Iran - mit dem Fahrrad im Orient

Reisezeit: September - November 2015  |  von Jörn Tietje

Das war's - bis zum nächsten Mal

Schlusspunkt Teheran

Es ist jetzt zu spät, aber ich habe doch noch eine Anregung bekommen, was man mit einem Straußenei machen kann: In die Schale eine aufwändige Szenerie als umlaufendes Relief gravieren, das ganze in Gold einfassen und in eine Wasserpfeife integrieren. So ein Ei steht hier jedenfalls im Nationalen Juwelenmuseum im Keller der Iranischen Zentralbank (direkt gegenüber der deutschen Botschaft). Öffnungszeiten: An vier Tagen in der Woche jeweils zwei Stunden am Nachmittag. Dementsprechend groß ist der Andrang von Besuchergruppen und der Lärmpegel in dem recht kleinen Raum, dessen Vitrinen prall mit Gold und Juwelen gefüllt sind, ist unerträglich hoch. Vom Pfauenthron bis hin zu riesigen und seltenen Solitärdiamaten ist hier alles ausgestellt, was die früheren Herrscher zusammengetragen haben. Ich vermute, der Wert der grausig hässlichen Exponate übersteigt locker die Milliardengrenze - unvorstellbare Glitzermassen. Hier wie an vielen anderen Orten herrscht Fotografierverbot und hier müssen auch die Handys abgegeben werden.
Ein paar andere Museen und Paläste habe ich mir in den zurückliegenden Tagen hier in Teheran noch angesehen. Das Land ist so unglaublich reich an Kultur und Geschichte und die werden so unglaublich schlecht präsentiert, dass man sehr schnell müde wird, sich endlose Reihen von Vitrinen mit den Exponaten anzusehen. Allein im Nationalmuseum kommt man sich vor wie in einer Töpfereiausstellung - hunderte Vasen und Gefäße aus mehreren Jahrtausenden ordentlich aufgereiht und exakt mit Inventarnummer beschriftet - man muss schon sehr, sehr viel Interesse mitbringen, um sich darin zu vertiefen.

Ein Prunksaal im Golestanpalast - Fotografierverbot. Ich liebe den Quiet-Modus und den schenkbaren Monior meiner Kamera

Ein Prunksaal im Golestanpalast - Fotografierverbot. Ich liebe den Quiet-Modus und den schenkbaren Monior meiner Kamera

Museumsdidaktik wie von 40 Jahren - das hier ist noch ein ansprechender Teil der Präsentation im Nationalmuseum

Museumsdidaktik wie von 40 Jahren - das hier ist noch ein ansprechender Teil der Präsentation im Nationalmuseum

Nicht auslassen kann ich natürlich die Palastanlage der Schah-Familie im Norden der Stadt. Dass es sich hier um einen der besseren Stadtteile von Teheran handelt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Moderne Shopping-Malls, die alles bieten, was die internationalen Mode- und Elektronikkonzerne zu bieten haben und Luxuskarossen deutscher oder japanischer Produktion zeugen davon, dass sich ein Teil der Gesellschaft ganz gut mit den islamischen Revolutionären arrangiert haben oder in ihrem Fahrwasser zu ansehnlichen Vermögen gekommen sind. Der Norden der Stadt liegt deutlich höher als die Innenstadt und damit ist Klima hier erträglicher und der tägliche Smog hält sich auch in Grenzen, da das Verkehrschaos nicht ganz so schlimm ist, wie im Rest der Stadt. Die Saadabad-Paläste liegen in einem wunderschönen, mehr als 400 Hektar großen alten Park und für die Schah-Familie wurden hier im Laufe der Zeit 18 Paläste errichtet, in denen heute viele Museen untergebracht sind. Mein erster Anlauf, die Anlage zu besichtigen, ist ein Fehlschlag. Eine Einheimische erklärt mir, dass ihr Präsident in der Anlage ist und diese deswegen ohne Vorankündigung für diesen Tag geschlossen ist. Heute dann bei Regenwetter der zweite Anlauf mit mehr Erfolg. Zwei Paläste, den weißen und den grünen, sehe ich mir an, dazu noch den Fuhrpark des Schah - das muss reichen. Prunk wohin man sieht, alles mit wertvollen französischen Antiquitäten eingerichtet, dazu edle persiche Teppiche - der größte 165m² - alles eine Frage des Geschmacks.

Der große Saal im weißen Palast für offizielle Empfänge

Der große Saal im weißen Palast für offizielle Empfänge

Hier wurde nicht gekleckert - hier wurde geklotzt

Hier wurde nicht gekleckert - hier wurde geklotzt

Der Weiße Palast am nördlichen Stadtrand Teherans - und als wollte mich die Stadt Lügen strafen, reißt an dem Regentag die Wolkendecke kurz auf, die Sonne kommt raus und gibt die Sicht auf die schneebedeckten Berge des Elburs frei - von dem Dauersmog keine Spur. Hier kann man wohnen

Der Weiße Palast am nördlichen Stadtrand Teherans - und als wollte mich die Stadt Lügen strafen, reißt an dem Regentag die Wolkendecke kurz auf, die Sonne kommt raus und gibt die Sicht auf die schneebedeckten Berge des Elburs frei - von dem Dauersmog keine Spur. Hier kann man wohnen

In meinem letzten Bericht hatte ich es schon angedeutet, mit dieser Stadt werde ich nicht warm. Zu eng, zu chaotisch, städtebaulich nichts, was mich begeistern kann. Das habe ich in anderen Metropolen schon ganz anders empfunden. Dazu kommt das Gefühl, dass man hier überall versucht, Touristen zu übervorteilen. Dass die Stadt teurer ist als der Rest des Landes ist irgendwie klar, aber ständig Extrapreise für Fremde, macht die Stadt nicht sympatischer. Das fängt beim Taxifahrer an, der statt des direkten Wegs (den ich von meiner Ankunft auf dem Rad kannte) einen weiten Umweg fährt und einen entsprechend hohen Fahrpreis einfordert und hört beim Geld umtauschen, wo erst einmal versucht wird, unter Kurs zu wechseln, noch lange nicht auf. Teheran und Mashhad sind anders als der Rest des Landes und die letzten Eindrücke meiner Reise sind nicht die, die ich in den vorangegangenen fast sieben Wochen mitgenommen habe.

Massive offizielle anti-amerikanische Propaganda habe ich nur in Teheran und Mashhad gesehen. Ich weiß nicht, ob ich jemals ein derart großes Plakat gesehen habe, das an der Fassade eines Hochhauses angebracht ist

Massive offizielle anti-amerikanische Propaganda habe ich nur in Teheran und Mashhad gesehen. Ich weiß nicht, ob ich jemals ein derart großes Plakat gesehen habe, das an der Fassade eines Hochhauses angebracht ist

Kaum zu glauben, dass ein "freier" Künstler dieses Graffito an der Mauer der geschlossenen amerikanischen Botschaft angebracht hat. Derselbe Spruch fand sich auch auf einem Banner an einer Straßenbrücke

Kaum zu glauben, dass ein "freier" Künstler dieses Graffito an der Mauer der geschlossenen amerikanischen Botschaft angebracht hat. Derselbe Spruch fand sich auch auf einem Banner an einer Straßenbrücke

Versuch eines Fazits

Es fällt mir ziemlich schwer, die vielen, zum Teil widersprüchlichen Eindrücke unter einen Hut zu bekommen. Es sind natürlich sehr individuelle Erlebnisse und ich bin weit davon entfernt zu sagen: So ist der Iran. Dazu sind 7 1/2 Wochen mit dem Rad zu kurz, dafür ist ein Land, das fünfmal so groß wie Deutschland ist und fast genauso viele Einwohner zahlreicher unterschiedlicher Völker hat, einfach zu vielfältig und es gibt eben auch riesige Gebiete, die ich überhaupt nicht gesehen habe.

Die Menschen

In keinem anderen Land wurde ich bisher so herzlich aufgenommen, wie im Iran. "Welcome to Iran" - ich weiß nicht wie oft ich diesen Satz gehört habe und mir dabei auch das Gefühl vermittelt wurde, als Gast in diesem Land wirklich willkommen zu sein. Nur wenige der zahlreichen Einladungen zum Übernachten, zum Essen oder zum Tee habe ich tatsächlich angenommen. Aber die Gastfreundschaft und die Hilfsbereitschaft sind überwältigend. Das riesige Interesse an dem exotischen Fremden äußert sich oft als unverhole Neugier an allem, nimmt einem jede Privatsphäre und ist - besonders wenn man mal nicht so gut drauf ist - auch schon mal nervtötend. Dass Großstädte dabei anoymer und unpersönlicher sind, liegt in der Natur der Sache.
Meist die erste und wichtigste Frage ist die nach dem Heimatland. "Germany - very good" - diese Reaktion, und andere habe ich nicht erfahren, wird häufig damit verknüpft, dass Iraner wie Deutsche Arier sind, also die gleichen Wurzeln haben. Dass wir damit ein geschichtliches Problem haben, trifft hier auf ziemliches Unverständnis...
Bedauerlich war für mich immer wieder die Sprachbarriere. Ich habe in den gut sieben Wochen nicht mehr als einzelne Wörter in Farsi gelernt und speziell auf dem Land, wo ich überwiegend unterwegs war, sprechen die Menschen auch nicht mehr Englisch als ich ihre Sprache. So blieb die Kommunikation meistens sehr einsilbig und mehr als oberflächlich - schade.
Sicher habe ich keinen repäsentativen Querschnitt der Bevölkerung kennen gelernt. Aber welcher Tourist tut das schon. Der in der Reisegruppe von Hotel zu Hotel unterwegs ist wahrscheinlich am allerwenigsten, aber auch der Backpacker der sich via couchsurfing, das hier sehr populär ist, von Privatunterkunft zu Privatunterkunft hangelt, kommt eher mit den gebildeteren Menschen in Kontakt, die Fremdsprachen beherrschen und sprechen wollen. Ich hatte von allem etwas. Am unfreundlichsten war eigentlich das Hotelpersonal, von dem man zumindest ein professionelle Höflichkeit erwarten könnte. Hier hatte ich immer nur das Gefühl, bei der Beschäftigung mit dem Smartphone zu stören.

Die Sicherheit

Als sich in meinem Umfeld zu Hause meine Absicht, in den Iran zu fahren verbreitete, musste ich mir schon mal die Frage stellen lassen, ob ich mit meinem Leben abgeschlossen habe. Meine Informationen von anderen Reisenden und meine eigenen Erfahrungen hier sprechen eine ganz andere Sprache. Ich habe mich hier immer sehr sicher gefühlt und die Kriminalitätsrate ist hier sehr niedrig, auch - oder vielleicht auch weil - die Menschen alles verrammeln und verriegeln und sich das private Leben oft hinter verschlossenen Türen abspielt. Was das Sicherheitsgefühl in einem Reiseland - hinsichtlich Kriminalität - angeht, kommt Iran gleich hinter Island.
Ganz anders sieht es mit der Verkehrssicherheit aus. Der Verkehr hierzulande, und besonders in der Städten, ist mörderisch. Der achtjährige Krieg gegen den Irak ist noch nicht so lange her und hat 300.000 Menschenleben auf Seiten Irans gefordert. In jedem Ort hängen die Fotos der Gefallenen in den Straßen. Im Straßenverkehr sind seit Kriegsende mehr Menschen umgekommen. Jedes Jahr sterben hier ca. 23.000 Menschen bei Unfällen (zum Vergleich Deutschland ca. 3500) und das Land steht bei der Zahl der Getöteten je 100.000 Einwohner auf Platz 3 der Weltrangliste. Wenn man die Fahrzeuge hier sieht und die Fahrweise (die Menschen sind kriegserfahren) verwundert eigentlich nur, dass Iran nicht die Spitzenposition einnimmt. In Sachen Auslegung von Verkehrsregeln musste ich hier vieles lernen, um zu überleben, z. B. dass man auch im Kreisverkehr mit Gegenverkehr rechnen muss, dass rote Ampeln nicht für alle gelten und wer an ein sicheres Überqueren der Straße an einem Zebrastreifen glaubt, glaubt auch an die lebensverlängernde Wirkung eines Stricks am Galgen.

Die Lebensdauer in Europa oder Nordamerika ausgemusterter Fahrzeuge scheint hier unbegrenzt - nur die vielen verlorenen Schrauben am Fahrbahnrand geben mir zu denken...

Die Lebensdauer in Europa oder Nordamerika ausgemusterter Fahrzeuge scheint hier unbegrenzt - nur die vielen verlorenen Schrauben am Fahrbahnrand geben mir zu denken...

Der Zamyad - die Allzweckwaffe im iranischen Transportwesen. Unglaublich vielseitig und ohne Begrenzung der Belastbarkeit

Der Zamyad - die Allzweckwaffe im iranischen Transportwesen. Unglaublich vielseitig und ohne Begrenzung der Belastbarkeit

In der Verkehrssicherheitsarbeit setzt man hier auch auf Abschreckung - ohne durchschlagenden Erfolg

In der Verkehrssicherheitsarbeit setzt man hier auch auf Abschreckung - ohne durchschlagenden Erfolg

Landschaft und Umwelt

Wer den Unfallrisiken entgeht, den bringt man hier mit den Abgasen um. Die Fahrzeuge, besonders die schweren Lastwagen, sind uralt und spätestens am Berg stoßen sie riesige schwarze Rußwolken aus, wenn sie sich im Schritttempo nach oben quälen. Gefühlt haben alle Lkw, die in meiner Richtung unterwegs waren das Auspuffendrohr rechts, im Gegenverkehr links - oft ist das kaum zu ertragen. Aber auch ansonsten ist das Umweltbewusstsein ungefähr so stark ausgeprägt wie bei uns Anfang der 70er Jahre. Die Landschaft ist vermüllt, insbesondere in der Nähe der Ortschaften und an den Straßen. Energie sparen ist hier ein Fremdwort. Das Land sitzt auf den drittgrößten Erdölreserven und den größten Gasvorkommen der Welt - da ist Energie so billig, dass kein Haus isoliert wird und man aus dem Vollen schöpft.
Landschaftlich ist Iran sehr abwechslungsreich, wobei man manchmal weite Wege zurücklegen muss, um in andere Landschaften zu gelangen. Jetzt im Herbst ist auch alles braun in braun, die Vegation in verdorrt und die Felder abgeerntet. Leider war die Sicht durch diesigen Himmel und viel Staub oft schlecht, trotzdem war es die richtige Entscheidung, im Herbst herzukommen und der Spagat zwischen zu heiß und zu kalt ist gut gelungen - nur ein Regentag auf dem Rad! Für gute Fotos ist der Winter besser und mehr Abstecher von den Hauptstraßen.

Das System

Man darf hier mit Sicherheit nicht alles schön reden. Auch wenn man es als Tourist kaum spürt und im Alltag nicht wahrnimmt. Es handelt sich um ein totalitäres Regime, in dem Menschenrechte in unserem Sinne nicht in gleichem Maße zur Geltung kommen. Polizei und Mitlitär sind allgegenwärtig. Ich habe bei aller Zurückhaltung der meisten Menschen in diesen Fragen niemanden getroffen, der mit der politischen und wirtschaftlichen Situation im Land zufrieden ist, vielen ist die politische Führung verhasst und man geht nicht zur Wahl, weil Politik ohnehin unter dem Vorgehalt der Geistlichen steht. Das Land leidet unter den internationalen Sanktionen und der Misswirtschaft des Staates. Viele sind nur mit irgendwelchen Tätigkeiten beschäftigt, die ihnen gerade mal das Überleben sichert. Medien sind unter staatlicher Kontrolle und es ist eine deutliche Dauerpropaganda spürbar. Trotzdem nimmt sich jeder seine Freiheiten heraus und wenn man erwischt wird, wird eben geschmiert. Allerdings sind hier auch viele Menschen auf dem Sprung, das Land zu verlassen, sobald sie eine Möglichkeit dazu finden. Das gilt insbesondere für Menschen die ein Studium abgeschlossen haben und keine entsprechende oder angemessen bezahlte Arbeit finden.
Der Islam ist zwar Staatsreligion, wird aber von den wenigsten Menschen ernsthaft praktiziert. Immer wieder habe ich es in größerer Runde erlebt, dass nach der Mahlzeit einer aufstand und innig gebetet hat, die anderen davon aber keine Notiz nahmen. Insgesamt hat mich der sehr lockere und tolerante Umgang mit der Religion und mit Nichtmoslems gewundert. Das war sehr angenehm.

Insgesamt eine spannende Reise mit vielen, vielen neuen Eindrücken. Was besonders in Erinnerung bleiben wird, ist die Herzlichkeit der Menschen und die vorbehaltlose Gastfreundschaft, die die hier genießen durfte.

Merci und khoda hafez Iran

© Jörn Tietje, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wieder einmal belade ich mein Fahrrad für eine Solotour in einem fremden Land. In meinem Reisepass klebt ein Visum für 60 Tage Iran (keine Ahnung warum, eigentlich sind 30 das Maximum) und die Anspannung und Neugier auf viel Unbekanntes wachsen. Im Kopf ringen die positiven Erfahrungen anderer Reisender über die Schönheit des Landes und die Gastfreundschaft der Menschen mit den Vorbehalten, die sich aus Medienberichten nähren. Ihr seid wieder herzlich eingeladen, mich hier zu begleiten.
Details:
Aufbruch: 19.09.2015
Dauer: 8 Wochen
Heimkehr: 10.11.2015
Reiseziele: Iran
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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