Patagonien - Weite mit dem Rad erfahren

Reisezeit: Januar - März 2011  |  von Jörn Tietje

Bis an den Horizont - und noch weiter...

Peninsula Valdéz

Am Ende des letzten Kapitels hatte ich Bilder versprochen, die das Geschriebene ein bisschen greifbarer machen sollen. Und es hat sich ein Schreibfehler eingeschlichen (fuer alle anderen bitte ich hiermit auch gleich um Entschuldigung - ich kaempfe hier mit meiner Feinmotorik und der spanischen Tastatur): Ich hatte geschrieben ein Ende ist abzusehen - falsch: kein Ende der patagonischen Steppe ist abzusehen!

Die Endlosigkeit der Steppe - mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden!

Die Endlosigkeit der Steppe - mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden!

Zu schnell fuer die Kamera! Der Wind schiebt mich mit unglaublicher Geschwindigkeit vor sich her - hier noch auf dem neuen Asphalt der Ruta 40, spaeter mit 30 - 45 km/h ueber den Schotter der Ruta 288.

Zu schnell fuer die Kamera! Der Wind schiebt mich mit unglaublicher Geschwindigkeit vor sich her - hier noch auf dem neuen Asphalt der Ruta 40, spaeter mit 30 - 45 km/h ueber den Schotter der Ruta 288.

Bei Sturmboen wird ein einzelner Dornenbusch zu deinem Freund - anderer Windschutz ist in der Steppe nicht zu finden und auch diese Buesche sind hier eher eine Seltenheit

Bei Sturmboen wird ein einzelner Dornenbusch zu deinem Freund - anderer Windschutz ist in der Steppe nicht zu finden und auch diese Buesche sind hier eher eine Seltenheit

Bei Piedra Buena erreiche ich den Atlantik - noch nicht die offene Kueste, aber immerhin schon mal den Eindruck von Meer. Und es gibt Super-Maerkte - mit allem was Herz und Magen des Radlers erfreut

Bei Piedra Buena erreiche ich den Atlantik - noch nicht die offene Kueste, aber immerhin schon mal den Eindruck von Meer. Und es gibt Super-Maerkte - mit allem was Herz und Magen des Radlers erfreut

Nachdem ich hier in Puerto Madryn mit dem Bus eingetroffen bin, habe ich mich auf den Weg zur Halbinsel Valdéz gemacht. Der Ausgangspunkt dort ist Puerto Pirámides, im suedlichen Fruehling bis Dezember ein Ort, der vom Whale-Watching lebt, denn hierher kommen die Suedkapper aus der Antarktis, um ihre Jungen zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Jetzt liegen alle Boote an Land und die Seeloewen, Seeelefanten und vor allem die Orcas stehen jetzt im Mittelpunkt des Besucherinteresses. Wegen ihres Tierreichtums an Land und im Wasser ist die Halbinsel Biosphaerenreservat der UNESCO. Und auch ich bin hier, um die Orcas zu sehen, natuerlich am liebsten, wenn sie bis auf den Strand schwimmen, um ein Seeloewenbaby zu vernaschen. Diese Angewohnheit der Orcas gibt es ausser hier wohl sonst kaum irgendwo auf der Welt und die Zeit ist auch richtig, die Kinderstube der Seeloewen ist uebervoll!
Ausser Puerto Pirámides gibt es keine Orte auf der Halbinsel. Nur einzelne Estancias und die Aussichtspunkte, die von Naturschutzrangern gewacht werden. Das Campen ist nicht erlaubt - alles in Privatbesitz. So mache ich mich am ersten Tag auf den Weg nach Punta Norte, dort, wo die Wahrscheinlichkeit bei Flut am Groessten ist, Orcas zu sehen. Zuletzt wurde hier eine Gruppe von fuenf Tieren vor drei Tagen gesehen. Im Informationszentrum hatte man mir den Tipp gegeben, 1/2 Stunde vor dem Hochwasser am Punta Norte zu sein. Hochwasser ist gegen 10.58 Uhr und Punta Norte vom Campingplatz 78 km Schotter entfernt - und der Wind ist auch noch gegen mich. Im Radrennsport nennt man das Einzelzeitfahren! Ohne grosse Pausen fahre ist durch und bin puenktlich zum Hoehepunkt der Flut an Ort und Stelle. Nur die Orcas haben sich den Tidenkalender nicht notiert. So bleibt es bei ca. 1500 Seeloewen und einer Bande bettelnder Guerteltiere, die den Parkplatz bevoelkert. War ich vorher schon froh zwei dieser eigentuemliche Wesen zu Gesicht und vor die Kamera bekommen zu haben, bevor sie das Weite gesucht und auch gefunden haben - was hier ja nicht so schwer ist - laufen sie einem hier buchstaeblich ueber die Fuesse. Ein bisschen enttaeuscht mache ich mich auf den Rueckweg und komme nach 156 km auf dem Campingplatz ziemlich fertig an. Schotter ist uebel, Wind auch - weicher Sand und Wind machen einen aber endgueltig kaputt! Diese Hetze mache ich nicht noch einmal mit. Drei Tage habe ich mir fuer Valdéz vorgenommen - plus zwei Tage fuer An- und Abreise. Morgen wird alles gepackt, 10 Liter Wasser aufgeladen und wild gezeltet!

Eien Gruppe Seeloewen liegt faul am Strand herum...

Eien Gruppe Seeloewen liegt faul am Strand herum...

... und die Babys spielen im Wasser, wo heute keine Orcas auf die kleinen Appetithaeppchen lauern

... und die Babys spielen im Wasser, wo heute keine Orcas auf die kleinen Appetithaeppchen lauern

So sieht es aus, wenn die Evolution genug Zeit bekommt, Lebenwesen den gnadenlosen Bedingungen in der Pampa anzupassen. Noch ein Grund, nicht noch mehr als die 1100 km (plus Bus) der letzten neun Tagen hier zu radeln

So sieht es aus, wenn die Evolution genug Zeit bekommt, Lebenwesen den gnadenlosen Bedingungen in der Pampa anzupassen. Noch ein Grund, nicht noch mehr als die 1100 km (plus Bus) der letzten neun Tagen hier zu radeln

Sind die Guerteltiere sonst - wie alle anderen Steppenbewohner gegenueber dem Radfahrer - eher scheu, hoffen sie hier auf Fuetterung durch die Besucher, die streng verboten ist und durch die Parkranger unterbunden wird.

Sind die Guerteltiere sonst - wie alle anderen Steppenbewohner gegenueber dem Radfahrer - eher scheu, hoffen sie hier auf Fuetterung durch die Besucher, die streng verboten ist und durch die Parkranger unterbunden wird.

Noch mehr Weite, dekoriert mit den wenigen Nutztieren, die das Land ernaehrt. Hier an Ostseite der Halbinsel wechselt der Bewuchs ploetzlich und die niedrigen Buesche werden durch karges, hartes Gras ersetzt.

Noch mehr Weite, dekoriert mit den wenigen Nutztieren, die das Land ernaehrt. Hier an Ostseite der Halbinsel wechselt der Bewuchs ploetzlich und die niedrigen Buesche werden durch karges, hartes Gras ersetzt.

Glueckliche Tiere - sie geniessen hier die ganz grosse Freiheit

Glueckliche Tiere - sie geniessen hier die ganz grosse Freiheit

Windkraft - wenn bei uns mal der Platz fuer neue Windkraftanlagen knapp werden sollte, ich wuesste da eine Gegend, wo viel Platz und auch genug Wind ist... Aber fuer wen hier den Strom erzeugen? Den Schafen genuegen die Windraeder, die das lebensnotwendige Wasser aus der Tiefe holen.

Windkraft - wenn bei uns mal der Platz fuer neue Windkraftanlagen knapp werden sollte, ich wuesste da eine Gegend, wo viel Platz und auch genug Wind ist... Aber fuer wen hier den Strom erzeugen? Den Schafen genuegen die Windraeder, die das lebensnotwendige Wasser aus der Tiefe holen.

Die Strecke zum Punta Delgado ist schwer. Und fuer die 80 km gebrauche ich fast den ganzen Tag. Dafuer werde ich dort so kurz abgefertigt - man koennte auch sagen rausgeworfen - wie ich es noch nie erlebt habe. Ein Hotel- und Restaurantbetrieb am Ende der Welt, bei dem potenzielle Gaeste ausserhalb der Oeffnungszeiten der Kueche schon weit vor der Eingangstuer abgefangen und des Grundstuecks verwiesen werden - und dabei hatte ich mich am Abend vorher noch rasiert und geduscht - so schlimm kann der Anblick nicht gewesen sein!
Also geht es noch ein paar Kilometer weiter und in unmittelbarer Naehe der Steilkueste finde ich am Strassenrand einen sehr schoenen Platz mit Wind- und Sichtschutz, wo ich mein Zelt aufbaue. Autos fahren hier jetzt nicht mehr. Die Naechte in dieser Weite mit einem sternenklaren Himmel ueber mir und nur den Geraeschen den Windes, weitab von jeder Zivilisation gehoeren zu den eindrucksvollsten Momenten auf dieser Reise!

Und irgendwo hoert die Weite des Landes einfach auf und geht in die Weite des Ozeans ueber...

Und irgendwo hoert die Weite des Landes einfach auf und geht in die Weite des Ozeans ueber...

Nur mein Zelt, die Endlosigkeit der Steppe, der Wind und sonst nichts...

Nur mein Zelt, die Endlosigkeit der Steppe, der Wind und sonst nichts...

Am naechsten Morgen fahre ich die kurze Strecke zum naechsten Aussichtspunkt - Caleta Valdéz. Ein paar Seeelefanten, eine schoene Aussicht auf eine lang gezogene Landzunge, die sich vor der Kueste erstreckt, alle moeglichen Tiere - aber wieder keine Orcas. Soll wohl auch auf dieser Reise nicht sein. Aber immerhin komme ich noch an einer Pinguinkolonie vorbei und obwohl es Mittagszeit ist, sind die Voegel zu Hause und nicht im Meer auf Futtersuche.

Posing auf der Klippe fuer den Fahrradtouristen - Pinguine sind sehr kooperative Motive

Posing auf der Klippe fuer den Fahrradtouristen - Pinguine sind sehr kooperative Motive

Ein Fuchs auf seiner morgendlichen Runde...

Ein Fuchs auf seiner morgendlichen Runde...

Waehrend ich hier in Puerto Madryn im Internet-Café sitze und dieses Kapitel schreibe, passiert draussen gerade etwas Ungewoehnliches: Es regnet. Dabei wollte ich mich jetzt hier - im wahrsten Sinne des Wortes - aus dem Staub machen morgen mein Fahrrad einpacken und in den tropischen Norden des Landes fliegen. Das mit dem Staub hat sich dann fuer die naechsten Stunden erst einmal erledigt, die Weite lasse Patagoniens lasse ich trotzdem jetzt erst einmal hinter mir!

Der Staub der Piste  setzt sich ueberall fest - fast ein Wunder, was so ein Fahrrad - und sein Fahrer - ziemlich klaglos mitmachen

Der Staub der Piste setzt sich ueberall fest - fast ein Wunder, was so ein Fahrrad - und sein Fahrer - ziemlich klaglos mitmachen

Und noch einmal fuer alle, die es nicht glauben wollen: Das Land ist flach und weit! Und wer keine langen Geraden mag, wer nicht tagelang die gleiche Landschaft mag, wer nicht mit sich allein sein kann, der sollte nicht herkommen - auch nicht mit dem Auto. Der Unterschied liegt nur in den Kilometern, die man zuruecklegt.

Und noch einmal fuer alle, die es nicht glauben wollen: Das Land ist flach und weit! Und wer keine langen Geraden mag, wer nicht tagelang die gleiche Landschaft mag, wer nicht mit sich allein sein kann, der sollte nicht herkommen - auch nicht mit dem Auto. Der Unterschied liegt nur in den Kilometern, die man zuruecklegt.

© Jörn Tietje, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Acht Wochen mit dem Rad durch Chile und Argentinien liegen nach 13 Monaten Urlaubsabstinenz vor mir. Ab Puerto Montt folge ich der Carreterra Austral Richtung Süden bis zu ihrem Ende in Villa O'Higgins. Von dort geht es durch die Weiten Argentiniens zur Peninsula Valdéz am Atlantik. Wenn die Zeit reicht, stehen die Wasserfälle von Iguazu auf der (Wunsch-)Reiseliste, bevor ich von Buenos Aires die Rückreise antreten werde. Ich lade euch herzlich ein, mich hier auf meiner Tour zu begleiten!
Details:
Aufbruch: 16.01.2011
Dauer: 8 Wochen
Heimkehr: 15.03.2011
Reiseziele: Chile
Argentinien
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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