Patagonien - Weite mit dem Rad erfahren
Bis an den Horizont - und noch weiter...
Peninsula Valdéz
Am Ende des letzten Kapitels hatte ich Bilder versprochen, die das Geschriebene ein bisschen greifbarer machen sollen. Und es hat sich ein Schreibfehler eingeschlichen (fuer alle anderen bitte ich hiermit auch gleich um Entschuldigung - ich kaempfe hier mit meiner Feinmotorik und der spanischen Tastatur): Ich hatte geschrieben ein Ende ist abzusehen - falsch: kein Ende der patagonischen Steppe ist abzusehen!
Zu schnell fuer die Kamera! Der Wind schiebt mich mit unglaublicher Geschwindigkeit vor sich her - hier noch auf dem neuen Asphalt der Ruta 40, spaeter mit 30 - 45 km/h ueber den Schotter der Ruta 288.
Bei Sturmboen wird ein einzelner Dornenbusch zu deinem Freund - anderer Windschutz ist in der Steppe nicht zu finden und auch diese Buesche sind hier eher eine Seltenheit
Bei Piedra Buena erreiche ich den Atlantik - noch nicht die offene Kueste, aber immerhin schon mal den Eindruck von Meer. Und es gibt Super-Maerkte - mit allem was Herz und Magen des Radlers erfreut
Nachdem ich hier in Puerto Madryn mit dem Bus eingetroffen bin, habe ich mich auf den Weg zur Halbinsel Valdéz gemacht. Der Ausgangspunkt dort ist Puerto Pirámides, im suedlichen Fruehling bis Dezember ein Ort, der vom Whale-Watching lebt, denn hierher kommen die Suedkapper aus der Antarktis, um ihre Jungen zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Jetzt liegen alle Boote an Land und die Seeloewen, Seeelefanten und vor allem die Orcas stehen jetzt im Mittelpunkt des Besucherinteresses. Wegen ihres Tierreichtums an Land und im Wasser ist die Halbinsel Biosphaerenreservat der UNESCO. Und auch ich bin hier, um die Orcas zu sehen, natuerlich am liebsten, wenn sie bis auf den Strand schwimmen, um ein Seeloewenbaby zu vernaschen. Diese Angewohnheit der Orcas gibt es ausser hier wohl sonst kaum irgendwo auf der Welt und die Zeit ist auch richtig, die Kinderstube der Seeloewen ist uebervoll!
Ausser Puerto Pirámides gibt es keine Orte auf der Halbinsel. Nur einzelne Estancias und die Aussichtspunkte, die von Naturschutzrangern gewacht werden. Das Campen ist nicht erlaubt - alles in Privatbesitz. So mache ich mich am ersten Tag auf den Weg nach Punta Norte, dort, wo die Wahrscheinlichkeit bei Flut am Groessten ist, Orcas zu sehen. Zuletzt wurde hier eine Gruppe von fuenf Tieren vor drei Tagen gesehen. Im Informationszentrum hatte man mir den Tipp gegeben, 1/2 Stunde vor dem Hochwasser am Punta Norte zu sein. Hochwasser ist gegen 10.58 Uhr und Punta Norte vom Campingplatz 78 km Schotter entfernt - und der Wind ist auch noch gegen mich. Im Radrennsport nennt man das Einzelzeitfahren! Ohne grosse Pausen fahre ist durch und bin puenktlich zum Hoehepunkt der Flut an Ort und Stelle. Nur die Orcas haben sich den Tidenkalender nicht notiert. So bleibt es bei ca. 1500 Seeloewen und einer Bande bettelnder Guerteltiere, die den Parkplatz bevoelkert. War ich vorher schon froh zwei dieser eigentuemliche Wesen zu Gesicht und vor die Kamera bekommen zu haben, bevor sie das Weite gesucht und auch gefunden haben - was hier ja nicht so schwer ist - laufen sie einem hier buchstaeblich ueber die Fuesse. Ein bisschen enttaeuscht mache ich mich auf den Rueckweg und komme nach 156 km auf dem Campingplatz ziemlich fertig an. Schotter ist uebel, Wind auch - weicher Sand und Wind machen einen aber endgueltig kaputt! Diese Hetze mache ich nicht noch einmal mit. Drei Tage habe ich mir fuer Valdéz vorgenommen - plus zwei Tage fuer An- und Abreise. Morgen wird alles gepackt, 10 Liter Wasser aufgeladen und wild gezeltet!
So sieht es aus, wenn die Evolution genug Zeit bekommt, Lebenwesen den gnadenlosen Bedingungen in der Pampa anzupassen. Noch ein Grund, nicht noch mehr als die 1100 km (plus Bus) der letzten neun Tagen hier zu radeln
Sind die Guerteltiere sonst - wie alle anderen Steppenbewohner gegenueber dem Radfahrer - eher scheu, hoffen sie hier auf Fuetterung durch die Besucher, die streng verboten ist und durch die Parkranger unterbunden wird.
Noch mehr Weite, dekoriert mit den wenigen Nutztieren, die das Land ernaehrt. Hier an Ostseite der Halbinsel wechselt der Bewuchs ploetzlich und die niedrigen Buesche werden durch karges, hartes Gras ersetzt.
Windkraft - wenn bei uns mal der Platz fuer neue Windkraftanlagen knapp werden sollte, ich wuesste da eine Gegend, wo viel Platz und auch genug Wind ist... Aber fuer wen hier den Strom erzeugen? Den Schafen genuegen die Windraeder, die das lebensnotwendige Wasser aus der Tiefe holen.
Die Strecke zum Punta Delgado ist schwer. Und fuer die 80 km gebrauche ich fast den ganzen Tag. Dafuer werde ich dort so kurz abgefertigt - man koennte auch sagen rausgeworfen - wie ich es noch nie erlebt habe. Ein Hotel- und Restaurantbetrieb am Ende der Welt, bei dem potenzielle Gaeste ausserhalb der Oeffnungszeiten der Kueche schon weit vor der Eingangstuer abgefangen und des Grundstuecks verwiesen werden - und dabei hatte ich mich am Abend vorher noch rasiert und geduscht - so schlimm kann der Anblick nicht gewesen sein!
Also geht es noch ein paar Kilometer weiter und in unmittelbarer Naehe der Steilkueste finde ich am Strassenrand einen sehr schoenen Platz mit Wind- und Sichtschutz, wo ich mein Zelt aufbaue. Autos fahren hier jetzt nicht mehr. Die Naechte in dieser Weite mit einem sternenklaren Himmel ueber mir und nur den Geraeschen den Windes, weitab von jeder Zivilisation gehoeren zu den eindrucksvollsten Momenten auf dieser Reise!
Am naechsten Morgen fahre ich die kurze Strecke zum naechsten Aussichtspunkt - Caleta Valdéz. Ein paar Seeelefanten, eine schoene Aussicht auf eine lang gezogene Landzunge, die sich vor der Kueste erstreckt, alle moeglichen Tiere - aber wieder keine Orcas. Soll wohl auch auf dieser Reise nicht sein. Aber immerhin komme ich noch an einer Pinguinkolonie vorbei und obwohl es Mittagszeit ist, sind die Voegel zu Hause und nicht im Meer auf Futtersuche.
Waehrend ich hier in Puerto Madryn im Internet-Café sitze und dieses Kapitel schreibe, passiert draussen gerade etwas Ungewoehnliches: Es regnet. Dabei wollte ich mich jetzt hier - im wahrsten Sinne des Wortes - aus dem Staub machen morgen mein Fahrrad einpacken und in den tropischen Norden des Landes fliegen. Das mit dem Staub hat sich dann fuer die naechsten Stunden erst einmal erledigt, die Weite lasse Patagoniens lasse ich trotzdem jetzt erst einmal hinter mir!
Der Staub der Piste setzt sich ueberall fest - fast ein Wunder, was so ein Fahrrad - und sein Fahrer - ziemlich klaglos mitmachen
Und noch einmal fuer alle, die es nicht glauben wollen: Das Land ist flach und weit! Und wer keine langen Geraden mag, wer nicht tagelang die gleiche Landschaft mag, wer nicht mit sich allein sein kann, der sollte nicht herkommen - auch nicht mit dem Auto. Der Unterschied liegt nur in den Kilometern, die man zuruecklegt.
Aufbruch: | 16.01.2011 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 15.03.2011 |
Argentinien