Kirgistan - Kasachstan
Auf Berg- und Pferderücken - Song Köl
Auf Berg- und Pferderücken - Song Köl
Am Morgen die Fahrt über den Kyzart-Pass, dessen Höhe mit 2.664 Metern angegeben wird. Zum wiederholten Mal fallen mir die unweit der sehr holprig gewordenen Autostraße gelegenen Friedhöfe auf. Einen Moment lang möchte man glauben, es seien kleine Dörfer, denn neben hohen Grabsteinen stehen dicht vereint zahlreiche kleine Mausoleen mit Kuppeldächern und einem Sichelmond auf der Spitze. Der junge Norgal, der, wie er mir erzählt, gerade ein Studium absolviert hat, steigt irgendwo zu, unser Reiseführer. Sein Englisch ist allerdings bescheiden. Kurz darauf die Pferde, die gesattelt an einem Sammelpunkt stehen. Ich merke, nachdem ich aufgestiegen bin, dass ich nicht mehr so sicher im Sattel sitze wie bei früheren Ritten, ich brauche wohl etwas Eingewöhnungszeit. Die habe ich reichlich, denn es geht jetzt nur bergauf und die Pferde bewegen sich im Schritttempo. Unsere Lust und ihre Unlust bleiben während des Rittes ein fortwährender Widerspruch. Sie allein nur lenken zu wollen, heißt auf Teufel komm raus autoritär werden zu müssen, denn sie riechen ganz sicher den unbedarften und im Zweifelsfall nachgiebigen Touristen und hören in der Regel nur auf ihren Treiber, einen Jungen, der vielleicht das wichtigste Mitglied unserer Sechsergruppe mit Laurence und Pierre ist. Der Ritt führt auf schmalen Pfaden über die Bergkämme. Wenn es ein wenig abwärts geht, spüre ich's in der Muskulatur meiner Oberschenkel. Die Landschaft ist von einer langweiligen Schönheit, sie wiederholt sich mit ihrem spärlichen Pflanzenbewuchs, ihren Faltungen, gleitenden Formen und begrenzten Sichtachsen. Steinige Passagen gibt es nur wenige. Die Wiesen blühen blau, gelb und weiß, Letzteres hauptsächlich dort, wo Edelweiß wächst, das die Kühe und Schafe, genauso gedankenlos fressen wie andere Blumen. Wenn ein Adler in nicht zu großer Entfernung kreist, ähnelt er wegen der Spannweite seiner Flügel einem Flugdrachen. Am späten Nachmittag, nachdem wir zuvor noch kurz an einem Gebirgsbach gerastet hatten, erreichen wir das Tagesziel, drei Jurten. Zwei Frauen versorgen hier die Gäste, bringen Tee, diverse Marmeladen, Brot und Gebäck. Betrieb kommt auf. Laura und Philipp, die eine etwas andere Route gewählt haben, treffen ein, dann zwei Wanderer, denen wir unterwegs schon begegnet waren, ein junges schweizerisches Paar, zum Schluss noch zwei deutsche Frauen. Zum Essen wird etwas serviert, was sie Borschtsch nennen, dabei handelt es sich jedoch um nichts weiter als eine wässrige Kohlsuppe. Vielleicht sind sie hier oben knapp an Lebensmitteln. Es ist immerhin ein munteres Völkchen, das sich eingefunden hat. Von den Franzosen und uns abgesehen sind alle noch im Studentenalter und beim Erzählen von Reiseanekdoten staune ich ein wenig darüber, wie viele Gegenden auf der Welt (Afrika freilich exklusive) sie in jungen Jahren schon bereist haben. In der Nacht bekommen Karin und ich leichten Durchfall. Das ist auch deshalb unangenehm, weil es sehr kühl geworden ist und dadurch der Weg zum obligatorischen Plumpsklo, das wohlweislich in einiger Entfernung steht, sehr lang werden kann. Am Morgen sitzen wir aber wieder fest im Sattel, rufen häufiger mal Tschuuu!, wenn das Pferd wieder dröge vor sich hin trottet. Tschuuu! heißt: los jetzt, aber mein Pferd nimmt dieses Kommando nur gelangweilt zur Kenntnis und setzt meistens seinen sturen Pferdeschädel durch. Mittlerweile hat so etwas wie das Warten auf den See begonnen. Jedes Mal versprechen Pierre und ich uns, dass er nach dem nächsten Kamm, der nächsten Biegung auftauchen wird. Aber es dauert noch eine geraume Weile, bis es soweit ist. Zu einer Zwischenmahlzeit halten wir bei einer weiteren Jurte an. Dort verabschieden wir uns auch von Laura und Philipp, liebenswürdigen Österreichern. Anschließend führt der Weg noch ein Stück weiter bergauf. In einer kleinen Felsnische, die wir passieren, liegt alter Schnee, eine große Schaufel Gletschereis. Wir sind auf über 3.000 Metern und nun breitet er sich endlich vor uns aus, der Song Köl. Leider wird er von dunklen Wolken überzogen und Minuten später beginnt es schon zu regnen. Nein, nicht wirklich zu regnen, eher sind es Schneegraupel, die herniederprasseln, aber sie verschwinden rasch wieder. Zum Vorschein kommt unmittelbar darauf eine strahlende Sonne, sie taucht den See in ein silbriges Blau. Hinter dem gegenüberliegenden Ufer zeigt sich eine Gletschersilhouette. Kaum dass die Pferde die Ebene erreicht haben, erwacht in ihnen die Lust loszurennen. Drrr! ist das Gegenteil von Tschuu! und als ich vor mir einen kleinen Graben sehe, muss ich davon Gebrauch machen, denn für meinen galoppierenden Gaul scheint es plötzlich kein Hindernis mehr zu geben. Wir halten uns nun in einiger Entfernung zum Seeufer und gelangen zu einer größeren Ansammlung von Jurten, die gruppenweise aufgestellt sind. Das letzte Grüppchen ist dasjenige, wo wir heute nächtigen werden. Es liegt schon am äußersten Zipfel des Sees, über den bereits wieder Regenwolken aufgezogen sind. Ein kurzer Spaziergang hinunter zum Ufer. Das Wasser ist längst nicht so kalt, wie man annehmen könnte. Pierre fotografiert einen Papa, der seine Familie fotografiert, Ausflügler. Schon wird zurückfotografiert und ich finde mich auf wenigstens drei Gruppenfotos wieder und alles endet damit, dass sie jedem von uns einen frischen Apfel schenken. In unserer Jurte steht ein Ofen, sein Rohr schiebt sich durch das Filzdach und man muss gehörigen Abstand halten, um sich nicht zu verbrennen. Draußen fallen die Temperaturen in der Nacht sogar unter den Gefrierpunkt (und das Plumpsklo ist hier noch ein ganzes Stück weiter entfernt als zuletzt). Das Essen ist gut und reichlich, eine Reissuppe und ein Fisch aus dem See. Der Andrang in der Speisejurte ist freilich derart, dass in zwei Schichten gegessen werden muss. Während des Essens hat jemand in der mit Filzteppichen behängten Jurte bunte Matratzen mit noch viel bunteren Decken darüber für uns ausgebreitet. Über der tagsüber gewöhnlich offen gehaltenen Kuppel ist nun wieder eine Decke gezogen. Ein Sternenhimmel taucht ohnehin nur stellenweise zwischen den Wolken auf und um neun ist der Tag zu Ende.
Aufbruch: | 12.07.2014 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 08.08.2014 |
Kasachstan