Zürich-Chisinau-Zürich

Reisezeit: Juli 2008  |  von Roland E.

umsteigen in der Ukraine

Der Zug schlängelt sich dem Dnjestr entlang Richtung Grenze. Er führt schon ziemlich viel Wasser. Natürlich ahne ich nicht, dass er weiter südlich bereits anfängt Dörfer zu überschwemmen. Der moldawische Zoll ist easygoing, nicht so die zwei charmanten ukrainischen Zöllnerinnen, die für meinen Pass 15 Minuten brauchen. Vielleicht war da auch mehr die Neugier im Spiel. Sie schauen in den Pass, schreiben Zahlen heraus, rechnen und irgendwie habe ich den Eindruck, dass sie aufgrund der Zollstempel meine Reise zu rekonstruieren versuchen. Mit einem "Good night" werde ich von den freundlichen Damen verabschiedet. Immerhin ein spassiba, doswidanja kriege ich auch noch hin. Der Zug bummelt durch die wunderschönen Ausläufer der Karpaten, vorbei an ausgedienten Bergbau-Komplexen Richtung Tschmerinka, einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt. Ich bin auch gar nicht unglücklich über die Ankunft, den mein eigentlich sympathischer Nachbar macht mittlerweile im 5-Minuten-Takt recht unangenehme Geräusche.

Der Schaffner gab nicht auf, als ich wiedermal etwas schwer von Begriff war. Er will mir das Ticket als Souvenir mitgeben - normalerweise behält es der Schaffner.

Nun bin ich in Tschmerinka und ich weiss aus Erfahrung, dass Reisen in der Ukraine sehr hart sein kann. Praktisch niemand kann Englisch oder Deutsch. Im Gegensatz zu den Moldawiern machen sich die Ukrainer auch keine grosse Mühe, einen zu verstehen. Sie können ziemlich garstig reagieren, wenn man sie nicht gleich versteht. Wobei ich glaube, dass sie es eigentlich gar nicht böse meinen, sie sind einfach überfordert. Deshalb muss man hier hartnäckig bleiben, dann geht es ganz gut. Ansonsten kann man sich ganz schön verloren fühlen.

Das Bahnhofsgebäude von Tschmerinka ist riesig und wunderschön. Nur führt die Unterführung nicht dorthin, die geht in die andere Richtung. Ich bin ja auch der einzige, der sie benutzt, alle anderen laufen über die Gleise. Also die Unterführung runter und auf der anderen Seite in die Gegenrichtung alles wieder zurücklaufen.
Das riesige Bahnhofsgebäude ist innen fast leer und weit und breit kein Schalter in Sicht. Den finde ich nach längerem Suche auf einer Seite.

Ich schreibe auf einen Zettel Przemysl, den polnischen Grenzort, mein nächstes Ziel. Eigentlich wollte ich in Lvov noch einen Zwischenstop einlegen. Ich kenne Lvov und Lvov ist toll - bei Sonnenschein. Bei Regen ist es nicht mein Ding und gemäss dem Wetterbericht in Chisinau soll es hier die nächsten Tage schütten.

In Tschmerikna ist es trocken und warm und ich halte der Dame hinter der Glasscheibe unter der Überschrift Information meinen Zettel hin und zeige auf die Uhr. Nun beginnt das "Game". Sie sagt ihren Satz, ich verstehe nichts, egal wie ich mich anstrenge und sie wiederholt einfach den Satz - in einem schärferen Ton. Nun gilt es nicht aufzugeben! Ich mache es wie sie, zeige einfach immer wieder auf den Zettel und auf die Uhr. Nun muss sie nämlich ihre Strategie ändern, sonst wird sie mich nie los. Also nimmt sie einen Zettel und schreibt "N051" und "1.12". Also ab an den Billetschalter und das gleiche Spielchen. Die Beamtin (Zum Glück, die Männer hier sind i.R. wesentlich mühsamer (-> die Männer sind im Gegensatz zu den Frauen ziemlich faul) rauft sich mittlerweile die Haare, während ein Klagelaut von ihren ippen kommt. Nun ja, sie wiederholt zum 5. Mal den genau gleichen Satz und ich zeige zum 5. Mal auf meine beiden Zettel und sage "Ticket". Irgendwann huscht ein "ich habs" über ihr Gesicht und sie ruft "Lvov!". Nun begreife ich: Sie kann keine internationalen Billette ausstellen. Ich hätte es eigentlich wissen müssen, das können in der Ukraine in der Regel nur Reisebüros oder spezielle Schalter. In Lvov - das weiss ich, weil ich zu Hause ein paar Fahrpläne ausdruckte - hält der Zug (der nach Polen weiterfährt) 30 Minuten. Also sehen wir in Lvov weiter.

Nun habe ich kein ukrainisches Geld und frage "change". Denn gibt es hier am Bahnhof nicht. Sie sagt noch in ukrainisch, dass eher polnisch ist als russich, irgendeinen Satz und ich weiss, dass "jeden" 1 heisst. Wahrscheinlich sagt sie mir den Wechselkurs. Hätte sie ihn aufgeschrieben, wüsse ich ihn. Aber ich weiss ihn auch so und bekomme von einem Taxifahrer für 20 Euro 120. 128 wäre korrekt. Aber ich finde das in Ordnung so.

Ich habe es geschafft und noch zwei Stunden Zeit! Ich setz mich in die Bahnhofskneipe. Also nur nicht hinsetzen und warten, denn dann bekommt man sein Bier nicht selten gar nie. Man kann rufen und winken, nützt nichts, man wird ignoriert. Von solchen Erfahrungen bei meinem letzten Ukraine-Besuch geprägt, gehe schnurstracks zur Kellnerin (in der Ukraine scheinen sowieso nur Frauen zu arbeiten) und bestelle direkt und es klappt.

Die Ukraine ist unglaublich billig. Das Zugticket kostet mich keine 7 Euro, das Bier 30 cent der halbe Liter. Für 5 cent mehr gibt es das tschechische Staropramen. Neben mir trinken 4 Frauen, sie bechern mächtig und rufen mich zu sich. Aber nur eine von ihnen kann englisch, den anderen wird bald langweilig und sie gehen. Die Kneipe gehört einem Türken und eine der Frauen ist seine Ehefrau und darum trinken sie hier Cognac. Sie stellt mir auch noch die Königsfrage: Warum reise ich hier herum, ohne ein Wort russisch oder ukrainisch zu sprechen, alleine. Ich könne mich ja mit niemandem unterhalten! Nun, wo sie recht hat, hat sie recht und mir fällt auch keine gescheite Antwort ein. Dazwischen stehe ich noch 3 Mal auf und hol mir ein Bier bei der Kellnerin und schaffe es sogar, ihr ein lächelnd zu entlocken!

Die nette Frau verabschiedet sich und ich mache mich zum Perron auf und habe das Gefühl, dass dieses Bier direkt zur Blase durchwandert. Während ich verzweifelt auf den Zug warte, fährt ein Zug Richtung Odessa oder in die Gegenrichtung Lvov nach dem anderen ein. Dabei stelle ich fest, dass die Ukraine mittlerweile sogar richtige Sitzplatzwagen hat - welch ein Rückschritt! lol:

© Roland E., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Zugsreise nach Moldawien und zurück.
Details:
Aufbruch: Juli 2008
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Juli 2008
Reiseziele: Serbien
Bulgarien
Rumänien
Moldau
Ukraine
Polen
Der Autor
 
Roland E. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.