Grönland / Island - Wo Europa wild wird
10.08. weiter nach Grönland
Der Tag beginnt mit einem ausgedehnten Frühstück, dass ich noch zusätzlich verlängere, weil ich den dämlichen Toaster nicht bedienen kann und minutenlang vor dem ausgeschalteten Teil die Temperatur meiner Toastscheiben bemängele. Erst das Brot herunterdrücken und danach noch einen Schalter betätigen - woher soll man das auch wissen?
Einige der Reisegruppe belegen sich noch Brote für unterwegs, so wie ich, nur ich bin mal wieder der einzige, der freundlich darauf hingewiesen wird, dass das Brot nicht für unterwegs bestimmt sei.
Zu Fuß geht es dann in Richtung Stadtflughafen. Wer Tagesetappen bis zu 8 Stunden (laut Programm) über wegloses Gelände zurücklegen will, der darf auch vor diesem kleinen Spaziergang nicht zurückschrecken, auch wenn es teilweise quer durch Baustellen geht.
Der Flughafen ist nicht gerade umwerfend groß und schon bald besteigen wir die kleine Propellermaschine der Fluggesellschaft Air Iceland, einer Tochtergesellschaft von Iceland Air. Die beiden verwechsle ich gerne. Unsere Gruppe belegt so ziemlich die Hälfte der kleinen Maschine, in der es immerhin doch noch eine Stewardess gibt. Die andere Hälfte wird von einer Gruppe Japaner belegt. Vor denen ist man wohl nirgendwo sicher.
Ich sitze am Fenster und sehe mir Rekjavík von oben an, während wir abheben. Schon bald lassen wir die feurige vulkanische Insel hinter uns und wir befinden uns über dem endlosen Blau des Atlantiks.
Kurz vor der Landung werden weiße Punkte unter uns sichtbar. Diesen Anblick bin ich ja schon gewohnt, so häufig wie ich inzwischen schon nach Nordamerika geflogen bin. Wolken oder Eisberge? Das habe ich mich schon immer gefragt.
Beim näheren Hinsehen erkennt man, dass die Punkte für Wolken zu scharf gestochen sind. Also doch Eisberge. Wir beginnen zu sinken und die Eisberge kommen immer näher. Der Ausblick ist der helle Wahnsinn! Die Eisberge werden immer größer und je näher wir der Insel Kulusuk kommen, desto mehr Eisberge werden sichtbar. Kleine weiße Spitzen, große Doppelspitzen, die durch einen türkisfarbenen Teil unter Wasser verbunden sind, kleine Felsen, die die Eisberge aufhalten, so dass es zu einem regelrechten Eisbergstau kommt. Eine Traumwelt zum Greifen nah!
Inzwischen fliegen wir so dicht über dem Wasser, dass man meinen könnte, wir setzen da gleich auf. Wir sitzen doch in keinem Wasserflugzeug! Gerade noch im letzten Moment ist Land in Sicht und es erscheint die Landebahn unter uns, die nichts anderes als eine Schotterpiste ist. Der dazugehörige Flughafen ist sehr überschaubar. Ein Gebäude mit zwei Ausgängen, Verirren ist hier unmöglich. Wir warten auf unser Gepäck und ich rufe kurz zu Hause an. Ich muss einfach irgendjemanden von dem spektakulären Landeanflug und dem warmen, sonnigen Wetter erzählen. Zu meiner Überraschung habe ich sogar Handyempfang.
Die Gruppe Japaner begibt sich auf den Weg ins Dorf Kulusuk, wo sie ein paar Stunden Aufenthalt haben und heute Mittag zurückfliegen werden. Hauptsache, sie können behaupten, auf Grönland gewesen zu sein.
Wir laufen herunter zum Hafen und auf dem Weg ist mir so heiß, dass ich erstmal die Winterjacke ausziehe und mir eine kurze Hose wünsche (wie war das noch mit der Kälte in Grönland?). Ringsherum schneebedeckte Berge, kantige Felsen, viele kleine Bäche, die sich zwischen Schnee und blühenden Wiesen schlängeln. Ja, die Pflanzen wollen keine Minute des kurzen Sommer verpassen. Dazu eine beruhigende Stille und eine klare, saubere Luft.
Im Hafen wird erstmal ein Mittagessen improvisiert, als wir auf unsere Boote warten. Wir haben Zeit. Niemand, der uns hetzt. Wir haben Urlaub!
Vor unseren Booten erreicht noch eine andere Gruppe den Hafen. Wir machen uns noch lustig darüber, wie die Boote zwischen den Eisbergen Slalom fahren. "Was meint ihr denn, was wir gleich machen?" frage ich da nur und ein gewisses Leuchten tritt in die Augen der anderen, gemischt mit einem Ausdruck von Nervosität. Das alles ist einfach Neuland für uns. In so einer eisig schönen Landschaft waren wir einfach noch nie unterwegs.
Als unsere Boote in den Hafen einlaufen, wird Katharina ausgewählt, beim Beladen auf dem Boot zu helfen, da sie die kleinste ist und am besten unter Deck passt. Meine Aufgabe ist es, die Gepäckstücke auf dem Boot anzunehmen und an den Kapitän weiterzureichen. Ist gar nicht so einfach. Das Boot entfernt sich immer weiter vom Strand und schaukelt bedächtlich bei jeder schweren Tasche, die auf dem Boot landet. Immerhin habe ich den Vorteil, schon auf dem Boot zu sein, während die anderen jetzt noch einen Weg an Bord finden müssen.
Wir legen ab und geben Gas. Kleinere Eisberge tanzen auf den von uns erzeugten Wellen im ansonsten ruhigen Wasser des großen Angmagssalik-Fjords. Größere Eisbrocken sind da schon etwas träger und werden nur vom Wasser überspült. Die Eisberge haben teils pittoreske Formen und mit etwas Phantasie kann man sich alle möglichen Figuren darin vorstellen. Oft sind sie sehr filigran geformt und machen einen labilen Eindruck. Man meint, unsere Wellen müssten die schönen Formen eigentlich zum Einsturz bringen oder zumindest eine Ecke davon abbrechen, doch die Berge sind widerstandsfähiger als man annimmt. So langsam kann ich mir vorstellen, wie ein großer Kollege davon erfolgreich die Titanic versenken konnte.
Und wie blau das Wasser hier ist. Tiefblaues Wasser, herrlich weiße Eisberge, die türkise Farbe des Eises unter Wasser, die braunen, teils gletscherbedeckten Berge ringsum - ein unglaubliches Naturerlebnis. Der Himmel ist ebenso tiefblau und weist nur ab und an weiße Linien auf. Da fliegt wieder eine Maschine Richtung Amerika.
Wir fahren im Slalom um die Eisberge herum. Ab und an kratzen wir sogar unter Wasser mit unserem Boot an den Eisbergen entlang. Ich hoffe, das geht jetzt gut. Es hört sich schon sehr bedrohlich an. An einer Stelle ist unser kleines Boot noch durch eine Lücke gekommen, doch unser größeres Gepäckboot hat Schwierigkeiten zu folgen. Der Weg ist zu eng bzw. wir liegen zu tief im Wasser, um über die unter Wasser liegende Eisbrücke zu fahren. Wir müssen wenden und einen anderen Weg suchen. "Das ist ja wie wenn man durch eine Innenstadt fährt und alle paar Minuten ändern sie die Einbahnstraßen". Hier hilft in der Tat keine Karte weiter. Jedes Mal stehen die Eisberge anders, denn sie schwimmen ja auf dem Wasser und treiben mit den Gezeitenströmungen.
Wir erreichen eine kleine Insel im Fjord, die sich gut als Eisbergbarriere behauptet. Nun haben wir ein kleines Problem: wo gibt es hier einen Weg hindurch? Die aufgehaltenen Eisberge halten wiederum weitere auf, so dass es hier scheinbar kein Durchkommen mehr gibt. Wir legen an und die beiden Kapitäne erklimmen den geschätzten 10 Meter hohen Gipfel, um sich ein Bild der Lage zu machen. Im Geiste sehen wir uns hier schon unser Gepäck ausladen und suchen mit den Augen mögliche Zeltplätze. Ívar macht derweil gute Dienste als Kaimauer und hält die Boote fest.
Irgendwann setzen wir unseren Weg fort und erkunden diverse Sackgassen. Kleinere Eisbrocken werden von uns auch mal zur Seite geschoben. Ich komme mir vor wie auf einem Eisbrecher.
Nach vier Stunden Fahrtzeit taucht Kuummiit in der Einsamkeit auf, ein kleines Jägerdorf, das wir übermorgen auch besuchen werden. Heute fahren wir noch ein Stück weiter und legen in einer kleinen, ruhigen Bucht an. Das Gepäck ist relativ schnell entladen und die Boote wieder verschwunden.
Heute lerne ich, wie man ein Zelt aufbaut. In den nächsten Tagen wird dann auch die Lektion "geeignete Zeltposition" durchgenommen. Bis dahin schlafe ich auf einem kleinen Berg, zahle ordentlich Lehrgeld und rutsche mit dem Schlafsack auf der Isomatte Richtung Ausgang. Dafür stimmt die Aussicht!
Bis zum Abendessen ist noch ein wenig Zeit und ich erkunde die Umgebung. Damit bin ich nicht der einzige. Auf jedem etwas höheren Hügel steht jemand aus unserer Gruppe und lässt den Blick schweifen. Außer dem Rauschen eines nahe gelegenen Wasserlaufs ist nichts zu hören. Absolute Idylle. Der Boden ist mit Moos, Efeu, Flechten und kleinen Blumen bedeckt. Bäume oder Sträucher gibt es keine. Die Moosschicht ist teilweise ziemlich dick und unglaublich weich. Wenn man drauf tritt, sinkt der Schuh erstmal ein paar Zentimeter ein. Wie ein natürlicher Teppichboden.
Nach dem Essen trifft man sich am Bach wieder zum Zähneputzen. Die Sonne verschwindet langsam hinter die umliegenden Berge und es wird deutlich kühler. Noch schnell die Aussicht genießen und ab ins Zelt, um noch ein paar Seiten zu lesen. Eine Taschenlampe habe ich nicht dabei, aber so knapp unterhalb des Polarkreises ist es ziemlich lange hell. Das blöde ist nur, dass Koffer und Schlafsack jetzt einige Zeit in der Kälte gelegen haben und ich praktisch alles erstmal anwärmen muss, bevor es hier richtig kuschelig wird.
Eisbären gibt es hier glücklicherweise nur im Winter, aber es kann passieren, dass wir mal Besuch von Füchsen bekommen werden. Ich wünsche allen eine angenehme Nacht.
Übernachtung: Zelten in der Nähe der Ortschaft Kuummiit
Bewertung der Lage: gut
Aufbruch: | 09.08.2005 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 28.08.2005 |
Island