Mit unseren Kindern um die Welt

Reisezeit: Juni 2015 - Juni 2016  |  von Anja Nemitz

Vietnam: Flucht in Hanoi - jeden Tag eine Überraschung

Unsere ersten Eindrücke von Hanoi waren recht nüchtern. Der Straßenverkehr ist noch schlimmer als in Ulaanbaatar, überall Motorradfahrer, Gehupe, volle Straßen, Dreck und Abgase. Verkehrsregeln gibt es keine - außer - wer zuerst kommt, hat Vorfahrt! Das gilt auch für Fußgänger. Einfach drauflos laufen und hoffen, dass man der Stärkere ist. Am ersten Tag brauchten wir ewig, um eine kleine Straße zu überqueren. Wir hofften darauf, das irgendwo eine Lücke im Verkehr entsteht. Keine Chance. Aber man lernt ja dazu. Einfach losgehen, Motorräder, Autos, Busse und Fahrräder fahren um einen herum.
Zum Glück buchten wir schon von Hongkong aus ein Hotel. Wir dachten, da wir ab Vietnam in einer ganz anderen Preisklasse leben, können wir uns mal ein nettes Hotel leisten. Für die ersten 7 Nächte, zum entspannen und ankommen im neuen Land. Der Name "Dong A Hotel" machte nicht viel her, aber Lage, Ausstattung, Fotos und vor allem der Preis bei booking.com überzeugten uns. Wir buchten die Deluxe Suite mit mit zwei Queensize-Betten, Balkon mit Blick über Stadt und See, mit Flachbild-TV, iPod-Dockingstation, Ankleidezimmer, Minibar, privatem Eingang, Sitzecke mit Sofa, extra Gäste WC und Zugang zur Executive Lounge (nur um einige der Annehmlichkeiten dieser Suite zu nennen).
Was dann aber auf uns wartete, ärgert uns immer noch. Mal abgesehen davon, dass unser Zimmer fensterlos war, mit einem Einzelbett und einem kleinen Doppelbett, keines der Ausstattungsmerkmale zutraf (noch mal zur Erinnerung, wir buchten bei booking.com), winzig klein war und allerlei Tierchen beherbergte, wurde hier wohl noch nie geputzt. Der Boden war voll mit Haaren von Vorgängern und an den wenigen Möbeln (Bett, Schrank, Stuhl) türmte sich eine hohe Staubschicht. Der Kühlschrank (der keine Minibar war) roch nach verfaultem, schimmeligen Essen und verströmte schon nach kurzem Öffnen seinen Duft im ganzen Raum (ohne Fenster - keine Chance zum Lüften). Unser Einwand, wir hätten die Deluxe Suite gebucht, entlockte dem Hotelier nur ein müdes Lächeln und die Worte: "Die wird morgen frei, dann können wir umziehen."

Ein kleines bisschen Hoffnung bestand also noch. Ohne Kinder hätten wir die Situation sicherlich entspannter gesehen, aber wir sind nun mal als Familie unterwegs und nicht mehr auf die billigsten Hostels aus, wie früher als wir mit unseren Rucksäcken durch die Welt zogen. Wir brachten eine wenig erholsame Nacht hinter uns und freuten uns auf unser gebuchtes Frühstück. Für Fine und Willi gab es nichts zum Trinken (nur schwarzer Tee war da), für uns Erwachsene gab es einen Kaffee mit Milch in einer Espresso-Tasse, der scheußlich schmeckte. Ach ja, dazu gab es für jeden eine Banane und ein Gummi-Brötchen. Oh, jetzt hätte ich fast den Klecks Marmelade (Kaugummi-Geschmack) vergessen. Also liebe Reisende: Dong A Hotel in Hanoi ist nicht zu empfehlen. Während des "Frühstücks" beschlossen wir, gleich loszuziehen und nach einer besseren Unterkunft zu suchen.
Wir blieben in den Gassen vom alten Hanoi und fanden schnell das Old Quarter Cyclo Hotel. Ein schmales, hohes, süßes Häuschen mit einem freien, sauberen Zimmer für uns, mit großem Fenster und zwei Queensize-Betten. Und dazu gab es noch Spielkameraden für Fine und Willi - die Kinder von der herzlichen Hoteliersfamilie lebten auch hier. Und ein herrliches Frühstück - und das alles für 15€ pro Nacht für 4 Personen, inklusive Familienanschluss mit Geburtstagsfeier

Auf dem Rückweg zu unserem "Horror-Hotel" schmiedeten wir Pläne, wie wir unbemerkt unsere Sachen packen und auf dem schnellsten Wege verschwinden könnten. Das sollte aber problematisch werden, da wir leider für 7 Nächte gebucht hatten und eine Stornierung nur mit Bezahlung der kompletten 7 Nächte möglich war. Wir rechneten auch nicht mehr mit einem besserem Zimmer, da wir bestimmt 10 mal gefragt wurden, ob wir denn wirklich einen anderen Raum für die nächsten 6 Nächte haben wollen. Zum Glück gelangten wir schon am Morgen unter einem Vorwand an unsere Reisepässe (die an jeder Rezeption einbehalten werden). Während einer die Rucksäcke packte, diskutierte der andere mit dem (plötzlichen kein Englisch verstehenden) Mann hinter dem "Rezeptions-Tisch". Der wollte nun 150 US$ von uns, wenn wir gehen, obwohl die Deluxe Suite 109 US$ die Woche kostete. Unser schäbiges Zimmer wäre höchstens 30 US$ die Woche wert gewesen. Während wir diskutierten, telefonierte er mit jemanden und versuchte mich hinzuhalten. Als sich Mirko mit den Rucksäcken und den Kindern an mir vorbei schlich auf die Straße hinaus, knallte ich ihm schnell 15 US$ hin und rannte raus. Schnell verschwanden wir im bunten Treiben der Gassen von Hanois Altstadt.

Die Tücke mit der Brücke

Da war es wieder. Eines der Probleme, die eine Mutter hat, wenn sie ihre Kinder in Gefahr sieht aber der Papa komplett anderer Meinung ist. Also, Männer voraus und Fine mit Mama im großen Abstand hinterher (Fines Hand klebte dabei regelrecht an Mamas Hand fest und drohte wohl schon blau anzulaufen - was nicht an Fine lag). Vor uns erstreckte sich ein Highlight Hanois - die Long Biên Brücke. Von hier aus genießt man den schönsten Sonnenuntergang mit Blick auf Hanoi - stand im Reiseführer. Wir freuten uns auf die Flussromantik. Für Mirko: Höhepunkt des Tages (mit Kamera + Stativ) - für Anja: 2,4 km Höllentrip mit Schweißausbrüchen - für die Kinder: Abenteuer pur.
Wir spazierten, bzw. tippelten die Brücke entlang, die eigentlich eine rostige Eisenbahnbrücke ist. Die Bahn ratterte in der Mitte entlang, rechts und links davon war gerade soviel Platz, dass 3 Mopeds nebeneinander passten und auch nebeneinander fuhren, und ganz außen war ein Gehweg für 1 Person, daneben Geländer (teilweise nicht mal hüfthoch). Und tief unten der Fluss. So liefen wir, Mirko entspannt und gefesselt von der Aussicht, Willi entspannt auf Papas Arm, Fine relativ entspannt und gefesselt von Mamas Hand und Anja - angespannt, genervt vom Gehupe der tausenden Mopeds, angeekelt vom Gestank der Abgase, ängstlich vor der Gefahr der rücksichtslosen Mopedfahrer und dem Abgrund auf der anderen Seite. Was ich hier noch nicht erwähnt habe, unser Gehweg bestand aus max. 80cm schmalen Betonplatten, einzeln quer aufgelegt zwischen Stahlträgern. Das erkannten wir gut, da es einen luftigen Zwischenraum zwischen den Platten gab, der auch mal etwas größer war oder aus gebrochenen Platten bestand. Bauarbeiten auf dem "Gehweg" zwangen uns immer wieder auf die "Straße" auszuweichen.
Dennoch, der Sonnenuntergang war herrlich und schon fast romantisch, wenn wir uns das ganze Chaos um uns herum wegdenken.

Ein verhexter Tag

Schon von weitem sahen wir hübsche Restaurants am anderen Ufer des Roten Flusses, nett beleuchtet, mit Blick auf den Fluss und die Stadt. Die Location für unser Abendessen stand fest und alle freuten sich. Vorher kamen wir noch an einem Spielplatz vorbei, mit Karussell, Hüpfburg und Rutsche. Die Freude bei unseren Kindern war groß. Da Hanoi sonst keine Spielplätze bietet, wollten wir uns hier bis zum Abendessen aufhalten. Die Restaurants waren in der Nähe, also kein Problem, wenn unser immer hungriger Willi nach etwas essbarem schreit.
Nachdem das Karussell mehr defekt war, als es funktionierte, die Rutsche nicht rutschte und Willi kopfüber in ein Angelbecken mit Plastikfischen fiel (weil er die Fische ohne Angel fangen wollte) und wir für jegliches Benutzen der Spielgeräte zahlen mussten, brachen wir den Spielplatzbesuch ab und gingen mit einem nassen Kind in der Dämmerung Richtung Ufer.

Von den 15 Restaurants, die malerisch am Ufer lagen, hatte keines eine englische Speisekarte, keine Bilder vom Essen und es verstand auch niemand englisch. Was sollten wir denn nur essen? Einfach raten? Alle hatten Hunger, Willi war nass und wir hatten verdammt noch mal einen stressigen Anmarsch über die Brücke bis hierher. Trotz mehrerer Versuche bei verschiedenen Restaurants - keine Chance. Mittlerweile war es stockfinster und wir befanden uns in einer Ecke von Hanoi, die wir nicht kannten und in der es wohl auch keine Touristen gibt. Meist sind die Menschen in solchen Ecken viel freundlicher, aber hier fühlten wir uns gar nicht wohl. Also, schnell ein Taxi anhalten und ab über die Autobrücke in unser Viertel. Das Taxi war schnell gefunden, unser Ziel - Hanoi Altstadt - einfach zu verstehen und gut zu finden (am anderen Ende der Brücke noch 50 m, dann können wir aussteigen). Das sah unser Taxifahrer anders. Einmal falsch abgebogen, gab es kein Zurück mehr. Trotz Anweisungen von Mirko nutzte er die nächste Chance zum Wenden nicht und fuhr wieder falsch. Keine Absicht. Er kannte sich nicht aus und telefonierte wild mit seinem Chef. Statt 25.000 Dong (1 €), stand auf unserem Taximeter nun 89.000 Dong (3,50 €) - hier in Vietnam ein riesiger Unterschied. Hungrig und genervt zahlten wir nur 25.000 Dong, nahmen die Entschuldigung des Fahrers an und ließen uns durch den Trubel der bunten Gassen vom Old Quarter Hanoi treiben.

Das alte Hanoi

Aus 36 Gassen bestand einst Hanoi - das Old Quarter. Hier spüren wir das Leben dieser Stadt. Ähnlich wie damals finden wir auch heute noch ein Handwerk pro Gasse. Äußerst spannend und belustigend für Fine. Da gibt´s die Schneider-Gasse, die Schuh-Gasse, die Kräuter-Gasse, die Metallwaren-Gasse, die Spielzeug-Gasse und viele viele mehr. Trotz etwa 20 Läden pro Gasse mit scheinbar gleichem Angebot, scheint keinerlei Konkurrenz zu bestehen.
Die meisten Low Budget Hostels finden hier ihren Platz und auch das ein oder andere bessere Hotel. Massen von Mopeds drängen sich die Straßen entlang, dazwischen Frauen mit riesigen Körben voller Waren und Fahrräder mit allem möglichen überladen. Cyclos (ähneln Rikschas) mit Touristen schlängeln sich geschickt hindurch und Einheimische, sowie Touristen bahnen sich ihren Weg durch den Wahnsinn.
Während tagsüber Waren sämtlicher Art angeboten werden, verwandeln sich die Gassen abends in ein riesiges Open-Air Restaurant. Winzige Plastikhocker reihen sich die Straßen entlang und überall duftet es nach Rauch, Kräutern, Fleisch und Reis. Man muss gar nicht in eines der unzähligen Restaurants, Bars oder Garküchen gehen. An jedem Haus wird irgendetwas gebrutzelt und angeboten. Die Anwohner sind emsige Geschäftsleute.

Nach 6 Tagen in Hanoi setzten wir uns in den Nachtzug nach Sa Pa - ein kleiner Ort in den Bergen im Norden von Vietnam.

Die Erlebnisse an unseren ersten Tagen in Hanoi könnten ein ganzes Buch füllen. Da das vielleicht auch gar nicht so abwegig ist, enthalten unsere Reiseberichte nur einen kleinen Teil unserer Reise. Viele spannende Geschichten könnt ihr dann später nachlesen.

© Anja Nemitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ein Jahr Familienzeit - wir schauen uns die Welt an. Mit zwei großen Rucksäcken bepackt, reisen wir so günstig und einfach wie möglich, wollen die Menschen kennen lernen und andere Kulturen hautnah erleben.
Details:
Aufbruch: 29.06.2015
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: Juni 2016
Reiseziele: Russland / Russische Föderation
Mongolei
Hongkong
Vietnam
Kambodscha
Thailand
Australien
Neuseeland
Indonesien
Nepal
Der Autor
 
Anja Nemitz berichtet seit 9 Jahren auf umdiewelt.
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