Durch den Monsun - Südindien 2014

Reisezeit: Juli / August 2014  |  von Julia S

Bahnhofsbetrachtung

Von Pondi nach Madurai via Villuparam Junction

Pondicherry - Villuparam Junction - Madurai, 12. / 13.07.2014
In Indien machen mir oft die Alltagsbeobachtungen besonders viel Spaß, werden doch dabei viele der mich faszinierenden Unteschiede zwischen Indien und Deutschland sichtbar.
So beispielsweise beim Bahnfahren. Von Pondicherry aus muss ich zunächst eine kurze Strecke - 40 Minuten Fahrzeit - nach Villuparam Junction zurücklegen, da es von dort mehr Zugverbindungen in alle möglichen Richtungen gibt, so auch nach Madurai, mein nächstes Ziel. In Villuparam habe ich zwei Stunden Aufenthalt und da es inzwischen knapp 22 Uhr, also dunkel ist und ich mein komplettes Gepäck mitschleppe, bleibe ich natürlich auf dem Bahnhof. Keine schlechte Wahl, um dem indischen Leben ein wenig auf die Finger zu schauen und wieder geht mir durch den Kopf, dass es eben auch das Simple, das Selbstverständliche - in unserer Gesellschaft aber völlig von Zögern, Unsicherheiten etc. überlagerte - ja ein etwas unkomplizierteres Einfach-Machen ist, was mich an diesem Land begeistert. Ein kleine vergleichende Betrachtung:

Am Bahnhof angekommen muss ich mich kurz orientieren, suche mir dann einen Platz, der mir zentral genug erscheint, im Idealfall in der Nähe einer Familie mit Kindern, damit ich als alleinreisende Frau sicher bin, und trotzdem genug Abstand zu den zahlreichen Männergruppen bietet und an dem ich mein Gepäck gut im Blick haben kann. Bevor ich mich auf dem angepeilten Platz niederlasse, überlege ich noch kurz, ob ich alles habe, ob ich noch Verpflegung habe, ob ich auf's Klo muss (glücklicherweise nicht ... Bahnhofstoiletten machen nicht unbedingt den Reiz des Landes für mich aus) etc., denn sitze ich mit Sack und Pack erst einmal, will ich meinen Platz ja nicht aufgeben und das Urvertrauen, meinen großen Rucksack am Platz zu lassen, während ich einen Chai o.ä. besorge, habe ich (noch?) nicht. Nachdem ich mich niedergelassen und die Familie nebenan begrüßt habe, die üblichen Fragen beantwortet und einen Euro verschenkt habe und daraufhinn zum Tee eingeladen worden bin, vertreibe ich mir die zwei Stunden mit Lesen, Musik hören, Tagebuch schreiben, der Kontrolle, ob alle wichtigen Dinge am Mann, bzw. an der Frau sind, dem Treiben zuschauen und Wachbleiben. Soweit meine Bahnhofsperspektive quasi als Prototyp der alleinreisenden Backpackerin. Ein Vorteil ist sicherlich, wenn man zu zweit oder in einer Kleingruppe unterwegs ist - kann man dann doch mal eben schnell irgendwo hingehen, ohne einen riesigen logistischen Aufwand zu betreiben.

Betrachtet man einmal eine deutsche Bahnhofsszene, dann sieht man viele Menschen, die aber zumeist anonyme Individuen bleiben und zumeist keinerlei Kontakt zu anderen, gar völlig Fremden aufnehmen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Jeder regelt tausend Dinge auf einmal, die Atmosphäre ist von Hektik und Isoliertheit geprägt. Kommt die Bahn zu spät, vereint die Fremden maximal der vor Aufregung und Ärger hochrote Kopf (davon nehme ich mich nicht aus). Aus der Bäckertüte verschlingt man schnell und irgendwie etwas verstohlen den Proviant, zieht sich aus einem Automaten irgendeinen Instantkaffee und versucht dann im Zug einen Platz zu bekommen, auf dem man idealerweise alleine sitzt und den noch freien Nachbarsitz mit seiner Tasche besetzen kann.

In Indien ist eine Bahnfahrt hingegen meist ein Familienevent. Reist man als Inder doch einmal allein, wird man sicherlich temporär von einer Familie adoptiert und / oder hat ein Stück der eigenen Familie dabei, weil man als Verpflegung nicht irgendein Brötchen, das irgendjemand geschmiert hat, sondern den Henkelmann mit "Homemade-Food" von Mama, Auntie oder Wife dabei hat. Darauf wird Wert gelegt. Kommt man am Bahnhof an, schaut man sich als Inder auch kurz um, checkt, auf welches Gleis man muss, sucht sich einen Platz - bevorzugt mitten im Getümmel - breitet sein mitgebrachtes Tuch, oder eine alternative Unterlage aus, platziert Gepäck und die komplette Familie / Gruppe, mit der man reist darauf, packt die Verpflegung aus, schaut, ob irgendein weißer Tourist in Sicht ist, um sich in grandioser Gastfreundschaft zu üben, isst (dabei wird viel gelacht und gequatscht, auch mit den Umsitzenden Fremden) und legt sich dann entspannt hin und schläft. Schlafen kann man vom indischen Säugling bis zum alten Klappergreis auf den (im übrigen blitzsauberen) Steinfußböden in sämtlichen Positionen, sprich: auf dem Bauch (rangiert meiner persönlichen statistischen Erhebung nach auf Platz 1 der beliebtesten Schlafpositionen), irgendwie verschlungen mit Kind(ern) (Platz 2), auf dem Rücken (Platz 3) mit einer Hand unter dem Hinterkopf, mit der anderen Hand auf der Stirn. Die Wertsachen verstaut man als Mann entweder in der Hosen- und Hemdtasche oder hier im Süden in den Tiefen des Lunghis (Männerrock); als Frau steckt man Geld, ID-Card etc. kurzerhand in das kleine Sari-Unterblüschen. Dann überlässt man sich Morpheus Armen und wird auf wundersame so rechtzeitig wach, dass man sich die Zähne putzen (ganz wichtig), Kind und Kegel zusammenpacken und im Zug, der inzwischen eingefahren ist, verstauen kann. Im Zug wird wieder das Gepäck (oft so riesige Einkaufstaschen oder einfach irgendwelche Leinenbündel) verstaut (unterm Sitz oder auf der Liege), gesichert (unter jedem Sitz der Sleeper-Class befindet sich ein Metallring, durch den man ein Kettenschloss o.ä. ziehen kann, legt sich hin und schläft in Sekundenschnelle ein und lässt sich auch nicht davon beirren, wenn mitten in der Nacht irgendjemand das Licht anschaltet oder man zur Seite geschoben wird, weil man in irgendeiner Form im Weg ist. Es ist egal, man schläft ja sofort weiter ... man stelle sich das bitte in einem deutschen Zug vor.

Angenehm ist auch, dass man permanent Zugriff auf frische Verpflegung (Chai, Kofi, Samosas, Nüsschen , Railways Food veg oder non veg ...)haben kann, wobei die Verkäuferfrequenz in der Nacht deutlich geringer als tagsüber ist. Es versteht sich von selbst, dass man als Inder so rechtzeitig wach wird, dass man an der richtigen Station aussteigen und vorher die gesamte Gepäcklogistik regeln kann. Ich hingegen muss natürlich von netten indischen Mitreisenden resolut geweckt werden, war ich doch offensichtlich kurz vor Madurai in eine Tiefschlafphase gefallen ... Lucky me again!

Ist doch in gewisser Weise sehr nett und unkompliziert das Reisen in Indien! Mir macht es auf jeden Fall eine Menge Spaß und ich kann gar nicht genug davon bekommen.

Alles Liebe und habt Spaß beim Bahnfahren! Jule/ia, die demnächst unbedingt mal ausprobieren möchte (bei entsprechendem Klima), wie es ankommt, wenn man sich auf dem Bahnsteig einfach hinlegt und ratzt. (Vermutlich wird das aber schon an der mangelnden Sauberkeit des Bahnsteigs scheitern.)

© Julia S, 2014
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wieder fliege ich nach Indien - diesmal wird allerdings der Süden erkundet. Mal sehen, wie der Monsun dieses Jahr so ausfällt ...
Details:
Aufbruch: 06.07.2014
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 06.08.2014
Reiseziele: Indien
Der Autor
 
Julia S berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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