Grönland / Island - Wo Europa wild wird
12.08. Kuummiit, weiter z. Knud Rasmussen Gl.
Als ich aufwache, ist es in meinem Zelt schon wieder bzw. noch immer hell. Ich freue mich auf den nächsten sonnigen Tag, doch bin etwas enttäuscht, als ich die Zelttür öffne. Draußen ist es bedeckt. Der von uns gestern bezwungene Berg ist komplett in Wolken gehüllt. Heute hätten wir da nicht aufsteigen können.
Der aktuelle Eisbericht: unsere Bucht noch immer voll Eis. Hier werden uns die Boote nicht abholen können. Nach dem Frühstück bauen wir unsere Zelte bis auf das Küchenzelt ab, das nun als Gepäckzelt dient, während wir den Vormittag in Kuummiit verbringen werden.
Das Örtchen besteht aus vielen kleinen Holzhäusern. Die alten stehen noch auf Holzpfählen, die neuen auf einem Betonfundament. Die Straßen sind unbefestigt und die einzigen Fahrzeuge im Ort sind ausschließlich Nutzfahrzeuge. Die Hausnummern werden nicht pro Ort, sondern im gesamten Landesteil gezählt. Wir finden Hausnummer 2657, d.h. es ist handelt sich hierbei um das 2657. in Ostgrönland gebaute Gebäude. Hausnummer 2658 kann im selben Ort sein, aber vielleicht auch mehrere Hundert Kilometer entfernt. Hauptsache, der Postbote weiß das.
Die Farben der Häuser haben eine gewisse Bedeutung: Gebäude der ansässigen Fischfabrik sind blau, Werksgebäude rot, das Gemeinschaftshaus ist grau und der Strom-Generatorraum grün. Die Wohnhäuser können in allen möglichen Farben gestrichen sein, so dass das Örtchen nach außen kunterbunt erscheint.
Wir machen eine große Runde durch den Ort. Alles sieht verwahrlost aus. Hier sind die Menschen froh, wenn sie genügend zu Essen haben und es im Winter einigermaßen warm ist. Alles andere kümmert sie wenig.
Die Arbeitsverteilung ist auch ganz anders als bei uns. Ich kann eine Familie sehen, die Teile ihres Hauses reparieren, wobei selbst kleine Kinder tatkräftig mitwerkeln, wo in Deutschland jeder dem Kleinen den Hammer aus der Hand nehmen würde, weil es viel zu gefährlich ist. Doch hier lernen die Kinder wohl schon von klein auf, wie man in diesem rauen Land überlebt.
Vor dem Haus fängt ein Hund an zu jaulen und wenn einer anfängt, stimmen gleich weitere mit ein. Das geht jetzt ein paar Minuten so, danach ist wieder nur das Brummen vom Generatorhaus zu hören, welches das gesamte Dorf mit Strom versorgt.
In der Kirche des Ortes hängen Schiffsmodelle an der Wand. Ein Zeichen dafür, dass die Kirche von Dänen gebaut wurde. Auf einigen Gräbern des Friedhofs liegen künstliche Blumen, sowie sie auch an vielen Häuserfenstern zu finden sind. Das spart eine Menge Arbeit, auch wenn das Leben hier bei weitem nicht mehr so hart ist wie früher, bevor die Weißen Elektrizität und Ölheizungen hier eingeführt haben.
Auf dem Ortsplatz hängen allgemeine Mitteilungen aus. Es wird versprochen, denjenigen zu einem reichen Mann zu machen, der kostbare Bodenschätze findet, die man noch immer auf Grönland vermutet. Die einzelnen Worte auf den Plakaten sind lang und für uns unaussprechlich. Die Inuiten kannten keine Schrift und so hat man versucht, die Worte und Laute der Inuitensprache mit unseren Buchstaben darzustellen.
Besonders erstaunt bin ich aber über den Supermarkt im Ort. Von außen unscheinbar in einem typischen roten Holzhaus untergebracht, könnte man im Innern glauben, in einem gut sortierten deutschen Supermarkt zu stehen. Neben allen notwendigen Nahrungsmittel (sogar Kinderüberraschung, in Deutsch geschrieben, konnte ich entdecken) finden sich hier auch Heimwerkerartikel und sogar Fernseher und Radios, und zwar keine alte Gebrauchtware, sondern nagelneue futuristische Modelle! So ein modernes Radio habe selbst ich daheim nicht herumstehen. Ich wundere mich vor allem über die Tatsache, wie viel davon hier herumstehen. Ich bin davon ausgegangen, wenn jemanden im Ort der Fernseher kaputt geht, bestellt der sich im Laden einen neuen, der dann mit dem nächsten Schiff irgendwann ankommt.
Ein wirklich sehr lehrreicher Morgen, doch ich frage mich, was machen die Leute hier den ganzen Tag? Man kann ja nicht immer sein Haus reparieren. Die Aussicht hier ist großartig, ich meine, wie viele Orte kennt ihr, die einen eigenen Eisberg vor der Tür haben? Aber für immer würde ich hier nicht leben wollen. Trotz allem Fortschritt ist es doch noch immer primitiv und so weit ab von allem.
Inzwischen sind die Inuiten an Touristen gewöhnt. Sie schauen uns nicht wie das achte Weltwunder an, sondern die Kinder tanzen aufgeregt auf der Straße und tun fast alles, um von uns fotografiert zu werden. Wir scheinen eine willkommene Abwechslung in ihrem sonst einseitigen Leben zu sein.
Als wir zum Zeltplatz zurückkehren, ist die Bucht noch immer voller Eisberge. So langsam mache ich mir Gedanken, wo die Boote anlegen können. Pünktlich um 12 Uhr hören wir die Motoren von "Blue Thunder". Und wie konnte es anders sein, schiebt er die Eisberge mit seinem Boot einfach ein Stück zur Seite und hält an einer Steilküste an. Wie sollen wir hier nur das ganze Gepäck runter tragen? Die Antwort ist kinderleicht: wir bilden eine Kette. Jeder verschafft sich einen sicheren Stand und reicht das Gepäck weiter nach unten. So kann man mit zwei Händen zupacken.
Katharina hat wieder Gepäckstapeldienst unter Deck.
Wir legen ab und fahren ein letztes Mal an Kuummiit vorbei. Wieder suchen wir uns unseren Weg zwischen den Eisbergen hindurch, aber hier ist das Labyrinth nicht so schlimm, da die einzelnen Berge doch weiter auseinander liegen und breite Durchfahrtswege offen lassen.
Wir werden langsamer und ich denke, wir sind am Ziel. An Land liegen einige verrostete Ölfässer, die von den Amerikanern nach dem 2. Weltkrieg hier einfach liegengelassen wurden. Ein wirklich netter Zeltplatz!
Glücklicherweise stellt sich heraus, dass wir hier nur Pause machen, um uns diese Schandtat näher anzusehen. Als wir die Küste hinauflaufen, trifft uns echt der Schlag. Die Berge von verrosteten Ölfässern sind noch schlimmer als wir es vom Wasser aus geahnt hätten. Alte LKW, eine alte eingestürzte Lagerhalle - alles einfach verantwortungslos stehen und liegen gelassen. Nach uns die Sintflut!
Wir lassen den Ölfassboulevard hinter uns und erfreuen uns lieber wieder an den vorbeischwimmenden Eisbergen. Kein Eisberg ist wie ein anderer. Einige sind unglaublich glatt geschliffen, andere von tiefen Rillen durchzogen. Die Natur ist ein wahrer Künstler.
Gegenüber des Knud Rasmussen Gletscher gehen wir wieder an Land. Ist bestimmt ein wunderschöner Zeltplatz, wenn nur das Wetter und damit die Aussicht etwas besser wären. Sehr viele flache Stellen gibt es hier nicht. Entsprechend weit auseinander stehen heute all unsere Zelte. Mein Zelt steht zwar dieses Mal nicht in der ersten Reihe mit dem besten Ausblick, dafür würde es aber jeden Wasserwaagentest bestehen. Endlich gerade schlafen!
Als wir beim Abendessen sind, wird unser Zeltplatz wie vorausgesagt von Füchsen besucht. So wie es aussieht, wollen sie aber nur spielen. Sie beißen eine Wäscheleine durch und verschleppen ein Paar Stiefel, aber sonst sind sie sehr scheu und lassen sich zu meinem Leidwesen kaum fotografieren.
In dieser Nacht lässt seltsamerweise keiner seine Schuhe im Vorzelt stehen. Warum nur?
Fuchs auf unserem Zeltplatz. Wegen der Dämmerung und der schnellen Bewegungen des Fuchs leider nur unscharf.
Übernachtung: Zelten gegenüber des Knud Rasmussen Gletscher
Bewertung der Lage: naja, weil wir vom Karale-Gletscher, den wir morgen erreichen wollen, zu weit weg sind und ihn deshalb nicht erreichen werden.
Aufbruch: | 09.08.2005 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 28.08.2005 |
Island