Iran - mit dem Fahrrad im Orient
Zurück in die Berge
Nicht aus dem Staub habe ich mich gemacht, sondern in den Staub. Nach mehreren hundert Kilometern entlang der Südküste des Kaspischen Meeres bin ich nach rechts abgebogen und durch das Elbursgebirge ins zentrale Hochland zurückgekehrt. Nachdem ich die Tropfsteinhöhle bei Ali Sadr besichtigt hatte, kommt hier in dem subtropischen Küstenstreifen eine auf dieser Reise ganz neue Erfahrung dazu: Ich habe im Zelt meine eigene Tropfsteinhöhle immer dabei. Die Luftfeuchtigkeit ist hier derart hoch, dass das Zelt morgens klatschnass ist und auch die Sonne sehr lange bebraucht, um es einigermaßen abzutrocknen. Keine 200 km weiter südlich, auf der anderen Seite des Elbursgebirges gibt es keine Luftfeuchtigkeit, die man als solche wahrnehmen könnte.
Über die Küste selbst kann ich nicht so viel berichten, weil ich sie im Grunde nicht gesehen habe. Zwar bin ich auf der Küstenstraße überwiegend in Sichtweite des Ufers gefahren, allerdings ist dieses über die gesamte Strecke fast durchgehend bebaut und verriegelt. Teheran liegt quasi um die Ecke und viele wohlhabende Teheraner haben hier ihr Urlaubsgebiet oder gleich ihr eignes Feriendomizil. Hier rollt schon mal eine Karosse mit einem Stern auf dem Kühlergrill und der Heckaufschrift CLK 500 AMG vorbei - kein Fahrzeug, das von Leben am Rande des Existenzminimums zeugt. Viele Glitzerfassaden, viel westliche Modelabel, aber auch viele Bauruinen. Iran zeigt sich hier von einer ganz anderen Seite, als ich es in den vergangenen Wochen kennen gelernt hatte.
Ein fast durchgängiges Straßenbild am Kaspischen Meer - insbesondere in den Regionen mit direkter Straßenverbindung nach Teheran
Schicke Appartementhäuser mit Blick über das Meer und direkt daneben rostet eine Investitionsruine vor sich hin, die vermutlich Opfer einer zeitweilig über 40% liegenden Inflationsrate geworden ist
Wie das vorherige Bild schon zeigt, gibt es hier auch reichlich Fast Food. Aber Augen auf bei den Markenprodukten - hier wird alles gefälscht! Wer findet den Fehler?
Am vergangenen Freitag war Tasua, am Sonnabend Ashura. Ich glaube, das sind die Feiertage, an denen hungrige Radfahrer durchgefüttert werden müssen. Nein, im Ernst, es sind den Moslems wichtige Feiertage, mit denen des Todes Imam Hosseins und seiner Leiden gedacht wird. Hossein war der 3. Imam und ist neulich, 680 n. Chr., in Kerbela - auch damals war der Irak schon nicht sicher - umgebracht worden. Am Sonnabend ruht hier denn auch tatsächlich das gesamte öffentliche Leben und überall ziehen schwarze Prozessionen mit sich selbst geißelnden Menschen mit lautem Tamtam durch die Straßen. Ganz so ernst können die Gläubigen die Sache dann aber auch wieder nicht nehmen, denn für ein Selfie mit dem radelnden Touristen schert man schon mal schnell aus dem Aufzug aus.
Sieht zwar martialisch aus, wie sich die Männer im Takt der Trommeln mit Kettenbündeln auf den Rücken schlagen, hat aber gleichzeitig auch einen ziemlichen Eventcharakter
Die Aufzüge enden regelmäßig bei einer der vielen Moscheen, wo es dann Essen und Trinken für alle gibt - auch für den radelnden Deutschen, für den es einer nicht allzu großen Überredungskunst bedurfte, mit in die Moschee zu kommen. Zugegeben, ein bisschen komisch kommt man sich im roten Trikot zwischen all den schwarz gekleideten Männern schon vor. Ist aber für niemanden ein Problem. Insgesamt ist die Atmosphäre sehr entspannt und es werden erstmal Wasser, Tee und Huhn mit Reis - zur Feier des Tages mit Rosinen - aufgefahren. Alles betet und einer isst... Auch in der Moschee kommen noch ein paar Selfies dazu und nachdem ich die gesamte Geschichte des Imam Hossein in persischem Gesang gehört habe, verabschiede ich mich.
Zwei weitere Mahlzeiten, diesmal in Styroporverpackung zum Mitnehmen - chicken on rice to ride - nehme ich in diesen Tagen noch an. Einmal wird sie mir aus dem fahrenden Auto heraus gereicht, eine andere bekomme ich beim Einkauf drauf zu - es ist Ashura. Weitere Mahlzeiten lehne ich ab, schließlich möchte ich nicht irgendwann für ein Massengeflügelsterben in Iran zur Verantwortung gezogen werden.
Keinen Meter bekommt man geschenkt
In Sari angekommen, habe ich mich schon ein ganzes Stück von der Küste entfernt. Ab hier geht es aber jetzt definitiv in die Berge. An einigen Stellen reichen die steilen Hänge des Elbursgebirges so nahe an die Küste des Kaspischen Meeres heran, dass aus den Städten Seilbahnen in die Berge führen - im Sommer baden und bergsteigen, im Winter Ski fahren und das alles auf wenigen Kilometern.
So ganz ohne ist der Gebirgsriegel zwischen dem Meer und dem zentralen Hochland nicht. Überragt der Damavand nahe Teheran mit 5671m die höchsten Alpengipfel doch mal locker um 800m, hinzu kommen zahlreiche Viertausender. Ich bin auf das Schlimmste gefasst und muss die 1500m Höhenunterschied auf 40km verteilt von der Abfahrt nun mit Zinsen zurückzahlen. In drei Tagen überquere ich die Bergketten und erreiche bei ekeligem Gegenwind nach 3500 Höhenmetern bei 2071m den höchsten Pass und rolle jetzt entspannt der Wüste entgegen. Meine Tropfsteinhöhle ist wieder trocken gelegt. Es ist unglaublich, wie sich das Klima und die Vegetation auf so kurzer Strecke verändern. Von den ergiebigen Regenfällen am Nordrand der Berge kommt hier nichts an. Der Wind treibt ziemlich große Staubwolken vor sich her.
Auch wenn die Tage mit Temperaturen von über 30 Grad noch einmal recht warm geworden sind, zieht auch hier inzwischen so etwas wie Indian Summer ein
Badab Soort
In den Bergen liegt fast auf meiner Route - die extra deswegen so gewählt habe - noch ein echter Geheimtipp, der auch den meisten Einheimischen nichts sagt und weder in meinem Reiseführer noch in der Karte eingezeichnet ist. Den Tipp habe ich gleich am zweiten Tag meiner Reise von Nik mit auf den Weg bekommen und ist bei dem langen Weg durch die Berge noch einmal eine echte Motivationsspritze. Badab Soort heißt der kleine, ziemlich versteckte Ort mitten in den Bergen, wo eine mineralhaltige Quelle bunte Sinterterrassen gebildet hat - kein Eintritt und fast menschenleer - ein Umweg der sich wirklich gelohnt hat.
Am Fuße des Berges habe ich übernachtet und bin wegen der Bilder in der Morgensonne noch einmal nach oben gestiegen - hat sich doch gelohnt, oder?
Eines ist an diesem besonderen Ort allerdings schade und wird einem hier noch einmal eindringlich vor Augen geführt, nämlich wie wenig das Umweltbewusstsein und ein Sinn dafür ausgeprägt sind, die Schönheit der Natur zu erhalten. An den allgegenwärtigen Müll werde ich mich genauso wenig gewöhnen wie daran, dass die Menschen hier überall herumlaufen und die empfindlichen Strukturen damit zerstören - aber auch das werde ich nicht ändern.
Sogar mit dem Moped fahren diese beiden bis in die Terrassen und richten damit jede Menge Schaden an
Nach sehr, sehr vielen Kilometern und vielen Höhenmetern verlangten Beine und Kopf ganz dringend nach einem Ruhetag - dem ersten seine Hamedan. Diese Pause habe ich in Damghan am Rande der Wüste eingelegt. Damghan liegt an der alten Seidenstraße und ist eine der ältesten Städte Irans. Ausgrabungen in der Nähe förderten Siedlungsreste zutage, die älter als 5000 Jahre sind. Natürlich habe ich hier wieder ein paar Moscheen beguckt - und auch Neues gelernt, z. B. dass die alten Ziegelminarette ursprünglich als Leuchttürme dienten, damit man die Städte in der endlosen Ebene leichter findet - und mich und meine Sachen ein bisschen gepflegt. Ich muss mir jetzt noch Gedanken über das Restprogramm machen, denn ca. eine Woche mit dem Rad gebe ich mir noch, dann noch ein paar Tage ausruhen und Sightseeing in Teheran und war's das schon wieder mit dem Urlaub.
Die kunstvoll gemauerten, über 1000 Jahre alten Minarette sind die Wahrzeichen von Damghan und dienten früher als Leuchttürme in der Wüste
Aufbruch: | 19.09.2015 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 10.11.2015 |