Patagonien - Weite mit dem Rad erfahren
Neue Wege
Neue Wege - das betrifft natuerlich Carreterra Austral. Meinen letzten Bericht hatte ich in einer Mittagspause in La Junta geschrieben. Inzwischen bin ich in Cochrane angekommen und lege nach 1200 km meinen ersten Ruhetag ein. Es ist Donnerstag, der 03.02.11 und draussen scheint die Sonne.
In La Junta war ich zusammen mit Julio unterwegs, Journalist aus Santiago. Abends sind wir in Puyuguapi angekommen und haben uns nach einem gemeinsamen Abendessen verabschiedet, weil Julio hier entspannen will - bietet sich auch irgendwie an, denn in der Gegend gibt es einige Thermalbaeder. Ich will aber weiter und breche am naechsten Morgen in voller Regenmontour auf - schon beim Start die Hoechststrafe - ist doch der Unterschied nur, ob man von innen oder von aussen nass wird. Die Strecke habe ich noch von meiner ersten Tour in Erinnerung und weiss, dass es erst einmal ziemlich lange am Fjord entlang auf recht ebener Strecke leicht voran gehen wird. Dann aber nach weniger als 12 km der Rueckschlag: Ich stehe vor einer gesperrten Strasse, die naechsten drei Stunden geht hier nichts. Die Carreterra Austral wird ausgebaut, es wird gesprengt und erst ab 14.00 Uhr laeuft der Verkehr wieder! Es gibt drei Moeglichkeiten: Vor der Sperrung im Regen und bei Kaelte warten und sich mit den Bauarbeitern mit Haenden und Fuessen unterhalten - schlecht. Zurueck nach Puyuguapi und Kaffee trinken - noch schlechter. Oder als dritte und beste Alternative zwei Kilometer zurueck fahren und sich in einer Therme direkt am Fjord entspannen - gesagt getan, die Zeit will schliesslich genutzt werden.
Der Weg ist frei gesprengt und ich kann nach drei Stunden Wartezeit weiter in Richtung Sueden fahren
...und das alles mit Aussicht auf den Fjord - es geht schlechter. Danach noch einen Kaffee und ein Stueck Torte und der Regen wirkt gleich viel freundlicher!
Auch nach dieser Unterbrechung bleibt mir der Regen an diesem Tag treu. Wie schon gesagt, es geht erst einmal recht leicht weiter, bevor dann als kroenender Abschluss des Tages noch mal ein richtig schwerer Berg kommt, den ich dann lieber ohne Regenzeug fahre - besser von aussen nass und kalt als von innen nass mit Hitzeschlag. Gute 500 Hoehenmeter in engen Serpentinen wollen ueberwunden werden. Immerhin geht es auf der anderen Seite genauso wieder ins Tal. Unten angekommen dann neue Wege Teil 2! Hier in der Gegend wurde vor zwei Jahren noch viel gebaut. Inzwischen sind alle Baustellen verschwunden und die naechsten 300 km bis Cerro Castillo fahren sich auf guter Asphalt- oder Betonpiste so leicht, da stoeren selbst die Berge kaum - aber irdenwie ist das nicht die Carreterra Autral...
Dieses Gefuehl kommt erst wieder in den Unterkuenften der naechsten Naechte auf. Da ich an diesem Tag spaet unterwegs bin, folge ich dem ersten Hinweis auf einen Campingplatz und lande auf einer Viehweide in einem Unterstand - fuer 2000 Pesos ohne alles bis auf ein bisschen Trinkwasser. Auch das ist okay!
Ein Thema ist bisher immer wieder mal angeklungen, muss aber dringend noch einmal vertieft werden: Das Essen! Unterwegs kann ich kaum genug essen und nutze deswegen auch (fast) jede Moeglichkeit der Kalorienzufuhr. Gerade um die Mittagszeit bieten sich dann solche Gelegenheiten der gehobenen Gastronomie an...
comida rapido - zu gut Deutsch: Fastfood - hier in der Version des Completo, ein Hotdog mit Avocadopaste. Und hier haben auch die daenischen roten Poelser ein Asyl vor den Vorschriften der EU gefunden!
In Villa Mañiguales angekommen gibt es nur noch eines zu tun, die casa de bicicletista zu finden, ein Tipp, der von Radler zu Radler weitergeben wird. Und so suche ich zusammen mit Joan, Professor im Ruhestand aus Barcelona, nach dem Haus, in dem alle Radfahrer umsonst unterkommen und allen Comfort - bis hin zu Internetzugang, warmem Ofen und kalter Dusche - von Jorge bereit gestellt bekommen. Er ist einfach nur Fahrrad begeistert und freut sich, den Reisenden helfen zu koennen. Er besorgt mir dann auch die Adresse des einzigen Fahrradgeschaeftes in Coyhaique, der Provinzhauptstadt, die ich am naechsten Tag erreichen will - mein Fahrradcomputer hat aufgegeben - wahrscheinlich einfach ueberdreht
In Coyhaique versorge ich mich im Supermarkt mit Lebensmitteln fuer die naechsten Tage und einem neuen, sehr einfachen Fahrradcomputer - keine Hoehenmeter, keine Steigung, keine Temperatur. Immerhin hilft er bei der Orientierung und bei der Gesamtfahrleistung. Ich verlasse die "Grossstadt" wieder einmal im Regen. Nach einigen Kilometern schliesst ein Radfahrer auf einem Klapprad - Verzeihung: Faltrad - zu mir auf. Es ist Bill, Pilot auf Colorado und genauso alt wie ich. Geschwindigkeit, taegliche Fahrleistung und auch das Interesse an der Fotografie stimmen und die Chemie zwischen uns stimmt auch und so fahren wir seither zusammen und wie es scheint, werden wir uns erst in El Chaiten in Argentinien verabschieden, da seine Tour dort enden wird. Noch immer auf der Betonpiste ueberqueren wir den hoechsten Punkt der Tour, den Pass Porteyuelo Ibañez mit 1120m,
der in dieser Richtung kein echtes Hindernis darstellt
Ab jetzt folgt Neue Wege Teil 3:
Denn ab jetzt betrete ich Neuland auf der Carreterra Austral. Bei meiner ersten Tour bin ich hier in Richtung Puerto Ingeniro Ibañez abegebogen, jetzt geht's weiter Richtung Sueden. Beton und Asphalt gehoeren von nun an der Vergangenheit an, dafuer wird es landschaftlich noch einmal schoener als bisher und auch das Wetter spielt ueberwiegend mit - ganz ohne Regen geht die Carreterra Austral nun einmal nicht! Ueber die Qualitaet von Schotterpisten kann man viel schreiben - nachempfinden kann man sie nicht, man muss sie erleben! Und dabei gibt es auf einem ungefederten Fahrrad einen neuralgischen Punkt...
Der wichtigste Kontaktpunkt zwischen Mensch und Maschine - und Mensch und Maschine passen sich einander an - auch wenn's weh tut...
... und Ab - und das gilt fuer alle! Die Art der abgebildeten Fahrzeuge variiert genauso wie die dargestellte Steigung oder das Gefaelle. Ein System habe ich nicht erkannt.
Dafuer entschaedigt die Landschaft. Schnee bedeckte Berge, Gletscher, weite Taeler mit maeandrierenden breiten Gletscherfluessen wechseln sich staendig ab und bald folgen wir dem Ufer des Lago General Carrera, des zweitgroessten Sees Suedamerikas, der auf der argentinischen Seite Lago Buenos Aires heisst. Spektakulaer ist sein tuerkisfarbes Wasser. Die Ursache fuer die Farbe sind die vielen Gletscherfluesse, die ihn speisen.
Die Hoehlenmalereien bei Cerro Castillo bleiben uns verwehrt, diese nationale historische Monument ist bei unserer Ankunft noch geschlossen, der Umweg war vergeblich - und auch umsonst. Also fahren wir 150 km weiter nach Puerto Rio Tranquilo. Dieser kleine Ort mitten im Nirgendwo ist ein kleiner touristischer Kristallisationspunkt, weil man von hier zum einen an einen Gletscher des Campo Helio Norte fahren kann - 50 km Oneway - nein danke. Wir entscheiden uns fuer die bequemere Alternative, eine 1 1/2stuendige Bootstour auf dem Lago General Carrera zu den Marmorgrotten - seht selbst und entscheidet, ob sich die 7,50 Euro gelohnt haben - mal abgesehen von der Pause.
Wie (fast) immer, wenn man sich unterwegs solche kleinen Extratouren goennt, steht man vor der Frage, den Tag an diesem Ort zu beenden oder ob sich die Weiterfahrt lohnt. Da Bill und ich zu den Vielfahrern gehoeren, radeln wir natuerlich weiter. Der einsetzende Regen und die Aussichtslosigkeit, eine Ort mit Unterkuenften oder einem richtigen Campingplatz zu erreichen treiben uns in eine Scheune auf freiem Feld. Nur das Trinkwasser ist hier ein Problem und so muessen wir mit dem Eigentuemer der Scheune aus dem Gemeindehaus Wasser fuer das Noetigste holen.
und in Deutschland wuerde man das ganze als Heuhotel bezeichnen und es waere schon wieder schick, so zu uebernachten...
...und so hat auch der Eigentuemer der Scheune scheinbar diese Marktluecke entdeckt und haelt am naechsten Morgen die Hand auf und verlangt von uns zusammen 5000 Pesos - geht in Ordnung!
Wir verlassen den Lago General Carrera und ueberqueren seinen Abfluss in Richtung Lago Bertrand, der seinerseits wieder in den Rio Baker entwaessert wird. Dieser hat auch dieses einmalig schoene Tuerkis und windet sich durch die Landschaft. Seinem Lauf werden wird jetzt bis zu seiner Muendung bei Tortel folgen. Was aus der Karte so leicht und nett anzusehen ist, eine Strasse immer am Flussufer entlang - man denkt fast automatisch an Weser- oder Donauradwanderweg - entpuppt sich als uebelste Schinderei auf Steigungen, die zum Teil grenzwertig sind: Laesst man das Koerpergewicht auf dem Hinterrad, droht das Vorderrad abzuheben, verlagert man Gewicht nach vorn, beginnt das Hinterrad durchzudrehen. Aber auch diese Hindernisse sind aus dem Weg geraeumt und in Cochrane sind wir fuer zwei Naechte eine Hospedaje eingezogen und lassen es uns gut gehen - die Beine danken es!!!
Und er hat sich so tief in die Landschaft hineingefressen, dass die Strasse - leider - immer weit ueber ihm durch die Berge gefuehrt wird
Noch einmal eine kurze Rueckblende zum Thema Hunde: Wie das Bild unten zeigt, kann man sich die Hunde hier auch zum Freund machen und sie auf sein Fahrrad aufpassen lassen. Okay. Ich wuerde aber nicht so weit gehen, wie ein italienischer Radfahrer, der uns entgegenkam und von einem Hund seit Cochrane begleitet wurde und der nach Angaben von Einheimischen wahrscheinlich zurueck nach Hause wollte - nach Cerro Castillo, etwa 300km. Der Italiener war ein echter Tierfreund, versorgte den Hund doch mit ca. 1 kg Futter pro Tag und da das Tier eine schlechtere Kondition als der Radler hatte, durfte er, wenn er erschoepft war, im Anhaenger Platz nehmen und die Packtasche wanderte auf das Fahrrad - 20 kg Zusatzgewicht. Wie gesagt: echte Tierliebe!!! Man trifft eben viele interessante Menschen auf so einer Tour.
Soviel fuer heute. Die naechsten Tage werde ich wohl wieder auf die Inseln der Internet- und GSM-freien Welt verschwinden - noch ca. 250 km bis zum Ende der Carreterra Austral liegen vor mir - Bill und ich sind guter Dinge und spaetestens aus Argentinien gibt's dann wieder Neues in Wort und Bild. Bis dahin - hasta proxima
Und jetzt noch einer fuer Kenner der StVZO: Eisenbereifter Moebelwagen war gestern - heute ist gummibereifter Holzkarren
Aufbruch: | 16.01.2011 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 15.03.2011 |
Argentinien