Iran - mit dem Fahrrad im Orient
Auf dem Tiefpunkt angekommen
Die Überschrift diese Kapitels ist sprachlich wohl nicht so ganz sauber oder zumindest missverständlich. Ich bin nicht in irgendeiner Weise auf dem Tiefpunkt, sondern habe heute das Kaspische Meer erreicht und das liegt nun einmal 28m unter Normalnull. Und damit habe ich auf jeden Fall den tiefsten Punkt meiner Reise erreicht. Nachdem ich mich in den ersten gut vier Wochen meiner Tour überwiegend in Höhen zwischen 1500 und 2500m aufgehalten habe, kommt der Höhenmesser seit gestern kaum noch aus den negativen Zahlen heraus. Aber schön der Reihe nach. Meinen letzten Bericht hatte ich in Hamedan geschrieben und mich von dort in Richtung Ali Sadr verschiedet. Aber bevor ich von dort berichte, will ich noch zwei Fotos des in Syrien ums Leben gekommenen Generals nachschieben, die mich seither überall begegnen.
Und so schnell wird aus einem Berater im blutigen Bürgerkrieg ein Engel - ob das in seinem Sinne gewesen wäre, weiß ich allerdings nicht
Die Höhlen von Ali Sadr
Sie liegt auf meinem Weg in Richtung Norden fast direkt auf der Strecke, und da es hier nicht so viele Highlights gibt, lasse ich sie natürlich nicht aus, die riesige Tropfsteinhöhle bei Ali Sadr. Mit gutem Rückenwind bin ich schon am frühen Nachmittag an dem unscheinbaren Berg, unter dem das unterirdische Labyrinth versteckt ist. Aus der Ferne ganz unauffällig, als ich aber um den Berg herumfahre, komme ich das erste Mal auf dieser Reise in den ganz großen Touristenrummel. Verkaufsstände, Fressbuden, Bespaßung für die Kinder, Hotel und der ganze andere Zirkus, den man sonst von anderen Orten kennt. Dazu kommt ein für hiesige Verhältnisse unverschämt hohes Eintrittsgeld von 700.000 Rial oder 25 US-Dolloar - das höchste Eintrittsgeld, das ich bisher bezahlt hatte, lag bei 150.000 Rial! Der ganze Laden ist auf Massentourismus eingestellt und wirkt jetzt in der Nachsaison, in der sich kaum noch jemand hierher verläuft, ausgestorben und überdimensioniert. Am Eingang werden erstmal Schwimmwesten verteilt, dann geht es ein Stück zu Fuß unter die Erde, um dann in einen von einem Tretboot gezogenen Schleppverband aus kleinen Kähnen einzusteigen. Als die Fahrt zu Ende ist, bin ich einigermaßen ernüchtert - das solls schon gewesen sein? Flasch. Hier beginnt ein ein Kilometer langer Fußmarsch und es folgt dann eine weitere Kahnfahrt zurück zum Ausgangpunkt. Insgesamt eine beeindruckende Tour und ich bin noch nie in einer Tropfsteinhöhle gewesen, die man sich nur per Boot erschließen kann.
Zum Glück ist in der Nachsaison nichts mehr los - endlose Sitzreihen vor dem Einbooten, die heute zum Glück überflüssig sind
Es ist noch recht früh am Tag und der Wind ist günstig, deswegen setze ich mich auf mein Rad und bringe noch ein paar Kilometer hinter mich. Die Landschaft hat sich wieder einmal komplett geändert. Ein bisschen erinnert sie an die Uckermark Unendliche Weiten, leicht hügelige Landschaft und bis zum Horizont abgeerntete Getreidefelder. Schwer genug, hier in diesen Weiten einen geeigneten Platz zum Zelten zu finden - aber die Übung habe ich ja inzwischen. Es folgt ein weiterer Tag der langen Geraden und als ich abends wieder mein Zelt aufbaue, zieht ein mittelprächtiges Gewitter auf, das mich aber auch mit nur ein paar Regentropfen weitgehend verschont.
Eiskalt erwischt
Der nächste Morgen lässt nicht viel Gutes erahnen. Zwar trocknet die Sonne mein Zelt noch ganz gut ab, aber von Westen ziehen wieder Gewitterwolken auf. Auch die ersten Schauer mit Blitz und Donner ziehen noch an mir vorbei, dann kommt es aber ziemlich dick und ich muss alles an Regenschutz rausholen, was ich dabei habe. Und dabei kühlt es sich mächtig ab. Wahrscheinlich habe ich zuviel über die Hitze gestöhnt. Die letzten Tage waren mit Temperaturen gut über 20 Grad sehr angenehm, aber jetzt fahre ich bei 7 Grad im Dauerregen. Das wird nicht leicht, jetzt einen geeigneten Platz zum Übernachten zu finden, zumal auch der Wind ziemlich ekelig um die Ecke pfeift. Ich habe mich gerade mit ausreichend Wasser für die Nacht eingedeckt, als ein uralter Saipa Pickup anhält. Mit Hände und Füßen gibt mir der Fahrer zu verstehen, dass er mich und meine Ausrüstung mitnehmen möchte und er auch eine Übernachtungsmöglichkeit für mich hat. Nicht die schlechteste Alternative bei dem Sauwetter. Wie sich später herausstellt, bringt er mich aber nicht zu sich, sondern zu einem Freund, wo erstmal aufgetischt - oder sagt man hier aufgeteppicht? - wird, und wo ich bleiben soll. Immer neue Besucher kommen, um den Fremden zu sehen. Schließlich kommt Hamid dazu, 42 Jahre alt und seit fünf Jahren pensionierter Englischlehrer. Endlich wieder einmal jemand, mit dem man sich in ganzen Sätzen unterhalten kann. Er wurde genauso wie sein Cousin frühpensioniert als Mittel gegen die hohe Arbeitslosigkeit und macht einen total frustrierten und fast schon apathischen Eindruck.
Schließlich wird beschlossen, dass ich in der Nacht noch einmal umziehen soll und mit zu Hamid fahre. Soll mir auch recht sein, zumal mir dort ein eigenes Zimmer und eine heiße Dusche versprochen wird. Am nächsten Morgen erzählt mir Hamid, dass mein "Retter" nicht ganz so selbstlos war und er annahm, dass dieser noch Geld von mir gefordert hätte, zumal er mehrfach darauf bestanden hatte, dass meine Sachen bei ihm bleiben sollten. Hamid ist da ganz anders. Geld will er keines, aber ich soll ihm, seinem Cousin und seinem Schwager doch ungedingt helfen, nach Deutschland zu immigrieren - na dann. Die Zahl von erwarteten 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr beeindruckt ihn überhaupt nicht.
Irgendwie ist Hamid für mich der Stellvertreter für die vielen Menschen hier, die gut ausgebildet sind, für sich keine Perspektive sehen und nur irgendwie weg wollen - über seine Frau und die beiden kleinen Töchter hat er dabei mit keinem Wort gesprochen...
Bei strahlendem Sonnenschein fahre ich das kurze Stück nach Qazvin, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und miete mich dort in ein Hotel ein und nutze den Rest des Tages, mir die Stadt anzusehen, die überraschend viel Schönes zu bieten hat.
Übrigens hätte es mich mit dem Wetter deutlich schlimmer treffen können. In den Nachrichten desselben Abends werden Bilder von schweren Überflutungen gar nicht so weit entfernt gezeigt und von hohem Schnee auf den Straßen in höher gelegenen Regionen, aber auch gleich um die Ecke.
Eigentlich dachte ich, genug Basare gesehen zu haben und es kommen immer nur noch Variationen, die aber mit den sehr schönen, die ich schon besucht habe, nicht mithalten können. Irrtum! In Qazvin gibt es einen ganz "normalen" quirrligen Basar, wo die Menschen sich mit allem, was sie für den Alltag gebrauchen, eindecken und einen wunderschön renovierten alten Basar, in dem nur edle Geschäfte und Restaurants untergebracht sind und der gerade in den Abendstunden gern zum Schlendern genutzt wird. Bisher der schönste Basarkomplex, den ich hier gesehen habe!
Tausche Staub gegen Schlamm
Gerechnet hatte ich nach Qazvin mit einem richtig schweren Tag durch die Berge, um dann in den Küstenstreifen des Kaspischen Meeres zu kommen. Start bei 1200m, leichter Aufstieg auf 1500m und dann geht es 40km abwärts! Durch eine tiefe Kerbe in den Bergen führt eine Autobahn, die Nebenstrecke und eine Eisenbahnlinie (im Bau) immer am Fluss entlang hinunter. Mit einem Mal tauchen an den Berghängen echte, frei lebende Wälder auf! Dann Olivenplantagen! Und schließlich bin ich von üppig wucherndem Grün nach all dem Braun der vergangenen Wochen umgeben. Wasser gibt es hier um Überfluss und neben Reisfeldern sind Fischteiche angelegt, die Gegend ist das Hauptanbaugebiet für Tee in Iran und viele Sümpfe begleiten die Straßen.
Wenn man sich das Tee trinken endgültig verleiden möchte (ist bei mir nicht nötig - Tee ist hier nur die Notlösung), sollte man sich einmal das nationale Teemuseum von Lahijan antun - zum Abgewöhnen. Man kann sich da bis zu 15 Minuten aufhalten.
Einen kurzen Ausflug in die Berge habe ich noch unternommen, um mir das Bergdorf Masuleh anzusehen, dass wie ein riesiges 3-D-Puzzle aussieht und bei dem das Dach des unterhalb gelegnen Hauses dem darüber liegenden als Vorhof dient. Nach der ganzen Trockenheit auf der Hochebene klebt die Luft hier regelrecht - 94% Luftfeuchtigkeit sagt die Wetter-App. Allerdings sind die Temperaturen jetzt im Herbst mit gut 20 Grad ganz angenehm. Allerdings habe ich vorher noch nie Flusskrebse zu Fuß auf der Straße gesehen - bei der Fahrt nach Masuleh schon! Bei der Fahrt in das auf fast 1000m Höhe gelegene Dorf habe ich auch den ersten ausländischen Wagen auf der Tour gesehen. Ein VW-Bus aus Zürich - woher auch sonst.
Das in den Berg hineingestapelte Dorf Masuleh - auch in diesem von Touristen gern besuchten Ort herrscht die fast schon als Nachsaisondepression zu bezeichnende Stimmung
Zurück aus den Bergen suche ich Rasht, der Hauptstadt der Provinz Gilan, eine Unterkunft. Wieder einmal hält mich ein Autofahrer an. Es ist Iman, der Vorsitzende des Radsportverbandes der Provinz, der mir mit einem kurzen Telefonat eine kostenlose Unterbringung in einem einfachen Hotel eines Freundes verschafft und gleich noch eine Adresse in Ramsar, wo ich jetzt für kleines Geld in einem anderen Hotel sitze. Ich werde die nächsten Tage der Küstenstraße entlang des größten Sees der Erde (fast so groß wie die Ostsee aber wesentlich tiefer mit viel mehr Wasser) folgen und dann mal gucken, was in den letzten 2 1/2 Wochen noch zu schaffen ist. Hier jedenfalls hat das Unwetter der vergangenen Wochen deutliche Spuren hinterlassen. Durch die zahlreichen Flüsse aus den Bergen müssen riesige Flutwellen gegangen sein, was am Müll in den Bäumen am Ufer erkennbar ist und das Meer ist in Ufernähe trüb-braun und auch der Strand total vermüllt - da reizt so gar nichts zu einem Bad, obwohl die Temperaturen es schon noch zulassen würden. Ich glaube das sehen die Einheimischen anders. Bei 23 Grad werden Kinder schon mal in dick gefütterte Jacken gesteckt
Ich glaube, Sisyphos ist der Name dieses Menschen, der sich mit dem angespülten Müll am Strand des Kaspischen Meeres abmüht
Aufbruch: | 19.09.2015 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 10.11.2015 |