durchnässt. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und stieg die Treppen mit mäßigem Tempo hinauf. Der Junge der mich seitdem Aussteigen aus dem Auto begleitete, versuchte verzweifelt mit seinem Fächer meinen Körper abzukühlen. An der Pagode angekommen, legte ich die Schuhe ab und versuchte auf der Terrasse wieder etwas Energie zu gewinnen. Der Ausblick auf die weite Ebene war herrlich. Die Pagode selbst erschien mir nur wegen seiner Lage schön, sonst konnte ich nichts Aufregendes entdecken. Nach einem kurzen Rundgang hatte ich mich noch immer nicht wirklich erholt und konnte demnach auch kein richtiges Wohlbefinden verspüren.
Beim Abstieg über die ca. 350 Stufen war es mir erlaubt, den Almosen suchenden Menschen, etwas Aufmerksamkeit zu schenken. In diesem Moment konnte ich mich an das Mädchen erinnern, das am Parkplatz mit dicken Stößen 100 und 500 Rielscheinen zu verkaufen versuchte. Mir war nach den ersten 50 Stufen klar, dass mir nun bald das Kleingeld ausgehen würde. Es mag sicher für den einen oder anderen Hilfebedürftigen

seltsam ausgesehen haben, dass ich nur jenen eine Spende abgab, welche mir am bedürftigsten aussahen. Von dem schattigen Parkplatz, den wir natürlich nicht ohne Parkgebühr verlassen durften, ging es dann nach Kampong Chhnang, einem kleinen Ort nahe dem Tonle Sab. An einer Wegkreuzung erkundigte sich Phat nach dem Weg Richtung Pursat. Dabei teilte uns der Mann mit, dass der rechts abzweigende Weg zum Ufer des Flusses führt. Wie immer an einem Abstecher interessiert bogen wir rechts in den Schotterweg ein. Entlang des schmalen Weges waren viele Menschen unterwegs, jedoch nicht wie sonst zumeist mobilisiert, sondern zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Links und rechts des Weges säumten kleine, mit Palmblättern bedeckte, Hütten den Straßenrand. Bei näherem Hinsehen wurde mir bewusst, dass in den auf Stelzen errichteten Hütten, die nicht größer als 2x3m und 1,5Meter hoch waren, Leute leben. Nicht nur Leute. In diesen kleinen Verschlägen lebten ganze Familien. Die Kleidung der Leute und auch die dunkle gegerbte Haut deuteten sofort darauf hin, dass es sich hier um eine Siedlung der ganz armen Bevölkerung handelte. Obwohl ich mich nicht ganz wohl fühlte, hielt ich meinen Fahrer dazu an weiterzufahren. Links und rechts des Weges waren nur noch Wasser und die Hütten der Bewohner zu sehen. Die meisten Bauwerke hatten nunmehr eine kleine Terrasse, die sie als Verkaufsfläche ausgebaut hatten. Alle möglichen Waren wurden hier feilgeboten. Das Treiben auf der Strasse vermehrte sich ständig bis wir in der Ferne erkannten, dass der Weg voraus überschwemmt war. Ich schlug Phat vor, das Auto zu parken und auf mich zu warten. Es war ein eigenartiges Gefühl plötzlich zwischen den Menschen zu stehen. Alle, wirklich alle, Blicke richteten sich auf mich. Auch wenn ich die Sprache nicht verstand, so war mir klar, dass ich die Basis für ein intensives Gespräch für alle war. Ich versuchte, den Eindruck zu erwecken, dass es ganz normal sei, dass ich hier entlang spazierte. Zwischen Gelächter und Tuscheln, mischte sich eine Gruppe von etwa 18jährigen Burschen, die mir laut lachend folgten. Ich drehte mich um und tat so, als würde ich es ebenfalls witzig finden, dass sie offensichtlich über mich scherzten. Einer der Jungen - er war in einer alten Militäruniform gekleidet und hatte kaum noch Zähne im Mund - rückte näher auf und tat so, als ob er für mich den Weg geradewegs zum Fluss freimachte. Es kann sein, dass er nur scherzte, aber es war auch gut möglich, dass er mich versuchte zu provozieren und gleichzeitig meine Person vor den anderen herunter zu machen. Jedenfalls fühlte ich mich zum ersten Mal richtig unwohl. Mit einer Geste alla "ist schon gut, bist eh witzig..." versuchte ich wieder Abstand zu gewinnen, setzte den Weg noch einige Meter fort und beschloss dann umzukehren. Auf dem Rückweg wurden die Blicke und Gespräche noch intensiver und mir wurde bewusst, dass ich hier eigentlich nichts zu schaffen hatte. Um meinem Besuch dennoch einen Sinn vorzutäuschen, beschloss ich bei einer älteren Dame etwas von dem traditionellen karierten Stoff zu kaufen. Die Bezahlung erwies sich als überaus schwierig, da wir uns weder verbal noch mit Buchstaben oder Zahlen verständigen konnten. Unter Mithilfe der Nachbarn gelang es Schluss endlich doch. Ich war erleichtert, wenn auch sehr froh, über die Erfahrung auf meinem Ausflug, als ich dann wieder das Fahrzeug bestieg und wir weiterreisten.

Unser nächstes Ziel sollte die Siedlung Kampong Loung sein. Ein, in vielen Reiseführern beschriebenes schwimmendes Dorf. Die Zufahrt zu der Siedlung erschien mir sehr ähnlich wie unser kurzer Abstecher vor einer Stunde. Dieselbe Siedlungsstruktur, ähnliches Verhalten der Leute und ein Weg, der im Wasser verschwand. Kurz nach dem wir stehen geblieben waren, umkreisten uns zahlreiche Personen, die einerseits damit beschäftigt waren unserem Auto eine Abstellfläche zuzuweisen und andererseits ein Boot für eine Dorfbesichtigung anzubieten. Ein etwas älterer Mann streckte uns einen Zettel ins Auto. Ein kopiertes Dokument des Ministers für Tourismus, auf dem im Wesentlichen die Preise für eine Fahrt festgehalten wurden. Ob das Dokument auch der dortigen Marktsituation entsprach bezweifelte ich. Ich nahm zur Kenntnis, dass eine Stunde 10 Dollar kostete. Ein junger Khmer führte uns zu seinem lang gezogenen Boot. Durch das braune Wasser mussten wir bis zu dem etwa 6 Meter langen Holzkarren, der sicher schon älter als 40 Jahre war, waten. Nicht wie bei uns, benutzen die Fischer in Kambodscha ein Antriebsaggregat, das direkt mit einer etwas 3 Meter langen Stange verbunden ist und an dessen Ende sich eine zweiblättrige Schraube befindet. Das Händeln mit diesem Antriebsystem erwies sich als überaus schwierig in dem beengten Raum zwischen den Holzhütten und der wenige Meter entfernten Vegetation. Schon die ersten Meter entlang der Hinterhöfe der kleinen Hütten waren beeindruckend. Verschläge für jede Art von Nutztier waren auf kleinen Flossen hinter dem Haus untergebracht. Der Schweinestall auf dem Boot im Hinterhof sozusagen.

Als wir das offene Wasser erreichten, befand sich ein schwimmendes Haus neben dem anderen. Zwischen den Hütten mit Rumpf bewegten junge Mädchen mit den bekannten kegelförmigen Hüten ihre Boote durch die engen Wasserwege zwischen den Wohnobjekten. Voll beladen mit Früchten oder Textilien paddelten sie auf Kundenfang. Viele dieser Boote waren richtige Warenhäuser wie man sie hier im Land überall findet. Es ähnelte ein wenig einem Drive In, als wir an einem dieser Boote hielten, um meinen Zigarettenbedarf zu stillen. Alles, wirklich alles, war in dieser Siedlung zu finden. Schulen, Pagoden, Kirchen, kleine Handwerksladen und Wohnhäuser wechselten einander ab. Dem Fischer war es offensichtlich ein Anliegen uns mitzuteilen, dass die meisten der Bewohner den "Yhoun" (Vietnamesen) angehörten. Es war unübersehbar, dass sich hier alles um die Fischereien drehte. Unter anderem zeigte uns der Fährmann einen großen Käfig, in dem sich zahlreiche Krokodile befanden. Als machte es keinen Unterschied, ob man auf dem Wasser oder auf dem Festland sei, gingen die Menschen hier ihrem Schaffen nach. Auffallend waren die Kinder, die unentwegt lächelten und winkten, jedoch meist nur im Wasser zu beobachten waren. Die Siedlung umfasste nach Aussage unseres Führers ca. 1500 Objekte. Die meisten Yhoun wurden in der Zeit von Pol Pot aus dem Land vertrieben oder umgebracht. Heute noch verweigert man ihnen das immigrieren in das Land. Viele von ihnen schaffen es über Wasserwege das Landesinnere zu erreichen und verbringen hier über Generationen ihr Leben auf dem Wasser. Eine der beeindruckensten Siedlungsarten, die ich je gesehen habe.
Von Kampong Loung ging die Weiterreise nach Pursat, wo ich die Nacht verbringen wollte. Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, die an der RN 5 gelegen war, verstrahlte nur sehr wenig Charme. Nachdem ich das einzige Internetkaffee aufgesucht hatte, beschloss ich, im an das Hotel angeschlossne Restaurant noch etwas zu trinken. Dort lernte ich einen kambodschanischen Amerikaner kennen. Er war 1978 aus dem Land geflüchtet und war nunmehr das erste Mal wieder in seiner Heimat. Er hatte mit seiner Familie ein Stück Land an der Hauptstrasse gekauft und wollte dort ein Restaurant errichten. Ich habe mich etwa zwei Stunden mit ihm unterhalten bevor ich zu Bett ging.

© Johann Brucker, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wohl eines der Länder, die man nicht kurz beschreiben kann. Es ist zwar ein sehr perönlicher Reisebericht, aber ich denke, dass es wichtig ist, dass sich so viele Menschen wie möglich, dieser Perle (wenn nicht die letzte) annehmen und Ihren Beitrag für die weitere Existenz in seiner Art leisten. Nix für Touristen, alles für Menschen die Ihren Horizont erweitern wollen!
Details:
Aufbruch: 24.09.2005
Dauer: 16 Tage
Heimkehr: 09.10.2005
Reiseziele: Kambodscha
Sihanoukville
Der Autor
 
Johann Brucker berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.