Patagonien - Weite mit dem Rad erfahren
Endstation Buenos Aires
Durch Uruguay nach Buenos Aires
Ich bin am Ziel angekommen! Die letzten Tage habe ich mir Buenos Aires angesehen und morgen geht es zurueck in den Norden. Zeit, noch einmal ueber das Gesehene und Erlebte zu berichten.
Das letzte Mal hatte ich mich aus Bella Union gemeldet, als ich die Grenze zwischen Brasilien und Uruguay ueberquert hatte. Die Wahl ist deswegen auf diese Route gefallen, weil ich so linksseitig des Rio Uruguay bzw. nach seinem Zusammenfluss mit dem Rio Paranà des Rio de la Plata fast bis Buenos Aires fahren kann, ohne mich durch den Grossstadtverkehr quaelen zu muessen. Diese Entscheidung war goldrichtig! Auf guten Strassen, ohne nennenswerten Verkehr, bin ich fuenf Tage durch Uruguay gefahren. Zu berichten gibt es darueber wirklich nicht viel. Uruguay ist selbst gegenueber den laendlichen Gebieten Argentiniens noch einmal eine Entschleunigung. Hier gehen die Uhren anscheinend langsamer und zeitweise bleiben sie wohl auch mal stehen.
Uruguay bietet dem Auge auf der Strecke parallel zum Rio Uruguay nicht viel Abwechselung. So ist es immerhin angenehm, dass der Wind mich ueberwiegend sanft in Richtung Buenos Aires schiebt.
Der schwache Strassenverkehr stoert nicht - auch nicht die Toepfervoegel, die auf Strommasten und auch schon mal auf einem Verkehrszeichen ihre Nester bauen.
Nicht weniger kunstvoll, aber wesentlich groesser sind die Mehrfamilienhaeuser der Papageien in den Eukalyptusbaeumen an der Strecke (oben rechts ist auch jemand zu Hause). Nur ruhig geht es bei ihnen nicht zu, eine Kraehenkolonie ist dagegen ein Hort der Ruhe.
Morbider Charme ist wohl die freundliche Umschreibung dessen, wie sich in den aelteren Teilen vieler Orte paesentieren.
Oldtimer gehoeren in Uruguay zum Strassenbild - nicht nur wie hier bei diesem Haendler antiker Fahrzeuge. Darunter sind viele gepflegte Schmuckstuecke zu finden.
In Paysandù gelange ich wieder direkt an den Rio Uruguay, der hier auf die stattliche Breite von ca. 3 km angewachsen ist und auf dem grosse, seegaengige Schiffe verkehren. Hier laden sie in den schier unueberschaubaren Getreidespeichern und -silos die Ernte der Bauern der Region. Gleichzeitig finden sich immer mehr Sandstraende und der Tourismus entlang des Flusses nimmt immer mehr zu. Auch wenn der Fluss beladen durch Sedimente braun ist, soll das Wasser - anders als in Buenos Aires - eine gute Qualitaet haben und viele Menschen baden und angeln hier.
Je naeher man den Hauptstaedten Montevideo und vor allem Buenos Aires kommt, desto vielfaeltiger und auch hochwertiger wird das touristische Angebot. Da finden sich schon mal Golf- und Poloplaetze, eine Poloschule und verschiedene Luxushotels internationaler Hotelketten.
Das gilt auch fuer mein Ziel Colonia del Sacramento, das Buenos Aires am Rio de la Plata gegenueber liegt und von vielen Argentiniern dank der Faehrverbindung gern fuer Kurzurlaube genutzt wird. Allerdings sind auch die Preise dementsprechend und wegen des Karnevals, der fuer viele Menschen arbeitsfreie Tage mit sich bringt, ist es schwer, eine Unterkunft zu finden. Mit etwas Glueck komme ich in einem sehr gut gefuehrten Hostel unter und am naechsten Tag geht es mit der Schnellfaehre in einer Stunde nach Buenos Aires, wo ich mitten im Stadtzentrum ankomme.
Die Strecke von Puerto Iguazù nach Buenos Aires sieht auf der Gesamtkarte von Argentinien so kurz aus, ist aber tatsaechlich gut 1400 km lang!
Eine aufwendig renovierte historische Altstadt, gepflegte Hotels und Restaurants und lange Sandstraende machen Colonia zu einem geliebten Ferienort
Sonnenuntergang am Rio de la Plata. Nur bei sehr guter Sicht kann man die Skyline der etwa 40 km entfernten Metropole Buenos Aires erkennen.
Versuch einer Annaeherung an Buenos Aires
Vier Tage bleiben mir nach meiner Ankunft, um Buenos Aires zu erkunden. Das reicht, um einen Eindruck zu bekommen, ist aber auf jeden Fall viel zu wenig, um diese Stadt kennen zu lernen. Deswegen erspare ich es mir, diesen Versuch zu unternehmen und will hier nur einige Eindruecke und Impressionen wiedergeben, die ich in dieser Zeit gesammelt habe.
Buenos Aires ist gross! Auch mit Zahlen und Fakten will ich nicht langweilen, aber nur um die Dimensionen zu verdeutlichen: Argentinien ist ca. acht Mal so gross wie Deutschland, hat aber mit 39 Millionen Einwohnern leben hier weniger als halb so viele Menschen wie bei uns. Und von diesen 39 Millionen Argentiniern lebt wiederum fast jeder dritte im Grossraum Buenos Aires. Die Stadt selbst hat ca. 3 Millionen Einwohner, der Grossraum weitere 9 Millionen! Und das merkt man! Argentinien, das ist Buenos Aires, wird von vielen behauptet - Aehnliches sagen die Chilenen auch ueber Santiago. Nach allem was ich gesehen habe, ist Argentinien deutlich mehr, als es auf die Hauptstadt zu reduzieren, allerdings ist hier die pulsierende Metropole und vieles ist wirklich nicht mit dem Rest des Landes vergleichbar! Eine Stadt der Kontraste: alt und neu, arm und reich, heruntergekommen und hochmodern und effizient. Nein, vier Tage reichen nicht aus, um diese Stadt zu ergruenden und so bleibe ich auf den Touristenpfaden und nutze die Zeit auch, um mich ein bisschen von den Strapazen der letzten Wochen zu erholen.
Eine gute Idee, das Fahrrad stehen zu lassen - man muss es ja nicht gleich an den Muelleimer haengen.
Untergekommen bin ich in einem einfachen Hotel mitten im Stadtzentrum, in der Avenida de Mayo. Vieles laesst sich von hier gut zu Fuss oder mit oeffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Hier zahle ich zum ersten Mal fuer ein Hotelzimmer fuer mein Fahrrad In einem Einzelzimmer ist angeblich nicht genug Platz fuer ein Fahrrad und auch sonst gibt es in dem Hotel keine Raum, um das Rad sicher unterzustellen - das ist sogar glaubhaft. Also zahle ich einen Aufpreis fuer ein Doppelzimmer fuer mich und mein Fahrrad. Ansonsten hat das Rad hier ausgedient. Diesem Verkehr setze ich mich nicht mit dem Rad aus. Nur ein Beispiel: Ca. 100 m vom Hotel entfernt kreuzt die Avenida de Mayo die Avenida 9 de Julio. Diese hat hier 20 Fahrstreifen, die noch einmal durch drei breite Gruenstreifen unterteilt werden und so kommt die Strasse auf eine Gesamtbreite von angeblich 125m - unglaublich, und die Strassen sind voll! Ich gehe davon aus, dass die im Strassenverkehr der Stadt ums Leben gekommenen Radfahrer nicht in der Verkehrsunfallstatistik auftauchen, sondern die Suizidrate der Stadt nach oben treiben.
Die U-Bahn, die hier Subte genannt wird, ist eine gute und preiswerte Alternative im Grossstadtverkehr zum Fahrrad. Eine Fahrt kostet umgerechnet ca. 20 Cent und man kann beliebig oft umsteigen.
Im Zentrum findet man unendlich viele alte Gebaeude, die den Glanz und den Reichtum vergangener Zeiten des Landes zeigen - Argentinien zaehlte einmal zu den reichsten Laendern der Erde. Zum Teil verfaellt die Bausubstanz, dafuer entstehen an anderer Stelle neue, hochmoderne Gebaeude, wie sie in allen Metropolen der Erde zu finden sind und den neuen Reichtum symbolisieren, der trotz Wirtschaftskrise und Inflation auch hier sichtbar vorhanden ist.
Ein Muss: Das Teatro Colon - eines der weltweit besten Opernhaeuser, in dem mit Luxus geprotzt wurde. Die Besichtigung war aber ein bisschen enttaeuschend - bis auf das Foyer Fotografierverbot, auf der Hauptbuehne Beleuchtungsproben fuer die neue Spielzeit, deswegen der Raum im Dunkeln nur schemenhaft erkennbar und wegen der Produktion waren auch die Werkstaetten und Magazine nicht Teil der Fuehrung - aber all das erfaehrt man erst, wenn man sein Ticket gekauft hat und die Fuehrung bereits angefangen hat.
Alt und neu - selten so direkt kombiniert, wie hier an der Plaza Lavalle, wo der Turm eines baufaelligen Hauses in das neue, moderne Buerogebaeude integriert wurde.
Eines der Symbole des neuen Reichtums im Land, die Konzernzentrale der Oelgesellschaft Repsol YPF, Teil der imposanten Skyline des neu gestalteten Stadtteils Puerto Madero
Ein neues Wahrzeichen fuer die Stadt, die Drehbruecke Puente de la Mujer im Puerto Madero, denn die alten Hafenbecken, um die herum neue Geschaefts- und Wohnhaeuser entstanden sind, werden heute als extravagante Yachthaefen genutzt.
Man fuehlt sich an die Hafencity in Hamburg erinnert, wenn man im Puerto Madero die Backstein-Lagerhaeuser sieht, in denen heute sehr gute Restaurants ihre Gaeste verwoehnen.
So wohnt man, wenn man es sich leisten kann - alle Haeuser sind mit Zaeunen gegen Unberechtigte abgeschirmt, der gesamte Stadtteil wird elektronisch ueberwacht und Dienstpersonal gewaehrleistet ein Rundum-sorglos-Paket.
Wer etwas auf sich haelt, haelt sich einen Hund - und laesst ihn von einem Profi Gassi fuehren. Ein alltaegliches Bild, wenn man in den Wohngebieten der wohlhabenderen Teile der Bevoelkerung Buenos Aires unterwegs ist.
Und noch eines der neuen Wahrzeichen der Stadt, die Floralis Generica, eine 18 m hohe Metall-Blume, die sich automatisch bei Dunkelheit schliesst.
Eines der zahlreichen Denkmaeler in der Stadt - und sie sind alle monumetal. Wer es in diesem Land zu etwas gebracht haben will, fuer den sollte mindestens ein Denkmal in der Hauptstadt herausspringen, eine Strasse und/oder ein Platz sollte nach einem benannt worden sein und...
ein Begraebnis auf dem einzigartigen Friedhof von Recoleta sollte auch drin sein. Hier wurden Praesidenten, Generaele, Denker und Dichter und - natuerlich - der Geldadel bestattet. Bis ueber den Tod hinaus wird so die eigene Bedeutung unterstrichen.
Eines der schlichteren, dafuer aber mit am meisten besuchten Graeber, ist die Ruhestaette der Evita Peron.
Aber nicht nur Denkmaeler und protzige Grabstaette sollen das Vergessen der Toten verhindern. Seit 1976 demonstrieren jeden Donnerstag die Madres de la Plaza de Mayo vor dem Praesidentenplalast, um auf das Verschwinden von 30.000 Menschen waehrend der Militaerdiktatur aufmerksam zu machen und die Aufklaerung des Schiksals ihrer Maenner und Soehne zu fordern.
Buenos Aires ist auch eine der bedeutendsten Kunst- und Kulturmetropolen Suedamerikas, wenn nicht der Welt, und zahlreiche Theater, Museen und Ausstellungen bieten fuer jeden Geschmack etwas. Hier lockt das Recoleta Centro Cultural mit Kunst und Kommerz, denn in den Arkaden finden sich Geschaefte anspruchsvoller Ware.
Heute am Sonntag stand noch einmal Touristenprogramm auf dem Plan. Flohmarkt in San Telmo, La Boca mit seinen bunten Haeuser, Tango auf der Strasse und - natuerlich, auch fuer einen Nichtfussballer - das Fussballstadion der Boca Juniors, mitten im Wohngebiet. La Boca, das ist Touristenjahrmarkt, nichts ist in den wenigen Strassenzuegen, durch die die Touristen geschleust werden echt, alles nur Kommerz. Und in diesem Stadtteil ist es mir am letzten Tag der Reise denn auch das erste Mal passiert, das ich von Einheimischen angesprochen werde, als ich, ein bisschen abseits des kleinen Touristenzentrums, meine Kamera herausholte, ich solle die Kamera doch lieber einstecken und zurueck auf die Hauptstrasse gehen, das Viertel sei gefaehrlich und ich koenne ausgeraubt werden - Sonntagvormittag in La Boca!
Ein Thema darf ich wohl nicht verschweigen, wenn ich aus Buenos Aires berichte: den Tango! Ja, Tango ist hier an allen Ecken und Enden; in Tango-Shows, in Bars, Melongas, Tango-Schulen - und gelegentlich fuer die Touristen auf der Strasse. Der Tango musste ohne mich stattfinden. Fuer Shows war ich in meinen Outdoor-Klamotten deutlich underdressed. Tango in Fahrradschuhen tanzen? Die Metallplatten unter den Sohlen eignen sich vielleicht, um ein Step-Solo aufs Parkett zu legen (aber nicht ich!!!). Potenzielle Tango-Partnerinnen werden mir ewig dankbar sein, dass ich diesen Versuch nicht unternommen habe!
Fazit
Ich bin durch! 4250 km mit dem Fahrrad liegen hinter mir und mit so vielen Eindruecken und Erinnerungen an imposante Landschaften, Begegnungen mit Menschen und Tieren und interessanten Erlebnissen trete ich die Heimreise an. Teilweise bin ich koerperlich an meine Grenzen gestossen, dafuer habe ich ausschliesslich gute Erfahrungen mit den Menschen gemacht, die mir begegnet sind.
Bedanken moechte ich mich bei allen, die mich per E-Mail, per SMS, im Gaestebuch oder als Leser dieses Berichtes ein bisschen begleitet haben - auch am Schreiben und Aussuchen der Bilder fuer die Berichte habe ich meinen Spass und freue mich ueber Rueckmeldungen.
Wem die so typischen Suedamerika-Bilder von Armut, Gewalt, Slums usw. in diesem Bericht gefehlt haben, den muss ich enttaeuschen. Natuerlich bin ich unversehens in Gegenden gekommen, die nach unseren Massstaeben als Slums zu bezeichnen waeren, ich habe vor allem Indios gesehen, die am Rande der Ortschaften, direkt an der Strasse unter primitiven Bedingungen leben und vieles andere mehr. Einerseits verbietet es der Respekt vor den Menschen, hier die Kamera zu zuecken, denn um im Gespraech ein Vertrauensverhaeltnis aufzubauen und das Einverstaendnis der Menschen zu bekommen, reichen meine Sprachkenntnisse deutlich nicht aus. Andererseits verzichte ich auch zu meiner eigenen Sicherheit darauf (ich gehe ja auch nicht in der Jagdsaison als Hirsch verkleidet in den Wald). Und schliesslich moechte ich nicht noch Vorurteile und Vorbehalte bedienen, die durch die Medien zur Genuege transportiert werden. Das Positive und das Schoene war so ueberwiegend, dass alles andere dagegen in den Hintergrund tritt. Wie sagte ein junger Radler aus Alaska, der die Strecke heruntergefahren war: Wenn man die Menschen fragt, ist es dort wo man sich gerade befindet, ruhig und sicher, aber das Nachbarland, das ist schlimm - man hoert ja so viel in den Nachrichten!
Zum Abschluss moechte ich noch einen anderen Suedamerikareisenden zitieren:
"... I see that plains of Patagonia pass frequently before my eyes; nevertheless, everybody says that they are the poorest and less useful. Why is it them that these arid desert have remained printed in my mind?"
Charles Darwin
Tja, Mister Darwin, da kann ich auch nicht helfen - mir geht's ganz genau so!
Aufbruch: | 16.01.2011 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 15.03.2011 |
Argentinien