Albanien ließ mir keine Ruhe
TET (Trans European Trail)
In Shkodra erwarten mich 35 °C und zäher Verkehr. Ich schlängele mich durch das Gewühl und bin froh, als ich dem wieder entfliehen kann. Kaum aus der Stadt, bin ich wieder in der Natur und genieße die Fahrt entlang Theth über die Rruga per Theth in die Berge.
Bevor sich die Straße über zahlreiche Serpentinen ins Theth-Tal hinabwindet, gibt mir die GS zu verstehen, dass der Tank mit einer Reichweite von unter hundert Kilometern wohl kaum für die geplante Offroad-Strecke reicht. Ich hoffe, die in der Connect-App angezeigte Tankstelle in dem entlegenen Ort existiert auch. Kurz vor Theth endet der Asphalt und gibt schon mal einen Vorgeschmack auf die weitere Strecke. Hier herrscht buntes Treiben mit Abenteuerlustigen aller Art von Ausrüstung. Motorräder sehe ich keine. Schade, hatte ich doch gehofft, einige gleichgesinnte Motorradfahrer anzutreffen. Ich buche mich in einem der zahlreichen kleinen Hotels ein. Um es vorwegzunehmen: Die Tankstelle existiert, ist aber in einem Container versteckt und ohne Kenntnis nicht auffindbar.
Am nächsten Morgen starte ich früh in Richtung Rruga Nikgjonaj, die entlang des Lumi i Thethit führt, dem Fluss, der dem Tal seinen Namen gegeben hat. Zunächst geht es noch auf Asphalt Richtung Süden, bis an einer Abzweigung über den Fluss das Ende der befestigten Straße erreicht ist. Von hier an geht es nach Süden auf einer etwa 56 km langen Offroad-Etappe weiter. Ich senke den Luftdruck der MAA um etwa 40 % ab, was die GS mit einer kritischen Warnung quittiert. Ich ignoriere die Warnung und starte stehend ins Abenteuer.
Die GS lässt sich zwar gut manövrieren, aber am hohen Reisegewicht gibt es nichts zu rütteln. Es dauert nicht lange, bis ich die erste Wasserdurchfahrt erreiche. Nach kurzer Abschätzung entscheide ich mich für eine geeignet scheinende Spur und fahre zügig durch das etwa 30 cm tiefe Wasser.
Die Strecke wechselt rasch zwischen gut befahrbaren und technischeren Teilstücken. Es schließen sich weitere Wasserdurchfahrten an, die allesamt deutlich tiefer und mit mehr Wasser daherkommen. Mit Druck am Gas lässt sich die GS davon abbringen, der Schwerkraft zu folgen. Nach etwa 6 km passiere ich ein Baustellenschild, das mir zu verstehen gibt, hier endet derzeit die Durchfahrt. Nachdem die bisherigen Verkehrsregeln von den Albanern eher als Vorschlag bewertet werden, passe ich mich den lokalen Gepflogenheiten an und fahre weiter.
Nach weiteren 3 km stehe ich vor schweren Baumaschinen, die grobes Geröll aus einem Steinbruch entnehmen und auf Kipper laden. Ich schlängle mich vorbei und weiter den TET entlang. Die Aussichten sind beeindruckend und bisher ist ein Vorwärtskommen noch gut möglich. Nach etwa 12 km halte ich in sicherem Abstand vor einem Kipper, der vor mir auf dem Weg stehen geblieben ist, an. Verdutzt muss ich zuschauen, wie er eine Ladung grobes Geröll auf den TET ablädt. Nachdem er abgefahren ist, folgt eine Raupe, die das Material grob verteilt. Ich bin etwas ratlos. Mit meinem Setup ist an eine Weiterfahrt nicht zu denken. Glücklicherweise taucht einige Minuten später eine Walze auf und glättet den Untergrund einigermaßen. Dabei kommt sie meiner notdürftig abgestellten GS bedrohlich nahe. Ich setze die Fahrt nach etwa 30 Minuten fort, um festzustellen, dass hinter der nächsten Kurve ein riesiger Bagger den Weg aufschaufelt. Hier ist leider endgültig Schluss. Mit diesen Reifen und dem Gewicht meiner Reiseenduro ist leider kein Durchkommen mehr möglich. Leider war ich so verdutzt, dass ich von der Situation keine Bilder gemacht habe. Ich muss einen etwas hilflosen Eindruck auf die rumstehenden Bauarbeiter gemacht haben, als ich mehr schlecht als recht versucht habe, meine GS auf dem losen Untergrund zu drehen. Ich frage nach, wie der Weg weitergeht und ob es ein Durchkommen für mich gibt. So ganz einig sind sich die Bauarbeiter nicht, aber die überwiegende Mehrheit meint: keine Chance. Die Bauarbeiten sind schade, an den Fähigkeiten der GS liegt es nicht, wohl an meiner Reifenwahl und dem Gepäck. Die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Albaner ist wirklich beispiellos. Wenige Sekunden später stehen sechs Männer bereit und helfen mir, das Motorrad zu drehen, obwohl wir keine gemeinsame Sprache außer ein paar Brocken Französisch sprechen. Ich fahre den Weg zurück und treffe nach einigen Kilometern auf sechs Endurofahrer aus Österreich mit völlig anderem Setup. Wir unterhalten uns kurz. Ich erzähle ihnen von meinen Erfahrungen. Deren deutlich leichtere Motorräder und die dazugehörigen groben Enduroreifen sollten auch mit dem frischen Geröll keine Probleme haben. Ich empfehle ihnen, es zu versuchen, und damit kehre ich wieder an den Ausgangspunkt zurück.
Ich beschließe, es an der Südrampe des TET zu versuchen. Glücklicherweise sind die Ausblicke und die Natur in Albanien gewaltig, egal, wo man lang fährt. Ich halte immer wieder, lasse das Ganze auf mich wirken, genieße das Gefühl, hier mit dem Motorrad angekommen zu sein, selbst wenn die Route nicht dem entspricht, was ich mir vorher überlegt hatte. Die schiere Weite und Größe Albaniens lassen mich jeden Moment genießen.
Ich befahre den TET einige Kilometer von der Südrampe und treffe erneut auf zwei Endurofahrer aus Österreich. Mit ihren Yamaha Tenere 700, Motocrossreifen und ohne Gepäck hatten auch sie einige kleinere Herausforderungen zu bestehen. Genau dafür haben wir uns die Strecke ausgesucht. Wir unterhalten uns eine Weile. Auch sie hegen Zweifel, ob ich mit meinen Reifen und dem Gewicht viel Freude haben werde. Ich beschließe, es für heute gut sein zu lassen. Ich bin glücklich über das Geschaffte und plane, ein anderes Mal, mit einem Reifen vom Format des Karoo 4 und auf jeden Fall ohne Gepäck, diesen Teilabschnitt erneut anzugehen.
Ich entscheide mich, ans Meer zu fahren und den Abend ruhig ausklingen zu lassen. Ich finde eine Cabin direkt am Strand von Lezhe in Shenkoll und genieße nach einem sehr guten Abendessen den Sonnenuntergang. Mein mitgeschleppter Lautsprecher kommt zum ersten Mal zum Einsatz.
Aufbruch: | 07.06.2024 |
Dauer: | 10 Tage |
Heimkehr: | 16.06.2024 |