Iran - mit dem Fahrrad im Orient
Halbzeit
Gestern Abend bin ich Hamadan angekommen. Es ist Halbzeit meiner Iran-Reise und hinter mir liegen gut 2000 km und 16.000 Höhenmeter. In den letzten beiden Wochen bin ich ziemlich viel gefahren und die Beine verlangen dringend nach einem Ruhetag. Wenn ich sage, dass ich durch die Provinz gefahren bin, trifft es nur bedingt den Kern, denn bei uns würde wohl keiner auf die Idee kommen, Städte mit einer halben Million Einwohnern als Provinz zu bezeichnen. Diese Größenordnung verbirgt sich hinter Namen wie Arak oder Hamadan. Dazu kommen zahlreiche kleinere Städte. Vielleicht bin zu von Isfahan, Yazd und Shiraz zu verwöhnt, aber soviel Reizvolles bieten diese Städte nicht. Insbesondere Arak mit seiner riesigen Stahl-, Aluminium-, Maschinenbauindustrie und dazu außerhalb noch gigantische Kraftwerks- und Raffinerieanlagen ist kein Ort, der viel für das Auge zu bieten hat. Hamadan sieht da schon ein bisschen freundlicher aus und den Ruhetag verbringe ich damit, mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu erlaufen.
Ein kleines Problem ist immer die Unterkunft in den Städten. Die Iraner sind viel im Freien unterwegs und es wird auch gern gezeltet. Allerdings mitten in der Stadt in Parks oder auf Grünstreifen, teils sogar direkt am Fahrbahnrand. Diese Standorte gelten ihnen auch als sicher. Ist nicht unbedingt meine erste Wahl. Am liebsten schlage ich mein Zelt irgendwo in der Natur auf, wo mich keiner sieht und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch keiner mehr vorbeikommt. Einen Campingplatz habe ich bisher noch nicht gesehen. Deswegen ziehe ich in den größeren Städten Hotels vor - auch wegen der Möglichkeit, mal wieder den Staub aus den Klamotten und von der Haut zu bekommen. Ist nicht immer ganz einfach, denn auch Städte mit 50.000 Einwohnern haben nicht unbedingt ein Hotel und in Arak musste ich mit einer sehr einfachen Unterkunft ohne Dusche vorlieb nehmen, weil kein Hotelzimmer zu bekommen war - wie gesagt, eine Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnern. Eine Dusche gab es ca. 100m weiter - heißt hier hamame omomi und ist eine öffentlich Dusche - sehr speziell...
Überall entstehen solche Trabantenstädte - ein Zeichen für eine wachsende Bevölkerung und Landflucht
Nach wie vor bin ich immer wieder überwältigt von der Freundlichkeit und der Gastfreundschaft der Menschen. Dazu zwei kleine Beispiele. Die Nacht hatte ich in der Nähe der kleinen Ortschaft Ben verbracht und mich am Freitagmorgen - hier das Wochenende - rechtzeitig auf die Piste gemacht. Nach etwa zwei Stunden hält ein größerer SUV mit einer vierköpfigen Familie an. Es folgt das Übliche: Woher, wohin, Fotos... Ich versichere, dass ich wirklich nichts gebrauche und wir verabschieden uns. Ein paar hundert Meter weiter hält der Wagen erneut und Saeid - das Familienoberhaupt - fragt, ob ich nicht Lust hätte, am Fluss gemeinsam mit seiner Familien zu picknicken. Passt gut, den Fluss werde ich wohl so um die Mittagszeit erreichen und bin mal nicht auf den Inhalt meiner Taschen oder einen Imbiss an der Strecke angewiesen. Am Fluss sind dann viele Familien beim Picknick, weit und breit allerdings ist der auffällige Geländewagen nirgends zu sehen. Dann also nicht, und ich setze meine Fahrt fort. 10km weiter ist dann aber doch mal eine Rast nötig und während ich an der Straße sitze, taucht Saeid auf. Er hätte mich schon überall gesucht und die Familie warte auf mich. Fahrrad und Gepäck ins Auto und zurück, etwa 20 km in entgegengesetzter Richtung. Dort hatte sich die gesamte Großfamilie versammelt und jetzt wird erstmal reichlich aufgetischt (natürlich auch Huhn mit Reis...).
Für so einen Familienausflug gibt es kaum etwas Interessanteres als einen deutschen Radfahrer als Gast auf der Decke
Nach dem Essen hat Saeid das dringende Bedürfnis, mir noch die Sehenswürdigkeiten der Umgebung zu zeigen: Die Quelle des Flusses, den Kuhrang Wassertunnel und einen Wasserfall. Damit ist der Tag (auch für die Familie) gelaufen und danach lohnt es sich nicht mehr, weiter zu fahren und ich schlage mein Zelt für eine eisige Nacht am Fluss auf. Erstmals muss ich in den Schlafsack kriechen und ihn nicht nur als Decke gebrauchen. Morgens zeigt das Thermometer am Fahrrad 3 Grad - es wird Herbst.
Angeblich eine der besten Trinkwasserquellen der Welt. Und tatsächlich schmeckt das klare Wasser, das hier aus dem Berg sprudelt, herrlich.
Aber nur 50m weiter ist der Fluss von den vielen Ausflüglern schon total vermüllt und auch eine nahe Forellenzucht trägt nicht zur Verbesserung der Wasserqualität bei.
Hilfe, ich bin ein Star, holt mich hier raus
Wenn man sich mal für eine Zeit wie ein Promi fühlen möchte, muss man nur mit einem voll bepackten Fahrrad, rotem Trikot und Helm durch eine iranische Kleinstadt fahren. In Großstädten geht man in der Anonymität der Masse unter. Das Extrem dabei war die Stadt Khomein, durch die ich um die Mittagszeit kam und wo ich mich ca. 1 1/2 Stunden aufgehalten habe. Der Ortsname lässt es schon erahnen, hier wurde einer der ganz Wichtigen geboren: Emam Khomeini, wie er hier genannt wird.
Eigentlich will ich nur ein schnelles Bild von dem Begrüßungsplakat machen und halte dafür in einem Kreisverkehr an. Das erste Auto stoppt auf meiner Höhe, der Fahrer reicht mir eine handvoll Bonbons heraus. Weitere Fahrzeuge halten an, die große Neuigkeit, dass da ein Radfahrer aus Deutschland unterwegs ist, der gerade aus Shahr-e Kord kommt und in Richtung Theheran weiter will, wird wichtig weitergeben. Bevor der Verkehr hier vollends zusammenbricht, setze ich meine Fahrt in Richtung Zentrum fort. Ein Besuch im Geburtshaus ist selbstredend Pflichtprogramm.
Eine eher schlicht gehaltene Gedenkstätte mit einem angegliederten größeren Schulungs- und Tagungskomplex
Etwa 20 Fotos später - die vom Personal von mir gemacht wurden, andere Besucher waren nicht dort - verlasse ich das Gelände wieder. Jetzt erstmal was Essen. Nein, kein Huhn mit Reis, sondern in einem der vielen Fastfood-Imbisse ein Falafel-Sandwich und eine fritierte Teigtasche. Ein ganz gut englisch sprechender junger Mann gesellt sich dazu und gibt alle Erkenntnisse, die er mir entlockt, an die Runde in dem kleine Lokal weiter. Ein anderer Mann kommt zur Tür herein, stellt mir ein riesiges Glas Honig als "Souvenier" auf den Tisch und verschwindet sofort wieder. Bezahlen? Nein, ich bin selbstverständlich Gast des Hauses und es folgt noch eine Einladung meines Gesprächspartners zu sich nach Hause, die ich aber ablehne, weil er außerhalb in entgegengesetzter Richtung wohnt und der Tag dann komplett gelaufen wäre.
So, jetzt noch schnell ein paar Lebensmittel für die kommende Nacht und das obligatorische Safraneis als Nachtisch kaufen. Geht aber nicht ohne einen Tee, eine Einladung des Ladenbesitzers zu sich nach Hause (auch abgelehnt) und eine Flasche gefrorenes Mineralwasser ab, da mein Wasser nach seiner Meinung viel zu warm zum Trinken ist. Jetzt aber nichts wie weg hier - die Menschen erdrücken einen ja förmlich mit ihrer Aufmerksamkeit. Ich bin der festen Überzeugung, man kann bei uns nicht mehr Aufsehen erregen, wenn man sich in einer Kleinstadt nackig macht, sich grün anmalt und durch so durch die Fußgängerzone läuft - nur dass hier keiner die Polizei ruft.
Iran ist ein Vielvölkerstaat mit zahlreichen unterschiedlichen Sprachen - ist mir völlig egal, da ich keine davon auch nur ansatzweise verstehe -, aber auch unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen und teilweise mit unterschiedlicher Kleidung. Auf dem Weg nach Khomein bin ich durch die Provinz Lorestan gekommen, in der die Loren die Bevölkerungsmehrheit haben. Die Männer tragen auch heute noch überwiegend sehr weite Pluderhosen und ein spezielle Kopfbedeckung.
Hochzeitsgesellschaft am Straßenrand mit Musik, Gesang und Tanz - plötzlich ist Schluss und alle eilen zu den Autos und brausen mit Hupkonzert davon - andere Länder, andere Sitten
Die Loren haben offenbar auch eine andere Schafrasse, die bunter, größer und kräftiger ist als die tausenden Schafe, die ich bisher gesehen hatte. Schafe sind meistens undankbare Fotomotive, wenn man die Kamera zückt, suchen sie schnell das Weite. Ein besonders imposanter Schafsbock am Straßenrand ließ mich doch einmal mein Glück versuchen.
Inzwischen habe ich Hamadan erkundet und bin mir sicher, dass der eine Ruhetag hierfür ausreichend ist. Irgendwie ist das Stadtzentrum wuseliger und speziell abends auch ein ganzes Stück finsterer. Das mag sicher an der hier im Gegensatz zu vielen anderen Städten sehr sparsamen Beleuchtung liegen. Zum anderen sind überall in der Stadt tausende schwarzer Flaggen aufgezogen und riesige Plakate mit dem Konterfei eines Armeegenerals aus der Stadt angebracht, der vor einigen Tagen als Berater der syrischen Armee im Krieg gegen den Islamischen Staat ums Leben gekommen ist. Aber auch die Ratten, die bei hereinbrechender Dunkelheit auf dem zentralen Platz trotz tausender Menschen zahlreich aus der Kanalisation kriechen und nach heruntergefallenen Speiseresten suchen, machen die Stadt nicht unbedingt sympathischer. Morgen steige ich wieder auf mein Rad und fahre nach Ali Sadr. Ich werde berichten.
Der Meydan-e Emam Khomeini ist das Zentrum der Stadt. Er wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von einem deutschen Architekten entworfen und ist bis heute weitgehend unverändert - ob es die Ratten damals hier schon gab, weiß ich allerdings nicht
Auch nach mehr als 1000 Jahren unvergessen und hochverehrt, der Arzt und Universalgelehrte Ibn Sina - nicht nur diese Statue, sondern auch ein monumentales Denkmal erinnern an ihn
Aufbruch: | 19.09.2015 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 10.11.2015 |