The eye of the tiger - Indien 2010/2011
Von Puri nach Vijayawada
2010-12-01: Puri-Raghurajpur
Völlig unerwartet taucht um acht Uhr Pradip mit seinem kleinen Cousin auf. Wie jeden Tag bringt er den Vierjährigen von seinem Dorf ausserhalb nach Puri zur Schule. Diese beginnt um halb neun und dauert bis halb eins. Um diese Zeit holt er ihn wieder ab, bringt ihn nach Hause bevor er um halb drei selber zum College geht.
Wie vereinbart treffen wir uns nachher am Strand. Pradip kommt just in dem Moment an den Strand, als mich eine Indische Familie aus Hyderabad, die ihren Urlaub in Puri verbringt, zum Tee einlädt. Er wundert sich wie schnell ich immer Kontakt zu irgendwelchen Indern habe. Er freut sich aber und das um so mehr als er auch einen Tee spendiert bekommt.
Es ist interessant den Fischern bei der Arbeit zuzuschauen. Es sind jeweils 6 bis 8 Mann auf einem relativ kleinen Boot, bei einem Motor mit einem furchtbar lauten Knatter-Aggregat hinten drauf etwas weniger. Vom Ruderboot, das ich an diesem Morgen weit draussen beobachte kommt einer der Männer angeschwommen. Er hat das eine Ende eines Seils dabei mit dem er zusammen mit ein paar anderen Männern das Boot zum Strand zieht, um schneller durch die ziemlich starke Brandung anzukommen. Momentan ist das Boot aber bestimmt noch über einen halben Kilometer weit draussen und es kann nur in ganz kleinen Schritten näher gezogen werden. Aber schliesslich sind wir ja in Indien und da spielt die Zeit nicht ganz so eine wichtige Rolle wie in Europa. Etwa eine Stunde später - das Boot hat sich um einiges bewegt, allerdings nur seitlich und nicht wirklich auf den Strand zu - meldet sich bei mir doch mal der Magen und will nun endlich sein Frühstück. Ich stimme ihm zu und so gehen wir ins Achha.
Nach dem Frühstück fahren wir in das sehr bekannte, nur ein paar Kilometer entfernte Handwerker- und Künstlerdorf Raghurajpur. Hier reiht sich ein Atelier ans andere. Ich gehe von einem zum nächsten und überall werden mir wunderschöne Gemälde gezeigt. Von den einfachen aber trotzdem aufwändigen Strichmännchen-Zeichnungen auf Stoff bis zu den unglaublich detaillierten Gemälden auf einfachem Stoff oder mehreren, zu einer Art fester Leinwand verklebten, Stoffschichten. Alle Farben sind vorwiegend aus Gesteinen aber auch Pflanzen auf natürlicher Basis hergestellt, da diese viel Beständiger sind als die herkömmlichen Farben, die in normalen Buntstiften enthalten sind. Am besten gefallen mir jedoch die berühmten Palmblatt-Zeichnungen. Auf getrockneten Palmblättern werden bei dieser Kunstform mit sehr scharf gespitzten Metallgriffeln die Zeichnungen eingeritzt. Die kompackte und wasserabweisende Oberfläche der Blätter wird dadurch verletzt. Die mit Wasser angerührten Farben können nun mit dem Finger über das ganze Palmblatt verrieben und danach mit Wasser und einem Lappen wieder abgewaschen werden. Die Farbe bliebt nur in dieser feinen Rille haften während sie daneben wieder komplett abgewaschen wird. Auf mehreren aneinandergenähten Palmblättern, die wie eine Store auf- und zusammengeklappt werden können entstehen so Bilder bis ungefähr Grösse DIN A2. Eigentlich wollte ich ja nur wieder ein kleines Souvenir für max. 350 Rs kaufen. Die Unterschiede der einzelnen Zeichnungen waren aber so gross und ich wollte ja ein schönes Souvenir haben, dass ich mich für eins entschieden habe, das 1500 Rs kosten sollte. Da ich mir des Aufwands für ein solches Kunstwerk viel zu bewusst war habe ich mich nicht getraut es tiefer als auf 1300 Rs zu handeln. Auf dem Heimweg in der heiligen Umgebung, damit ich ihm auch wirklich glaube, hat mir Pradip dann noch 220 Rs gegeben, die er vom Künstler als Provision zugesteckt bekommen hat als ich es nicht bemerkt habe. Ich freue mich über seine Ehrlichkeit und frage mich dabei insgeheim, ob wir wohl zu Hause mit einem Gast aus einem Fremden land auch so umgehen würden - aber das ist eine andere Geschichte und das Abstimmungsergebnis von letztem Wochenende in der Schweiz nochmals eine weitere. Zum Dank bekommt dann Lord Krishna auch noch seinen Anteil.
Als kleine Anerkennung für seine Dienste, die ich in den letzten Tagen von Pradip beanspruchen durfte gehen wir kurz in den neuen Adidas-Shop in Puri. Zum Nachtessen will er heute nicht mehr mitkommen, da er auch für mich noch etwas besorgen will. So sitze ich kurz darauf alleine im Achha und schlemme die köstlichen Garnelen aus dem bengalischen Golf, diesmal mit viel Knoblauch in Palmöl gebraten mit feinen Chapati.
Jeder verdient sein Geld auf seine Weise. Genau so wie der Nachbar ein Kopiergerät in seinem Shop als Existenzgrundlage hat, hat dieser hier irgendwo ein Röntgengerät aufgetrieben.
2010-12-02: Puri-Bhubaneswar-Vijayawada
Um acht Uhr muss ich heute im Hotel schon auschecken, weil vielleicht schon die nächsten Gäste mit dem Nachtzug in Puri angekommen sind. Ein letztes Mal solls ins Achha zum Frühstück gehen. Dass ich um die Uhrzeit noch gar nie unterwegs war fällt mir erst auf als noch kaum ein Restaurant offen hat. Auch im Achha gibt's erst in einer halben Stunde etwas. Da dran solls aber nicht scheitern und mein Zug fährt ja erst spät abends im benachbarten Bhubaneswar.
Nach dem Frühstück ist es so weit und ich verlasse einen lieb gewordenen, treuen Freund, den ich vor sechs Tagen noch nicht einmal gekannt habe. Er ist gestern extra noch einmal in's Künstlerdorf gefahren und hat mir ein weiteres Palmblatt-Bild gekauft ich bin gerührt von so viel Herzlichkeit.
Pradip versucht noch, mir für 100 Rs (ca. CHF 2.50) ein Taxi ins 60 km entfernte Bhubaneswar zu organisieren - eine halbe Stunde später sitze ich dann doch im Bus und bezahle für meine zwei Plätze den ich mit meinem Gepäck benötige einen besonders hohen Touristenpreis - 60 Rs!
In Bhubaneswar genehmige ich mir dann als erstes einen Chai, bei dem ich dann schon von verschiedenen Taxi-, Auto-Rikscha- und Fahrrad-Rikscha-Fahrern belagert werden, die mir alle ihre Stadt mit den vielen Tempeln zeigen wollen.Für die etwa 2 km bis zum Lingarai-Mandir entscheide ich mich für eine Fahrrad-Riksch. Der Fahrer will mich dahin für 25 Rs mitnehmen. Er fährt dann mit mir auch durch Nebenstrassen und enge Gässchen in diese Richtung bis er vor einer Art Strassensperre aus Backsteinen durch die nur Fahrräder oder Motorräder passen anhält und mir erklärt er könne mich nicht näher an den Tempel bringen. Ich drücke ihm ärgerlich 20 Rs in die Hand und gehe den letzen Kilometer zu Fuss weiter. Bei den Vortempeln von denen aus man den Haupttempel zu dem nur Hindus zutritt haben wartet auch bereits die nächste Touristen-Falle. Zum Fotografieren werde ich hier freundlich hereingebeten bevor man mir beim Rausgehen noch das Gästebuch mit der Spalte für die Spenden unter die Nase hält. Obwohl die Zahlen meiner Vorgänger hier gleich aussehende Nullen am Ende haben bleibe ich mit meinen 10 Rs geizig. Schliesslich sollte das ja heute noch nicht alles an Abzocke gewesen sein wie später herausstellt. Vom Geiz gepackt wandere ich die 3 km zum Stadtzentrum mit meinen indischen Flipflop und vollem Gepäck zurück und hole mir prompt an beiden Fusssohlen dicke Blasen. Bevor ich am Bahnhof für den Rest des Tages mein Gepäck deponiere esse ich mich im Restaurant neben dem vom LonelyPlanet empfohlenen Luxus-Schuppen für 65 Rs satt. Am Nachmittag solls dann noch zu den Höhlen-Tempeln etwas ausserhalb der Stadt gehen. Nach einiger Zeit finde ich dann auch einen Auto-Rikscha-Fahrer der mich statt den anfänglichen 120 Rs für 75 Rs dahin fährt. Ich mache mit ihm ab, dass er 200 Rs bekommt wenn er mich in einer Stunde wieder in die Stadt fährt. Dazwischen bezahle ich den Eintritt zu den Höhlen (100 Rs), die wirklich beeindruckend sind. Ein wenig erinnern sie fast an Petra in Jordanien, auch wenn sie um Welten kleiner sind. Gleich neben der Kasse wartet dann bereits ein natürlich sehr kundiger Führer (200Rs die Stunde) und auf dem hektischen Rundgang (die Anlage schliesst bald) habe ich auch plötzlich zwei Stück Brot in den Händen und zwei Affen die danach greifen auf meinem Rücken, noch bevor ich recht weiss wie mir geschieht. Freudig verkündet der quirlige Junge der mir das Brot in die Hand gedrückt hat, dass mich die 15 kleinen Bananen die auch noch zum Brot gehören würden nur läppische 50 Rs kosten würden - zur Erinnerung, ich hatte am Mittag selber für 65 Rs gegessen! Zähneknirschend und mit schmerzenden Füssen sitze ich wieder in der Rikscha. Den Kerl, der mir dann auch noch 10 Rs für die Parkgebühr abknöpfen will verweise ich freundlich aber sehr bestimmt (er fragt kein zweites Mal danach) an den Fahrer - das ist schliesslich sein Problem. Zurück am Bahnhof versucht der junge Fahrer (ich geb's ja zu, ein bisschen Mitleid habe ich ja schon mit ihm) noch einmal auf das Thema Parkgebühr zurückzukommen. Ich drehe aber diesmal den Spiess um und rede meinerseits von Fix-Preis er versteht das Wort nur all zu gut und lässt mich gehen.
Etwa 3.5 Stunden zu früh bin ich am Bahnsteig. Ich habe aber Spass daran gefunden dem bunten Treiben in den Bahnhöfen zuzusehen und mit allerlei Leuten ins Gespräch zu kommen. Häufig sind es Zwar nur oberflächliche Fragen nach dem Woher und Wohin, zwischendurch ergeben sich aber auch Gespräche, die etwas tiefer als nur an der Oberfläche kratzen und ich habe zumindest den Eindruck etwas über das Befinden, die Ängste und Sorgen aber auch die Zuversicht und Hoffnung einiger Inder mitzubekommen.
Im Zug treffe ich auf einen jungen Soldaten der indischen Navy, er ist nach einem kurzen Urlaub zu Hause wieder unterwegs zu seinem Schiff. Der Junge ist gute 20 Jahre alt und bereits drei Jahre bei der Navy. Allerdings ist er bereits einen Tag zu spät dran, da ein Anschlusszug bereits weg war als er am Bahnhof ankam. Jeder der im Militär schon einmal unpünktlich war weiss wie unangenehme Folgen das haben kann. Allerdings ist es ja nicht sein Verschulden und dafür hat er auch die Bestätigung des Bahnhofsvorstehers auf seiner Fahrkarte. Trotzdem hat der arme Kerl grad den Eindruck, die ganze Welt stelle sich gegen Ihn.Freunde, die er unterwegs noch treffen wollte sieht er nun nicht mehr bevor er wieder auf die See hinaus muss, sein Freund, der ihn an den Bahnhof gefahren hat hat auch schon dicke Tränen geheult, was einen auch nicht grad aufbaut und nun will der störrische Schaffner auch noch, dass er die Fahrkarte für den neuen Zug bezahlt. Der Junge hat ganz genau durchschaut, dass ihm der Schaffner so lange erzählt, der Zug sei ausgebucht bis er die 1500 Rs für den dann zufälligerweise doch noch gefundenen Platz bezahlt. Eine Quittung dafür wird er allerdings nie bekommen - höchstens die neue Zug- und Sitzplatznummer wird ihm auf das alte Ticket gekritzelt. Ein weiterer Fall von einem fettwanstigen korrupten Beamten im indischen System - einfach nur zum K....
Das leckere letzte Frühstück in Puri vom netten Kellner, der mich schon beim zweiten Besuch im Achha wieder gekannt hat.
Die Touri-Falle: Die Höhlentempel von Udayabiri. Der Typ im Vordergrund wäre wahrscheinlich als Guide günstiger gewesen.
Grossartige Räume. Dahinter gibt es noch Tunnel, die als Gegensprechanlage zwischen den einzelnen "Zimmern" dienen.
2010-12-03: Vijayawada
Pünktlich um 10.20 Uhr erreiche ich Vijayawada. Ich steige aus dem Zug aus und merke sofort, dass ich wieder ein paar Kilometer weiter im Süden bin - es ist warm - wunderbar warm. Ein Taxi-Fahrer bringt mich zum Hotel, das ich mir auf der Fahrt im LonelyPlanet ausgesucht habe. Dieses wird leider grad wirklich renoviert wie mir der Blick nach oben und auch der Typ am Eingang bestätigt. Also muss ich mir doch vom Fahrer ein Hotel empfehlen lassen und weiss jetzt schon, dass ich seine Provision mitbezahlen werde. Das Hotel ist aber recht schön, hat ein Bett mit einer weichen Matratze, ein geräumiges Bad (wenn auch nur mit kühler Dusche und einem Waschbecken, bei dem man das Wasser am Haupthahn unter dem Becken an- und abdrehen muss) und ist ziemlich sauber.
Trotz der Erfahrungen von gestern besuche ich auch heute nochmals Tempelhöhlen. Mit den Rikscha-Fahrern verhandle ich von Anfang an härter und Führer will ich mir heute keinen mehr leisten. Ist auch gar nicht möglich. Entgegen den Erfahrungen von gestern gibt ist hier keine Affen, keine überteuerten Führer, keine sonstigen Schelme, ganz einfach nur eine entspannte Besichtigung von uraltem Gestein, das auf faszinierende Art und Weise vor hunderten Jahren bearbeitet wurde. Eine Wohltat und im Schatten des Hügels lässt sich wunderbar der Nachmittag mit lesen und staunen in einer wunderschönen Umgebung von Reisfeldern und Palmen verbringen. Ich bin weit und breit der einzige weisse Tourist - so ergeben sich auch hier schnell wieder interessante Gespräche.
Zurück in die Stadt fahre ich mit dem öffentlichen Bus für 7 Rs. Auf dem Weg in's Hotel, das ich noch eine Weile suchen muss komme ich an unzähligen Händlern vorbei, die alles mögliche an die Kunden bringen wollen. Viele verkaufen Früchte und Gemüse, andere süsse frisch gemachte Leckereien. An einem besonders gut besuchten Ess-Stand versuche ich auch mein Glück und probiere die angebotenen Köstlichkeiten. Für umgerechnet etwa CHF 0.60 bekomme ich mein Nachtessen inkl. einer süssen Nachspeise auf dem weiteren Weg und ein paar Früchten, die ich noch mit ins Hotel nehme.
... aber auch mit Fledermäusen.
Bei uns wäre das Gebiet wahrscheinlich im Umkreis von 2 km abgeriegelt, um die Kerlchen nicht zu stören.
Der Tempel liegt in schöner Umgebung im riesigen Delta des Flusses Krishna, wo Reis, Bananen- und Kokospalmen wachsen.
Studenten, die eigentlich als Projektarbeit einen Film drehen sollten - nur leider haben sie nicht dran gedacht den Akku der Kamera vorher zu laden! Aus so kann man sich einen freien Nachmittag verschaffen.
Schulklasse auf Schulreise. Der Lehrer versucht die wilde Truppe mit Trillerpfeife und Bambusstock im Zaum zu halten. Wär vielleicht auch eine Möglichkeit für dich, Angela?
Bei uns wär so eine Besichtigung viel zu gefährlich. Geländer gibt es nämlich in der ganzen Anlage keine - auch wenns schon mal 5 m runter geht.
Das andere Ende der Statue. Wer das daneben ist weiss ich nicht - einer der Erzengel wahrscheinlich eher nicht.
Liebe Grüsse aus Vijayawada, wo ich auf meinen nächsten Zug nach Hospet warte, von wo aus ich dann morgen nach Hampi hoch fahre - das Machu Picchu Indiens.
Aufbruch: | 14.11.2010 |
Dauer: | 9 Wochen |
Heimkehr: | 15.01.2011 |