Gruppenreise durch Guatemala
Frösche
René hatte Recht. Schon um zwei Uhr war ich so wach, dass ich hätte aufstehen können. Und das ist bei mir eine absolute Seltenheit. Viel lieber schlafe ich bis Mittag, als dass ich mich früh am Morgen unter der Decke hervorschäle. Also drehte ich mich nach einem Blick auf die tief unten liegende Avenida auf der sich gerade ein Stau bildete, noch einmal um und war schon bald wieder eingeschlafen.
Doch um sieben konnte ich meine Lebensgeister nicht mehr zum Einschlafen bewegen und stand auf. Das Internet im Hotel war noch geschlossen, aber beim Frühstücksbuffet sassen bereits ein paar Leute von unserer Gruppe. Ja, man hatte gut geschlafen. Die Zimmer wurden als überraschend gross beurteilt, die Betten bequem und die ganze Gruppe schien unternehmungslustig zu sein. Um neun holte uns Nino ab und wir fuhren ins Museum Popol Vuh. Der Name kommt vom wichtigsten Buch der alten Mayas, in dem die Schöpfungsgeschichte der Maismenschen beschrieben wird. Das Buch Popol Vuh ist für die Mayakultur genauso wichtig, wie für die Christen die Bibel.
Das Museum gibt einen Überblick über die verschiedenen Epochen der Mayageschichte. Ausgehend von der Preklassik zur Klassik und Postklassik wird die Entwicklung der Städte und Kultur aufgrund von Keramikfunden und Malereien aufgezeigt. Anfänglich einfache Gebrauchsgegenstände wie Teller mit Ornamenten werden mit der Zeit aufwändig gestaltete wunderschöne Dekorationsartikel.
René weiss eine Menge über die verschiedenen Epochen zu erzählen und wir löchern ihn mit Fragen. Maya entdeckt einen steinernen Frosch. Während wir anderen noch über seine platte Form spötteln und ihn als überfahrene Kröte titulieren, erklärt uns Maya, dass die Skulptur die typische Stellung des Frosches in heissen Gegenden aufzeigt. Mit eng an den Körper angezogenen Beinen, die er teilweise auf den Rücken legt, schützt er sich vor dem Austrocknen und überzieht sich ausserdem mit einem speziellen Sekret. Dank Mayas Ausführungen verändert sich diese flache Struktur in eine äusserst interessante Skulptur die eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe und Genauigkeit in der Ausarbeitung von Details zeigt. Der Frosch ist ein Symbol der Fruchtbarkeit und wurde von den Mayas wie andere Tiere, die sich in verschiedenen Ebenen bewegen können, sehr verehrt.
Dr Maisgott wird in die Unterwelt gerudert
Die Mayas kannten die Gegenwart, die Welt der Menschen. Der Himmel war der Sitz der Götter und unter uns das Totenreich. Vögel leben sowohl im Reich der Menschen, können aber auch in die Welt der Götter aufsteigen. Krokodile und Frösche leben sowohl auf unserer Ebene, sind aber fähig in die Welt der Toten im Wasser abzusteigen. Auf tönernen Vasen wird der Zyklus des Maisgottes dargestellt. Er lässt sich von schönen FrFrauen einkleiden und wird von Bootsführern über das Wasser ins Reich der Toten gerudert. Doch weil er ein Gott ist, wird er danach regelmässig als Baby wiedergeboren und der Zyklus des Lebens beginnt von neuem.
Mais gilt bei den Mayas schon immer als das wichtigste Grundnahrungsmittel. Dank der Kultivierung des Mais wurden die Menschen sesshaft.
Tote gehörten zur Gemeinschaft der Menschen genau so wie Götter. Für die Verstorbenen wurden kunstvolle Urnen hergestellt und im oder vor dem Haus vergraben. So waren sie immer im Dialog mit den Ahnen. Erst die Spanier brachten die Idee eines zentralen Friedhofes. Hier wurden den Toten Häuser gebaut, in denen die Särge aufbewahrt werden. "Noch heute", erklärt Rene, "gibt es Menschen, die auf dem Friedhof zuerst am Grab anklopfen, wenn sie ihre verstorbenen Angehörigen besuchen wollen".
Im letzten Raum des Museums wird der Einfluss der katholischen Kirche gezeigt. Die Spanier brachten bei der Eroberung vor 500 Jahren das Christentum mit sich. Wie anders zeigen sich die üppigen Figuren mit wallenden Kleidern und goldenen Ansätzen, als die irdenen Kunstwerke der Mayas. Die Zeit der Mayas war allerdings beim Eintreffen der Spanier bereits vorbei, denn die drei Epochen der Mayas dauerten von 1500 v.Chr. bis 1500 nach Chr. Als die Spanier um 1500 in Mittelamerika ankamen, trafen sie nur noch auf die Nachkommen dieser grossen Kultur. Dass es da vorher eine hochstehende Kultur gab, wurde erst vor knapp 150 Jahren entdeckt. Darum ist die Erforschung der Mayageschichte noch sehr jung und es gibt auch heute noch immer wieder neue Erkenntnisse über das Leben und die Bedeutung der Mayas.
Nach dem eindrücklichen Besuch des Museums fahren wir mit dem Bus in Richtung Osten. Schon bald haben wir die Millionenstadt hinter uns gelassen und fahren durch eine einen riesigen tropischen Garten. Beidseitig der Strasse erstrecken sich grüne Wälder, fruchtbare Ebenen, üppige Vegetation. Pflanzen, die in unseren Wohnzimmern ein klägliches Dasein als Topfpflanzen fristen, gedeihen hier in wilder Freiheit. Mächtige Tulpenbäume stehen da und recken ihre roten Blüten gen Himmel. Ausladende Elefantenohrbäume über breiten ihre vielfältigen Aeste über die Strasse. Maya entdeckt Rizinusbäume und ich sehe unter schattigen hohen Bäumen die leuchtend grünen Blätter von Kaffeepflanzen. Und immer wieder Maisfelder, Milpas in Spanisch. Agaven, Kokospalmen, Engelstrompeten, jeder entdeckt seine eigenen Bekannten.
Die Strasse ist gut ausgebaut, von Taiwan gesponsert, erklärt Rene. Ausserdem macht er uns darauf aufmerksam, dass wir nun in den wilden Osten fahren würden. Hier wo die Menschen Waffen besitzen und sich auch nicht scheuen, diese zu zeigen. Wundert Euch also nicht, wenn ihr in einem Laden jemanden mit einem Gewehr seht, meint er, und wir sehen auch bereits auf der Strasse gelegentlich einen Mann mit einem Gewehr flanieren. Es sind nur wenige Dörfer, durch die wir fahren. Eigentlich ist es eine riesige grüne Welt, durch die wir fahren. Es ist Regenzeit, darum ist das Land so grün. Blühende Bäume, hohe Bäume, breit ausladende Bäume. Bäume mit grossem festem Blattwerk aber auch filigrane Blätter. Die Vielfalt der Formen und Grüntöne überwältigt mich immer wieder. Manchmal gibt es ein paar Häuser am Strassenrand. Zeichen von menschlichem Leben. Ein Pferd, am Strassenrand angebunden, ein paar Kinder auf dem Heimweg. Sie sind einfach, die Häuser. Mauern, versteckt im Grün der Pflanzen mit einem einfachen Blechdach bedeckt. Es gibt aber auch andere Behausungen. Riesige Landsitze, grosse Bauernhöfe mit Kühen. Es gibt sie schon, die reichen Guatemalteken. Die Mehrzahl der Leute muss mit einem unregelmässigen Einkommen auskommen, nur ca. 20 % hat ein richtiges Salär. Dabei verdient zum Beispiel ein Lehrer gegen 300 - 400 Dollar im Monat, je nachdem wo er arbeitet. Es gibt aber gegen 100'000 Reiche in diesem Land. Und wenn von Reichen die Rede ist, meint man damit wirklich Superreiche, die zu einem Arzttermin locker mit dem Privatjet nach Miami jetten. Nirgendwo in Mittelamerika ist die Schere zwischen arm und reich so gross wie in Guatemala.
Durch den wilden Osten
Es sind keine einfachen Informationen, die Rene uns auf der Fahrt durch das grüne Paradies vermittelt. Zum Mittagessen halten wir an einer Tankstelle. Es gibt da eine einfache Küche, die kleine frisch zubereitete Mahlzeiten anbietet. Zwischen den Gestellen des kleines Supermarktes steht doch wahrhaftig ein Mann mit einer TopGun. Locker und völlig selbstverstädlich trägt er sie über dem Rücken, lässt sie durch die Hände gleiten, stolziert durch den Laden, in die Küche, isst seinen Hotdog während wir in einer Mischung von Unglauben und Faszination jede seiner Bewegungen registrieren. Das ist jetzt eben der wilde Osten, von dem uns Rene erzählt hat.
Am Nachmittag erreichen wir die Grenze zu Honduras. Es gibt einen Stempel in den Pass und schon sind wir in einem neuen Land. In einem Land, das im Moment von einer lähmenden Unruhe erfasst ist. Vor ein paar Wochen wurde der Staatspräsident von den Militärs entmachtet und noch im Pijama aus dem Land spediert. Seither versucht er mit Hilfe des Auslandes in sein Land zurück zu kehren. Ein erster Versuch wurde von den Militärs vereitelt, indem der Flugplatz mit Jeeps versperrt wurde und die Maschine mit dem Präsidenten an vor den Augen Fernsehkameras der Welt unverrichteter Dinge wieder gehen musste. Heute soll ein weiterer Versuch stattfinden und wahrscheinlich ist darum die Grenze heute kaum benutzt. Doch Tegucigalpa, die Hauptstadt von Honduras ist weit weg, eigentlich interessieren sich die Menschen hier mehr für das Fussballspiel das heute in den USA stattfindet. Es spielt Honduras gegen Kanada.
Gleich hinter der Grenze liegt Copan, unser heutiges Ziel. Es ist heiss geworden im Auto und wir sind froh, nach der langen Fahrt angekommen zu sein. Ein abgedunkeltes kühles Zimmer erwartet uns. Das ist zwar sehr verlockend und gibt den Augen nach den vielen Eindrücken eine kurze Erholung.
Die Erholung in den Zimmern währt kurz. Jeder will sehen, wo wir angekommen sind und so trifft man schon bald ein paar bei einem Bummel durchs Dorf, wo auf dem kleinen Markt erste Souvenirs erstanden werden, während andere sich im erfrischenden Wasser des schimmernden Pools erholen.
Zum Nachtessen gehen wir gemeinsam ins NiaLola. Spezialität sind Spiessli, hat Rene gesagt. Das stimmt natürlich, was das Kulinarische anbelangt, doch die wirkliche Spezialität sind die Mädchen, die alles auf dem Kopf servieren. Sie balancieren spielend eine volle Flasche Wein, ein Glas oder gar einen ganzen Teller auf Ihrem Kopf. Und dabei müssen sie erst noch die Treppe hinauf in den oberen Stock steigen. Schon vor dem pittoresk geschmückten Restaurant, das mit seinen vielen Lämpchen eine eigenwillige Mischung von Karibikstimmung und Weihnachtsbeleuchtung verbreitet, entdeckt Maya wieder steinerne Frösche. Es scheint, dass diese sie regelrecht anspringen, denn auch drinnen muss sie sich nur einen Stein etwas genauer ansehen, und auch dieser entpuppt sich als Frosch.
Das Nialola
Auf dem Heimweg wird aus der Froschexpertin Maya allerdings eine Hundetrainerin. Sie hat die Resten der Spiessli, die sich als wahre Fleischspiesse erwiesen, eingepackt und verteilt sie an drei streunende Hunde. Aber erst, wenn diese sich brav hingesetzt haben. Sitz und sientate wird nicht auf Anhieb verstanden, aber dank Mayas Geduld und er hungergesteuerter Intelligenz der Hunde, klappt das Fütterungszeremoniell wunderbar.
Übrigens, Honduras hat gewonnen, 2:0 und steht jetzt mit den USA im Halbfinale.
Aufbruch: | 17.07.2009 |
Dauer: | 16 Tage |
Heimkehr: | 01.08.2009 |