Iran - mit dem Fahrrad im Orient
Durch die Wüste nach Yazd
Ausgestattet mit dem Stadtplan der Touristeninformation finde ich schnell den Weg hinaus aus Isfahan. Natürlich wieder über den Autobahnring und ich habe keine Zweifel mehr, dass es gut ist, dass bei uns Rad fahren auf der Autobahn verboten ist. Eine Auf- oder Abfahrt - machmal auch zweispurig - zu queren ist ein sportliches Unternehmen, gerade mit einem vollgepackten Fahrrad! Einmal noch eine Abfahrt verpasst und dann bin ich weg von der Hauptstraße, denn ich will nicht die Strecke über Na'in nach Yazd nehmen, sondern auf einer teilweise unbefestigten Nebenroute durch die Wüste. Aber erstmal bleibt der Verkehr noch recht dicht und die "Nebenstrecke" ist auch vierspurig ausgebaut.
Es gibt hier noch viel für mich zu lernen. Meine Orientierungsprobleme gehören mit dazu. Ich verzichte noch immer auf GPS und verlasse mich auf meine Karte. Problem: der Maßstab. Viele Orte sind nicht eingezeichnet und viele Abzweigungen fehlen auch. Problem Nr. 2: sofern auf den Nebenstrecken Wegweiser vorhanden sind, finden sich selten Ortsnamen in lateinischer Schrift!
Problem Nr. 3: in meiner in Deutschland gekauften Karte sind die Ortsnamen überwiegend auf Deutsch eingezeichnet. Bei den größeren Orten kann ich immerhin die arabischen Schriftzeichen vergleichen. Die Transskription scheint auch nicht immer ganz einfach, denn mir begegnen für dieselben Orte immer wieder andere lateinische Schreibweisen. Nie wieder ohne GPS in ein Land, in dem ich Analphabet bin!
Die Strecke zieht sich. Die Besiedelung wird dünner, links und rechts der Straße sind bewässerte landwirtschaftliche Fläche. Mein eigentliches Ziel erreiche ich heute nicht mehr und so rolle ich kurz vor Einbruch der Dämmerung in Ezhyeh ein. Begleitet von Jungs auf ihren Mopeds - wohl so um die 12 Jahre, die an mir ihren gesamten, nicht sehr umfangreichen englischen Wortschatz wieder und wieder abarbeiten. Vor der Moschee im Zentrum bin ich dann von ca. 15 - 20 Mopeds mit Fahrern fast aller Altersklassen umringt. Da es hier im Ort keine Unterkunft gibt will in eine Imamserei, die etwa 3km hinter dem Ortsausgang liegen soll, übernachten. Aber ehe ich mich versehe, bin ich in einem Haus, dessen Besitzer in Isfahan lebt und auch gleich dorthin zurückkehren will, der mir aber sein Haus für die Nacht überlässt - heiße Dusche und Vollpension inklusive, denn eine Gruppe von Männern nimmt sich meiner an und gegen 20.00 Uhr sind um die 10 Personen - Männer und Kinder - im Haus und ich sitze vor einem riesigen Berg Essen - alles für mich!!!
Meine Versorger - einige sind schon gegangen. Offenbar kennen sie den Hunger eines Radreisenden, denn sie tragen sehr viele leckere Sachen ins Haus. Nicht einmal die Hälfte schaffe ich
Zum Frühstück wiederholt sich das Ganze, allerdings in kleinerer Runde. Fladenbort, Joghurt, Käse, Marmelade, Honig und Tee
Von Auftischen kann allerdings nicht die Rede sein. Auch etwas, das ich lernen muss, auf dem Fußboden sitzend essen. Und der Schneidersitz ist für mich als Ungeübtem mit müden Beinen vom Radfahren alles andere als bequem. Das fällt offenkundig auf, denn immer wieder werde ich hier wie auch anderswo aufgefordert, es mit doch bequem zu machen und die Beine auszustrecken. Die Menschen sind geduldig und zeigen mir, wie man die anderen Zutaten mit dem Fladenbrot isst, ohne dass zuviel auf dem Teppich landet. Es gibt so viele grundlegende Dinge zu lernen!
Neues Lernziel: Wie benutze ich eine Toilette, in der es außer einem in den Fußboden eingelassenen Becken mit einem Loch und einem Schlauch an der Wand nichts weiter gibt... Die Phantasie und Handlungsalternativen gehen einem schnell aus!
Mein Fahrrad ist voll. Nein, ich kann die Melone nicht auch noch mitnehmen. Sie wird mir trotzdem - im wahrsten Sinne des Wortes - untergeschoben
Es folgt noch eine kurze Dorfrundfahrt, bei der mir die Sehenwürdigkeiten gezeigt werden und nach einem herzlichen Abschied bin ich wieder auf der Piste. Ein kleines Stück abseits von dieser liegt der Ort Ghortan. In keinem Reiseführer verzeichnet, auch nicht auf meiner Karte. Es ist ein Tipp meiner Gastgeber der vergangenen Nacht. Dort findet sich eine 1000 Jahre alte Ruine einer Lehmbaufestung.
Allein in der Wüste
Hinter Varzaneh endet dann abrupt jede Bebauung und es gibt auch keine Felder mehr. Ich bin in der Wüste - oder vielleicht Halbwüste angekommen. Die Straße ist anfangs noch asphaltiert, aber Autos kommen nur noch alle paar Stunden vorbei. 90km liegen vor mir. Eigentlich kein Probelm. Es hat hier in den letzten Tagen offenbar auch geregnet. In den Senken steht Wasser, aber ein naher Salzsee lässt auch hier an den Rändern das Salz kristallisieren.
Vom Salzsee kommend entdecke ich in der Ebene einen Wanderer mit Rucksack: Dimitri, ein junger Mann aus der Ukraine, der sich von dort auf den Weg nach Australien gemacht hat, um dem Militärdienst zu entgehen - ohne Geld in der Tasche. Geht anscheinend auch. Er will auf ein Auto warten und weiter trampen, fragt mich aber, ob ich Wasser übrig habe. Eigentlich kein Problem, stelle dann aber fest, dass ich meine dritte Flasche vom Gepäckträger verloren habe. Sorry, das wird auch für mich jetzt knapp und ich bin froh über die Melone unter dem Sattel! Fünf Stunden später treffen wir uns in den halb verfallenen Gemäuern einer Karawanserei wieder. Dimitri hat nach Stunden eine Mitfahrgelegenheit gefunden und ich kann jetzt meine Wasservorräte ergänzen. Und es bietet sich die Möglichkeit, Unterkunft und Abendessen in einer kleinen Hütte zu bekommen. Da die Beine schon ziemlich schwer sind, nehme ich die Möglichkeit gern an, allerdings schlage ich mein Zelt auf, wovon der Gastgeber nicht gerade begeistert ist. Er kocht für uns einen Eintopf mit Schaffleisch und Gemüse. Schmeckt gut und tut nach dem langen Tag in der Hitze gut.
Gastfreundschaft in der Wüste - der Mann ist 58 Jahre als, drei Jahre älter als ich... Ich will hierzu jetzt keine unpassenden Kommentare hören
Nach einem kargen Frühstück nehme ich die letzte Etappe nach Yazd in Angriff. Aber es kommen jetzt viele Weggabelungen und der Schotter lässt keine eindeutige Orientierung zu. Irgendwo muss ich mal wieder falsch abgebogen sein. Jedenfalls werden aus den angezeigten 90 km nach Nadushan 120 und ich komme dort um die Mittagszeit ziemlich ausgepumpt an. Eigentlich will ich mich nur vergewissern, dass ich auf dem richtigen Weg bin und meine Wasservorräte auffüllen, werde aber in der Dorfstraße aus einem vorbeifahrenden Wagen angesprochen. Der Weg ist schnell klar und mit Begleitung fahre ich zum örtlichen Kaufmann und bekomme ich eine Flasche Wasser - eine Bezahlung wird kategorisch abgelehnt.
Es kommt was kommen muss: Eine Einladung zum Tee in das Haus des Vaters. Okay, eine Pause passt jetzt ganz gut. Zum Tee kommen Datteln. Und Weintrauben. Und Wassermelone. Und selbst gemachte Zitronenlimonade (lecker!). Und dann kann es ja auch endlich Mittagessen geben. Die Großfamilie ist zum Wochenende ins Elternhaus gekommen und ich sitze im Kreis von ca. 20 Personen - da kommt es auf einen schon nicht mehr ganz so hungrigen Radfahrer auch nicht mehr an. Der Hausherr, mit dem ich kein einziges Wort sprechen kann, ist glücklich mit meiner Kamera und wirkt rundum zufrieden, den exotischen Gast im Haus zu haben.
Es ist erst früher Nachmittag und bis nach Yazd sind es noch ca. 90 km. Meine Gastgeber wollen mich überreden, hier zu übernachten. Meine Beine sind zwar schon ziemlich schwer, aber die Aussicht, mit dem gesamten männlichen Teil der Familie ein Zimmer zu teilen, ist nicht so prickelnd. Außerdem möchte ich Yazd noch ein Stück näher kommen, rechne aber damit, in der Wüste mein Zelt aufzuschlagen. Ich nehme unter Protest der Gastgeber Abschied und komme dann auf guter Piste schnell voran. Das Gelände fällt leicht ab und der Wind hilft auch. Mit hereinbrechender Dunkelheit erreiche ich nach nur vier Stunden Yazd. Drei (!) Jugendliche auf einem Moped nehmen sich meiner an und bringen mich zu einem Hotel in der Altstadt, das Nik mir empfohlen hatte - ohne Verfahren. Ganz großen Dank! Leider ist das Haus (das Radfahrer kostenlos aufnehmen soll) bis auf das letzte Bett ausgebucht. So lange ich im Hotel Orient gegenüber. Auch ausgebucht, aber es gibt für kleines Geld noch ein Bett im Gemeinschaftsschlafraum - für Radfahrer zwei Nächte zum Preis von einer. Gebucht. Ich bin nach 155 km durch die Wüste viel zu müde, um noch weiter zu suchen. Ein deutscher Reisender bestätigte mir heute Morgen, dass ich ziemlich fertig aussah - ich hoffe ich bin dem Gesichtsalter meines Gastgebers von der vorletzten Nacht nicht zu nahe gekommen!
Jetzt erstmals in Yazd ein Ruhetag - ein weiteres von vielen UNESCO-Weltkulturerbestätten auf meinem Weg durch Iran
Aufbruch: | 19.09.2015 |
Dauer: | 8 Wochen |
Heimkehr: | 10.11.2015 |