Mit dem Camper durch das nachrevolutionäre Tunesien
Brennende Barrikaden in El Guettar
Etwa achtzehn Kilometer vor Gafsa passieren wir das Städtchen El Guettar, wo uns eine böse Überraschung erwartet: Es sind Barrikaden aus brennenden Autoreifen und umgestürzten Lastkraftwagen errichtet, die von einer beträchtlichen Anzahl junger Männer verteidigt werden. Verblüfft bremsen wir ab. Neben uns hält ein Pkw und ein älterer Herr fordert uns freundlich und in deutscher Sprache auf, ihm zu folgen. Er lotst uns durch Nebenstraßen von Wohnvierteln und Zufahrtswegen von Palmhainen durch die Stadt. Auf der Weiterfahrt nach Gafsa bemerken wir, dass nicht nur die Straßen, sondern auch die Schienen blockiert sind: Güterzüge, beladen mit Phosphat für die Verschiffung im Hafen von Skhira, fahren zurück in die Beladebahnhöfe. Phosphat, ein gefragter Grundstoff für die Herstellung von Kunstdünger, wird im großen Maßstab in den nahe gelegenen Bergen bei Metlaoui abgebaut. Hauptabnehmer sind heute der Iran, Indien und China.
El Guettar am 9. April (Tunesischer Nationalfeiertag)
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In Gafsa angekommen, wollen wir uns bei Mohammed für unsere Rettung mit einer Einladung zum Tee bedanken. Wir fahren in das schicke "Hotel Jugurta". Doch dessen Einfahrt ist von einem starken Eisengitter versperrt und ein Panzer ist in Stellung gebracht. Man hat Angst vor Plünderungen. Gäste werden eingelassen und bei Pfefferminztee erfahren wir von Mohammed, dass er ehemals Vizebürgermeister von El Guettar war - bevor das Rathaus geschlossen und bis jetzt nicht wieder eröffnet wurde.
Gafsa: Hotel Jugurta
Der Anlass für die heutigen Unruhen sei die hohe Arbeitslosigkeit in der Region, klärt uns Mohammed auf. Allein in El Guettar hätten früher 750 Menschen Arbeit im Bergbau gefunden, jetzt seien aus dem Ort nur noch 120 Arbeiter bei der staatlichen Bergbaugesellschaft beschäftigt. Es käme nicht nur zu Streiks und Barrikadenbau in El Guettar, sondern nachts hätten auch die Gebäude der Polizei und des Finanzamts gebrannt.
El Guettar
Unser Gespräch wird von einem Anruf unterbrochen. Mohammed wird informiert, dass in der Stadt El Guettar den in den Bergen liegenden Phosphatminen das benötigte Wasser von den Protestierenden abgedreht wurde.
Barrikaden in El Guettar
Mohammed erzählt von den Streiks der Phosphatarbeiter, die in den letzten Tagen in Metlaoui stattgefunden haben und von der versuchten Selbstverbrennung eines Mannes und seiner beiden Söhne in der Stadt Sidi Bouzid. Grund dafür war die Ablehnung eines Antrags des Mannes auf Zahlung einer Altersrente durch die tunesische Krankenkasse. Wenigstens ein Familienmitglied müsse ein Einkommen haben, um die Familie ernähren zu können, erklärt Mohammed. Dieser Fall wies eine besondere Tragik auf, da ein Sohn, der als Wachmann einer Tourismuseinrichtung für das Familieneinkommen zuständig war, während der Revolution ermordet wurde.
El Guettar: am Tag danach
Mohammed sympathisiert sichtlich mit den Aufständischen in El Guettar. Für Ben Ali und dessen Entourage, die das große Geld einsackten, hat er wenig übrig. Er macht eine feine Unterscheidung: Die ehemalige Regierungspartei RCD wäre nicht die Partei des gestürzten Ben Ali gewesen, sondern immer noch die Partei von Habib Bourguiba, des ersten tunesischen Präsidenten nach der Unabhängigkeit. Er ist der Meinung, dass die heute stärkste Partei Ennadha für einen toleranten Islamismus steht und deshalb von vielen Menschen gewählt werde.
In Gafsa findet heute eine kleine Pro-Palästina-Demonstration statt und Amnesty-International hat im Stadtzentrum einen Stand aufgebaut. Die Forstverwaltung hat geschlossen.
Gafsa: Propalästinensische Demonstration
Später erfahren wir, dass am heutigen 9. April, dem Tag der Märtyrer, auch in Tunis große Demonstrationen stattgefunden haben. Doch schon bald nach Beginn der friedlichen Demonstration gingen Aufnahmen um die Welt, die belegen, mit welch brutaler Gewalt die neuen Machthaber die Demonstranten auseinander trieben. Nicht nur Tränengas und Schlagstöcke kamen zum Einsatz, sondern auch vermummte Sondereinsatzkommandos und mit Pumpguns bewaffnete Zivile gingen gegen die Demonstranten, darunter auch Frauen und Kinder, vor.
An diesen Abend sehen wir beim Campen in einem Wadi unweit von El Guettar über der Stadt schwarze Rauchsäulen stehen. Am nächsten Tag erfahren wir, dass diesmal das Gebäude der Nationalgarde brannte. Geschäfte, Banken, Cafés bleiben geschlossen. Weitere Städte schließen sich den Protesten an, es kommt unter anderem zu Unruhen in Hammamet, Sfax und Sidi Bousid. Im Süden Tunesiens wird der Ausnahmezustand verhängt.
Aufbruch: | 20.03.2012 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 17.04.2012 |